Читать книгу Ohne Johanna - Angela Hünnemeyer - Страница 8

Der Weg in die Vergangenheit

Оглавление

Dankbar nahm Veronika das Vertrauen, welches die Geschwister Behren ihr schenkten, an und stieg langsam die Treppenstufen hinauf. Dabei versank sie in einen dicken wolligen Flor, der die Stufen bekleidete. Ein dunkles Holzgeländer umrahmte das gesamte Treppenhaus.

Alle ihr entgegenkommen den Eindrücke nahm sie still in sich auf. Sie hörte noch, wie unten wieder die Wohnzimmertüre geschlossen wurde und somit wusste sie, dass sie nunmehr auf sich alleine gestellt war. In Gedanken schaltete sie komplett ab und tauchte ein in das Leben, wie es vor ungefähr siebzig Jahren hier stattgefunden haben musste.

Noch konnte sie sich keine bildliche Vorstellung von der Person der Johanna machen, denn selbst Stephan war nicht im Besitz einer Fotografie.

An den Flurdecken entdeckte sie alte Lüsterleuchten, die bunt funkelten. Das ganze Haus spiegelte bis ins letzte Detail die vergangene Zeitepoche Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die Welt war hier nie verändert worden. Alte Kommoden und schwere Eichenschränke bestückten die Flurgänge. Es wirkte trotz allem sehr behaglich und gediegen.

Bald hatte Veronika auch schon die nächste Treppe erreicht, die sie nun in das obere Geschoss führte. Als sie dort ankam, sah sie links herum und erkannte am Ende eines schmalen Ganges die Zimmereingangstüre zu Johannas damaliger Unterkunft.

Zielstrebig ging sie darauf zu und öffnete vorsichtig die Tür.

Mit der linken Hand suchte sie nach einem Lichtschalter. Der leichte Schein der Straßenlaternen leuchtete dieses Zimmer etwas aus. Sie ertastete einen Kipplichtschalter. Dieses Model kannte sie aus dem alten Haus ihrer Großeltern, doch war es heut zu Tage wohl eher selten, dass man sie noch vorfand.

Nachdem sie ihn betätigt hatte, ging eine kleine schwache Deckenlampe an. Es war auch hier nicht anders zu erwarten, als das diese ein Model aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts war.

Bedächtig betrat sie das Zimmer und schloss behutsam die Tür hinter sich. Ihr Blick wanderte zunächst einmal durch den ganzen Raum, der ziemlich groß wirkte und urgemütlich ausgestattet war. Ein Zimmer, was für eine damalige junge Dame durchaus gerecht eingerichtet worden war.

Veronika erschien es, als wäre sie gerade selber erst sechzehn und ein Schreck durchfuhr sie in diesem Moment, als sie das dachte, dass genau heute, vielleicht jetzt zur gleichen Uhrzeit vor siebenundsiebzig Jahren Johanna hier eingezogen war. Da entdeckte sie einen alten Lederkoffer neben dem Schrank und sie wusste, dass dieses der Koffer ist, mit dem Johanna damals hier eingetroffen war.

Sie schüttelte ihren Kopf und konnte gar nicht verstehen, warum sie das alles so bewusst durchlebte, ganz so als würden die Station Johannas Leben sich wiederholen.

Ihr Inneres wehrte sich gegen dieses Gefühl, denn Johannas Leben, konnte nichts mit ihrem zu tun haben und doch spürte sie ganz deutlich, dass es intensiv auf sie wirkte.

Sie ging in die Mitte des Raumes und drehte sich einmal um ihre eigene Achse, um alles an Mobiliar und Bildern aufzunehmen, was sich ihr hier bot.

Auf dem Nachttisch stand die Fotografie einer sehr jungen Dame. Das Bild war ziemlich gelbstichig mittlerweile und doch hatte etwas Anheimelndes.

Große Augen waren in einem anmutigen Gesicht zu erkennen. Diese mussten sehr kräftig in der Farbe gewesen sein, vielleicht stahlblau, doch das konnte sie nur vermuten, weil es ja eine Schwarzweißfotografie war. Auf jeden Fall waren es wunderschöne ausdrucksvolle Augen, umrahmt von einem zarten Gesicht, die Haare dazu in einem strengen Knoten im Nacken zusammengebunden.

Ihr Augenmerk fiel als Nächstes auf die untere Gesichtspartie. Dort blieb ihr Blick auf das Grübchen im Kinn der Abgelichteten hängen. Veronika wurde sehr nachdenklich und fasste sich in Gedanken an ihr eigenes Kinn.

Das musste Johanna sein, Johanna in ihren jungen Jahren. Die Besucherin atmete tief durch. Die Gesichtskonturen der Dargestellten waren gut zu erkennen und nicht nur das, sie hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit dem kleinen Stephan, der unten bei Wilhelm und Mathilde auf dem Sofa saß.

Nein das war ja der Erwachsene, sie aber jedoch erkannte hier den kleinen Stephan, den sie an der Havel vor vierunddreißig Jahren getroffen hatte. Johanna war unverkennbar seine Großmutter, das ließ sich nicht leugnen. Es war ein sehr bewegender Moment für sie. Sie schaute in den Spiegel, der rechts über einer Kommode hing, auf der eine weiße Porzellanwaschschale stand.

Darin wiederum war ein weißer Porzellankrug drapiert. Wie in alten Zeiten, ganz so, wie es ihr aus der Historie durchaus bekannt war.

Als sie sich etwas nach vorne beugte, um sich selbst intensiv zu betrachten, presste sie ihre Lippen aufeinander und eine Gänsehaut durchlief ihren Körper.

Sie ergriff ein Haargummi, welches ebenfalls neben verschiedenen Kämmutensilien säuberlich auf der Kommode dekoriert war, band ihre eigenen langen Haare zu einem Knoten zusammen und fixierte diesen mit diesem Gummi und einer Haarklammer.

Es war immer noch alles so vorhanden, als würde Johanna hier noch leben, einfach unglaublich. Neugierig schaute sie ihr eigenes Spiegelbild an und nahm dazu das Bild in die Hand, welches auf dem Nachttisch stand.

Eine verblüffende Ähnlichkeit erkannte sie nun auch zwischen Johanna und sich selbst. Sie hatte dieses Exempel mit Absicht statuiert, denn sie wollte es nun wissen, warum die Geschwister Behren sie mit Johanna verwechselt hatten.

Ihre Augen waren zwar braun und sie hatte auch kein Grübchen im Kinn, aber ihre Lippen und die Gesichtszüge dieser Frau waren der ihrigen schon frappierend ähnlich, selbst die Form ihrer Nase sah aus wie die von Johanna.

Veronika ließ sich auf den alten Polstersessel, der mittig im Raum stand, fallen, überlegte weiter und grübelte. Sie spürte hier etwas Bekanntes und ein Art von Geborgenheit, aber auch ein tiefes Erlebnis, welches Johannas Leben geformt haben musste.

Ihr Blick fiel auf das schwere dunkle Eichenbett und sie versuchte sich an die eben stattgefundene Erzählung Mathildes zu erinnern.

Frau Behren hatte sie also am 30. Juli 1941 zum letzten Mal gesehen, es war der Tag, als Johanna dieses Haus hier verlassen musste. Hatte sie denn gar nicht ihren Koffer mitgenommen? Oder staffierte man sie mit neuen Gepäckstücken damals aus? Das konnte sie ja gleich erfragen.

Stephans Vater, er kam im Februar 1942 zu Welt, also war Johanna schon in anderen Umständen, als sie von hier fortging. Allmählich formte sich hier etwas ganz klar und deutlich. Wilhelm Behren, der dieses Zimmer nicht mehr betreten hatte, warum nicht?

Warum lebte er in solch einem Schmerz? Was war geschehen, dass er hier nicht mehr hineinging?

Hatte er sich damals in Johanna verliebt und litt deswegen, weil sie gehen musste? War er vielleicht der vermeintliche Vater von Johannas Baby, von dem er nicht ahnte, dass es entstanden war?

Wenn das an dem wäre, dachte sie, so sitzt ihr Stephan gerade mit seinem Großvater unten gemeinsam im Wohnzimmer.

Darüber musste sie nun genau nachdenken, denn sie durfte auf keinen Fall irgendwelche falschen Prognosen stellen, das könnte üble Folgen haben. Völlig in Gedanken versunken vergaß sie die Zeit, als sie plötzlich zu Tode erschreckt herumschnellte.

Die Zimmertüre war leicht knarrend aufgegangen.

Mit aufgerissenen Augen starrte sie Wilhelm Behren an, der leise und vorsichtig hineingekommen war und die Türe wieder hinter sich verschloss.

„Sie betreten dieses Zimmer? Nach dieser langen Zeit Herr Behren? Was hat sie dazu veranlasst?“

„Psst, nicht so laut Veronika, die anderen unten wissen nichts davon. Es ist das erste Mal, dass ich wieder hier bin, nach achtundsechzig Jahren.

Durch ihr Erscheinen heute, habe ich wieder den Mut, mich meinem Leben zu stellen und nicht mehr davon zu laufen!“, flüsterte er und legte den Zeigefinger über seine Lippen.

Dieses ist eine gute Entscheidung von ihm, dachte die Angesprochene. Er durfte nicht davor weglaufen, es war ein Teil seines Lebens gewesen, etwas was ihn all die Jahre verfolgt hatte.

Veronika überlegte kurz und pokerte nun hoch.

„Sie haben sie geliebt, nicht wahr?

Und sie tun es immer noch und sie hoffen bis zum heutigen Tag, dass sie etwas erfahren über sie und sie glauben auch, dass sie dem Krieg nicht zum Opfer gefallen ist, sondern eine andere mysteriöse Geschichte dahintersteckt.

Habe ich Recht, Herr Behren?“ Sie biss sich auf die Unterlippe, denn sie könnte hier gerade voll in den Fettnapf getreten sein, aber genauso konnte es auch umgekehrt der Fall sein, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Es folgten einige Schweigeminuten und sie beobachtete nun seine Reaktion und erkannte, wie plötzlich Leben in ihm kam. Er setzte sich auf die Bettkante und schaute die Gegenübersitzende an. Tränen füllten seine Augenwinkel und er drehte sich verlegen zur Seite.

Nachdenklich fuhr mit seiner Hand über die Bettdecke. In der Sekunde ahnte Veronika, dass sie das Richtige gefühlt hatte.

Vermutlich wussten hier in diesem Haus alle Bescheid, auch seine Eltern und das war auch einer mit der Gründe, wahrscheinlich, sogar der Hauptgrund, warum Johanna dieses Haus verlassen musste, sie war nicht ebenbürtig gewesen, eine kleine Haushaltshilfe und nicht gut genug.

So nahmen seine Eltern damals andere fadenscheinige Gründe als Entschuldigung dafür, dass sie Johanna nicht mehr halten konnten, dachte Veronika in diesem Moment.

„Wann wurde Stephans Vater geboren Veronika, wissen sie das?“, ängstlich schaute der alte Herr sie an.

Sie räusperte sich und antworte leise:

„Im Februar 1942, Herr Behren!“.

Wilhelm Behren sackte in sich zusammen. Er wirkte plötzlich wie ein gebrochener Mann, denn nun kannte er die Tatsache, dass man Johanna mit einem Kind unter ihrem Herzen hinauskomplementiert hatte, was damals sicherlich niemand geahnt hatte.

Mit seinem Kind unter ihrem Herzen, das machte ihm das Ganze nun noch schwerer, als der Verlust, unter dem er in all den Jahrzehnten gelitten haben musste.

„Als sie damals ging, an dem Tag Ende Juli, sagte sie mir noch, dass sie wieder kommt, am 7. November am Potsdamer Platz zur gleichen Uhrzeit ankommen würde, so wie 1932, als ich sie abgeholt hatte.

Deswegen bin ich voller Hoffnung, obwohl diese von Jahr zu Jahr mehr schwindet. Das alles hat mich aufrechterhalten, der Glaube daran, sie eines Tages endlich wiederzusehen.

Ich habe nie eine andere Frau danach lieben können.“ Traurig hatte er diese Worte gesprochen.

„Herr Behren, sie haben heute einen Teil von Johanna wiedergefunden. Es ist Stephan. Er ist ihr Enkelsohn. Sind sie sich dessen bewusst, dass es für sie ein Geschenk sein muss?

Nicht nur Stephan trat in ihr Leben, sondern auch sein Vater Paul. Er lebt auch in Berlin und ist mit Luise verheiratet. Er ist ihr Sohn Herr Behren.

Können sie das verkraften? Sie selbst sind sehr alt, doch ich glaube, dass diese neuen Umstände ihnen noch ein wenig Glück bringen werden. Sie haben eine Familie, man gab ihnen durch den heutigen Tag die Möglichkeit, einen Teil von sich selbst zu finden und von ihren Nachfahren.

Nun bin ich auch davon überzeugt, dass wir Wege finden, um Johannas Leben weiter zu verfolgen. Vertrauen sie, es wird alles gut. Die Ungewissheit ist vielleicht noch schlimmer, als die Wahrheit zu erfahren, was mit ihr geschehen ist.

Auch wenn es sehr schmerzhaft sein wird, so hätte man wenigstens endlich eine Gewissheit. Ich verspreche ihnen, dass ich und Stephan alles versuchen werden, um ihnen zu helfen. Es hat einen Grund, warum ich mit in diese Geschichte involviert wurde, auch wenn ich diesen selbst noch nicht kenne.“

Sie wusste momentan noch keine Lösung, sprach aber trotzdem diese Worte aus, denn man musste nun alles daran setzen, endlich aufzuklären was seit Jahrzehnten offen stand.

Sie reichte ihm die Hand und streichelte seine. Er war ein sehr, sehr alter Mensch, der Zeit seines Lebens Sehnsucht gehabt haben musste.

Ein schweres Leben mit großer Last hatte er erleben müssen.

„Ich habe etwas für sie Veronika, habe es noch nie jemanden gezeigt und es ist auch versteckt, werde es nun aus einem Nebenraum holen. Der Raum ist mein persönliches Reich indem ich werke und experimentiere.

Vor allem zu früheren Zeiten, als wir noch die Fabrik hatten. Dort schneiderte ich und entwarf neue Modelle. Das bestimmte hauptsächlich mein Leben.

Aber genauso habe ich dort auch meine gewonnenen Pokale aufbewahrt. Es sind Auszeichnungen von meinem Sport, den ich ausübte. Heute bin ich immer noch ein wenig aktiv, trotz meines hohen Alters ist es mir vergönnt geblieben, ein wenig beweglich zu sein, auch wenn sie das nicht für möglich halten.“

Jetzt war Veronika aber neugierig geworden. Erstens auf das versteckte Etwas und zweitens auf den Sport, den er aktiv früher ausgeübt hatte und darum fragte sie ihn auch unvermittelt danach.

„Kanupolo, Veronika. Eine Sportart, die noch nicht so sehr bekannt ist. Doch darüber werde ich ihnen später genauestens berichten. Dazu fehlt heute leider die Zeit.“

Veronika lächelte, denn damit hatte sie jetzt nicht gerechnet und sagte: „Oh ja, Kanupolo. Wie sollte es auch anders sein, was sollten sie wohl auch anderes betrieben haben, als das, was ihr Enkel Stephan auch ausübt?

Darüber werden wir mit ihnen in den nächsten Tagen wohl doch einmal ausführlicher sprechen müssen. Sie sollten wissen, dass mir dieser Sport bisher völlig unbekannt war, bis ich Stephan wiedertraf und er anfing, mir darüber zu berichten.

Seitdem ich mich intensiv mit seiner Geschichte auseinandersetzte, habe ich im Gefühl, dass dieser Sport eine gewichtige Rolle spielt, weil ich denke, dass es eine Verbindung auch über diesen Bereich gibt.

Allein das ist ja nun schon ein erster Beweis dafür, dass sie sich und auch ihr Enkel dem gleichen Hobby widmeten, obwohl dieser ja nun wirklich bei den meisten Menschen, was ich persönlich bedauere, unbekannt ist. Aber er ist ganz schön spannend.

Ich selbst habe es noch nicht live erlebt, aber ich werde es im kommenden Jahr nachholen, denn ich werde das Pfingstturnier am Baldeneysee besuchen.

Im Internet schaute ich mir Spiele an, damit ich mir eine kleine Vorstellung darüber machen konnte. Zudem las ich etwas in der Historie, denn ich denke, wenn es eine Verbindung gibt, so liegt diese mit Sicherheit viele Jahrzehnte zurück.

Die Anfänge, das wissen sie ja wohl am besten, waren die ersten Deutschen Meisterschaften 1928 in Potsdam, wo die Hamburger Wasserschutzpolizei deutscher Meister wurde.

Neben Hamburg und Berlin war und ist bis zum heutigen Tage das Ruhrgebiet Hauptaustragungsort dieses Sportevents.

Johanna verbrachte ihre Kindheit am Baldeneysee bevor sie nach Berlin ging. Zwei Orte, die mit diesem Sport zu tun haben, denn ansonsten ist er ja in Deutschland, vor allem im Süden des Landes, fast gänzlich unbekannt.“

Herr Behren war über dieses Fachwissen sehr erstaunt. „Ich habe durch diesen Sport sehr viele Freunde gefunden. Diese Freundschaften bestanden über viele Jahrzehnte. Das Ruhrgebiet Veronika ist dem Kanupolosport sehr angetan.

Am Baldeneysee und beim Verein Rothe Mühle Essen, da ging ich über Jahre ein und aus. Viele heutige passive Mitglieder waren genauso wie ich, ehemalige Spieler gewesen und die letzten Jahrzehnte bis Ende der 70er Jahre traf man sich halt immer bei den Meisterschaften und das in den ganzen letzten drei Jahrzehnten zuvor.

Doch so nach und nach starben meine Jahrgänge aus. Für die jüngeren Spieler bin ich namentlich immer noch ein Begriff. In den letzten dreißig Jahren fuhr ich kaum noch ins Ruhrgebiet und zog mich auch aus dem Vereinsleben in Berlin zurück. Ich war halt auch nicht mehr der Jüngste.

Aber jetzt zu erfahren, dass mein Enkel in meine Fußstapfen getreten ist, das ist eine große Freude für mich.“

Für Wilhelm war es ein Grund mehr, stolz zu sein auf diesen heutigen Tag, auch wenn er Johanna immer noch nicht gefunden hatte. Ihm wurde nun ganz langsam bewusst, dass es mit riesen Schritten auf eine Aufklärung zuging, wenn er auch noch nicht wusste wie, doch durch das Kennenlernen dieser jungen Menschen hier und heute, hatte sich das Blatt um einhundertachtzig Grad gewendet.

Sollte er denn in den letzten Jahren seines Lebens endlich sein Ziel erreichen und Gewissheit über alles erlangen? Er sog tief Luft ein und eilte schnell hinaus, um Versprochenes erst einmal zu holen.

Nach wenigen Minuten kehrte er zurück, schloss wieder die Tür und flüsterte Veronika zu, sie solle es an sich nehmen und in Ruhe lesen. Vielleicht gemeinsam mit Stephan.

Veronika nahm ein Buch entgegen, nicht besonders groß und schaute ihn fragend an.

„Es sind Aufzeichnungen, die ich gemacht habe, von dem Tage an, als Johanna in mein Leben trat. Also ich begann damals alles zu notieren was wir erlebten, weil es mir wichtig war. Am Ende der Aufzeichnungen finden sie alle Bemühungen, die ich anstellte, um sie wiederzufinden.

Somit können sie sich vorab schon einmal eine detaillierte Übersicht machen. Niemand ahnt, dass es dieses Buch gibt und ich vertraue es ihnen an. Wenn sie alles gelesen haben, geben sie es mir erst wieder zurück.

Vielleicht kann es für sie sehr aufschlussreich sein, denn ich habe immer alles zeitnah notiert, sogar auch alle Reaktionen Johannas. Sie sind eine Frau mit einem Feingespür und vielleicht hatte ich auch später den einen oder anderen Denkfehler und etwas nicht erkannt, wenn ich es immer und immer wieder gelesen habe, um Anhaltspunkte zu finden.

Vielleicht können sie mir damit helfen, indem sie mir später ihre eigenen Eindrücke darüber schildern. Ich möchte ihnen dafür danken, wenn sie sich diese Mühe machen würden.“

Veronika war sprachlos und stammelte leise: „Ich weiß es sehr zu schätzen, Herr Behren, denn schauen sie einmal, ich bin ihnen doch völlig fremd und sie geben mir ihre persönlichsten Gedanken von ihrer jahrelangen Geschichte an die Hand.

Das ist ein enormer Vertrauensbeweis mir gegenüber. Sie können sich auf mich verlassen, denn ich werde damit sehr sorgsam umgehen, auch mit dem Wissen, was ich danach habe.“

Veronika schluckte, denn sie fühlte sich sehr gut, dass man ihr dieses anvertraute. Gerührt nahm sie den alten Menschen in ihre Arme, um sich auf diesem Wege zu bedanken. Dieses tat ihm wohl und er hatte zum wiederholten Male Tränen in den Augenwinkeln.

Er fühlte, dass es der richtige Moment war, nun dieses Tagebuch offen darzulegen, denn es musste einen Grund gehabt haben, warum er akribisch alles jahrelang notiert hatte.

Ohne Johanna

Подняться наверх