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5 – Shadowisland

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Da lag es vor ihnen, das Hotel, von dem sie sich so viel erwartet hatten. Von dem sie gehofft hatten, in diesem etwas abschalten zu können. Entfernt zu sein von Silentsend, von den Geistern, die immer wieder zu Besuch kamen …

Dunkel, pachtvoll, und ebenso bedrohlich wirkend stand es da. Nahm alles um sich herum ein.

In schmiedeeisern geschwungenen Buchstaben prangte der Name des Hotels erhaben in den Himmel

Zum Sensenmann

»Wenn der Name des Hotels ein Omen sein soll, dann wäre es besser, wir würden auf der Stelle von hier verschwinden.« Kim ergriff Quentins Hand. Furcht hatte sie überkommen. Furcht, was nun womöglich wieder alles auf sie zukommen sollte.

»Kim, Kleines, hab doch nicht immer gleich solch eine Angst. Das ist doch nur ein Name. Mehr aber auch nicht.«

»Nomen est omen, Nomen ist Omen«, stöhnte Kim. Leise sagte sie: »Kein sehr schöner Name, wenn du mich fragst.« Sie sah die Fassade hoch, ließ ihren Blick zu jedem der Fenster schweifen, bis hin zum letzten Dachziegel. »Ein fürchterlicher Name, ist jedenfalls meine Meinung. Aber er passt zu dem alten Gemäuer. Auf mich macht das Hotel einen sehr tristen Eindruck. Richtig bedrohlich. Und sieh dich doch nur einmal hier um. Hier sieht es aus, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Der alte Kasten, wer weiß, wann hier die letzten Gäste ein- und ausgegangen sind.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Auch der Fährmann, sein Aussehen, seine ganze Art, das passt alles zusammen. Hier kann man sich nicht wohlfühlen. Unseres Lebens werden wir hier nicht mehr sicher sein. Bestimmt. Glaub mir, ich habe das im Gefühl.«

»Du und dein Gefühl. Du redest schon wie Tante Evelyn. Kim, du verbringst einfach zuviel Zeit mit meiner Geistertante.«

»Geistergroßtante«, korrigierte ihn Kim.

»Ja, Geistergroßtante.« Zärtlich strich er ihr mit der Hand über ihren roten Lockenkopf.

»Wenn Ihr heute noch etwas zu Essen bekommen wollt, dann solltet Ihr nicht weiter hier herumstehen, sondern endlich einmal reingehen. Die Küche hat nicht den ganzen Tag offen. Auch nicht für Euch«, sagte der Fährmann unwirsch.

Quentin nahm die Koffer und sie liefen die vielen Treppenstufen zum Hotel hinauf. Bevor sie das Hotel betreten konnten, mussten sie durch eine große, breite Drehtür hindurchgehen.

In der Vorhalle von Zum Sensenmann roch es abgestanden. Kim rümpfte die Nase.

Aus der Hotelküche drang leises Geschirrklirren.

Ein Hoteldiener, der die Siebzig bei Weitem überschritten hatte, schlurfte ihnen entgegen. »Guten Abend. Sie müssen Sommerwein und König sein. Folgen Sie mir bitte, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.« Er wollte nach den Koffern greifen, doch Quentin zog es, in Anbetracht des Alters des alten Hoteldieners, vor, die Koffer selbst zu tragen.

Sie folgten ihm zu einem Fahrstuhl, der auch nicht mehr das neueste Modell war. Der goldene Zeiger über der Fahrstuhltür schwang nach rechts, noch ein Stockwerk, dann hatte er das Erdgeschoss erreicht. Mit einem lauten Kling öffnete sich surrend die Fahrstuhltür.

Der Hoteldiener ging voraus, drückte den Knopf zur dritten Etage. Sowie die Fahrstuhltür wieder offen war, sagte er: »Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Langsam schlappte er vor ihnen her, und sie konnten sehen, wie viel Schwierigkeiten ihm das Laufen bereitete.

Vor Zimmer Dreizehn blieb er stehen. Er holte einen großen Schlüssel aus seiner Rocktasche, und öffnete gleich darauf die Tür. Im Gehen sagte er: »In einer halben Stunde gibt es Abendbrot. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, für den gibt es nämlich nichts mehr.«

Noch bevor Quentin dem Alten ein Trinkgeld geben konnte, war er auch bereits schon wieder verschwunden.

»Zimmer Dreizehn! Auch das noch!«, stöhnte Kim. Sie nahm ihren Koffer und lief zu dem alten, etwas schief geneigten Kleiderschrank. Dessen Türen öffneten sich knarrend. Abgestandene Luft schlug ihr daraus entgegen. »Nein danke, ich lebe aus dem Koffer.« Sie schloss die Tür genauso geräuschvoll, wie sie sie zuvor geöffnet hatte.

Quentin hatte unterdessen seine Kleidung in die Schubfächer einer alten Kommode gelegt, allerdings nicht, ohne diese zuvor mit seinem Aftershave ausgesprüht zu haben.

Kurz danach machten sie sich auf den Weg in den Speisesaal. Dabei kamen sie an einem Raum vorbei, durch dessen Messingtürschild sie auf ihn aufmerksam wurden.

Kim lachte. »Was soll denn das? Ob hier wohl Robin Williams wohnt, oder weshalb sonst, glaubst du, dass dieses Zimmer so heißt?«

»Der Schauspieler? Keine Ahnung. Vielleicht wohnt da ein Fan von ihm oder diesem Film.« Quentin sah Kim verschmitzt an. Er beugte sich zu ihrem Ohr und flüsterte: »Oder es handelt sich hierbei um einen Geheimbund, so wie in dem Film.«

Kim schlug ihm lachend auf den Arm. »Du sollst mir nicht immer solche Angst machen! Dieser Kasten hier ist schon furchteinflößend genug.«

»Kim, hör‘ auf. Wie sollen wir denn die paar Tage, die wir hier sind, genießen, wenn du bereits jetzt schon überall etwas zu wittern glaubst? Das ist einfach nur ein altes Hotel. Gut, ich gebe zu, dass das Angebot schon anders, bei Weitem vielversprechender, war, als es die Wirklichkeit ist, aber letztendlich haben wir doch nur einmal wegkommen wollen von Silentsend, von der Villa Punto und Tante Evelyn, mit ihrem Geistergefolge. Und das haben wir doch hiermit erreicht. Lass uns einfach die paar Tage, die wir hier sein werden, genießen. Morgen können wir die Gegend erkunden. Wer weiß, vielleicht siehst du auch hier etwas, an dem du Gefallen findest.«

»Bestimmt einen Friedhof, gleich hinter dem Hotel.« Kim hatte ein ungutes Gefühl, und das schon bereits, seit sie dem Fährmann begegnet waren. Immer wieder fielen ihr die warnenden Worte Tante Evelyns ein. Erneut überfielen sie die schrecklichen Erinnerungen, an das, was sich vor Kurzem zugetragen hatte. Wieder sah sie das grässliche Gesicht der Höllenkreatur Amaryllis vor sich. Und erneut durchzogen Schauder ihren Körper, bis zur Kopfhaut hin.

»Lass uns nach unten gehen und sehen, was die Küche Gutes zu bieten hat.« Quentin beugte sich zu Kim, hob ihren Kopf leicht an und küsste sie liebevoll auf die Stirn. Dann zog er Kim mit sich fort.

Bereits im Weggehen, warf Kim nochmals einen Blick über ihre Schulter, hin zu dem Messingschild.

Club der toten Dichter

Privat

Zutritt verboten

Wer weiß, was das zu bedeuten hat, dachte sie, und musste sich zwingen, den Blick davon abzuwenden.

Sie nahmen auf alten Holzstühlen, mit geschwungenen, abgewetzten dunklen Holzbeinen und blutrot bezogenen Samtsitzflächen, Platz.

Kim holte ihr Feuerzeug aus der Handtasche und entzündete die Kerze auf dem Tisch.

Kurz darauf kam auch schon ein Kellner in einer blaugestreiften Kellneruniform und brachte ihnen zwei alte, abgegriffene, in Leder gehüllte Speisekarten.

Beim Öffnen fielen Kim sofort die Zeichnungen auf, die hinter jedem Menü standen. »Wer immer diese Karte einmal entworfen haben mag, er muss es mit sehr viel Liebe und Mühe getan haben. Sieh dir nur die feinen Tintenstriche an.«

Quentin blickte von der Karte auf, lächelte Kim verliebt an, und sagte leise: »Da bin ich aber froh, dass du auch etwas gefunden hast, das dir hier gefällt, und dir keine Angst macht.«

»Schuft!«, lachte sie und trat unter dem Tisch leicht mit dem Fuß nach ihm.

Kim bestellte sich ein paniertes Jägerschnitzel mit Pommes frites und Salat. Quentin nahm dasselbe, allerdings anstelle des Jägerschnitzels, bestellte er ein Cordon bleu mit sehr viel Käse. Dazu tranken sie roten Wein.

Als der Kellner erneut kam, um ihnen nachzuschenken, blickte Kim zu ihm auf. »Wie heißen Sie?«

»Bertram, Madame.«

»Hallo Bertram. Ich darf Sie doch so nennen. Danke. Eine Frage: Dieses Zimmer, der Privatraum, ich meine den, auf dem das Schild Club der toten Dichter angebracht ist. Sagen Sie, ist hier ab und zu Robin Williams, der Schauspieler, zu Gast? Ist das möglicherweise seine Suite?«

Erschrocken sah Bertram Kim an. Er schaute sich nach allen Seiten um, um auch sicher zu sein, dass ihn niemand beobachtete. Dann beugte er sich zu der Frau hinunter, und flüsterte: »Um Gottes Willen, bleiben Sie diesem Zimmer fern! Es bringt nichts Gutes, diesen Raum zu betreten.« Wieder sah er sich verstohlen um. Angst lag in seinen Augen, kam es Kim vor. »Der Raum ist verflucht«, flüsterte er, nachdem er sich erneut vergewissert hatte, dass sie auch niemand beobachtete. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Reisen Sie ab! Wenn’s geht, noch heute Nacht. Je länger Sie bleiben, desto geringer sind Ihre Chancen, Shadowisland wieder verlassen zu können.« In Eile befüllte er das letzte Glas, danach war er auch bereits wieder auf dem Weg zur Küche.

»Na klasse, da fühle ich mich bereits doch viel besser«, zwängte sich die Ironie über Kims Lippen. »Was er wohl damit gemeint hat, dass wir, je früher wir gehen, um so größere Chancen haben, diese Insel wieder verlassen zu können?«

»Süße, das ist alles nur Schau. Gehört ganz einfach zur Kulisse hier dazu.« Quentin rang sich ein zuversichtliches Lächeln ab. »Wenn der Kasten schon solch einen Namen trägt, die Insel abgeschnitten von jeder Zivilisation liegt, muss das Personal doch auch Schauergeschichten zum Besten geben, um dass auch alles zusammenpasst.« Zwar war er keinesfalls von seinen Worten überzeugt, doch es beruhigte zumindest Kim, wenn auch nur ein kleines bisschen. »Lass uns, nach dem Essen, gehen und uns ein wenig die Beine vertreten. Diese Geheimnistuerei und das alles, das gehört einfach alles nur zum guten Ton. Auf diese Art will man den Gästen eine geheimnisvolle, düstere Atmosphäre vorgaukeln, damit sie ihren Aufenthalt in diesem Gruselschloss auch richtig schaurig finden und genießen. Das ist Marktpolitik, Kim, mehr nicht.« Und ich hoffe sehr, damit auch Recht zu behalten.

»Und wenn nicht? Was, wenn es doch so ist, dass wir an diesem Ort in Gefahr sind?«

»Wenn doch? Nun, dann müssen wir das Beste daraus machen. Eine andere Wahl hätten wir letztendlich gar nicht. Doch hör‘ endlich auf damit, dir alles nur schwarz zu malen, sondern fang endlich an, den Aufenthalt zu genießen. Nimm dir ein Beispiel an mir!« Immer schön zuversichtlich sein, sie nichts von deinen Zweifeln merken lassen, forderte er sich gleichzeitig selbst auf.

Nach dem Essen verließen sie den Speisesaal.

Zusammen gingen die beiden die breite Treppe hinunter, und liefen um das Hotel herum.

Nicht lange, und Kim erschrak sich. Auch das noch! Sie fühlte die Gänsehaut, die sie wieder einmal frösteln ließ. Das Gefühl des Schauderns nahm immer mehr zu. Dieser Platz war ihr nicht geheuer. Sie teilte auch nicht die Meinung Quentins, dass ihnen an diesem unheimlichen Ort niemand etwas zuleide tun wollte. Im Gegenteil, sie war überzeugt davon, in Gefahr zu schweben. Bilde ich mir das ein? Ist dieser Bertram daran schuld, dass ich auf einmal solche Angst verspüre?

Quentin grinste leicht unbehaglich. »Na wer sagt’s denn.« Er schielte zu Kim hin. »Da hast du sogar auch noch deinen Friedhof«, stellte er mit dem Anflug von Unbehagen, fest.

»Und bei unserem Glück können wir ihn womöglich auch noch von unserem Zimmer aus sehen«, befürchtete Kim, und schickte ihren Blick an den Fenstern des Hotels entlang.

»Das ist das geringste Problem«, versuchte er, salopp zu antworten. »Lassen wir die Vorhänge eben geschlossen. Basta. Und schon gibt’s keinen Friedhof, der dir Furcht einflößt.« Er nahm sie in den Arm, zog sie zu sich heran und küsste sie. »Lass dir doch nicht immer so viel Angst machen, Kleines«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. Und die Wärme seines Atems ließ sie erschaudern. Lustvoll erschaudern. Kurzzeitig vergaß sie alles um sich herum. Es gab nur noch sie und Quentin und ihre Liebe, und ihr gegenseitiges Verlangen.

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