Читать книгу Namenlos oder Kreuz As... und die Morde enden nie - Angelika Nickel - Страница 12

10. Archivierte Aktenkisten

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Lotte nahm einen großen Schluck aus der Flasche, dann stellte sie die Bierflasche auf den Tisch. Sie brauchte kein Glas. Heute nicht. Heute musste sie erste einmal ihre Nerven beruhigen, zur Ruhe kommen. Sich klar darüber werden, ob sie sich alles nur einbildete... Oder ob die Vergangenheit aufs Neue erwacht war.

Lotte ging an den Kühlschrank, holte die Schüssel mit den restlichen Spaghetti heraus, stürzte sie in einen tiefen Teller, goss noch ein wenig Olivenöl, von ihren eingelegten gefüllten Peperoni, und eine Handvoll geriebenen Käse darüber und erwärmte sich die spärliche Mahlzeit in der Mikrowelle, während sie zwei Tomaten wusch, eine Zwiebel schälte und sich einen Tomatensalat zubereitete.

Als sie satt war, stellte sie alles auf die Spüle; wegräumen würde sie das später, danach stand ihr jetzt nicht der Kopf. Suchend ging sie durchs Haus. Wo war nur dieser verdammte Karton mit den Akten? Lotte wühlte sich durch Berge von Kartonagen. Wenn sie doch wenigstens alle mit der Beschriftung nach vorne zeigen würden, aber nein, es hatte ja schnell gehen müssen, da sie sofort nach ihrem Einzug zu arbeiten begonnen hatte. Was war da näher gelegen, als die Kartons einfach nur abzustellen. Und was hatte sie jetzt davon? Dass sie sich durch Kartonberge ohne Ende zu wühlen hatte, ohne zu wissen, wo der Aktenkarton überhaupt war. Verdammter Mist, hätte sie denen doch wenigstens sofort, nach dem Einzug in dieses Haus, einen festen Platz, ähnlich dem eines Archivs, gegeben!

Nach über vier Stunden angestrengter Suche gab Lotte auf. Zumindest hatte sie ihr altes Adressbuch in einer der Kisten, zwischen Winterpullis vergraben, wiedergefunden. Mit diesem Fund beendete sie für diesen Abend auch die Suche. Immerhin war es kurz vor Mitternacht, und sie konnte sich beim besten Willen nicht auch diese Nacht wieder um die Ohren schlagen.

Lotte machte noch einen kleinen Gassi-Gang mit Odin, danach schwang sie sich in eine Wanne voll schäumendem Badewasser. Ein heißes Bad, kurz vor dem Zubettgehen, tat ihr gut. Das Badewasser lag in einem Nebel aus Moschus. Lotte mochte den Geruch von Moschus. Sie stellte ihre Bierflasche neben sich auf den Badewannenrand, nahm das kleine Adressbuch, und stieg in das schaumige Nass. Sie blätterte in dem Büchlein. Sie suchte einen bestimmten Namen, doch sie fand ihn nicht. Warum fiel ihr auch nicht ein, wie Ireen mit Nachnamen hieß? Ireen, ihre Freundin aus der Schulzeit, zu der sie aber nie so ganz den Kontakt verloren hatte.

Während Lottes Sizilien Aufenthalts gab es für einige Jahre zwar Schweigen zwischen den Freundinnnen, doch hatte das mehr an Lotte als an Ireen gelegen.

Umso mehr hatte sich Ireen gefreut, als, nach der Zeit des Schweigens, von Lotte endlich wieder ein Lebenszeichen gekommen war.

Von da an schrieben sich die beiden regelmäßig.

Lotte erzählte von Sizilien, beschrieb ihr Dies und Das, mitunter schrieb sie Ireen auch etwas von Fällen, die ihr Kopfzerbrechen machten, oder von manchen, die sie bereits gelöst hatte. Natürlich immer unter Anbetracht des Datenschutzes; ohne Angaben genauer Daten, Namen oder Ähnlichem.

Als Ireen sich verheiratete, brach der Kontakt zwar nicht ab, aber er war weit spärlicher gehalten als zuvor.

Seit ihrer Rückkehr aus Sizilien hatte Lotte sich vorgenommen, Ireen einen Freundschaftsbesuch abzustatten. Aber bisher war es nach wie vor bei diesem Vorsatz geblieben.

Wenn ihr doch nur der Name von Ireens Mann einfallen würde, dann könnte sie die Auskunft oder einen Kollegen anrufen, der ihr die Adresse hätte herausfinden können. Aber so..., nur Ireen war nun doch zu wenig.

Nach dem Baden streifte sich Lotte ein dünnes Shirt über, schlüpfte in enganliegende, knappe Shorts, und ging hinaus in ihren kleinen Garten. Er war winzig klein, eine Bierzeltgarnitur und ein Tisch daneben, damit war er auch bereits ausgefüllt.

Auf Dauer würde sie hier wohl kaum wohnen bleiben wollen, dafür liebte sie Grün viel zu sehr, von daher, irgendwann würde sie sich ein Haus suchen, mit einem richtig großen Garten, in welchem sie auch Pflanzkübel würde aufstellen können. Doch für den Anfang musste es nun mal dieses tun. Zwei bis drei Jahre, das würde reichen, für einen Aufenthalt in diesem Haus, aber bis dahin wollte sie es sich trotzdem noch gemütlich machen. Wenn sie doch nur Zeit dafür hätte. Bis Lotte abends von der Arbeit nach Hause kam, mit Odin seinen Auslauf hinter sich gebracht, und sich anschließend noch eine Kleinigkeit gekocht hatte, blieb keine weitere Zeit fürs Auspacken. Manchmal gelang es ihr, einen Karton auszusortieren, Pullis auf einem Tisch aufeinandergelegt zu stapeln, aber das war´s auch schon. In ein paar Wochen hatte sich Lotte fest vorgenommen, mit dem Aufbau der Schränke zu beginnen. Pete hatte bereits versprochen, nach Feierabend vorbeizukommen und ihr dabei zur Hand zu gehen. Sie lächelte.

Peter, er war ihr ein guter Freund geworden; und es kümmerte ihn nicht, dass sie so wenig von ihrem Leben in Sizilien erzählte. Lotte war nicht das, was man ein Tagesblatt nannte. Sie hielt sich rar mit Erzählungen, erst recht dann, wenn es um ihr eigenes Leben ging. Zuerst musste sie Vertrauen fassen, jemanden mögen, um dass sie sich einen Menschen anvertraute. Wenn sie Sorgen hatte, erzählte sie sie Odin, und ihr treuer Schäferhund hörte ihr zu, so dass sie schon einige Male in Versuchung war zu glauben, dass der Vierbeiner sie tatsächlich verstand.

Lotte sah zu den Sternen am Himmel. Wie klar der Himmel doch war. Auch der Mond war gut zu sehen. Fast hatte er sein Rund erreicht, um wieder für so einige Spinner in der Vollmondnacht verantwortlich zu sein. Vollmondnächte, meist wurden in diesen für Lotte und ihre Kollegen die Arbeitstage weit länger als normal. Irgendetwas musste der runde Mond an sich haben, um so einige aus ihren Ecken zu locken, und Dinge anstellen zu lassen, die sie an anderen Mondnächten nicht angestellt hätten.

Sie nahm die Bierflasche, blies die Kerze des Windlichts aus und ging zurück ins Haus. Nachdem sie überall die Rollläden heruntergelassen hatte, ging sie in ihr Schlafzimmer und machte es sich auf ihrer Matratze bequem. Für dieses Wochenende hatte sie sich fest vorgenommen, ein Bett kaufen zu gehen. Ein breites Französisches Bett, in dem sie dann quer schlafen würde.

Lottes verschränkte die Arme unterm Nacken, schloss die Augen und schlief ein.

In dieser Nacht träumte sie von Kreuz Assen, die alle irgendwelche Stimmen hatten und sie gehässig auslachten. Blut troff zwischen den Kreuzen hervor, Menschenstimmen kreischten vor Schmerzen, dann war alles ruhig. Viel zu ruhig, und aus dem Dunkeln schoss ein Schatten auf sie zu. Eine Gestalt, gekleidet wie ein Kreuz As. »Miststück,« schrie die Gestalt, »dieses Mal krieg´ ich dich!«

Lotte schoss hoch. Verschwitzt lief sie ins Bad; ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht, über Brust und Rücken. Jetzt ging es wieder. Anschließend holte sie sich ein Glas kalte Milch, danach legte sie sich wieder schlafen, und dieses Mal verlief ihr Schlaf ruhig und traumlos.

Erst das gnadenlose Klingeln ihres Weckers holte sie wieder ins Leben zurück.

Wie jeden Morgen stand Lotte auf, ging duschen, frühstückte knapp, drehte mit Odin einige Runden, bis es auch schon wieder an der Zeit war, ins Büro zu fahren.

Bevor sie ihren feuerroten Beetle startete, nahm sie sich etwas vor, was sie unbedingt heute noch erledigen wollte; Ireen, sie musste dringendst herausfinden, wie Ireen mit Nachnamen hieß und wo sie derzeit wohnte!

Namenlos oder Kreuz As... und die Morde enden nie

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