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6 - Das letzte Abendrot

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Der Raum war abgedunkelt. Durch die schweren dunkelgrünen Samtvorhänge drängten sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages.

Bruder George saß auf einem Stuhl und hielt Monsignore Bareas Hand.

»Siehst du, George, da sind die letzten Sonnenstrahlen.«

»Ja, Monsignore. Nur noch ein klein wenig, dann werden auch sie untergegangen sein.«

»George, rück‘ mir bitte das Kopfkissen zurecht. Und zieh den Vorhang auf. Ich möchte das Abendrot so gerne noch einmal sehen«, bat Monsignore Barea mit schwacher Stimme. »Es wird mein letztes Abendrot sein, das zu sehen, mir vergönnt ist.«

»Das sollten Sie nicht sagen, Monsignore.« Bruder George stand auf. Mit den Händen stützte er den geschwächten Körper Monsignore Bareas. Während er ihn mit dem rechten Arm umklammerte, schüttelte er mit der anderen Hand das Kissen auf. Vorsichtig hob er den alten Kirchenmann an, und setzte ihn aufrecht hin.

»Danke, George. Und nun den Vorhang, bitte.« Monsignores Stimme war so leise, dass George ihn schon fast nicht mehr verstand.

Bruder George lief zum Fenster und schob die schweren Vorhänge beiseite. Sofort durchfluteten die letzten Sonnenstrahlen das Zimmer. Einer von ihnen strahlte direkt in Monsignores Gesicht.

Er lächelte glücklich. »Dieser Sonnenstrahl auf meinem Gesicht. Es ist, als wenn ein Engel dich küsst.« Mit seiner zittrigen Hand strich er sich übers Gesicht. »Ist das schön. Ein Sonnenuntergang, er ist doch immer wieder etwas Wunderbares. Etwas Erhabenes«, freute sich der alte Mann.

»Sehr schön, Monsignore. Und Sie werden noch viele von diesen Sonnenuntergängen sehen«, entgegnete der Mönch mit tränenerstickter Stimme. Er wusste, dass es mit Monsignore Barea zu Ende ging, auch, wenn er es nicht wahrhaben wollte. Die Letzte Ölung hatte der treue Kirchendiener bereits erhalten, seine Beichte abgelegt.

Monsignore Barea winkte Bruder George zu sich heran. »George, du und ich wissen, dass dies mein letztes Abendrot sein wird. Morgen früh werde ich bereits Vergangenheit sein.«

»Monsignore …«

»Nein, unterbrich mich nicht, George. Das Sprechen, es fällt mir ohnehin schon schwer genug.« Der alte Mann schwieg, sammelte Kraft für seine weiteren Worte. »Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt. Und ich möchte dir unbedingt noch sagen, was ich dir zu sagen habe.«

Der Mönch nickte. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter.

»Mein Leben, George, es war ein sehr erfülltes. Und wenn ich jetzt vor meinen Schöpfer trete, dann wünsche ich mir, dass er mit meinen Handlungen einverstanden gewesen ist. Nein, George, nicht … Unterbrich mich nicht. Bitte.« Kraftlos versuchte er, die Hand zu heben. »Das Reden, es fällt mir immer schwerer.« Er wurde von einem Husten unterbrochen, der den zusammengefallenen Körper des alten Mannes aufs Heftigste schwächte.

George sprang sofort auf, hielt und stützte ihn. Dankend wehrte Monsignore Barea ab. »Danke, aber, nein, bitte nicht. Lass mich mich nicht noch schwacher fühlen, als ich ohnehin schon bin. Auch, wenn es beruhigend ist, dich an meiner Seite zu wissen. … Im Sterben nicht alleine zu sein.«

»Monsignore, Sie dürfen nicht gehen …«

»George, meine weltliche Zeituhr ist abgelaufen. Auf mich warten nun andere Aufgaben, … in einer anderen Welt, an einem anderen Ort …, im Himmel … Ich fühle es …« Monsignores Körper sackte ins Kissen zurück. Seine Lider senkten sich zuckend. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. »Es ist schön, dieses letzte Abendrot. Danke, dass du es mich hast noch einmal sehen lassen. Danke«, flüsterte Monsignore Barea im Sterben.

Bruder George sprang auf, berührte leicht die Hand des alten Mannes. Fühlte seinen Puls.

Ein Beben durchlief den Körper des Mönchs. Bruder George weinte still vor sich hin.

Monsignore Barea war mit einem Lächeln auf den Lippen, sanft entschlafen. Er war für immer von ihnen gegangen.

George fühlte schon jetzt die Leere, die der Tod Monsignore Bareas mit sich brachte. Mit seinem Sterben hatte er einen guten Freund verloren. Einen Freund, zu dem er jederzeit hatte kommen können. Jemand, der sich immer für andere Zeit genommen hatte, und dabei sehr selten an sich selbst dachte.

»Selbst im Sterben sind Sie sich noch sicher gewesen, dass Sie eine neue Aufgabe, oben im Himmelreich, in einer anderen Sphäre, erwartet. Sogar im Angesicht des Todes haben Sie noch an andere gedacht. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das finden, was Sie sich Ihr Leben lang erträumt haben«, flüsterte George mit tränenerstickter Stimme, während er Monsignore Bareas Körper in Ruhelage bettete, und dessen Hände, wie zum Gebet, gegeneinander legte.

Niedergedrückt verließ er das Zimmer, jedoch nicht, ohne zuvor eine Kerze entzündet zu haben.

Eine Kerze, deren Licht der Seele Monsignore Bareas behilflich sein sollte, den Weg zum Ewigen Frieden zu finden.

Den Weg zur Ewigkeit.

Danach ging Bruder George, von Trauer gebeugt, zum Glockenturm der Abtei Friedensruh und läutete für Monsignore Barea die Totenglocken.

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