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Dürer auf Motivsuche: Die frühen Nürnbergansichten
ОглавлениеParallel zur Erstellung seines ersten druckgraphischen Sortiments arbeitete Dürer an der Erweiterung seiner Vorlagensammlung. Sie war eine der wichtigsten Arbeitsgrundlagen eines jeden Künstlers. Von seiner Wanderschaft hatte Dürer Zeichnungen von und nach Schongauer und wahrscheinlich auch Druckgraphiken mittel- und oberrheinischer Meister mitgebracht. Außerdem begann Dürer in dieser Zeit, Studien am „lebenden Objekt“, vor allem an sich selbst, zu betreiben. Zeichnungen wie „Mein Agnes“ belegen darüber hinaus, dass er die Menschen in seinem Umkreis mit wachem Blick beobachtet und in raschen Skizzen festgehalten hat.
In den Jahren ab 1494 fertigte Dürer die ersten Natur- bzw. Landschaftsstudien im engeren Sinne an. Er begann, die Umgebung seiner Heimatstadt nach geeigneten Motiven abzusuchen, die sich als realistische Hintergründe für seine Werke eigneten. Für den Kupferstich „Der verlorene Sohn“ (um 1496) wählte er die Kulisse eines verwahrlosten fränkischen Bauernhofs, für den Hintergrund des „Meerwunders“ (um 1498) eine Ansicht der Nürnberger Kaiserburg, und die „Maria mit der Meerkatze“ (um 1498) sitzt vor einem Weiher mit einem typisch fränkischen Weiherhäuschen. Während zum Bauernhof und zu der Kaiserburg die entsprechenden Landschaftsskizzen nicht erhalten sind, vermittelt das Aquarell mit dem „Weiherhaus“ (London, British Museum) einen Eindruck von der Örtlichkeit, bei der es sich wohl um das noch im „Pfinzing-Atlas“ von 1594 verzeichnete „Weyerheußlein“ nahe der Pegnitz westlich von Nürnberg gehandelt hat. Dass Dürer die Strecke entlang der Pegnitz als Motivquelle besonders geschätzt hat, zeigen die anderen frühen Nürnberg-Aquarelle, etwa das „Hallertor mit dem Trockensteg“ (Wien, Albertina), die „Drahtziehmühle“ (Berlin, Kupferstichkabinett) und die „St. Johanniskirche“ (Bremen, Kunsthalle, Kriegsverlust) im gleichnamigen Vorort.
Die realistische Darstellungsweise, die atmosphärische Wirkung und frische Farbigkeit der Blätter haben immer wieder zu der Annahme verleitet, die Aquarelle seien vor Ort entstanden. Dürer war jedoch kein Plein-Air-Maler, der mit Staffelei und Farbkasten auf die Suche nach geeigneten Motiven ging. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er die Bauwerke und Landschaften mit Feder oder Silberstift, möglicherweise nur mit dem Griffel auf einem Wachstäfelchen festgehalten hat, das anschließend wieder ausgewischt wurde. Seine „Notizen“ konnte er im Atelier reinzeichnen oder zu farbigen Aquarellen ausarbeiten. Dabei hat er für eine stimmigere Bildgestaltung meist mehrere Skizzen zu einer neuen Gesamtsicht zusammengefügt, Details verändert bzw. hinzugenommen und durch die farbige Ausgestaltung und Lichtführung die atmosphärische Wirkung erhöht.
Abb. 8: Drahtziehmühle. Aquarell (um 1494/95).
Nachvollziehbar wird dieser Schritt vom Gesehenen zur Ansicht bzw. von der Skizze zum Bild am Beispiel des Aquarells der „Drahtziehmühle“ (Abb. 8) und einer Silberstiftzeichnung des gleichen Motivs (Bayonne, Musée Bonnat). Die Datierung der Zeichnung, die im Vergleich zum Aquarell eine leicht unterschiedliche Perspektive zeigt, ist nicht sicher. Doch selbst wenn sie keine direkte Vorlage für das Aquarell darstellt, sondern bei einer späteren Gelegenheit entstanden ist, vermittelt die Silberstiftzeichnung einen Eindruck, wie die Landschaftsskizzen ausgesehen haben, die Dürer als Grundlage für seine Aquarelle benutzte.
Die „Drahtziehmühle“ gehört mit der „St. Johanniskirche“ und dem „Hallertor“ zu den frühesten Aquarellen Dürers. Sie sind mit Aquarell- und teilweise Deckfarben über einer dünnen Federzeichnung in einem vergleichsweise „trockenen“ Stil ausgeführt, der die Umrisse der einzelnen Gebäude exakt wiedergibt. Die Linien sind bisweilen mit Hilfe eines Lineals gezogen, während die Hintergründe lockerer und mit zum Horizont zunehmend blasseren Tönen angelegt sind.
Der „trockene“ Stil der ersten, wohl im Sommer 1494 entstandenen Aquarelle, wird in der Folge einer zunehmend malerischen Landschaftsauffassung weichen. Die Entwicklung verdeutlicht das einige Jahre später zu datierende Aquarell mit der „Weidenmühle“ (Paris, Bibliothèque Nationale). Das Blatt zeigt dieselbe Örtlichkeit wie die „Drahtziehmühle“, jedoch nicht von einem erhöhten Standpunkt, sondern vom Ufer der Pegnitz aus. Auch hier sind die Umrisse der Gebäude mit der Feder gezeichnet, die Detailakribie tritt jedoch zugunsten der atmosphärischen Farbgestaltung zurück, welche die ganze Szene im Glanz der Abendsonne leuchten lässt. Die „malerische“ Landschaftsauffassung kann wohl in Zusammenhang mit Dürers erster Italienreise gesehen werden, die den Künstler mit einer neuen Art der Farbgestaltung bekannt machte und ihn für atmosphärische Lichteffekte sensibilisierte.