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Ankunft 1932 Berlin

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Berlin, Potsdamer Platz 7. November 1932

Tagebucheintrag der sechszehnjährigen Johanna

Ich habe viele Stunden in einem engen, stickigen Eisenbahnabteil verbracht. Nun sitze ich hier, mitten in Berlin im Bahnhofsgebäude am Potsdamer Platz und warte darauf, dass ich abgeholt werde. Weil es wohl noch etwas dauert, schreibe ich ein wenig in meinem Tagebuch, damit ich nichts vergesse.

Es ist bestimmt ein Tag in meinem Leben, der alles verändern wird. In drei Jahren werde ich wieder in meine Heimat zurückgehen. Bis dahin muss ich hier aushalten mitten in solch einer großen Stadt, wo ich doch eigentlich nur das Land kenne. Ja, manchmal war ich schon in einer großen Stadt gewesen, wenn ich neue Kleidung bekommen sollte. Aber da war ich nie sehr lange.

Man hatte beschlossen, dass ich nun ein neues Leben beginnen musste. So schickten sie mich nach Berlin. Ich soll in einem vornehmen Haushalt eine anständige Lehre absolvieren, damit ich später eine gute Hausfrau, Ehefrau und Mutter werden würde.

Und so erreiche ich nun nach vielen Stunden, durchgerüttelt und übermüdet Berlin. Es ist November, ein nasskalter, ungemütlicher Novembertag, grau und trostlos. Mit meinen sechszehn Jahren bin ich noch recht jung, aber es ist wohl genau das richtige Alter, wo man mich noch formen kann.

Dieses hatte ich gehört, als ich an der Türe gelauscht hatte.

Vielleicht waren sie im Recht, denn das Leben lag ja noch vor mir. Etwas Anständiges sollte ich lernen und da, wo ich herkomme, gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Sie hätten mich dafür ins tiefste Ruhrgebiet schicken müssen. Aber da herrscht Behrenskultur und es ist nicht das richtige Umfeld, um eine Haushaltslehre zu absolvieren.

Zudem leben dort fast nur arme Familien und das unter einer Dunstglocke vom Qualm der rauchenden Schornsteine und umgeben von viel Industrie, die aus Zechen und Stahlwerken besteht. Hochherrschaftliche Häuser, die gibt es schon, doch ich bin nur ein armes Waisenkind, mich wollten sie dort nicht, denn man befürchtete, dass ich wohl nicht genug Erziehung genossen habe, wie es vorausgesetzt wurde.

Aber ich hatte die beste Erziehung bekommen, nämlich durch meine Zieheltern auf einem Gutshof mit Namen Gut Markgraf. Sie hatten mich gefunden, vor ihrer Haustür, ausgesetzt in einem Weidenkorb, so wie Moses. Nicht ganz so, ich hatte im Trockenen gestanden, während er im Schilf am Ufer im Wasser abgesetzt worden war.

Einen Zettel hatte man in das Körbchen gelegt. Darauf war zu lesen, dass sie gut für mich sorgen sollen, dass ich ausgesetzt werde, weil man selber keine Mög lichkeit hatte, mich groß zu ziehen und bat um Verzeihung dafür. Auch solle man bitte nicht urteilen, denn das Leben sei hart mit einem umgegangen. Ich hatte bereits einen Namen. Dieser stand ebenfalls in der kurzen Nachricht, nämlich Johanna.

Meine Eltern? Ja, wer sind meine Eltern? Ich weiß es nicht, niemand weiß es, niemand.

Ich wurde im Mai 1916 geboren. Das hatten meine Zieheltern zurückverfolgen können, denn als sie mich fanden, war ich erst wenige Stunden alt. Das konnten sie daran erkennen, weil ich noch ein Stück von meiner Nabelschnur am Bauch gehabt hatte.

Der Gutshof liegt am Rande vom Ruhrgebiet. Um genauer zu sein, er befindet sich in Essen-Werden. Die Menschen in Essen-Werden leben dort in einer Landschaft, als läge sie mitten im Allgäu. Ich war noch nie im Allgäu, doch ich weiß es aus Erzählungen. Außerdem hatte ich Postkarten gesehen von Verwandten der Gutsherren, die im Alpen land leben. Sie sagten immer, die Menschen müssen nicht in die Voralpen fahren, um sich zu erholen, sie könnten auch in Essen-Werden bleiben. Dort sei es ruhig, dort ist es sehr hügelig und landschaftlich wunderschön.

Jetzt bin ich in Berlin angekommen. Es ist schon drei Uhr am Nachmittag. Sie hatten mir eingetrichtert, dass ich am Potsdamer Platz aussteigen muss, dass dort eine feine Dame auf mich warten würde. Es sollen sehr reiche Leute sein und ich würde es gut haben. Sie trüge ein Schild in der Hand, worauf ich meinen Namen lese und dann würden wir mit einem Automobil zu ihrem Haus fahren.

Ich sehe hier viele Menschen, die Schilder in der Hand halten, weil sie jemanden abholen müssen, den sie nicht kennen. Doch nirgendwo entdecke ich meinen Namen. Ob alle anderen Reisenden auch hier ankommen, weil sie hier in Berlin etwas lernen sollen? Oh, ich muss jetzt aufhören zu schreiben, dahinten sehe ich ein Schild und da rauf steht:

Herzlich Willkommen Johanna Wegemann

Damit muss ich jetzt gemeint sein. Solch ein gebührender Empfang. Nun ja, ich werde ja nun auch in einem vornehmen Hause leben. Doch wer ist das, der dieses Schild in der Hand hält? Ein junger Mann, vielleicht nur wenige Jahre älter als ich. Das finde ich merkwürdig, doch nun höre ich aber wirklich auf zu schreiben.

Johanna

Ohne Johanna

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