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Einleitung:
Vom Handwerkersohn zum Künstlerstar

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Albrecht Dürer ist weltweit der berühmteste deutsche Künstler. Seine Bedeutung und die Faszination seines Werks sind bis heute ungebrochen. Schon zu Lebzeiten war der Nürnberger Maler ein international gefeierter Künstlerstar, dessen Ruhm in den folgenden fünf Jahrhunderten stetig wuchs. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern war Dürer zu keiner Zeit völlig vergessen. Seine Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken wurden von den größten Kunstsammlern geradezu fanatisch gesammelt und gehören heute zu den kostbarsten Schätzen von Museen in der ganzen Welt. Publikumshits wie die „Betenden Hände“, der „Hase“ oder Dürers Selbstporträts ziehen Hunderttausende von Besuchern an und sind zu globalen Werbeträgern geworden.

Fast jeder, der sich für Kunst interessiert, kennt die „Betenden Hände“, weitaus weniger verbinden sie mit Dürer. Viele kennen den Namen Albrecht Dürer, haben jedoch nur eine ungenaue Vorstellung von seinem Leben und seinen Arbeiten. Trotz aller Bekanntheit umgeben den Künstler und sein Werk noch immer viele Geheimnisse. Zwar existieren zu ihm mehr Quellen als zu dem Werk der meisten anderen Künstler seiner Zeit, doch noch mehr sind verloren gegangen oder vielleicht noch nicht entdeckt worden. Rätsel geben sein Frühwerk und seine Reisen nach Italien auf, nur wenig weiß man über seine Ehe und sein Familienleben, ähnliches gilt für seine Kontakte zu Kunden und die Entstehungsumstände vieler Werke.

Dürerforschung ist noch heute in vieler Hinsicht Pionierarbeit. Durch veränderte Fragestellungen und genauere Untersuchungsmethoden lassen sich auch vermeintlich bekannten Werken neue Erkenntnisse entlocken. Selbst Sensationen wie die Entdeckung neuer Gemälde sind nicht unmöglich – dank intensiver Forschungen konnte 2003 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg das Porträt von „Dürers Mutter“ (wieder)gefunden werden. Ein neuer Blick auf Werke und Quellen kann dazu beitragen, nicht nur einzelne Arbeiten, sondern ganze Lebensabschnitte neu zu datieren und den Künstler in einem veränderten Licht zu sehen. So fand Dürers erste Italienreise nicht 1494/95, sondern erst 1496 statt, und eine stets auf die berühmten „Kaiserbilder“ bezogene Rechnung hat sich nun als Bezahlung für eine Neufassung von Steinskulpturen entpuppt – und damit als erster Nachweis für Dürers Tätigkeit als Restaurator. Moderne Untersuchungsmethoden wie Röntgenaufnahmen oder Infrarotreflektographie gewähren ungeahnte Blicke unter die Oberfläche eines Gemäldes und damit Einblick in seine Herstellungsweise. Ebenso wichtig bleibt jedoch der Blick auf die Maloberfläche, da viele Bilder nachträglich übermalt und retouchiert wurden. Diese Erkenntnis führte dazu, dass vermeintliche „Werkstattarbeiten“ als originale Dürerwerke bestätigt und ihre Datierung präzisiert werden konnten.

Um Dürer zu verstehen, ist eine Beschäftigung mit seiner Zeit und seinen Lebensumständen unerlässlich. Dürer wurde nicht als Starkünstler, sondern als einfacher Handwerkersohn geboren. Es ist eine der spannendsten Fragen der Kunstgeschichte, wie der Goldschmiedesohn zum berühmtesten deutschen Künstler aufsteigen konnte. Genialität, Glück und Geschäftssinn – dies sind drei Grundlagen, auf denen Dürer seinen Ruhm aufbaute. Was sich tatsächlich dahinter verbirgt und wie die einzelnen Elemente ineinander greifen, kann nur ein genauer Blick auf den historischen und künstlerischen Kontext klären. Um mehr über den Künstler zu erfahren, muss man sein Umfeld, seine Familie, Freunde, Kollegen und Zeitgenossen, befragen, aber auch untersuchen, wie die nachfolgenden Generationen dieses Wissen tradiert haben. Erst die Geschichte hat Dürer zu „Dürer“ gemacht.

Er wurde in einer Epoche des Umbruchs zwischen Mittelalter und Neuzeit geboren. Es war zugleich eine Zeit des Aufbruchs, geprägt vom Wunsch, die „dunklen“ Jahrhunderte hinter sich zu lassen und zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Altes Wissen sollte wieder ausgegraben und erforscht werden – „Renaissance“ meint nichts anderes als die Wiedergeburt der Antike, die der eigenen Zeit neues Leben schenken sollte. Nicht mehr allein Gott, auch der Mensch wurde zum Gegenstand des wissenschaftlichen und künstlerischen Interesses. Das Studium des Menschen im umfassendsten Sinne steht im Mittelpunkt des Humanismus (lat. „humanus“ = „menschlich“, „gebildet“), einer im 14. Jahrhundert in Italien entstanden Geistesbewegung, die sich um die Wiedererweckung des antiken Bildungskanons und gleichzeitig um eine universale geistes- und naturwissenschaftliche Erkenntnis bemühte.

Zu den bedeutendsten deutschen Humanisten zählte Dürers bester Freund, der Patrizier Willibald Pirckheimer (1470–1530), der in Italien studiert hatte und nach seiner Rückkehr nach Nürnberg zu einem Gelehrten von europäischem Rang aufstieg. Pirckheimer war für Dürer nicht nur als Übersetzer antiker und italienischer Kunsttraktate oder Ratgeber in Fragen klassischer Ikonographie wichtig. Durch seine Tätigkeit als Ratsherr und seine internationalen Kontakte vermittelte er ihm manchen Auftrag und stellte wahrscheinlich auch die Verbindung zu Kaiser Maximilian I. her.

Obwohl Dürer weder eine Lateinschule noch eine Universität besucht hatte, wurde er in den Humanistenkreisen akzeptiert. Den deutschen Humanisten war es besonders wichtig, nicht hinter der italienischen Renaissancekultur zurückzustehen. Dürer als „deutscher Apelles“ erfüllte alle Bedingungen an malerischem Können, Gelehrsamkeit und Wiederbelebung der Antike, ohne die deutsche Tradition zu verleugnen. Mit seinem Vorhaben, ein Lehrbuch der Malerei zu verfassen, stellte er sich ebenfalls in die Nachfolge des antiken Malers Apelles. Auf seinen Italienreisen hatte er die Malerei der Renaissance studiert und schließlich die Anerkennung der italienischen Künstlerkollegen errungen. Mit seinem Werk, aber auch mit seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit überwand Dürer alle Standesschranken und verkörperte als einer der Ersten das Ideal des freien Künstlers im neuzeitlichen Sinne.

Dürer war nicht nur Künstler, sondern ebenso ein kluger Unternehmer. Er war der erste Künstler, der seine Druckgraphiken systematisch mit einem Monogramm kennzeichnete. Die Urheberangabe wurde bei Dürer zu einem Gütesiegel, das nahezu alle zum Verkauf bestimmten Produkte erhielten. Dürer war ein brillanter Graphiker, der es bei Holzschnitt und Kupferstich zu einer bis dahin unerreichten Meisterschaft brachte. Mit Druckgraphiken, die in hohen Auflagen relativ preiswert hergestellt werden konnten, ließ sich ein schneller Verkaufserfolg erzielen, der als positiven Nebeneffekt den Künstler und sein Werk bekannt machte. Zusätzlich entwickelte Dürer schon früh ein spezielles Vertriebssystem über Agenten, die seine Graphiken in aller Welt vertrieben und damit wesentlich mehr Käufer erreichten als es dem Künstler selbst jemals möglich gewesen wäre.


Abb. 1: Ansicht von Nürnberg aus der „Schedelschen Weltchronik“ (1493). Kolorierter Holzschnitt aus der Wolgemutwerkstatt.

Seinen Erfolg hatte Dürer allerdings nicht nur seinem künstlerischen und unternehmerischen Können und seinem Freundeskreis zu verdanken. Von entscheidender Bedeutung war seine Heimatstadt Nürnberg (Abb. 1). Die Freie Reichsstadt war Ende des 15. Jahrhunderts mit rund 28.000 Einwohnern eine der größten deutschen Städte und galt aufgrund ihrer geographischen Lage und ihres blühenden Handels den Zeitgenossen als ein „Centrum Europas“, von hier aus bestanden Handelsbeziehungen in die ganze damals bekannte Welt. In Nürnberg wurde 1492, dem Jahr der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus, der älteste erhaltene Globus („Beheim-Globus“) hergestellt, die Freie Reichsstadt zog Künstler aus allen Teilen Europas an, und es gab prachtvolle Plätze und Bauwerke. Eine breite Patrizierschicht investierte gerne ihr Vermögen in Kunst, kirchliche Stiftungen und die Ausgestaltung ihrer Häuser, und eine noch breitere Bürgerschicht eiferte den Patriziern in diesen Punkten nach.

Nürnberg war nicht nur Produktions- und Handelsort von Waren, sondern auch von Ideen. Schon früh investierte man in neue Technologien. In Nürnberg wurde 1390 die erste Papiermühle Deutschlands gegründet, und die Stadt war bald nach der Erfindung des Buchdrucks eine der führenden Druckerstädte Europas. Es gehört zu den weiteren Glücksfällen im Leben Dürers, dass er Anton Koberger (um 1445–1513) zum Paten hatte, den wohl bedeutendsten Nürnberger Frühdrucker und Verleger der berühmten „Schedelschen Weltchronik“ (1493). Koberger unterstützte nicht nur Dürers Anfänge als Druckgraphiker, indem er ihm seine Typen und Pressen zur Verfügung stellte, sondern gab sicher auch manche unternehmerischen Ratschläge und vermittelte Kontakte zu Kunden und Geschäftspartnern in ganz Europa.

Selbst wenn Dürer sich selbst mehr für die Kunst und Kunsttheorie der Antike interessierte, so verdiente er den größten Teil seines Einkommens mit religiöser Kunst: Altären, Epitaphien, Andachtsbildern, Druckgraphiken mit religiösen Szenen, Entwürfen für Kirchenfenster. Umso lebhafter nahm Dürer Anteil an einem weiteren großen Umbruchsphänomen seiner Epoche – der Reformation. Schon früh begeisterte er sich für die Ideen Martin Luthers und hatte Kontakt zu reformatorischen Kreisen in Nürnberg, welche sich 1525 für die Einführung der Reformation einsetzten.

Nicht nur durch den Bildersturm hatte die Reformation Auswirkungen auf ein allgemeines neues Kunstverständnis. Gemälde und Druckgraphiken wurden zunehmend ihrer religiösen Funktion enthoben und als Kunstwerke geschätzt. Dürer erkannte als einer der Ersten die Bedeutung der Kunstsammler. Viele seiner Gemälde, aber vor allem seine Holzschnitte und Kupferstiche, sind „Sammlerkunst“, von Anfang an bestimmt für Kenner und Liebhaber. Ihnen ist maßgeblich zu verdanken, dass Dürers Ruhm die Jahrhunderte überdauerte.

Indem er selbst den Kunstaspekt seiner Werke in den Vordergrund stellte, war Dürer moderner als die meisten anderen Künstler seiner Zeit. In der Vielfalt seines Œuvre, das Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphiken, Entwürfe für Skulpturen, Kunsthandwerk, Glasmalereien und Wandgemälde, aber auch Bücher und Buchillustrationen sowie theoretische Werke umfasst, ist er vergleichbar mit seinem berühmten Zeitgenossen Leonardo da Vinci – mit dem Unterschied, dass Dürers theoretische Schriften noch weitgehend zu Lebzeiten gedruckt wurden. Seine Bücher zur Proportion, Perspektive und zum Festungsbau haben Dürer zum Begründer der Kunsttheorie in Deutschland gemacht. Sie waren in ihrer Bedeutung für Dürer mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar wichtiger als seine Gemälde und Graphiken.

Die Bandbreite seines Werks, die atemberaubende Qualität vieler Gemälde und Druckgraphiken, seine Innovationen als Theoretiker und Unternehmer, sein Interesse für die Hauptfragen seiner Zeit, seine europaweiten Kontakte, sein Traditionsbewusstsein gepaart mit Neugier und dem Wunsch, Grenzen zu überschreiten, machen Dürer in seinem Streben zu einer typischen Persönlichkeit seiner Zeit, im Erreichten jedoch zu einer Ausnahmefigur. Das Interesse seiner Zeitgenossen und späterer Generationen fasste der italienische Barockmaler Annibale Carraci in einer Randbemerkung zu Giorgio Vasaris Künstlerbiographien (1568) prägnant zusammen:

Der große Albrecht Dürer ist nicht sonst irgendeinem anderen vortrefflichen italienischen Maler hintanzustellen und seine sehenswerten Werke können gar nicht genug gelobt werden. (übers. nach Perini, 1990, S. 164)

Albrecht Dürer

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