Читать книгу Ein Abgesandter der Götter - Anita Koschorrek-Müller - Страница 14
ОглавлениеDie neue Leine
Ich mache mit Frauchen jetzt immer tolle Spaziergänge. Das festigt die emotionale Bindung zwischen uns beiden, von der positiven Auswirkung auf Frauchens Fitness ganz zu schweigen. Das wichtigste Bindeglied zwischen uns, bei unseren täglichen Exkursionen in meiner neuen Umgebung, ist die Leine. Der Weisheit der Götter ist es zu verdanken, dass die Menschen, wenn sie auf den Hund kommen, sofort eine Leine anschaffen. Die Menschen tun dies, weil sie der Meinung sind, sie müssten ihren Hund führen und leiten. In Wahrheit ist das natürlich völliger Blödsinn. Die Götter haben mit ihrer hypnotisch-telepathischen Macht den Menschen dieses Denken eingepflanzt. Wir Hunde benötigen diese Verbindung zum Menschen, um ihn anzuleiten, da dessen Instinkte und Sinne nur schwach entwickelt sind. Die Frau im Rudel, die sich immer noch für die Ranghöchste hält, achtet, seitdem sie an der Leine geht, viel intensiver auf ihre Umgebung! Sie bemerkt andere Tiere in ihrem Umfeld, wie Katzen, Mäuse, Frösche, Schlangen, Eidechsen und meine Kollegen aus der Nachbarschaft, an denen sie früher achtlos vorbeigelaufen ist. Sollte sie mal nicht ganz bei der Sache sein, genügt ein kurzer Ruck meinerseits an der Leine und schon ist sie wieder voll konzentriert.
Die Leine, die mein Rudel, nachdem es sich bewusst geworden war, dass es ins Erziehungsprogramm „HundMensch“ eingebunden ist, käuflich erworben hatte, war meinen Ansprüchen nicht gerecht. Um meiner Markierungsarbeit an diversen Bäumen, Büschen, Autoreifen und Mauerecken in vollem Umfange nachzukommen, war diese Leine nicht geeignet. Sie war zu kurz, zu rot und nicht flexibel genug. In einem unbeobachteten Augenblick habe ich sie, sehr zum Missfallen meines Rudels, einfach durchgekaut.
Deshalb fahren wir am nächsten Morgen in ein großes Geschäft, über dessen Eingang ein Schild prangt mit der Aufschrift „Tierbedarf - Alles für den Hund“. Obwohl ich an einer leichten Lese-Rechtschreib-Schwäche leide, habe ich den Text sofort analysiert und begriffen. Auch dass das kleine Schild, welches darauf hinweist, dass Hunde hier unerwünscht sind, im Eingangsbereich fehlt, ist mir nicht entgangen. Also nix wie rein!
Frauchen hat mein Halsband an einem Seil befestigt, weil ja die Leine unbrauchbar geworden ist, und so gelingt mir ein zügiges Fortkommen. Während Herrchen noch damit beschäftigt ist, sein Junges aus dem leinenähnlichen Geschirr, das sich an den Autositzen befindet, zu befreien, sind ich und Frauchen schon im Laden.
Ui! Atemberaubende Gerüche schlagen mir entgegen – frisch gepflückter Hundekuchen liegt in offenen Behältern herum und verströmt einen unvergleichlichen Duft, untermalt von Pansen- und Schweinsohrgerüchen. Die Aromen von Leckerlis mit Fischanteil vernebeln mir die Sinne. Hier handelt es sich um einen Feinkostladen der allerersten Güte! Während ich noch das Angebot studiere, hat Frauchen schon das Gestell entdeckt, an dem die verschiedensten Leinen zum Kauf angeboten werden und hält mich fest. Das ist natürlich für meine Erziehungsarbeit eine echte Herausforderung. Ein lautes, energisches Bellen mit einem anschließenden langgezogenen Aufjaulen und schon habe ich Frauchen aus dem Konzept gebracht. Sie lässt die Leine, also vielmehr den Strick, etwas lockerer. Somit habe ich wieder ihre volle Aufmerksamkeit. Alle im Laden schauen sich um. Niemand hätte dem netten schwarzgelockten Hundchen solch eine Stimmgewalt zugetraut – auch mein Rudel nicht, das sich mittlerweile versammelt hat. Zwei Verkäufer flitzen um die Ecke, um nachzusehen, was da los ist. Alle Augen richten sich auf mich und ich zeige mich von meiner attraktivsten Seite, so, wie ich es von meiner Mutter, der edlen Biggi von der Rabenhöhe, gelernt habe. Hinsetzen, Brust raus und lächeln. Das Lächeln überträgt sich auf die Menschen, die sich nun um mich scharen. Man ist entzückt – alle, mein Rudel, die Verkäufer und auch einige Kunden, haben sich inzwischen versammelt, um mich anzuschauen. Diese allgemeine freundliche Grundstimmung nutze ich, um meinen Plan, den gesamten Laden in Augenschein zu nehmen, umzusetzen. Schwups, sause ich um die nächste Ecke, weil meinem Frauchen die Leine entglitten ist. Aha, das habe ich vermutet! Hier hat ein Rüde markiert, der keinen göttlichen Auftrag hat. Sofort hebe ich das Bein, setze sehr hoch an, achte natürlich darauf, dass ich mir nicht das Hüftgelenk auskugele und schon bald strömen, mit dem auslaufenden Pippi, Geruchsfäden durch den Feinkostladen, die meine gehobene Position unter den Auserwählten bekräftigen. Bis Frauchen und die Verkäufer um die Ecke gucken, ist schon alles erledigt.
„Oh, nein“, stöhnt Frauchen.
„Kein Problem“, sagt ein Verkäufer, wischt alles auf und sprüht eine übelriechende Mixtur auf die Ecke des Regals, an dem ich meine Spuren hinterlassen habe. Obwohl das Zeug, das der Mann auf dieser so wichtigen Markierstelle verteilt, entsetzlich stinkt, wird die Geruchsspur, die ich dort hinterlassen habe, kaum überdeckt.
„Jetzt wird kein anderer Hund mehr verleitet, dort zu markieren“, erzählt der Verkäufer und preist dieses Mittel an, das dazu gedacht ist, Hunde von ihrer Markierarbeit abzuhalten.
„Lächerlich“, kann ich dazu nur sagen, „einfach lächerlich.“
Dann wird der Leinenkauf getätigt. Mein Rudel entscheidet sich für eine grün-schwarz gemusterte Leine aus einem anschmiegsamen, aber trotzdem stabilen Material. Diese Entscheidung findet meine Zustimmung. Außerdem wird noch ein neues Halsband im gleichen Farbton gekauft, da ich aus dem alten herausgewachsen bin. Am Halsband befindet sich ein kleines Schild, auf dem mein Name eingetragen wird. Ist zwar totaler Quatsch, denn ich weiß ja, wie ich heiße. Aber bei Menschen grassieren Krankheiten, bei denen die Hirnleistung nachlässt und mein Rudel ist eben vorausschauend.
Zufrieden treten wir die Heimreise an und ich bin mir sicher, dass meine Erziehungsarbeit mit Hilfe dieser Leine schon bald von Erfolg gekrönt sein wird.