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Lehrjahre eines Künstlers (1471–1496) Kindheit und Jugend: Der „glückliche“ Dürer Eltern und Familie
ОглавлениеAm 21. Mai 1471 wurde in Nürnberg ein Junge geboren, der einmal der berühmteste Maler Deutschlands werden sollte: Albrecht Dürer. Er entstammte einer Handwerkerfamilie. Sein Vater, der Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä. (1427–1502), war 1455 aus Ungarn nach Nürnberg zugewandert. Er hatte in seinem südwestungarischen Heimatort Ajtos nahe Gyula bei seinem Vater das Goldschmiedehandwerk gelernt und war anschließend auf Wanderschaft gegangen. Der Name seines Heimatortes diente ihm fortan als Nachname, denn „Ajtos“ bedeutet auf Ungarisch „Tür“ – „Dürer“ oder „Türer“ heißt also nichts anderes als „aus Ajtos“. Die Herkunft spiegelt sich auch in dem „sprechenden“ Familienwappen, das eine geöffnete Tür zeigt.
Der Weg seiner Wanderschaft führte Dürer d. Ä. 1444 über Nürnberg, wo er als Handwerkergeselle in einer Liste Nürnberger Büchsen- und Armbrustschützen genannt wird. Anschließend war er lange Jahre in den Niederlanden „bei den großen Künstern“, wie Albrecht d. J. später in der „Familienchronik“ schrieb, die er 1523/24 nach Notizen des Vaters verfasste. Im Juni 1455 kehrte Dürer d. Ä. in die Reichsstadt Nürnberg zurück, wo er sich gute Karrieremöglichkeiten erhoffte. Fast zwölf Jahre arbeitete er als Geselle des angesehenen Goldschmieds Hieronymus Holper (tätig 1435–1484), bevor er am 4. April 1467 endlich das Bürgerrecht erhielt und wenig später Holpers 15-jährige Tochter Barbara, eine „hübsche gerade jungfrau“, heiratete.
Im folgenden Jahr wurde er mit 41 Jahren zum Goldschmiedemeister ernannt und konnte sich mit einer eigenen Werkstatt und einem kleinen Verkaufsladen am Hauptmarkt selbstständig machen. Im Juli 1468 kam die erste Tochter, Barbara, zur Welt. Die junge Familie wird wahrscheinlich in diesen Jahren nach Nürnberger Sitte zunächst im Haus der Schwiegereltern Holper gewohnt haben, wo vermutlich auch der kleine Albrecht geboren wurde. Die Angabe, er sei im Hinterhaus des Anwesens der Patrizierfamilie Pirckheimer (heute Winklerstraße 20) zur Welt gekommen, ist die Erfindung Nürnberger Lokalhistoriker aus dem 18. Jahrhundert.
Barbara brachte zwischen 1468 und 1492 sieben Mädchen und elf Jungen zur Welt, von denen jedoch nur drei das Erwachsenenalter erreichten, neben Albrecht die jüngeren Brüder Endres (1484–1555) und Hans (1490–1534). Woran genau die Geschwister Dürers gestorben sind, wird in der „Familienchronik“ nicht berichtet. Eine hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit war im Mittelalter aufgrund unzureichender hygienischer Verhältnisse, mangelnder medizinischer Kenntnisse und einer ungeeigneten Ernährung zwar an der Tagesordnung, doch traf das Schicksal die Familie Dürer besonders hart.
Beruflich war Dürer d. Ä. hingegen durchaus erfolgreich. Bereits 1475 konnte er ein eigenes Haus in bester Wohnlage „Unter der Veste“ (ehemals Burgstraße 27) für 200 Gulden kaufen. 1480 mietete er für fünf Gulden jährlich einen neuen Laden direkt am Rathaus. Zwischen 1481 und 1488 war er einer der sechs geschworenen Meister der Goldschmiede. Zunächst gemeinsam mit seinem Schwiegervater, nach dessen Tod allein, versah er das Amt des städtischen Silberzeichners und Goldstreichers, d.h. er hatte die verantwortungsvolle Aufgabe, den Feingehalt aller Goldschmiedewerke und Edelmetallarbeiten sowie das Gewicht der silbernen Hallerschrötlinge bei der reichsstädtischen Münzproduktion zu kontrollieren. Zu seinen Kunden zählte neben dem Nürnberger Rat auch der Bischof von Posen und Kaiser Friedrich III., für den er 1489 eine Anzahl Trinkgefäße anfertigte.
Das Ansehen der Familie Dürer lässt sich auch an der Patenwahl für die Kinder erkennen. Zu diesen gehörten neben Goldschmieden der vermögende Kaufmann und Astronom Bernhard Walther, dessen Wohnhaus am Tiergärtnertor Albrecht d. J. 1509 erwarb. Zwar schrieb Dürer mehrfach, seine Eltern hätten Armut gelitten, doch spricht vieles dafür, dass Dürer d. Ä. durchaus wohlhabend war. 1483 hatte er genug Kapital, um eine Kuxe (Gesellschaftsanteil) an der Gewerkschaft der Alten Zeche in Goldkronach im Fichtelgebirge zu erwerben, eine Ende des 15. Jahrhunderts beliebte und erstaunlich moderne Form der Finanzinvestition. Insgesamt lebte die Familie wohl auf dem finanziellen Niveau einer durchschnittlichen Nürnberger Handwerkerfamilie ihrer Zeit, was dem jungen Dürer verglichen mit dem Vermögen und Lebensstil seiner Patrizierfreunde natürlich „arm“ vorkommen musste.
Trotz der Erfolge ihres Mannes war für Barbara Dürer das Leben nicht einfach. Der Haushalt umfasste nicht nur Ehemann und Kinder, sondern auch Dienstboten und Gehilfen ihres Mannes. Sie alle galt es während der nahezu permanenten Schwangerschaften zu versorgen. War ihr Mann abwesend, wie etwa 1492 zum Reichstag in Linz, musste sie sich um den Fortlauf der Werkstatt kümmern. Das Porträt, das der junge Albrecht um 1489/90 von seiner Mutter malte, zeigt sie im Alter von etwa 37 Jahren mit ernsten Zügen und einem ruhigen, klaren Blick. In der „Familienchronik“ beschreibt Dürer seine Mutter als fleißig, rechtschaffen und fromm. Diese Eigenschaften zeichnen ebenso seinen Vater aus, der zudem als geduldig, sanftmütig und wenig gesellig charakterisiert wird.
Vater und Sohn waren im Charakter grundverschieden. Der junge Albrecht war äußerst ehrgeizig, umtriebig, gesellig und den Freuden des Lebens nicht abgeneigt. Auch wenn er gelegentlich klagte, war er grundsätzlich ein fröhlicher und positiv denkender Mensch. Der „glückliche“ Dürer war unter einem günstigen Stern geboren, wie ihm der Nürnberger Gelehrte Lorenz Beheim (1457–1521) in seinem Horoskop bestätigte:
Er hat den Löwen als aufsteigendes Haus, daher ist er mager; weil an dessen Ende das Glücksrad sich befindet, deswegen gewinnt er Geld, und zwar; weil Merkur im Haus ist, wegen seines Genies in der Malerei. Weil noch obendrein Merkur im Haus der Venus ist, deshalb ist er ein feiner Maler (delicatus pictor), und, weil Venus umgekehrt im Haus des Merkur steht, deswegen ist er ein Genie in der Liebe (ingeniosus amator). (Lüdecke/Heiland, 1955, S. 18f; R. I, S. 254, Nr. 12)
Selbst wenn man an der Wahrheit solcher Horoskope zweifeln mag, Dürer war wie die meisten seiner Zeitgenossen von der Bedeutung der richtigen Sternenkonstellation und ihrer Auswirkung auf Schicksal und Verfassung des Menschen überzeugt. Aberglaube und christliches Denken standen dabei nicht im Widerspruch. In seinem geplanten „Lehrbuch der Malerei“ empfahl Dürer, auf die Sternenkonstellation bei der Geburt eines Malerlehrlings zu achten und Gott um eine „glückhafte Stund“ zu bitten (R. II., S. 92ff., Nr. 2).
Doch auch ohne Sterndeutung: Dürer war das Genie in die Wiege gelegt. Durch eine gute Ausbildung, stete „Übung“, Ehrgeiz, Entdeckerfreude, Lebenslust und nicht zuletzt ein glückliches Naturell, günstige Umstände und die richtigen Kontakte entwickelte er sich zum größten deutschen Künstler seiner Zeit.