Читать книгу Ein Abgesandter der Götter - Anita Koschorrek-Müller - Страница 10
ОглавлениеOh, du fröhliche …
Ich habe beschlossen hierzubleiben, um meinen göttlichen Auftrag zu erfüllen. Das Rudel hat mir einen Namen gegeben, weil ich jetzt dazugehöre. Sie nennen mich „Blacky“, abgeleitet vom englischen Wort „black“, das bedeutet schwarz. Nicht sehr geistreich, weil ich doch schwarz bin. Aber es hätte schlimmer kommen können. Sie hätten mich auch Romeo, Buddy oder Feng-Chui-Suchi-Royal, wie mein Ururgroßvater mütterlicherseits, nennen können. Das ist mir, den Göttern sei Dank, erspart geblieben. Hätten sie mich Nakpo genannt, das ist das tibetische Wort für schwarz, es wäre mir eine Ehre gewesen, diesen Namen zu tragen. Aber ich will nicht kleinlich sein, denn sie wissen es nicht besser.
Die Frau habe ich inzwischen im Griff. Ich nenne sie jetzt „Frauchen“ und ich habe ihr beigebracht, dass sie nachts mit mir in den Garten geht.
Letzte Nacht war es ganz wundervoll! Tausende Schneeflocken wirbelten durch die Luft und ich habe versucht, sie zu fangen. Frauchen hatte keine Lust mitzuspielen. Sie ist eben eine Spaßbremse.
Tagsüber unternehme ich mit ihr kleine Spaziergänge, sie nennt das „Gassigehen“. Was ein Gassi ist, habe ich bisher noch nicht in Erfahrung gebracht.
Die Menschen tun bisweilen absonderliche Dinge, die dem gesunden Hundeverstand total zuwiderlaufen.
So bemerkte ich seit einigen Tagen im Hause eine gewisse Unruhe, die darin gipfelte, dass ein großer Tannenbaum in dem Zimmer mit den bequemen Sitz- und Schlafgelegenheiten aufgestellt wurde. Als ob im Wald nicht genug davon herumstehen! Der Mann im Haus, ich nenne ihn jetzt „Herrchen“, schleppte den Baum herein und stellte ihn in einen Topf mit Wasser. Sie gab ihm dauernd Anweisungen, wie er das bewerkstelligen soll, und hüpfte mit Kehrschaufel und Handfeger um ihn herum. Mein Freund, der kleine Junge, strahlte übers ganze Gesicht. Ihm schien das Theater zu gefallen.
Ich habe noch nicht herausgefunden, warum meine Leute das gemacht haben, aber ich werde Nase, Augen und Ohren offenhalten und noch dahinterkommen. Eigenartig und gegen jeden Hundeverstand ist es, dass mein Frauchen mich beim sogenannten „Gassigehen“ immer zu Bäumen führt, damit ich dort meine Duftmarken hinterlasse, doch von dem neuen Baum im Haus muss ich mich fernhalten. Dieses Gewächs scheint etwas Besonderes zu sein, denn an den Zweigen hängen sonderbare Gegenstände, die ich in meinem jungen Hundeleben noch nie gesehen oder gerochen habe. Sobald ich mich auch nur um eine Schnauzenlänge dieser Pflanze nähere, fängt Frauchen an zu kreischen: „Hol einer mal sofort den Hund da weg, nicht dass der wieder was anstellt!“
Sie misstraut mir und das sind ganz schlechte Voraussetzungen für eine fundierte Erziehungsarbeit. Deshalb ziehe ich mich zurück, lege mich auf die kühlen Fliesen im Flur und täusche ein Nickerchen vor. Vertrauen schaffen ist angesagt und geduldig sein. Das ist kein Problem, denn Geduld ist eine der größten Tugenden der Tibet-Terrier. Ich habe diesen Platz im Flur mit Bedacht gewählt, weil alle, die im Hause unterwegs sind, über mich drübersteigen müssen, um in die verschiedenen Räume zu gelangen. Zum einen sind diese gymnastischen Übungen für Menschen äußerst gesund und zum anderen festige ich damit meine ranghohe Stellung im Rudel. Insgeheim beobachte ich das Treiben im Hause und irgendwann wuseln sie nicht mehr um diesen Tannenbaum. Nur mein Herrchen sitzt im Wohnzimmer im Sessel und versteckt sich hinter einem großen Stück Papier. Somit ist der Zeitpunkt gekommen, die Angelegenheit zu erforschen. Auf leisen Pfoten schleiche ich ins Zimmer, sauge die Geruchsfäden ein, die durch den Raum wabern. Der Baum sendet einen angenehmen Duft aus, das Wasser im Topf, in dem der Baum steht, schmeckt aromatisch, doch die Bälle, die an den Zweigen hängen, sind aus minderwertigem Material. Von ihrer Stabilität her sind sie nicht mit den Bällen zu vergleichen, die in meinem Körbchen liegen, mit denen ich den Menschen das Werfen beibringe. Werfen ist übrigens eine vortreffliche Übung zur Stärkung der Armmuskulatur, die besonders bei Frauen ziemlich unterentwickelt ist. Nur ein kleiner Schubs mit der Pfote gegen einen dieser am Baum hängenden Bälle und der erste zerfällt mit einem leisen Klirren in viele kleine Teile, ebenso der zweite und der dritte.
Und dann geht’s rund!
„Ich glaub das jetzt nicht! Sitzt da und liest Zeitung, während der Hund die Christbaumkugeln zerdeppert.“
Herrchen lässt die Zeitung sinken und schaut über seine Brille zu mir herüber.
„Aber Blacky, was machst du denn da?“
„Hol den Hund da weg“, zetert sie weiter. „Wenn der die Splitter in die Pfoten kriegt, müssen wir Weihnachten noch zum Tierarzt!“
Oha, sie sorgt sich um mich. Das ist ein gutes Zeichen. Herrchen legt das große Stück Papier zur Seite und nimmt mich auf den Arm, während sie mit dem Handfeger und der Kehrschaufel angerauscht kommt und die kaputten Bälle beseitigt.
„Mmh“, meint der Mann im Haus und schaut mich nachdenklich an, „dann müssen wir die Kugeln wohl etwas höher hängen.“
Die nächsten Tage steht ein Baum im Zimmer, oben rappelvoll mit Glitzerkram und unten in sattem Tannengrün.
Die Sache mit dem Baum ist erst mal abgehakt, doch nun erregen die bunten Teller, die neuerdings auf dem schnauzenhohen Tisch im Wohnzimmer stehen, meine Aufmerksamkeit.
Jeder in meinem Rudel besitzt so einen Teller, nur ich nicht. Diese Tatsache, so finde ich, ist meiner Stellung in diesem Hause nicht angemessen. Auf den Tellern liegen wohlriechende und vermutlich auch wohlschmeckende Dinge. Ehe ich eine eingehendere Untersuchung vornehmen kann, schnappt sich der Junge einen der Teller und verschwindet in seinem Zimmer. Bei genauerer Betrachtung der restlichen Behältnisse stelle ich fest, dass einer davon fast leer ist. Mein Herrchen hat mir davon schon einiges zugesteckt, weiche, süße Häppchen, die mir auf der Zunge zergehen.
Um die nächste Vorgehensweise auszuloten, lege ich mich wieder in den Flur auf den kühlen Boden und lasse mein Rudel erst mal zur Ruhe kommen. Frauchen hat ein Problem, wenn es um Entspannung und Nichtstun geht. Sie ist bisweilen ein richtiges Nervenbündel. Immer wuselt sie herum, ist hektisch und ruhelos. Jetzt hält sie sich in der Küche auf. Ich höre es klappern und scheppern, während alle anderen ein Nickerchen machen. Ich werde alles daransetzen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Und sollte dies nicht gelingen, werde ich es mit Hypnose versuchen. Wir Tibet-Terrier sind Meister dieses Fachs; dem Einfluss unserer braunschwarzen Augen kann sich niemand entziehen.
Doch immer alles der Reihe nach, denn erst muss ich mich um die Leckereien auf dem Tisch kümmern. Auf leisen Pfoten nähere ich mich den Köstlichkeiten, während der Herr des Hauses darniederliegt und knurrende Geräusche von sich gibt. Ich deute dieses Knurren als entspanntes Knurren, dem nicht das Ansinnen zur Territoriumsverteidigung zugrunde liegt. Die Luft ist rein, was für einen Götterboten, wie ich einer bin, bedeutet, dass kein Wesen in der Nähe ist, welches mir meine Nahrung streitig machen könnte. In Windeseile gelingt es mir, die exquisitesten Gaumenfreuden einzuverleiben. Dann ziehe ich mich in mein Körbchen zurück. Ein Verdauungsschläfchen wäre jetzt angebracht.
Doch die Pause ist nur von kurzer Dauer. Eine laute Diskussion reißt mich aus meinen Träumen. Sie, die Hektikerin in meinem Rudel, ist mal wieder in Fahrt. Auch meinem Herrchen war die kleine Ruhepause nicht vergönnt.
„Jetzt gib es wenigstens zu, dass du an meinen Teller warst. Hattest wohl deinen schon leer?“
Er reibt sich verschlafen die Augen.
„Ich war nicht an deinem Teller!“
„Und nur die besten Sachen hast du dir rausgefischt. Mozartkugeln, Nougatriegel und das Marzipanbrot fehlen. Ich kenne doch deine Vorlieben.“
Der Streit geht noch ein bisschen hin und her. Das ermüdet mich alles sehr und ich schlafe wieder ein.
Es ist schon spät, als mich Frauchen weckt.
„Komm, Blacky, wir gehen nochmal raus.“
Nachdem ich mein Geschäftchen erledigt habe, will ich gleich wieder ins Haus. Mit vollem Bauch, nach so einer kalorienreichen Zwischenmahlzeit, ist man halt nicht mehr so beweglich.
Mein Rudel macht sich nun fertig für die Nachtruhe. Sie sagt noch zu Herrchen: „Ich weiß nicht? Unser Blacky ist heute Abend richtig fertig.“
„Na ja“, meint er, „Weihnachten geht auch an einem Hund nicht spurlos vorüber.“
Am nächsten Tag habe ich wieder zu meiner alten Vitalität gefunden. Und nach dem Mittagessen mache ich mit Frauchen einen ausgiebigen Spaziergang. Frische Luft wird ihren Nerven guttun und sie kann ein bisschen entspannen.
Sie achtet immer sehr auf meine Verdauung. Besonders in den letzten Tagen, weil ich neuerdings kein Welpenfutter mehr bekomme, sondern Futter für Junghunde (für kontrolliertes Wachstum in der zweiten Entwicklungsphase).
Die vermeintliche Rudelchefin staunt nicht schlecht, als sie sieht, was ich da ausscheide. Wir machen uns auf den Rückweg und sie schüttelt immer wieder fassungslos den Kopf.
Zuhause angekommen, entschuldigt sie sich bei ihrem Mann.
„Ich hab dir Unrecht getan. Du warst nicht an meinem Teller.“
„Aha“, meint er grinsend, „und wer war der Dieb?“
Sie zeigt auf das Hundekörbchen, in dem ich es mir gerade gemütlich mache.
„Ich habe vorhin am Waldrand die Verpackungen wiedergesehen. Silberpapier von den Mozartkugeln, rotes vom Marzipanbrot und die Nougatriegel waren doch ehemals in goldenem Papier eingepackt.“
„Oho“, da staunt auch mein Herrchen nicht schlecht, „und die weniger guten Sachen hat er auf dem Teller liegengelassen. Nicht schlecht, Herr Specht! Ganz schön raffiniert!“
Ich gähne schläfrig. Ja, ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Hätte ich die Sachen vorher ausgepackt, es hätte keiner was gemerkt.
Die Tage vergehen und die Aufregung um diesen Baum und das ganze Drumherum legt sich so langsam. Schließlich wird der Baum wieder aus dem Haus geschafft. Während des Abtransports dieses Gewächses hat sie, die sich für die Rudelführerin hält, wieder einen Grund gefunden, um sich aufzuregen. Erstmal wird der Schmuck, den man mühevoll an den Ästen befestigt hat, wieder vorsichtig abmontiert und in diversen Kartons verstaut. Sie überwacht das Ganze und achtet darauf, dass ich nicht zu nahe an den Ort des Geschehens herankomme. Der entschmückte Baum wird nun von Herrchen aus dem Zimmer geschleift und verliert unterwegs sein Fell. Also diese grünen piksenden Dinger, die an den Ästen wachsen.
Ein Stöhnen kommt über Frauchens Lippen: „Mein Gott, was der nadelt!“
Sofort springt sie auf und kümmert sich mit verschiedenen Gerätschaften um die Schleifspur.
Ich bin froh, dass die Sache mit dem Baum vorbei ist, denn die hat ihrem Nervenkostüm nicht gutgetan.