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Die Anfänge der Dürerwerkstatt
ОглавлениеMit abgeschlossener Berufsausbildung, gesellschaftlich und finanziell auf eigene Füße gestellt, stand für Dürer als nächster Schritt der Aufbau einer eigenen Werkstatt an. Die Alternative wäre gewesen, in einer großen Werkstatt, etwa bei Wolgemut, als Geselle zu arbeiten, doch hätte dies nicht zuletzt Dürers Ehrgeiz als Künstler und seinem Streben nach Verwirklichung eigener Ideen entgegengestanden.
Dürers Anfänge als selbstständiger Künstler liegen im Dunkeln. Keine schriftliche Quelle gibt Auskunft über sein Schaffen nach der Rückkehr von der Wanderschaft im Frühsommer 1494 bis zum Erscheinen der „Apokalypse“ 1498. Weder die in dieser Zeit entstandenen Gemälde noch die Zeichnungen und Druckgraphiken können eindeutig datiert werden. So sind für diese wichtige Periode vor allem Stilkritik und Kennerschaft gefordert, um die Entwicklung des Künstlers anhand der erhaltenen Werke nachzeichnen zu können.
Sich als Maler in Nürnberg eine eigene Werkstatt aufzubauen, bedeutete zunächst, sich gegen die zahlreichen Konkurrenten zu positionieren. Der Reichtum und die Stiftungsfreudigkeit der Nürnberger Bürger hatten viele Künstler in die Stadt gezogen, die sich um Aufträge bewarben und ihr Auskommen suchten. Wie groß dieser Zuzug gewesen sein muss, zeigt ein Ratserlass von 1509, der auswärtigen Künstlern das Betreiben einer eigenen Werkstatt untersagte, sofern sie nicht das Bürgerrecht besaßen. Da Dürer nicht wie Wolgemut eine bereits bestehende Werkstatt übernehmen konnte, musste er von Grund auf neu anfangen.
Im Sommer 1494 war Dürer nach vier Jahren Abwesenheit in seiner Heimatstadt als Künstler ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Er besaß weder die Erfahrung noch die räumliche und personelle Ausstattung, um lukrative Aufträge für große Altäre zu erhalten, wie sie die Spezialität seines Lehrherrn Wolgemut waren. In Dürers Œuvre bleiben Flügelaltäre zahlenmäßig ein Randphänomen, beschränkt auf Aufträge für Privatkapellen. Er schuf keine großen Hauptaltäre, wie sie in der Wolgemutwerkstatt mit dem „Schwabacher Hochaltar“ (Schwabach, St. Martin) etwa noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden.
Aus der Not, rein quantitativ nicht mit Wolgemut konkurrieren zu können, machte Dürer eine Tugend, indem er sich auf exklusive Privataufträge für kleinere Altäre, Epitaphien, Andachtsbilder und Porträts spezialisierte, die Adelige, Patrizier und reiche Bürger bei ihm bestellten. Diese gebildete Klientel war mehr auf der Suche nach etwas „Großem“ im qualitativen Sinne und schätzte das Neue und Besondere. Eher als bei öffentlichen Großaufträgen konnte Dürer hier raffinierte Bildideen in hoher künstlerischer und technischer Brillanz verwirklichen.
Dürer ist in den Anfangsjahren insgesamt jedoch weniger mit Gemälden denn mit Druckgraphiken hervorgetreten. Auch hier schuf er gewissermaßen die exklusive Variante zu den Einblattholzschnitten und Buchillustrationen der Wolgemutwerkstatt. Das Prestigeprojekt des Nürnberger Frühdrucks, die „Schedelsche Weltchronik“ (1493) mit ihren 1.804 Holzschnitten, ließ sich von einem einzelnen Künstler nicht übertreffen. Während Wolgemut seine Graphiken überwiegend im Auftrag Dritter herstellte, war Dürer sein eigener Verleger. Seine künstlerische Bedeutung liegt in der Einführung des Kupferstichs in Nürnberg. Seine inhaltlich innovativen und technisch brillanten Kupferstiche verhalfen Dürer dank ihrer europaweiten Vermarktung rasch und nachhaltig zu Erfolg und internationalem Ruhm.
Dürer war nicht nur in künstlerischer Hinsicht, sondern auch auf kaufmännischem Gebiet ein Innovator, der seine Kupferstiche und Holzschnitte professionell vertreiben ließ. Bereits im Juli 1497 stellte er seine ersten beiden Verkaufsagenten, Konrad Schweitzer und Georg Kohler, ein, die laut Vertrag einen Wochenlohn von einem halben Gulden plus Spesen erhielten (R. III, S. 448). Regelmäßig ausgestattet mit neuen Waren und einer Preisliste verkauften Dürers Vertreter seine Graphiken in ganz Europa und erreichten damit wesentlich mehr Käufer als es dem Künstler selbst jemals möglich gewesen wäre. Doch barg dieses Vertriebssystem auch Risiken: Im „Gedenkbuch“ klagt Dürer über Ärger „mit knechten, dy nit rechnung thetten“, also in die eigene Tasche wirtschafteten. Einer sei ihm überdies in Rom gestorben, „mit verlustigung meins gut“ (R. I, S. 36).
Zu dem Zeitpunkt, als er seinen ersten Agenten losschickte, verfügte die „Firma Dürer“ bereits über ein Sortiment von rund 25 Kupferstichen und Holzschnitten mit religiösen wie profanen Themen. In der Bandbreite der Motive folgte Dürer damit dem Vorbild seiner unmittelbaren Vorläufer bzw. Konkurrenten Schongauer, Israhel van Meckenem oder dem Hausbuchmeister. Zusätzlich bot er Druckgraphiken mit antiken Sujets an, z.B. den „Herkules“-Holzschnitt (1496) oder den Kupferstich „Das kleine Glück“ (1496).
Abb. 7: Die Heilige Familie mit der Libelle. Kupferstich (um 1494/95).
Von Schongauer übernahm Dürer die Idee, Druckgraphiken als Serie herauszugeben, etwa seine um 1496 entstandene Kupferstichfolge mit profanen Paaren. Und eine weitere Idee übernahm er von Schongauer: Praktisch von Anfang an kennzeichnete Dürer seine Holzschnitte und Kupferstiche systematisch mit seinem Monogramm. Der Kupferstich „Die Heilige Familie mit der Libelle“ (1494/95) ist die erste Graphik mit dem ineinander gestellten „AD“-Monogramm, hier noch in Frakturschrift, wenig später dann in der bekannten Antiquaform (Abb. 7). Das Monogramm war mehr als ein persönliches Kennzeichen. Es wurde bei Dürer nicht nur zu einer Urheberangabe, sondern zu einem Gütesiegel, mit dem er auch viele seiner Gemälde und Porträtzeichnungen versah. Das Dürermonogramm als Markensignet war zugleich Auslöser für eine frühe Form von Wirtschaftskriminalität. Als in Nürnberg 1512 Werke mit gefälschtem Dürermonogramm angeboten wurden, ließ der Rat den Verkäufer verwarnen und drohte, die Ware zu beschlagnahmen (R. I, S. 241, Nr. 4). Ähnlich hart traf es den italienischen Kupferstecher Marcantonio Raimondi (um 1480 – um 1530/34), der dem italienischen Künstlerbiographen Giorgio Vasari (1511–1574) zufolge von Dürer sogar in Venedig mit dem vermutlich ersten „Copyrightprozess“ der Kunstgeschichte belegt wurde.
Die „Heilige Familie mit der Libelle (Heuschrecke)“
Der um 1494/95 entstandene Kupferstich der „Heiligen Familie mit der Libelle“ ist einer der ersten Kupferstiche Dürers und zugleich das erste Werk, das er mit dem „AD“-Monogramm kennzeichnete. Dürers Signatur und Markenzeichen erscheint hier noch in der altertümlichen Version in Frakturschrift, die er wenig später zugunsten der bekannteren Fassung in Antiqualettern veränderte.
Im Vordergrund der Darstellung sitzt die Madonna auf einer hohen Rasenbank, dahinter erstreckt sich ein detailreich ausgestalteter Landschaftshintergrund mit Häusern und Booten auf einem See bzw. einer Meeresbucht. An der linken Seite der Rasenbank lehnt der in tiefen Schlaf versunkene Joseph. Er hat den linken Arm auf die Bank aufgestützt, in der rechten Hand hält er einen breitkrempigen Hut. Rechts vorne in der Ecke hockt die kleine – heuschreckenähnliche – Libelle, die dem Kupferstich seinen heutigen Titel gegeben hat. Genau über dem Kopf Marias erscheint Gottvater als segnender Weltenherrscher mit der Taube des Heiligen Geistes in einer Himmelsöffnung.
Die Szene steht in der Darstellungstradition der Rast der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten. An diese Tradition erinnern die Landschaft mit dem Wegstück hinter der Rasenbank und die Wanderkleidung von Joseph. Er scheint mit der Rasenbank und der umgebenden Landschaft fast zu verschmelzen. Umso mehr wird der Blick auf das traute Miteinander von Mutter und Kind gelenkt, die genau das Zentrum des Stichs einnehmen. Indem Dürer die Madonna dergestalt heraushebt, betont er den Andachtscharakter des Bildes.
Das Motiv der Madonna auf der Rasenbank war im 15. Jahrhundert sowohl in der Malerei wie der frühen Druckgraphik ausgesprochen beliebt. Vorbilder fand Dürer u.a. bei Schongauer und dem so genannten Hausbuch-Meister (Meister des Amsterdamer Kabinetts). Dürer adaptierte Vorlagen dieser Meister für seine eigenen Versionen des Themas, das er erstmals um 1492/93 in einer Federzeichnung der „Heiligen Familie“ (Berlin, Kupferstichkabinett) darstellte. Bei diesem Blatt rückte er die Mutter-Kind-Gruppe jedoch von der Mittelachse ab und zeigt sie weniger in sich selbst versunken. Wurde Joseph in der Zeichnung noch mehr Aufmerksamkeit zuteil, so ist er in der Stichversion zur Nebenfigur geworden, während Christus’ tatsächliche Abstammung durch den über der Jungfrau schwebenden Gottvater im Himmel herausgestellt wird.
Trotz einiger kompositorischer Schwächen – so ist die Madonna nicht räumlich überzeugend mit dem Hintergrund verbunden, sondern wirkt wie vor die Landschaft gesetzt – erfreute sich Dürers „Einstandswerk“ großer Beliebtheit und wurde fast unmittelbar nach Erscheinen von anderen Künstlern kopiert und in Nachstichen verbreitet. Keine Kopie kommt jedoch der technischen Meisterschaft des Vorbildes nahe.