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7 - Surrender

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Der 1. Juli war ein grauer Tag. Dicke Wolken zogen am Himmel entlang.

Quentin und Kim verließen nach dem Frühstück das Hotel. Sie durchstreiften die Wiesen, gleich hinter dem Hotel. Über ihnen kreisten kreischende Möwen. Nach einer Weile veränderte sich das Bild, der Boden wurde steiniger. Immer weniger Grün erfüllte die Gegend. Magere ausgetrocknete Bäume säumten ihren Weg. Es war, als wäre in diesem Bereich der Insel alles Leben erloschen.

»Glaubst du, dass es hier noch etwas anderes gibt, als diese Stein- und Sandwüste?«

»Schätzchen, Kim, ein bisschen werden wir schon laufen müssen, wenn wir von der Insel etwas sehen wollen. Sei nicht immer gleich so ungeduldig. Und komm nicht auf die Idee, schon wieder umkehren zu wollen«, antwortete Quentin, dem Kims Ungeduld nichts Neues war. »Sieh mal, dort vorne, was glaubst du, was das ist?«

Kim blinzelte, die Sonnenstrahlen, die durch die Wolken drangen, blendeten sie. »Ich weiß nicht. Ein Gebäude vielleicht?«

»Gehen wir dorthin und sehen nach.« Er nahm ihre Hand und sie liefen auf den steinigen Hügel, den sie von Weitem erblickt hatten, zu.

Je näher sie dem rätselhaften Gebilde kamen, desto fragender wurde ihr Blick.

»Ein Hügel ist das nicht. Ein Haus aber auch nicht. Was kann das sein, Quentin?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht eine alte Gruft.«

»Eine Gruft? Aber der Friedhof liegt doch hinter dem Hotel. Weshalb sollte dann hier eine Gruft sein?«

»Was weiß ich. Möglicherweise hat es hier vor Hunderten von Jahren einmal anders ausgesehen. Vielleicht war dies nicht immer eine Insel gewesen. Gehen wir und sehen es uns an«, schlug Quentin vor.

Dort angekommen, sagte Kim, teils staunend, teils ängstlich: »Das sieht wie ein steinernes Ufo aus.«

»Ja, und gleich kommen Aliens heraus«, scherzte Quentin.

»Blödmann! Ich meine es ernst. Sieh dir doch nur die Bauweise an. Hast du schon jemals zuvor etwas Ähnliches gesehen?«

»Nein. Ich bin allerdings auch noch niemals zuvor auf dieser Insel gewesen. Und jedes Ding hat so seine eigenen Geheimnisse.« Mit einem schiefen Grinsen, fügte er hinzu: »Selbst Inseln, wie man sieht.«

»Ich dachte, wir seien von Silentsend weg, um für ein paar Tage nichts Mystisches und Geheimnisvolles zu sehen und zu erleben. Und jetzt bist ausgerechnet du es, der mir weismachen will, dass es auch hier Geheimnisse gibt.«

»Kim, bin ich es gewesen, oder du, der von einer steinernen Untertasse gesprochen hat?« Er schaute sie belustigt an. »Ich weiß nicht, was das ist. Lass uns nachsehen gehen, ob das Ding eine Tür oder so etwas hat. Wenn ja, gehen wir hinein und inspizieren es. Vielleicht wissen wir dann, was es ist. Nun, Liebes, was hältst du von dieser Idee?«

»Anders werden wir auch keine Antwort darauf finden.« Beigeistert war Kim von Quentins Vorschlag nicht, doch sie wusste auch, dass sie heute Nacht nicht ruhig schlafen würden, sie zumindest nicht, wenn sie nicht versuchten, hinter das Geheimnis dieses eigenartigen Gebäudes zu kommen.

Sie umliefen das Steingebilde. Weit und breit konnten sie keine Tür entdecken.

»Gehen wir weiter. Was immer es ist, es gibt keinen Eingang.« Quentin lief bereits fort, als Kim rief: »Hierher, Schatz! Hier im Boden, da ist eine Luke. Komm her, Quentin, und sieh dir das an!«

Seufzend drehte er sich um und ging zu ihr zurück. Er brauchte nicht lange, bis er sah, auf was Kim aufmerksam geworden war. Tatsächlich war im Boden, gleich vor dem Steingebäude, eine metallene Tür in den Boden eingelassen. Sie griffen beide nach dem runden Griff und zogen daran. Doch gleich, was sie auch versuchten und anstellten, die Luke ließ sich nicht öffnen.

»Wir müssen das Efeu entfernen«, schlug Kim vor.

»Den Efeu entfernen … Hast du eine Ahnung, wie fest der verwurzelt ist.«

»Versuchen sollten wir es!«

»Womit, Kim, willst du diese dicken Wurzeln durchtrennen?«

»Mit deinem Taschenmesser sollte es gehen.« Ungeduldig wartete sie darauf, dass er ihr endlich sein Taschenmesser reichte.

Kopfschüttelnd gab er nach, zog sein dunkelrotes Taschenmesser aus der Hosentasche und reichte es ihr.

Mit kräftigen Schnitten durchtrennte Kim die festen Wurzeln, die sich zwischen Luke und Erdreich festgehakt hatten. Nach einiger Zeit nahm Quentin ihr das Messer weg. Während Kim die zerschnittenen Efeuranken entfernte, durchtrennte Quentin die restlichen Wurzeln. Als sie es endlich geschafft und die meisten der Ranken entfernt hatten, versuchten sie erneut, die Luke zu öffnen.

Dieses Mal mit Erfolg. Auch wenn sie einige Kraft aufbringen mussten, so gelang es ihnen am Ende doch noch. Die Klappe ließ sich weit öffnen, um dass sie ihnen aus den Händen schlug, nach hinten wegklappte und am Boden aufprallte.

Quentin und Kim sahen hinunter, hinein in das Dunkel der Öffnung.

»Da schau. Eine Leiter, die runter führt. Lass uns nachsehen gehen, was dort unten ist.«

»Dermaßen voller Tatendrang ins Ungewisse«, frotzelte Quentin. »Diese Eigenschaft scheint mir neu an dir, Liebes.«

»Hör‘ auf, dich über mich lustig zu machen! Wenn wir schon einmal hier sind, dann sollten wir auch herausfinden, welchen Grund es hat, dass wir auf dieser Insel gelandet sind.«

»Hast du vergessen, dass ich für dieses Hotel gebucht habe?«

»Nein, habe ich nicht. Aber, hattest du gewusst, dass du für eine Insel reserviert hast? Nein! Und deswegen glaube ich, dass es einen Grund geben muss, dass wir hier sind.«

»Du verbringst deutlich zu viel Zeit mit Tante Evelyn. Täglicher Geisterkontakt, das tut dir nicht gut.«

»Schluss jetzt, lass uns runtersteigen!« Sie wandte sich weg von ihm, und machte einen vorsichtigen Schritt auf die erste Sprosse und begann mit dem Abstieg.

»Du hättest mich zuerst gehen lassen sollen, Kim. Was, wenn eine der Stufen rostig ist und durchbricht?«

»Was wäre wenn«, ärgerte sie sich. »Schatz, langsam raubst du mir den letzten Nerv! Wenn diese Dinger rostig sind, fällst du genauso wie ich.«

»Aber ich könnte dich auffangen, wenn du …«

»Jetzt lass es aber mal gut sein. Komm jetzt endlich!« Kim kletterte weiter vorsichtig, die Stufen nach unten. Als ihre Füße Boden unter sich spürten, rief sie: »Ich bin unten. So tief ist es gar nicht.« Sie schaute sich nach allen Seiten hin, um. »Von dort hinten kommt sogar Licht«, rief sie Quentin zu.

Es roch nach feuchter Erde, doch es roch nicht modrig. Die leicht feuchte Kälte ließ sie frösteln. Kim zog ihre Schultern zusammen, hatte sie ihre Strickjacke doch im Hotel gelassen.

Quentin nahm ihre Hand. Langsam durchliefen sie das Innere. Die Wände um sie herum waren dicht und niedrig, und mit Moos bewachsen. Gemeinsam liefen sie auf die spärliche Lichtquelle zu.

»Phantastisch!«, rief Kim begeistert aus, als sie das Licht erreicht hatten.

Vor ihnen lag ein See, der von palmenartigen Pflanzen umwachsen war. Um den See herum führte ein schmaler ausgetretener Weg.

»Hier müssen früher Leute gelaufen sein. Sieh doch nur, wie ausgetreten der Weg ist.« Kims Augen leuchteten.

Quentin jedoch bekam wieder sein Magendrücken. Wie konnte das sein, dass unterirdisch solch eine Oase wuchs? Suchend sah er sich um. Suchte den Grund für das paradiesische Schön. Vergeblich.

»Vielleicht ist das eine geheime Versuchsstation«, überlegte die junge Frau.

»Wenn dem so sei, sollten wir so schnell als möglich, von hier wieder verschwinden.« Quentin war nicht wohl in seiner Haut. Zudem war er sehr geneigt, sich Kims Theorie anzuschließen. Wie sonst wäre dieses unterirdische Paradies zu erklären?

»Nein, ich will nicht gehen! Ich will sehen, was es hier unten noch alles gibt. Dort hinten«, sie drehte sich um sich selbst, »dort ist eine Öffnung in der Wand. Sieht aus, als wäre dort eine Grotte. Lass uns nachsehen, wohin die führt.«

»Merk dir den Weg, nicht, dass wir uns hier unten verlaufen, und später den Ausgang nicht mehr wiederfinden.«

Blässe durchzog Kims Gesicht. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie sah nochmals zurück, zu dem Weg, von dem sie gekommen waren, und nickte. »Bisher sind wir immer nur geradeaus gelaufen.« Sie lief weiter. Die Abenteuerlust hatte sie überkommen. Kim fühlte sich wie Kolumbus auf einer seiner Entdeckungsreisen.

Der Durchgang zur Grotte war eng. Sie mussten sich beide hindurchzwängen. Der Weg führte in eine Schatzkammer.

»Wo sind wir denn jetzt gelandet? In Indiana Jones?« Quentin verschlug es die Sprache. Vor ihnen lagen Berge von alten Truhen. Manche von ihnen waren umgefallen, einige Deckel aufgesprungen. Goldmünzen, bunte Edelsteine, goldene Krüge, Perlenketten, und vieles mehr, war aus diesen herausgefallen, und breitete sich vor ihren Füßen aus.

Kim lief freudeschreiend darauf zu. »Ein Schatz! Wir haben einen Schatz gefunden!«

Mit diesem Fund starb jedoch auch gleichzeitig die Theorie der geheimen Versuchsstation. Niemand, der an diesem Ort experimentiert hätte, hätte diese Grotte übersehen, noch den Schatz hier unten liegen lassen.

»Kim, wir sollten vorsichtig sein. Du weißt nicht, was hier unten noch alles ist.« Quentin hatte seinen Satz noch nicht beendet, fing Kim zu schreien an. Erschrocken rannte er zu ihr hin. Sein Blick folgte ihrer ausgestreckten Hand.

Dann sah auch er es, das, was Kim dermaßen erschreckt hatte.

Ein Skelett saß, an die Wand gelehnt, neben einer der Truhen. In der Hand hielt es eine Tonscherbe.

»Ob das der Schatzwächter gewesen ist?«, flüsterte Kim. »Aber weshalb ist er immer noch hier? Hier unten, heute noch? Warum hat man ihn nach seinem Tod nicht beerdigt?«

»Er wird gestorben sein …, vielleicht beim Bewachen … Womöglich gab es niemanden, der von ihm und dem Schatz gewusst hat.« Quentin missfiel dies alles sehr. Er hatte nichts anderes gewollt, als ein paar Tage auszuspannen … Und nun das!

Über dem See hinter ihnen, außerhalb der Grotte, bildete sich feuchter Nebel. Zog über dem See entlang, schwebte auf die Grotte zu. Bedrohlich kam er auf Kim und Quentin zu. Zog an ihnen vorbei, hin zu dem Skelett, bis es vollends in der Nebelbank eingehüllt war.

Auf einmal kam Leben in den Knochenmann. Das Skelett bewegte sich.

Kim und Quentin standen starr vor Schrecken.

Der geheimnisvolle Nebel hatte das Skelett zum Leben erweckt. Mit hohler Stimme rief es: »Eindringlinge! Was wollt Ihr hier?«

»Wir?«

»Dies ist die verfluchte Schatzkammer Surrenders! Niemandem ist es gestattet, sich hier aufzuhalten. Macht und verschwindet!« Drohend hallte ihnen die Stimme von allen Seiten entgegen.

»Sicher, wir gehen!« Quentin griff nach Kims Hand, wollte sie mit sich fortziehen. Doch schon im nächsten Moment stand das Skelett vor ihnen, versperrte ihnen den Weg.

»Nein, nicht so eilig! Ich habe es mir anders überlegt!« Mit seinen ausgehöhlten Augen betrachtete das Skelett die Scherbe in seiner Hand. Er hielt sie Quentin entgegen. »Kennt Ihr das? Seid Ihr es, der in der Lage ist, den Fluch zu brechen und von mir zu nehmen?«

»Fluch? Brechen? Welchen Fluch?«

»Den Fluch, der mich hier gefangen hält.«

»Nein, bin ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wer du bist noch, was du von uns willst. Auch nicht, was diese Scherbe in deiner Hand darstellen oder sein soll.«

»Ich bin Surrender. Heute gehört dies alles mir. Die Truhen, Goldmünzen, der gesamte Schatz. Doch das war nicht immer so. All dieser Prunk, er war mein Fluch.«

»Was für ein Fluch?« Verwundert sah Kim das Skelett an. Die Neugierde hatte ihre Angst besiegt. Sie dachte an Satana und Amaryllis, während sie in den Totenschädel des Skeletts schaute. Nein, von den beiden war tödliche Gefahr ausgegangen, nicht aber von diesem Skelett hier. Weshalb auch immer sie die Schatzkammer hatten finden müssen, es musste einen ganz bestimmten Grund dafür geben. Und diesen Grund wollte Kim herausfinden.

»Später, das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass Ihr mich wissen lasst, was Ihr hier wollt, und wer Euch von meinem Schatz berichtet hat.« Nach kurzweiligem Schweigen sprach er weiter: »Wer ist noch alles auf dem Weg nach hier?«

»Niemand hat uns von deinen Schätzen erzählt. Auf dieses unterirdische Paradies, auf diese Grotte und deine Schätze, sind wir zufällig gestoßen«, erklärte Kim, wahrheitsgetreu.

»Zufälle, die gibt es nicht. Es muss einen Grund haben, dass Ihr mich gefunden habt.« Surrenders hohle Stimme klang melancholisch. In dem Skelett keimte die Hoffnung auf Befreiung auf. Und in den Fremden vor sich, glaubte Surrender, sie gefunden zu haben.

Er glaubte fest daran, dass die beiden jungen Leute es sein sollten, die ihn von seinem Fluch befreiten.

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