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11 – Gnade

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»Ich hasse Eindringlinge!« Surrender griff mit seiner Knochenhand nach zwei rauchblauen Edelsteinen und ließ sie in seine leeren Augenhöhlen fallen. Sofort fingen sie zu funkeln an, und begannen zu leben. Ihre Farbe änderte sich in ein Kornblumenblau. Leuchtend. Strahlend. Ausdrucksvoll. Surrender drehte sich Quentin zu. »Ihr …«, sein knochiger Zeigefinger bohrte sich schmerzhaft in seine Brust, »Euch erwähle ich, mich aus diesem elendigen Verlies hier zu befreien. Dafür lasse ich Gnade vor Recht walten. Ich werde Euch das Leben schenken, auch wenn Ihr widerrechtlich in mein Reich eingedrungen seid«, versuchte das Skelett, ihnen aufs Neue zu drohen.

»Widerrechtlich? Aber wieso denn das? Woher hätten wir denn wissen sollen, dass hier unten ein Skelett lebt?«, fragte Kim irritiert. »Wir sind noch nie zuvor auf dieser Insel gewesen noch, dass wir hätten wissen können, dass du hier dein Domizil aufgeschlagen hast. Gleich, ob freiwillig oder gezwungen«, ereiferte sie sich. Jedem, dem sie in letzter Zeit begegneten, glaubte das Recht zu haben, ihnen zu drohen. Das musste doch irgendwann einmal auch wieder ein Ende haben. Drohungen, unmöglich durfte das ihre weitere Zukunft sein! Wer waren sie denn, um sich das gefallen lassen zu müssen.

Kim schäumte innerlich, auch wenn es lange brauchte, sie dahingehend zu bekommen. Dennoch war sie derzeit am Limit ihrer Geduld angelangt. Zumal sie Drohungen ohnehin nicht abkonnte.

Das hohle Lachen Surrenders ließ sie zusammenfahren. »Ein Skelett lebt … Das ist der beste Schalk, den ich jemals gehört habe.« Kims Zorn interessierte Surrender nicht im Mindesten. Er wandte sich ihr zu. Seine Diamantaugen sahen sie eine Weile an, ohne, dass er auch nur ein Wort sagte. Dabei kam er staksig auf sie zugelaufen. Surrender beäugte die Frau von allen Seiten. »Wer weiß, Ihr beide seid womöglich gar nicht so übel.« Seine Finger strichen durch Kims rote Locken. Ein Schauder jagte über ihren Rücken. Ängstlich zitterte ihr Blick an dem Knochenmann entlang.

Surrender neigte den Schädel, mit einem leeren Lächeln schaute er sie an. »Ihr seid wunderschön. Irgendwie …« Er betrachtete sie stumm. Mit einem seiner Knochenfinger hob er ihren Kopf an. Beinahe zärtlich nahm er ihre Hand und drehte sie um sich selbst, geradeso, als wollte er mit ihr tanzen. »Ich weiß nicht recht … Mir scheint«, sein Blick lag nachdenklich auf ihr, »als wären wir uns schon einmal begegnet.« Mit einem seiner knochigen Finger strich er ihr über die Wange. »Vor langer Zeit, vielleicht.«

»Wenn ich einmal unterbrechen darf. Kim, vielleicht ist es dir entgangen, dass unser Gesprächspartner ein Skelett ist. Lass dich nicht von seinen blauen Augen irritieren! Und hör‘ auf, mit ihm zu tanzen!«

»Schatz, ich bitte dich, wie soll mir das denn entgangen sein«, scherzte sie. »Und seine blauen Augen, Liebling, das sind doch nur Diamanten. Auch tanzen wir nicht.« Sie warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. »Hast du nicht gehört«, sie zwang sich zu einem Lächeln, »ich erinnere ihn an jemanden.« Kim, deren Angst sich mehr und mehr verflüchtigte, schenkte ihrem Verlobten einen zuversichtlichen Augenaufschlag.

»Darling, es gibt Tage, an denen reizt du mich bis aufs Letzte«, knirschte Quentin.

Surrender stakste von Kim weg, dabei schlugen seine Knochen aneinander. Er stellte sich zwischen die junge Frau und Quentin. »Sagt, Ihr beide, habt Ihr vergessen, dass ich auch noch da bin! Wollten wir nicht gemeinsam überlegen, wie Ihr mir helfen könnt? Als Gegenleistung dafür, schenke ich Euch Euer Leben. Das ist doch ein Vorschlag, den Ihr nicht ausschlagen könnt. Oder aber«, Surrenders Wesen änderte sich. Sein Skelettgesicht nahm einen bösen Ausdruck an. Windrauschen durchzog die Grotte. Er hob einen Arm, während er sich zu seinem Schatz hin drehte. Seine Hand fuhr wie ein schneidendes Messer durch die Luft. Bereits im nächsten Augenblick rutschten die Münzen eines aufgehäuften Münzenbergs auf sie zu. Dabei fiel eine der Truhen um. Der Deckel sprang auf. Ein zusammengefaltetes Pergament rollte direkt vor Quentins Füße.

»Aufheben!«, befahl Surrender, und seine Augen leuchteten wie todbringende Blitze.

»Aufrollen!«

Kim stand nur da und schaute von Quentins Füßen zu Surrender. Was wollte er nur von ihnen?

Mit einem verstohlenen Seitenblick auf Kims blasses Gesicht, rollte Quentin das Pergament auseinander. Er wusste damit, nichts anzufangen.

»Vorlesen!«, befahl Surrender und zeigte auf das Stück Pergament.

»Kann ich nicht.« Quentin hob dem Skelett das Pergament entgegen.

»Wie, Ihr könnt nicht lesen?« Surrender wandte sich Kim zu. Mit dem Ausdruck des Bedauerns, legte sich sein Blick auf sie. »Wie habt Ihr Euch nur für solch einen Mann entscheiden können, holde Maid?« Nachdenklich betrachtete er sie. Traurigkeit umspielte seine Züge. »Ist er gar aus der Unterschicht?«

»Sicher kann ich lesen. Und aus der Unterschicht komme ich schon gar nicht!« In dem Mann kochte der Zorn. Wie konnte dieses vergessene Knochenwesen, sich ihm gegenüber, nur dermaßen ungebührlich auslassen! »Lesen ja«, schrie er das Skelett an. »Aber nicht das hier. Solch eine Sprache ist mir noch niemals zuvor untergekommen.«

»Dann geht und entziffert sie! Und wehe Euch, Ihr kommt nicht wieder! Vergesst nicht, Ihr habt mich geweckt!« Surrender packte Quentin am Hals. »Ihr werdet dafür sorgen, dass ich für immer befreit sein werde!« Seine Hand fiel von dem Mann ab. Dicht stand er vor Quentin. »Sollte Euch das nicht gelingen, dann, und das verspreche ich Euch, bei allem, was mir in meinem Leben heilig war, werdet Ihr zusammen mit mir, für immer hier gefangen sein.« Surrender mühte sich und lief auf einen seiner Schatzberge zu. Mit nur einem Sprung stand er auf der obersten Truhe. Er hob die Hand. »Und jetzt verschwindet! Macht Euch auf die Suche nach der Lösung zu meiner Befreiung. Entziffert das Pergament und findet über dieses Teil«, eilig hob er ihnen eine Tonscheibe entgegen, »etwas heraus. Da, nehmt das Ding mit«, rief er, und hob ihnen die Scherbe hin. Plötzlich erblickte er Kims Kette. »Was ist das? Ein Kreuz?« Er hüpfte von der Truhe herunter. Neugierig kam er auf Kim zu.

»Ja. Von meiner Kommunion«, antwortete Kim überrascht. Was interessiert ihn denn jetzt an meinem Kreuz?

»Es ist geweiht?« Seine Hand griff nach ihrer Kette. Er ließ das Kreuz durch seine knochigen Finger gleiten.

»Sicher ist geweiht«, flüsterte Kim.

»Gebt es mir, dass es mich schützt, während Ihr meine Scherbe mitnehmt.«

»Aber …«

»Ihr bekommt es wieder. Ich verspreche es Euch. Vor langer Zeit waren mir Versprechen stets heilig.« Surrender erinnerte sich bruchstückhaft an sein früheres Leben.

Kim öffnete langsam den Verschluss ihrer Kette, legte sie um Surrenders Hals und verschloss sie wieder. »Ich vertraue dir, Surrender.« Sie blickte ihn an. Auch, wenn er sehr bedrohlich wirkte, so ging dennoch etwas von ihm aus, das Kim anzog. Ihm vertrauen ließ.

Surrenders Haltung spannte sich. »Und jetzt verschwindet und tut etwas!« Er wandte sich von ihnen ab.

Kim und Quentin sahen sich an. Eilig nahmen sie Surrenders Scherbe und das Pergament an sich, um gleich darauf die Grotte, auf dem gleichen Weg, den sie gekommen waren, zu verlassen.

Wieder oben angekommen, sagte Quentin: »Ich hab keine Ahnung, wie ich rausfinden soll, was dies hier für ein Teil ist.« Er betrachtete die Tonscherbe. »Ob es ein Talisman sein könnte? Und dieses Pergament, wie soll ich es entziffern? Booker lebt nicht mehr, den ich hätte fragen können.« Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig. »Und Gräulich, der vielleicht etwas darüber wissen könnte, weiß noch nicht einmal, dass wir hier sind. So, wen also, Kim, können wir fragen?«

»Ach, Quentin, wenn ich das wüsste. Vielleicht, wenn wir durch das Hotel gehen. Möglicherweise gibt es eine Bibliothek. Mit ein bisschen Glück finden wir Aufzeichnungen über das Hotel. Vielleicht steht da auch etwas über diese Dinge, das uns weiterhelfen könnte. Eventuell gibt‘s sogar auch Aufzeichnungen über Surrender, seine Geschichte, und sein Leben.« Sie biss sich auf die Lippe. »Wer weiß, möglicherweise hat irgendwer, irgendwo, niedergeschrieben, weshalb Surrender mit einem Fluch belegt worden ist.«

»Liebling, wir kennen doch noch nicht einmal Surrenders richtigen Namen. Oder glaubst du, dass er auch im wirklichen Leben Surrender geheißen hat?«

»Wie auch immer, es nutzt nichts, Darling. Uns bleibt nichts anderes übrig, als wieder einmal in der Vergangenheit zu wühlen. Wir müssen einfach herausfinden, was sich damals, wann immer das auch gewesen sein mag, zugetragen hat, um dass aus Surrender ein verfluchtes Skelett geworden ist. Wer weiß, womöglich war er ein Abtrünniger der Höllenanhänger oder ein Kämpfer gegen das Böse. Wir müssen versuchen, die Wahrheit herauszufinden.« Aufmunternd sah sie ihn an. »Und, ob Surrender immer schon Surrender war, oder ganz ein anderer, das, Schatz, das werden wir mit Sicherheit auch noch herausfinden. Quentin, wenn wir bereits jetzt schon die Hoffnung aufgeben, dann sind wir verloren. Und, wer weiß, vielleicht sollte es sogar sein, dass wir ausgerechnet auf dieser Insel auf Surrender treffen mussten.«

»Wir sind von Silentsend weg, um den Geistern zu entkommen, wenn auch nur für kurze Zeit. Und nun das hier. Da hätten wir auch auf Silentsend bleiben können.« Quentin war alles andere, als zufrieden mit ihrer derzeitigen Situation.

Kim nahm sein Gesicht in beide Hände. Ihre Augen versanken in den seinen. »Woher hätten wir wissen sollen, dass auf Shadowisland ein Skelett auf uns wartet? Außerdem, was, wenn der Professor Recht hat, und du tatsächlich der geborene Dämonenjäger bist? Vielleicht mussten wir genau deswegen auf diese Insel kommen.«

»Hör auf, Kim! Hier gibt es keine Dämonen. Dieses Mal ist es ein Skelett, das unsere Hilfe will. Und ein solches zählt ganz bestimmt nicht in die Kategorie Dämonen. Von daher können wir in dieser Hinsicht zumindest unbesorgt sein.« Er sah sie liebevoll an. »Aber ein Dämonenjäger, auch, wenn du das noch so gerne hättest, ein solcher bin ich nicht.« Quentin konnte und wollte sich nicht mit dem Gedanken vertraut machen, ein Dämonenjäger zu sein. Würde er diesen Gedanken auch nur annährend zulassen, würde er gleichzeitig auch anerkennen müssen, dass das Paranormale niemals wieder aus seinem Leben verschwinden würde. Und das wollte Quentin auf gar keinen Fall. Ihm reichte es schon, dass er sein Leben mit dem verstorbenen Geist seiner Großtante teilen musste. Das war bereits spirituell genug. Noch weiterem Spiritismus bedurfte er beileibe nicht.

»Gleich wie, vielleicht muss alles so sein«, antwortete Kim und hauchte ihm einen Kuss aufs Kinn.

Quentin gab auf. Er wusste, dass es kein Argument gab, mit dem er Kim entgegentreten und ihr, ihr Vorhaben ausreden konnte. Resigniert senkte er die Schultern. »Dann lass es uns herausfinden. Je früher, desto besser. Um so eher wird der Spuk ein Ende haben.« Quentin nahm Kims Hand.

Eilig liefen sie zurück zum Hotel Zum Sensenmann.

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