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Wieder ein Brief?

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Fünf Tage später, gefühlte fünf Wochen, kann ich meinen Augen kaum trauen. Im Briefkasten liegt erneut ein Brief, der an mich adressiert ist. Wieder kommt er von John, John Jackson. »Was ist das denn für ein Idiot?«, schießt es spontan aus mir heraus. Wieso schreibt der jetzt schon wieder per Post? Ich reiße den Brief auf, setze mich hin und beginne zu lesen.

Hallo liebe Lara,

vielen Dank für deinen herzlichen Brief. Ich musste ja schon ein wenig schmunzeln, als ich gelesen habe, wie sehr du versucht hast, mit mir Kontakt über die »digitale Welt« aufzunehmen.

Ha, der ist witzig. Wieso antwortet er dann bitte nicht über die »digitale Welt«? Kopfschüttelnd lese ich weiter.

Wie du ja sicherlich gemerkt hast, gibt es recht viele Informationen über mich im Internet. Vieles davon ist jedoch entweder veraltet oder auch gänzlich falsch. Bei Facebook bin ich seit letztem Sommer nicht mehr online gewesen, deshalb konnte ich dir da auch nicht antworten. Ich habe mich aus verschiedenen Gründen dazu entschieden, dir per Hand zu schreiben. Der Hauptgrund ist, dass ich einen handschriftlichen Brief einfach persönlicher finde und gerade bei der Antwort auf eine Kontaktanzeige finde ich das sehr passend.

Ja toll, jetzt antwortet er aber nicht mehr auf eine Kontaktanzeige, sondern auf einen Brief von mir. Warum dann also noch immer der Quatsch mit dem per Hand schreiben? Ich warte auf eine plausible Erklärung, doch John wechselt sofort das Thema. Langsam macht er mich wütend.

Ich freue mich somit umso mehr, dass du hartnäckig geblieben bist und mir letztlich auf demselben Weg geantwortet hast. Das finde ich ja sehr süß, dass ich der Erste bin, dem du seit deiner Kindheit einen Brief schreibst. Ich fühle mich geehrt.

Ja und ich fühle mich verarscht! EIN Brief ist ja schön und gut, aber es muss ja nicht gleich zur Dauerlösung werden, oder?

Gerade im Zeitalter von Laptop und iPhone ist es doch besonders schön, wenn im Briefkasten ausnahmsweise mal nicht nur Rechnungen oder Werbung liegen, sondern ein persönlicher Brief. Findest du nicht auch?

NEIN, finde ich nicht. Also wenn es nach mir geht, können wir auf diesen romantischen Spaß gerne verzichten!

Ich bin sehr froh, dass du dich für die Anzeige entschieden hast, sonst hätten wir uns eventuell nie kennengelernt. Die Idee, dass du gleich deine Kids und deine Erwartungen mit hineingeschrieben hast, war clever. So weiß jeder sofort, worauf er sich einlässt und es erspart dir eine Menge Zeit und Nerven. Dass sich viele Herren älterer Semester gemeldet haben, kann ich mir gut vorstellen. Die Herren hätten eben alle gerne eine junge hübsche Frau an ihrer Seite.

Bei der Wahl meiner Partnerin hatte ich in der Vergangenheit kein besonders glückliches Händchen. Da sind einige heftige Dinge passiert. Unter anderem habe ich bis heute recht viel Stress mit meiner Ex-Frau, weil sie versucht zu verhindern, dass ich meine kleine Prinzessin regelmäßig sehen kann.

Oh je, das tut mir leid. Kaum vorstellbar, dass es Eltern gibt, die einander den Kontakt zu ihren Kindern verweigern.

Acht Jahre Amerika hast du hinter dir – Respekt! Mich hat es nach drei Jahren zurückgezogen, obwohl ich mich in vielerlei Hinsicht, auch wie du, in den Staaten recht wohl fühlte. Besonders an der Westküste (L.A.), dort habe ich damals gelebt.

L.A.? Komisch, schon wieder genau wie John. Aber gut, Los Angeles ist ja groß.

So, meine liebe Lara, nun möchte ich dir noch etwas über mich verraten. Ich habe dir doch bereits geschrieben, dass ich mit einer Firma in der Medienbranche tätig bin. Leider habe ich einige gravierende Fehlentscheidungen getroffen und mich somit strafbar gemacht. Mir wurde Betrug vorgeworfen und dafür wurde ich vor Gericht gestellt. Aus heutiger Sicht hätte ich einiges anders entschieden und gewissen Personen nicht vertrauen dürfen. Leider hatte ich dieses Wissen zu der entscheidenden Zeit noch nicht. Das ist auch der Grund, warum ich momentan mein zeitlich begrenztes Domizil in Kaisheim bewohne, weil ich mich hier in Haft befinde.

»Oh NEIN!«, springe ich entsetzt auf. Mir rutscht das Herz in die Hose. Das kann doch nicht sein! Ein Knacki? Ach man, was für ein Pech. Da klingt ein Mann zur Abwechslung mal richtig gut – charmant, gefühlvoll und total auf meiner Wellenlänge – dann ist es einer, der mir aus dem Gefängnis schreibt. Warum kann bei mir nicht auch mal alles rund laufen? Aber ein Knacki, das geht echt gar nicht! Und nun? Was soll ich denn jetzt machen, ihn einfach ignorieren? Er wird darüber hinwegkommen. Kennt mich ja eh nicht.

Wieder springen meine Gedanken hin und her. Laut seiner Facebook-Abstinenz ist er schon fast ein Jahr da drin. Dann müsste er bestimmt bald wieder rauskommen. Aber er ist und bleibt verurteilt, so viel ist klar. Dieses Bild werde ich auch immer von jemandem im Gefängnis haben, selbst wenn er mir hier noch so nett schreibt. Wenigstens ist er kein Gewalttäter, sondern »nur« ein Wirtschaftsverbrecher. Dennoch, so etwas kommt für mich nicht in Frage! Trotzdem lese ich weiter, was er schreibt.

Ich bin eigentlich ein guter und ehrlicher Mensch, der eben nur einige falsche Entscheidungen getroffen hat. Ich hoffe sehr, dass du dich davon nicht abhalten lässt, mich weiterhin näher kennenlernen zu wollen, um dich selbst von meinem Wesen zu überzeugen.

Ha, der ist lustig! Was bringt es mir denn, wenn ich jetzt auch noch anfange, mit einem Knacki hin- und herzuschreiben? Lange vor meiner eigenen Annonce, hatte ich mal eine Kontaktanzeige gelesen, von einem, der diese aus dem Knast heraus aufgegeben hatte. Damals dachte ich mir noch: »Na, der hat ja Humor. Wer antwortet schon jemandem, der im Gefängnis sitzt? Würde ich im Leben nicht machen.« Und nun? Ich lese weiter.

Jetzt kann ich nur hoffen, dass ich wieder Post von dir bekomme. Es war mir aber einfach sehr wichtig, dass du es sofort von mir erfährst.

»Ist ja nicht gerade so, als hätte er eine andere Wahl«, schimpfe ich vor mich hin und schmeiße den Brief auf die Couch. Dieses winzig kleine Detail geheim zu halten, wäre sicherlich schwierig geworden. Außer natürlich er kommt in den nächsten Wochen raus? In dem Fall würde ich mir das mit einem gegenseitigen Kennenlernen eventuell sogar noch überlegen.

Ich möchte dich in keinerlei Hinsicht belügen, da dies absolut keine Basis für mich wäre. Eines kannst du mir glauben, ich hätte niemals gedacht, dass mir so etwas passieren könnte. Aber du weißt ja aus meinem letzten Brief, dass ich ein positiv denkender Mensch bin und so versuche ich, auch aus dieser Situation etwas Positives zu ziehen, selbst wenn es nur das ist, dass ich sehr viel aus all dem gelernt habe und mir so etwas ganz sicher nie wieder passiert! Da ich momentan demzufolge keine E-Mails bekommen kann, würde ich mich sehr freuen, wenn du mir Fotos von euch ausdrucken und mir auf die »altmodische« Art und Weise schicken könntest.

So, nun komme ich mal zum Ende und freue mich riesig auf deinen nächsten Brief.

Der ist ja sehr von sich überzeugt, wenn er davon ausgeht, dass ich ihm trotz allem zurückschreibe.

Bis hoffentlich ganz bald! Liebe Grüße, John

P.S. Kennst du eine Katarina Brunner?

Hä? Woher kennt der jetzt bitte Katti und was hat sie damit zu tun? Spätestens jetzt bin ich vollends verwirrt. Sollte der Absender vielleicht doch mein kalifornischer »Dream-Boy« sein? Hatte das am Ende Katti eingefädelt, dass er sich bei mir meldet? Na toll, das sieht ihr ähnlich. Aber Katti, was bitte bringt mir ein Mann im Knast und das in meiner jetzigen Situation? Ihr müsste doch klar sein, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als eine intakte Familie bei uns Zuhause und nicht noch einen zusätzlichen Klotz am Bein, hunderte Kilometer von uns entfernt. Dann auch noch John! Katti weiß doch, wie lange ich damals gelitten habe. Sie hätte mich zumindest vorher fragen müssen. Aber wahrscheinlich konnte sie sich denken, dass ich niemals zugestimmt hätte.

Herje, ich weiß in diesem Moment weder, ob ich jetzt sauer sein soll oder vielleicht doch eher dankbar, dass sie es überhaupt geschafft hat, John wieder in mein Leben zurückzubringen. Ich persönlich habe es damals nicht versucht und ich hätte es ganz sicher auch jetzt nicht getan. Doch nun stehe ich vor der Wahl, ob ich die Gelegenheit nutzen soll oder eben nicht.



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