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10 - Das verbotene Zimmer

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Das kalte Wasser hatte ihm geholfen, wach zu werden.

Professor Gräulich war frisch geduscht und angezogen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es kurz nach Mitternacht, der 1. Juli, war. Mit traurigem Kopfschütteln flüsterte er leise: »Es hilft alles nichts, aber ich muss Madame wecken.« Raschen Griffes zog er die kleine lederne Reisetasche vom Bett, die er sofort nach seiner Vision gepackt hatte. Ohne lange nachzudenken, hatte er alles, was er brauchte, in die Tasche hineingeworfen.

Hastigen Schrittes eilte er die Treppe hinunter. Vor Madames Tür blieb er stehen. Geräuschvoll hämmerte er gegen ihre Schlafzimmertür. Von drinnen konnte er leises Schnarchen vernehmen.

»Madame! Wachen Sie auf! Quentin und Kim sind in Gefahr!«

Nickel, Madames brauner Cockerspaniel, schlug postwendend an. Laut bellend hetzte er zur Tür, dabei vergaß er auch nicht, bedrohlich zu knurren.

»Nickel, wirst du wohl!«, rief Madame schlaftrunken, und drehte sich zur anderen Seite.

»Madame Zink! Aufstehen! Quentin und Kim sind in Gefahr!«

Plötzlich war Madame hellwach. Sie schnellte aus ihrem Bett. Zu schnell. Sie wankte. Taumelnd suchte ihre Hand Halt am Nachttisch. Sie musste für eine Kurzweil verharren. Vorsichtig setzte sie sich nochmals aufs Bett. Geschwächt ließ sie sich nach hinten fallen.

Diesen Zustand kannte sie nur all zu gut. Ihr Kreislauf machte ihr hin und wieder zu schaffen. Doch sie hatte gelernt, dagegen anzugehen und wusste deshalb auch, damit umzugehen.

Erstmals musste sie ihren Körper zur Ruhe zwingen, danach würde sie wieder fit und vollends auf dem Posten sein.

Dieser Schwächezustand überfiel sie meist dann, wenn sie sich zu sehr über etwas aufregte, oder aber, sie zu übereilt aufstand.

Ihr wurde heiß. Ein Hustenanfall schüttelte ihren Körper. Mit den Füßen formte sie ihre Bettdecke zu einem Berg. Rasch legte sie ihre Beine auf den Deckenberg, so dass sie etwas erhöht lagen. Schwach rief sie: »Ich komme gleich.« Darauf hoffend, dass es baldigst vorbei sein würde. Dann endlich, fing sie zu frieren an.

Ein gutes Zeichen! Das wusste sie, da sie den Verlauf kannte.

Zuerst der Kreislauf, der schlapp machte, danach die Hitzewelle und es endete stets damit, dass sie fror. Von daher wusste sie, dass es vorüber war.

Der Schwächeanfall war vorbei. Sie konnte sich wieder ganz und gar auf ihren Körper verlassen. Madame stand vom Bett auf, atmete tief durch und lief gemäßigten Schrittes zur Tür.

Gleich danach riss sie sie mit einem Schwung auf. Vor ihr stand der Professor mit seiner alten abgegriffenen Ledertasche. »Gräulich, mein Gott, Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen!« Schon der Anblick des Professors verhieß nichts Gutes. Ihre Lippen zitterten bei der Frage: »Was ist los mit Kim und Quentin?« Ihr Blick streifte die Reisetasche Gräulichs. »Was hat die Reisetasche zu bedeuten?«

»Quentin und Kim, sie sind in Lebensgefahr.«

»Nein, nicht schon wieder!« Sie holte tief Luft. »Sie hatten wieder eine Vision …«, vermutete sie.

»Beinahe.« Er erzählte ihr in drei Sätzen von seinem visionären Alptraum.

»Ach du guter mein Vater. Ich bin gleich soweit. Nur einen Moment noch«, sagte sie, warf die Tür zu, schnappte sich eine Jeans, ein T-Shirt und Unterwäsche und ging eilig unter die Dusche.

Kurz darauf hatte auch sie einige Utensilien in eine kleine Reisetasche geworfen.

Mit Nickel und dem Professor verließ sie das Haus.

Kaum, dass sie in dem azurblauen Ford Taunus Madames saßen, brauste sie auch schon davon. Hin zur Villa Punto. Hin zum Geist Evelyn li Nolas.

Die Fahrbahn war regennass, der Keilriemen des alten Fords heulte laut auf.

»Madame, dieses Geräusch geht mir durch Mark und Bein. Sie sollten den Wagen einmal zur Reparatur bringen.«

Sie lachte nervös. »Ist eine Krankheit von meinem Wagen. Kann man nicht reparieren. Er ist feuchtigkeitsempfindlich. Aber das gibt sich gleich wieder, mein Bester.«

»Hoffentlich.«

Das Kreischen des Keilriemens ließ nach. Nach einer Weile war nichts mehr zu hören.

Kurz vor Erreichen der Villa überfiel Gräulich erneut eine Vision. Weniger heftig als die andere, doch keineswegs weniger bedrohlich

»Nicht so laut, du weißt nie, wer uns hören kann«, pisperte eine Stimme hinter der Tür.

»Wer soll uns schon belauschen? Es weiß niemand, dass wir hier sind. Alle denken, dass wir längst schlafen«, erwiderte eine jüngere Stimme.

»Da wäre ich mir nicht so sicher. Hier haben die Wände Ohren und die Türen sind die Verräter. Außerdem wird das Betreten des Verbotenen Zimmers mit dem Tod bestraft.«

»Aber …«

»Keine Namen! Untersteh dich!«, fauchte die ältere Stimme.

»Wieso denn nicht? Du kennst doch meinen Namen …, und ich den deinen.«

»Doch niemand anders braucht von unserer Zusammenkunft zu wissen. Ist das so schwer zu begreifen?« Der ältere Redner hatte seine Stimme erhoben, dennoch war sie nicht lauter als ein Flüstern.

»Hör‘ auf jetzt! Ich bin nicht hierher gekommen, um mich andauernd von dir belehren zu lassen. Ich wollte dir von meinem Plan erzählen. Nun, wie ist es, interessiert er dich, oder soll ich wieder gehen? Ausführen tu ich ihn ohnehin. Egal, ob er dir gefällt oder auch nicht.«

»Weshalb hast du mich dann hierher bestellt, wenn du ohnehin tun willst, was du zu tun vorhast?«

»Weil es mir lieber ist, wenn du davon weißt.«

»Wieso das? Was kann ich dabei schon tun?«

»Du kannst mich in meinem Vorhaben bestärken.«

»Oh nein, ich glaub es nicht … Du willst, dass ich dir Recht gebe? Ausgerechnet du? Seit wann interessiert es dich, was ich denke? Du, du hast doch bisher ganz andere Berater gehabt.«

»Falsch! Ich habe gar keine Berater gehabt, wenn dann …«

»Pst …, keine Namen!«, keifte die ältere Stimme erneut.

»Willst du jetzt endlich erfahren, wie mein Plan ist?«

»Ja, mach red‘ schon! Ich kann nicht ewig hier in diesem Zimmer bleiben. Irgendwann wird mein Fehlen auffallen.«

»Wem denn? Wem soll es auffallen?«

»Den Kapuzen. In den letzten Nächten patrouillieren sie. Mitunter mitten in der Nacht.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe sie zufällig belauscht.«

»Belauscht? Was hast du gehört?« Die Neugierde in der Stimme des Jüngeren war unverkennbar.

»Nicht jetzt! Sag mir endlich, was du von mir willst!«

»Verbünden, ich werde mich mit dem Feind verbünden.« Jetzt war es endlich heraus.

»Wie bitte! Ich höre wohl nicht recht. Wie willst du das anstellen? Hast du eine Ahnung, was sie tun werden, wenn sie dahinter kommen. Und dabei ist es völlig egal, wen von beiden Seiten ich meine. Niemals wirst du da ungeschoren davonkommen.«

»Das tut jetzt nichts zur Sache. Du vergisst, wer ich bin! Aber eins ist vollkommen sicher: Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, aber auch noch einen stärkeren Gegner auf der anderen Seite hast, dann verbünde dich mit deinem Feind und bekämpfe, mit ihm zusammen, den Gegner. Und genau das habe ich vor, zu tun.«

»Pah! Und du glaubst, dass das funktionieren wird? Was, wenn sie dir auf die Schliche kommen?«

»Wen meinst du? Die Kapuzen oder …«

»Gleich wer. Die Kapuzen werden dich als Opfer anpreisen, sollten sie dahinter kommen. Und die beiden anderen … Ich will mir gar nicht ausmalen, was sie gegen dich ausrichten werden, dir antun könnten … Sie werden dich vernichten, wenn sie dein wahres Ich erkennen werden. Du weißt doch, sie sind überaus …«

»Schon gut, ich weiß, wer sie sind. Doch keine Sorge, ich weiß schon, wie ich ihr Vertrauen gewinne. Lass mich nur machen. Still! Ich höre Schritte. Schnell unter den Tisch. Verstecken!«

Das leise Rascheln von Stoff, das sanfte Reiben von Schuhsohlen auf Teppichboden, war zu hören.

Kurz danach drang ein leichter Lichtschimmer in den Raum. Eine rote Kapuzengestalt blickte hinein. Der Taschenlampenstrahl durchleuchtete das fensterlose Zimmer.

»Nichts. Da ist nichts. Wir müssen uns verhört haben«, sagte eine ruhige Stimme, die sich nach einer Frau anhörte.

»Ich bin mir sicher, aus diesem Zimmer flüsternde Stimmen, gehört zu haben. Gib mir mal die Taschenlampe!«, befahl eine fiese Stimme.

Erneut durchsuchte der Strahl der Taschenlampe das Verbotene Zimmer. Keine Ecke wurde dabei ausgespart. Doch auch dieses Mal konnte das Licht der Taschenlampe niemanden ausmachen. »Nichts! Und trotzdem bin ich mir sicher, etwas gehört zu haben!«

»Vielleicht kam es aus dem Keller?« Die Frauenstimme schloss leise die Tür.

»Dann nichts wie hin! Wer weiß, wer das ist, der hier nachts herumschnüffelt! Los, beweg deinen Arsch! Es darf dieses Mal nichts, aber auch gar nichts schiefgehen! Nicht mehr lange und wir werden das Sagen über Himmel und Hölle haben!«, dröhnte der, mit der unangenehmen Stimme.

Die zwei roten Kapuzenträger entfernten sich von der Tür, liefen hin zum Keller.

»Jetzt, aber nichts wie raus hier, bevor sie wieder zurückkommen und uns doch noch entdecken«, flüsterte die ältere Stimme unter dem Tisch.

»Ist ja schon gut. Ich werde mir jetzt einen Plan ausdenken, wie ich den beiden jungen Leuten am besten nahe komme, ohne mich zu verraten.«

»Tu das, wenn du es für das Richtige hältst. Doch vergiss nicht, dass die beiden dein Tod sein könnten. Immerhin sind sie Dämonenjäger, auch, wenn sie sich nicht so nennen und sich ihrer Gabe womöglich bisher noch nicht einmal richtig bewusst sind.«

»Schluss jetzt mit dieser Schwarzmalerei! Ich weiß deine Ratschläge zu schätzen, aber wir leben nun einmal derzeit in einer Ausnahmesituation. Deshalb kann ich auf solche Kleinigkeiten keine Rücksicht nehmen noch, mich dadurch von meinem Vorhaben abbringen lassen. In dieser Zeit trägt jeder sein eigenes Risiko. Da mache auch ich keine Ausnahme.«

»Ich hab’s ja jetzt begriffen. Und nun mach endlich und geh unter dem Tisch vor, und dann nichts als raus hier.«

Wie gesichtslose Schatten huschten sie unter dem Tisch hervor, zur Tür hinaus, und liefen in unterschiedlichen Richtungen davon.

Gräulich atmete tief durch. Langsam kurbelte er das Fenster herunter, ließ sich die klare Nachtluft ins Gesicht wehen.

»Quentin und Kim sind in Gefahr. Sie sollen in eine Falle gelockt werden«, sagte er matt.

Madame trat das Gaspedal noch fester durch. Sie konnten bereits die Villa Punto vor sich sehen. Nicht mehr lange und sie hatten sie erreicht, und konnten Evelyn li Nola endlich um Rat fragen.

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