Читать книгу Zwischen Knast und Alltag - Anita B. - Страница 8
Eine Antwort per Brief
ОглавлениеBereits am nächsten Tag bekomme ich ganz überraschend wieder einen Brief. Dieser ist nicht von einer Partnervermittlung, sondern von einem Mann aus Kaisheim. Er klingt sogar richtig nett, individuell und schreibt total natürlich. Garantiert ist das niemand, der diesen oder ähnlichen Brief jede Woche auf eine Annonce hin abschickt. Er ist von einem John Jackson. John Jackson? John? Der Name bringt Erinnerungen zurück. Okay, Jackson ist mir unbekannt, aber John. John J.?
Schnell verwerfe ich den Gedanken und freue mich über diesen unerwarteten Brief von dem Mann mit der wunderschönen sauberen Handschrift, etwas, was mir als Allererstes ins Auge sticht. Wo wohnt dieser John eigentlich? Im Internet suche ich sein »momentan zeitlich begrenztes Domizil in Kaisheim«, wie John es in seinem Brief so nett beschreibt. Kaisheim? Das ist ein total kleines Nest, circa zweihundert Kilometer von uns entfernt.
Okay, hier draußen auf dem Land wollte ich sowieso nicht auf Dauer bleiben. Aber Kaisheim oder der nächstgrößere Ort, Donauwörth, muss es ja nun auch nicht unbedingt sein. Was macht er überhaupt dort, wenn er eigentlich München seine Heimat nennt? Naja, zeitlich begrenzt heißt doch, dass John in Sachen Wohnort flexibel ist, oder? Zum gegenseitigen Kennenlernen werden wir die zweihundert Kilometer wohl in Kauf nehmen müssen.
»Oh man, Lara, du hast sie ja nicht alle. Du denkst schon wieder viel zu weit. Das ist doch gerade mal ein erster Brief!«, rede ich laut vor mich hin. In Gedanken bin ich bereits bei einer glücklichen Familie mit John Jackson, einem einfühlsamen Partner für mich und einem liebevollen Papa für die Jungs.
Ich nutze den freien Vormittag, um John zu antworten. Leider hat er mir weder eine E-Mail-Adresse noch eine Telefonnummer mitgeschickt. »Super, was ist das denn für ein Held?«, schüttle ich den Kopf. Wie soll ich ihn denn jetzt erreichen? Ich gebe seinen Namen bei Skype ein. Prima, sofort finde ich einen John Jackson. Ich schicke ihm eine Freundschaftsanfrage und schreibe eine kurze Nachricht dazu.
Spätestens am zweiten Tag wundere ich mich, warum er mich nicht zu seinen Kontakten hinzufügt. Gefällt ihm etwa mein Foto nicht? Klar, das muss es sein. Warum sollte er mich dann noch adden? Oder nutzt er Skype vielleicht überhaupt nicht? Und es war ein ganz anderer John Jackson, dem ich die Nachricht geschickt habe.
Also suche ich im Internet nach seiner Telefonnummer, aber der Name John Jackson ist in ganz Kaisheim nicht zu finden. Als ich Kaisheim bei meiner Suche weglasse, taucht ein John Jackson aus München samt Firmen-Homepage und Telefonnummer auf. Ich scrolle mich ein wenig durch seine Seite. Klingt interessant, er schreibt über »Sport-Neuheiten«. Trifft sich gut, da ich mein Leben vor den Kindern komplett dem Sport gewidmet hatte. Ich suche seine Nummer raus und schicke ihm folgende SMS:
Hallo John. Habe mich sehr über deinen lieben Brief gefreut. Ich würde mich freuen wieder von dir zu hören. Meine Telefonnummer hast du ja jetzt und meine E-Mail über die Annonce sowieso. LG und ein schönes WE! Lara
Voller Spannung warte ich, jedoch wieder vergebens. Und dann: Oh man, bin ich blöd! John Jackson! Das ist bestimmt kein Deutscher, klingt eher nach einem Amerikaner. Sofort springen meine Gedanken drei Schritte weiter. Genial, dann können unsere Kinder doch noch zweisprachig aufwachsen.
Als Ami wird John definitiv auf Facebook vertreten sein. Ist ja heutzutage sowieso fast jeder. Ich gebe seinen Namen ein und drücke auf Search. Oh je, davon gibt es aber viele. Ich beschränke meine Suche auf Deutschland. Drei Treffer, schon besser! Jedoch kein John Jackson in Kaisheim. Einer, leider ohne Foto, wohnt in Freising. Das wäre wenigstens nicht weit von hier und zählt theoretisch fast noch zu München. Der Nächste lebt in Trier und ist über vierzig. Das kann er also nicht sein. Und dann ist da noch einer aus München. Der hat dieselbe Firmen-Adresse angegeben, die ich vor ein paar Tagen im Netz gefunden habe und er ist mein Jahrgang. Das muss er sein! Ich schreibe ihm eine Nachricht.
Sein Profilbild kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber ich lasse den Gedanken, der seit seinem Brief durch meinen Kopf schwirrt, gar nicht erst zu. Schließlich ist das Bild äußerst unscharf! Außerdem kann es gar nicht so viele Zufälle geben. Wie um alles in der Welt sollte gerade John J. von meiner Annonce erfahren haben? Und warum sollte ausgerechnet er darauf antworten, nach über sechs Wochen. Das ist schier unmöglich. Wenn es wirklich »mein John« von damals wäre, hätte er ja auch reinschreiben können, um wen es sich handelt. Warum dann diese Geheimnistuerei mit dem Brief? Trotzdem, passen würde es irgendwie schon. In seinem Brief steht schließlich: »Ich habe einige Zeit in den Staaten gelebt.«
Plötzlich kommen alle Erinnerungen an diese Zeit vor – Mhm, wie lange ist das jetzt wohl her? – dreizehn, vierzehn Jahren zurück.