Читать книгу Zwischen Knast und Alltag - Anita B. - Страница 15
Johns Briefe tun mir gut
ОглавлениеDa bekomme ich also Briefe von einem Mann, der genau das zum Ausdruck bringt, was mir in einer Partnerschaft enorm wichtig ist. John klingt genauso liebevoll, wie ich es mir jahrelang vom Vater meiner Kinder gewünscht hatte. Doch von dem bekam ich leider immer wieder zu hören: »Das ist doch nur ein Film. Das ist doch nur ein Lied. Kein Mann tickt so. Lindas Mann und dein Opa sind da absolute Ausnahmen.« Irgendwann habe ich es selbst geglaubt und schließlich versucht mich damit abzufinden. Den Spaß am Leben und den Glauben an die Liebe hatte ich jedoch grundlegend verloren.
Auf einmal ist der Mann meiner Träume wieder da. Selbst in dieser momentanen Ausnahmesituation macht er mich bereits glücklich. Er erweckt eine längst verloren geglaubte Lebensfreude in mir. Schon jetzt denke ich nur noch von Brief zu Brief. Und wenn ich heute am Briefkasten enttäuscht werde, freue ich mich zwei Stunden später schon wieder auf die Post von morgen.
Elf Uhr dreißig, es klingelt. Hans bekommt ein Paket und ich einen Brief. Es ist wirklich erstaunlich, wie ein einziger Brief über meine Stimmung entscheidet und mein Herz schneller schlagen lässt.
Hallo schöne Frau!
Diesen Ausdruck kenne ich irgendwoher. Ob John sich auch noch an seine Worte bei unserer ersten Begegnung erinnert?
So fängt die Woche gleich super an. Ich komme von der Arbeit und vor mir liegt ein Liebesbrief von dir.
Na, na, na! So verliebt schreibe ich nun auch wieder nicht!
Schöner wäre der Montag nur gewesen, wenn ich dich in Natura hier bei mir hätte.
Das stimmt allerdings. Wann melden die sich jetzt endlich wegen dieser blöden Besucherzulassung?
Ich komme gerade aus der Redaktion und bin ziemlich fertig, weil ich heute den ganzen Tag in der Arbeit schon sehr viel zu tun hatte. Schreiben möchte ich dir aber auf jeden Fall noch, damit du nicht so lange auf meine Antwort warten musst. Da mir die Augen bereits zufallen, schreibe ich dir heute nur kurz. Dafür bekommst du morgen gleich noch einen Brief von mir, okay?
Was für ein Schatz. Ist doch klar, dass ich mich umso mehr freue, wenn ich zwei Tage hintereinander Post bekomme.
Warum quälen dich denn momentan so viele Gedanken, meine Süße?
Weil ich es nicht glauben kann, dass wir uns auch nach unserem Treffen weiterhin schreiben werden. Weil ich Angst davor habe, John nicht mehr zu gefallen. Weil ich Schiss habe, dass wir uns beide etwas vormachen und nur aus der Not heraus an unsere alte Liebe glauben. Weil ich deswegen nachts nicht schlafen kann. Ich könnte die Liste noch ewig fortsetzen, aber ich möchte weiterlesen.
Bestimmt gibt es die eine oder andere »Dame«, die Interesse an meiner Person hätte, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit!
Klingt zwar gut, aber dass John schreiben und mich damit um den Finger wickeln kann, das weiß ich inzwischen. Ich bin gespannt, wie seine Zeilen NACH unserem Treffen klingen werden.
Übrigens schreibe ich dir nicht, was du hören möchtest, sondern was ich denke und fühle. Und keine Sorge, mein Engel, solche Sätze wie: »Och, jetzt schau ich erst mal was mich hier draußen so erwartet«, musst du von mir nach meiner Entlassung definitiv nicht befürchten! Wie du weißt, bin ich in den letzten Jahren selbst oft hintergangen worden und allein schon deswegen würde ich so etwas niemanden antun. Erst recht nicht, wenn mir jemand bereits nach so kurzer Zeit schon so wichtig geworden ist!
Diese Worte tun mir gut, verdammt gut sogar. Schön, dass John mir meine Bedenken und Sorgen sofort nehmen kann. Er geht echt auf alles ein, was ich ihm schreibe.
Doch jetzt freue ich mich erst einmal riesig auf unser Date. Nein, wir müssen uns nicht durch eine Glasscheibe unterhalten, sondern sitzen gemeinsam an einem Tisch. Also für die Umstände, unter denen wir uns befinden, relativ normal. Es gibt solche Glasscheiben zwar, aber nur für Gefangene, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben. Wir haben einen sogenannten Cafeteria-Besuch.
Ach, das ist ja nett, da können wir uns also ganz entspannt in einer Cafeteria treffen. Scheint letztlich doch lockerer zu sein, als ich das zunächst erwartet hatte. Kein Wunder, dass die Besucher und deren Hintergründe erst so lange untersucht werden müssen.
So mein Schatz, jetzt krabble ich mal unter meine Decke und komm dich gleich im Traum besuchen. Schlaf du auch schön und träum was Süßes! Liebe Grüße, dein John
Ich packe den Brief weg und hole die Kinder ab. Die werden sich freuen, wenn ich sie schon gleich nach dem Mittagessen abhole. Ich lade sie ins Auto und als Überraschung fahren wir ins Schwimmbad. Nic springt das erste Mal allein ins Wasser. Zunächst ist das Geschrei groß. Doch nach meiner Bestätigung, dass er jetzt »ein ganz Großer« ist und sogar schon »tauchen« kann, ist er furchtbar stolz. Da sieht er mich mit großen Augen an: »Schau mal, Mami!«, hält sein Gesicht zwei Millimeter ins Wasser und schreit: »Ich habe getaucht, ich habe getaucht!« Selbstverständlich lobe ich seine Heldentat gebührend, woraufhin Felix ihn ohne zu zögern kopiert. »Ich auch, ich auch!« »Prima, ihr Süßen, toll gemacht, aber jetzt raus aus dem Wasser mit euch!« Beide wollen nicht: »Nur noch einmal rutschen, okay? Bitte Mami.« »Was einmal rutschen bedeutet, weiß ich«, lache ich zustimmend.
Dreißig Minuten später mahne ich erneut zum Aufbruch. Da ich keinen Stress vor allen Leuten provozieren will, ist der einzige Weg die zwei aus dem Wasser zu bekommen, sie mit Pommes zu bestechen. Dann können sie abgefüttert, geduscht und vollkommen erledigt im Auto einschlafen. Der Plan geht auf. In Nullkommanichts sitzen die zwei hungrigen Mäuse am Tisch und schlürfen ihre Apfelschorle. Zunächst diskutieren sie mit mir darüber, wie viel Ketchup sie zu ihren Pommes aushandeln können.
Nach dem Essen geht es ab zum Duschen. Beim Anziehen gibt es das generelle Gezeter, heute, vor Publikum natürlich in überzogener Form.
Endlich im Auto angekommen, schlafen die Zwerge noch bevor ich den Parkplatz richtig verlassen habe. Daheim trage ich die schnarchenden »Bündel« nur noch in ihre Betten und dann lege ich selbst die Beine hoch. Ich schaue auf die Uhr, erst kurz vor sieben und es ist Ruhe. Genial! Kein langes: »Ich will noch nicht ins Bett. Ich hab Bauchschmerzen. Ich hab Durst. Ich muss Pippi.« Einfach nur Ruhe.
Auch ich gehe früh ins Bett an diesem Abend und schlafe so gut wie lange nicht mehr.
Am nächsten Tag kommt Johns angekündigter Brief. Ich nehme mir Zeit, mache es mir auf der Couch gemütlich und genieße seine Zeilen.
Hallo mein kleiner Engel!
Das breite Grinsen, welches mir diese liebevolle Anrede wie von selbst ins Gesicht zaubert, und die damit einhergehende innerliche Ruhe tun mir gut.
Wie gestern versprochen, bekommst du heute gleich den nächsten Liebesbrief. Süße, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gerne ich mich zu dir auf die Couch gelegt hätte. Dann hättest du auch gleich eine Schulter zum Anlehnen gehabt und wir hätten uns einen gemütlichen Abend machen können. Mhm lecker, Salat und Lachsnudeln. Das wäre jetzt fein. Ich koche übrigens richtig gut und auch sehr oft. Da werde ich dich bei Gelegenheit direkt einmal bekochen.
Das klingt wunderschön, erst zusammen kochen, schlemmen und dann gemütlich auf der Couch kuscheln. Doch auf diese »Gelegenheit« werden wir noch ein Weilchen warten müssen.
Und wenn es mal wieder zu kalt für die »stets frierende Lara« sein sollte, dann wärme ich sie natürlich nur allzu gern. Apropos Essen, zum Thema Essen kann ich nur sagen, dass das hier nicht wirklich genießbar ist. Aber zum Glück arbeite ich ja und kann mich somit selbst verpflegen. Dafür kaufen wir das, was wir benötigen, zweimal im Monat ein und bereiten es uns dann gemeinsam in unserer Küche auf dem Gang zu. Oder ich koche nach Einschluss bei mir im Wasserkocher direkt in meiner »Suite«. Mit draußen kann man es zwar nicht vergleichen, aber im Großen und Ganzen ist es schon okay.
John kocht im Wasserkocher? Das müssen ja ganz leckere Gerichte sein, die er da zubereitet. Vielleicht lassen wir es dann lieber mit dem »Bekochen« und bestellen uns stattdessen eine Pizza.
Sport kann man schon machen, von Laufen bis hin zum Tennis spielen (naja, mit einem Softball) ist vieles möglich. Auch einen Kraftraum gibt es, aber der ist viel zu klein und immer überfüllt. Aus dem Bett wird hier niemand gescheucht, aber viele arbeiten tagsüber, so wie ich ja auch, und müssen somit sowieso früh raus. Ja, da hast du recht, ohne Telefon und Internet, das ist schon sehr gewöhnungsbedürftig. Vor allem jetzt, wo ich dich doch so gerne anrufen würde, um deine Stimme zu hören.
Ich nicke zustimmend. Es macht mich schier wahnsinnig, auf jede Antwort mindestens drei Tage warten zu müssen. Es kommt mir vor als wäre ich selbst »eingeknastet«.
Dass du auch Zwilling bist, weiß ich natürlich noch. Wieder eine Gemeinsamkeit, denn ich bin (falls du dich erinnerst?) ebenfalls Zwilling. Da können wir in Zukunft immer gemeinsam feiern.
Deine Bitte an mich kann ich nur erwidern. Selbstverständlich verspreche ich dir, dass ich zu hundert Prozent ehrlich sein werde. Ich bitte dich jedoch umgekehrt um dasselbe, okay?
Wenn ich dann urlaubsberechtigt bin, kann ich zwei Mal im Monat raus. Ab da wird alles etwas leichter für uns beide, meine Süße. Diese Lockerungen werde ich allerdings erst ab Anfang nächsten Jahres bekommen, dafür aber voraussichtlich gleich ab Januar. Also nicht mehr lange!
Nicht mehr lange? Der hat Nerven! Das sind noch endlose Monate bis dahin.
Heute ist Dienstag und noch habe ich keine Rückmeldung wegen deines Besucherscheins. Ich hoffe, dass sie morgen oder übermorgen kommt. Ich gebe dir dann sofort Bescheid, damit du anrufen und einen Termin ausmachen kannst.
Wieso dauert das denn überhaupt so lang? Angekommen ist mein Antrag auf jeden Fall, das weiß ich, John hat ihn persönlich abgegeben. Und wenn er bei den Beamten verlorengegangen ist? Heute Abend rufe ich dort an und frage nach. Jetzt lese ich weiter.
Ja, ich bekomme den Termin genannt, sobald er im System eingetragen ist. Ich freue mich schon riesig auf dich. Ich weiß übrigens genau, was du meinst. Ich versuche mich auch nach meinem Kopf zu richten, mein Bauch beziehungsweise Herz ist aber definitiv stärker in diesem Duell. Was ich damit sagen möchte, du hast es jetzt schon geschafft, mir den Kopf zu verdrehen. Ich fühle mich wie ein verknallter Teenager. Egal, was aus uns werden sollte, ich danke dir auf jeden Fall jetzt schon für dieses Gefühl.
Es tut mir übrigens so leid, wenn ich höre, wie unschön deine letzten Jahre verlaufen sind. Das hast du definitiv nicht verdient. Im Gegenteil, nach all dem hast du es verdient, dass dich jemand verwöhnt und dich glücklich macht. Aber dafür bin ich ja jetzt da.
»Da hat er natürlich recht«, lache ich zufrieden.
Ja, auch nicht leibliche Kinder sind beim Besuch erlaubt, es gibt sogar eine kleine Spielecke.
Das ist ja klasse! Also, wenn das dort so relaxt ist, mit Cafeteria und Spielecke, dann kann ich die Zwerge demnächst doch ganz einfach mitnehmen.
Ich wollte früher schon eine Familie, sonst hätte ich bestimmt nie geheiratet und auch keine kleine Prinzessin. Meine Tochter war ein absolutes Wunschkind von uns beiden. Was danach passierte, ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar. Meine Ex-Frau hat sich im siebten Monat von mir getrennt. Sie hat mich von Anfang an nur belogen und meine Gutmütigkeit gnadenlos ausgenutzt. Es ist eine lange Geschichte, die ich dir gern mal ausführlich erzähle. Du wirst schockiert sein, dass ein Mensch so berechnend sein kann.
John tut mir leid.
Nach der Scheidung und dem ganzen Stress habe ich mich vor allem zur Ablenkung wieder voll in die Arbeit gestürzt. Eigentlich bin ich ein totaler Familienmensch, von daher schaffe ich mir doch liebend gern gleich »eine ganze Familie« an. Außerdem bin ich ein sehr geduldiger und verständnisvoller Mensch. So schnell bringt mich nichts aus der Ruhe, auch keine anstrengenden Nächte mit den Kurzen.
John wird sich umschauen, wie anstrengend Nächte sein können.
Zum Thema perfekte Frau, das ist nicht so leicht zu beantworten, weil jeder Mensch zum Glück sehr individuell ist und einen bestimmten Typ »Traumfrau« habe ich nicht. Natürlich ist die Optik sehr wichtig (jeder, der etwas anderes behauptet, belügt sich damit selbst), aber das allein macht noch lange keinen »perfekten« Partner aus. Was ich nicht mag, sind Frauen, die keine eigene Meinung haben und sich nur nach mir richten. Ich möchte eine selbstbewusste Frau an meiner Seite, die ihren eigenen Kopf hat und diesen auch mal durchsetzt.
Ich finde es auch sehr wichtig, dass man über alles sprechen kann und dies auch tut. So vermeidet man unnötige Missverständnisse durch fehlende Kommunikation. Dinge wie Treue, Ehrlichkeit und so weiter sind für mich selbstverständlich. Na, und dass ich meine Frau verwöhnen möchte, ist für mich total normal und macht mir Spaß. Ob nun mit Frühstück am Bett, einem schönen Essen, einer Massage oder eben auch, dass ich mich nachts um die Kinder kümmere, so dass du liegen bleiben kannst. All das mache ich doch gerne für die Frau an meiner Seite.
Also, auf so einen Mann an meiner Seite warte ich gerne zwei Jahre!
By the way, ich bin sehr sportlich, trinke nicht jeden Abend (ich trinke sowieso nicht oft beziehungsweise viel), bin sehr humorvoll, bin natürlich immer für meine Partnerin da, auch wenn es ihr schlecht geht (Selbstverständlichkeit), ich hasse es Spielchen zu spielen, finde Vertrauen enorm wichtig und bei mir darfst du dich jederzeit fallen lassen. Von daher bin ich ja wohl der perfekte Partner für dich!
Fast schon zu perfekt für meine Bedürfnisse, aber daran könnte ich mich zur Not gewöhnen.
So, mein süßer Schatz, inzwischen ist es zehn vor drei, ich bin hundemüde, aber ich wollte dir einfach heute noch schreiben und bei so vielen Fragen, die ich zu beantworten hatte, ist der Brief auch gleich etwas länger geraten. Ich werde jetzt kurz schlafen und von dir träumen. In drei Stunden muss ich schon wieder raus. Ich denk an dich, Lara! Liebe Grüße, dein John