Читать книгу Albrecht Dürer - Anja Grebe - Страница 20
Auf dem Weg nach Venedig: Die erste Italienreise 1496
ОглавлениеDer bisherigen Forschungsmeinung zufolge brach Dürer wenige Wochen nach seiner Hochzeit im Herbst 1494 zu seiner ersten Italienreise auf. Sein Ziel war die Handels- und Kunstmetropole Venedig. Für den Zeitpunkt dieser Reise gibt es jedoch keinen Beleg. Als Hauptgrund für die überstürzte Abreise vermutet man den Ausbruch einer Pestepidemie in Nürnberg, die zwischen September 1494 und Januar 1495 fast 10.000 Menschenleben, mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung, gefordert haben soll. Jeder, der es sich erlauben konnte, rettete sich mit seiner Familie in benachbarte Orte oder auf seine Landgüter und wartete, bis die tödliche Ansteckungsgefahr vorüber war. So verständlich eine Flucht Dürers ist, so übertrieben erscheint das Reiseziel Venedig, das nur durch eine lange Reise bei unsicheren Straßen- und Wetterverhältnissen zu erreichen war. Kein Zeitgenosse hätte Dürer vorgeworfen, kurz nach der Heirat zu einer mehrmonatigen Geschäftsreise aufzubrechen – in Pestzeiten jedoch ohne die engeren Familienangehörigen aus der Stadt zu fliehen, wäre höchst unüblich gewesen. Allerdings spricht keine Quelle dagegen, dass Agnes nicht zumindest ein Stück des Weges mit nach Süden gefahren sein könnte, zumal mit Peter Rummel wohl ein Verwandter von ihr in Innsbruck lebte.
Die Spekulationen sind jedoch müßig, da Dürer sehr wahrscheinlich im Winter 1494/95 gar nicht in Italien war. Dürers Venedigreise im Herbst 1494 ist eine Fiktion der Dürerforschung des späten 19. Jahrhunderts, nachdem man zunächst einen Italienaufenthalt während der Gesellenwanderung 1493/94 angenommen hatte. Dass Dürer in seinen frühen Jahren in Italien war, ist angesichts der vielen Aquarelle mit Ansichten aus der Alpenregion und der Zeichnungen mit eindeutig venezianischen Motiven wohl unbestreitbar. Doch sprechen verschiedene Indizien dafür, dass Dürer sich erst 1496 auf den Weg nach Venedig machte.
Betrachtet man etwa die zwischen 1494 und 1500 entstandenen Werke, so erscheint es verwunderlich, dass Dürer, wäre er tatsächlich 1494/95 in Italien gewesen, seine neuen Eindrücke und die mitgebrachten Zeichnungen „unverarbeitet“ gelassen hätte und zu einem herkömmlichen Figuren- und Landschaftsstil und traditionellen Motiven zurückgekehrt wäre, die in keiner Weise verraten, dass er in Italien war. Erst ab 1497 lässt sich in Form und Inhalt seiner Werke eine direkte Rezeption der italienischen Renaissance feststellen.
Vorher hat Dürer die Ideen der Renaissance nur vermittelt über die in Nürnberg verfügbare Druckgraphik kennen gelernt. Statt kurz nach seiner Hochzeit nach Venedig zu reisen, hat sich Dürer 1494/95 intensiv mit Kupferstichen von Andrea Mantegna (1431–1506), Antonio del Pollaiuolo (1430/32–1498) und weiteren italienischen Künstlern auseinander gesetzt. Wie die Nachzeichnung (Wien, Albertina) von Mantegnas Kupferstich „Der Kampf der Meergötter“ (1470/75) zeigt, hat Dürer dabei die Umrisse durchgepaust, um die klassischen Körperformen exakt nachvollziehen zu können. Interessanterweise übernahm er dabei nicht den eigentümlichen, fast „abstrakt“ wirkenden Schraffurstil des italienischen Meisters, sondern wandte seinen eigenen, an Schongauer geschulten, sehr plastisch modellierenden Schraffurstil an. Gleiches gilt für seine um 1495 entstandenen Kopien italienischer Tarocchi-Karten, deren Figurenmotive und antiken Gewandstil er kopierte, während er die Gesichter nach eigenen Ideen und Vorlagen gestaltete (London, British Museum).
Erst ab 1497 tritt ein Stilwandel ein, der auf eine direkte Kenntnis italienischer Werke und Motive und eine unmittelbare Auseinandersetzung mit der Renaissancekunst schließen lässt. Dies gilt etwa für die Zeichnung der „Schönen Venezianerin“ (Frankfurt a. M., Städel), die er wenig später als Motivvorlage für den Holzschnitt mit dem „Babylonischen Weib“ in der „Apokalypse“ (1498) verwandte. Gleichzeitig begann Dürer, eigene Druckgraphiken mit antiken Themen im Stil der Renaissance zu entwerfen. Gehören die Nachzeichnungen nach Mantegna letztlich noch in die Phase des „Abmachens“ vorbildhafter Künstler, so stellen Kupferstiche wie die „Vier Hexen“ oder das „Meerwunder“ (beide um 1497/98) eigene Erfindungen dar.
Vielleicht hatte die Beschäftigung mit Mantegna und Pollaiuolo seine Neugier geweckt, vielleicht wollte er seine Chancen auf dem italienischen Kunstmarkt erkunden, oder ein reicher Nürnberger Kaufmann hatte ihn mit der Aussicht auf einen Auftrag nach Venedig gelockt – jedenfalls brach Dürer 1496, wohl im Frühjahr, nach Italien auf. Vermutlich hat er sich einem der zahlreichen Handelstransporte oder Kurierdienste („Boten“) angeschlossen, die regelmäßig zwischen Nürnberg und Venedig verkehrten. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Städten waren äußerst eng. Fast alle großen Nürnberger Handelsunternehmen unterhielten in Venedig eine Niederlassung im Fondaco dei Tedeschi, dem Handelshaus der Deutschen nahe der Rialtobrücke, in dem die Nürnberger neben den Augsburgern die größte Gruppe stellten. Die Büro-, Lager- und Wohnräume des Fondaco wurden den deutschen Kaufleuten gegen entsprechende Mieten und Abgaben auf alle Transaktionen zur Verfügung gestellt, was dem venezianischen Staat erhebliche Einnahmen bescherte. Daneben lebten zahlreiche deutsche Handwerker in der Stadt, vor allem Leinenweber und Bäcker, aber auch Messerschmiede, Seifenhändler, Schreiber und Drucker, die in eigenen Werkstätten ihrem Gewerbe nachgingen. Sie waren für die deutsche Kolonie, die zahlreichen deutschen Pilger, die sich in Venedig ins Heilige Land einschifften, aber auch italienische Kunden tätig.
Die Wegstrecke von Nürnberg nach Venedig über den Brennerpass, Trient bis nach Padua beträgt rund 750 km. Das entsprach um 1500 etwa 14 bis 15 Tagesetappen für einen Reiter bei gemäßigtem Reisetempo, die von Kurierreitern jedoch in der Hälfte der Zeit bewältigt wurden. Auch Dürer wird nach Venedig nicht gelaufen, sondern geritten sein. Offenbar konnte er sein Reisetempo und die Pausen so einteilen, dass ihm Zeit zum Zeichnen blieb. Wie schon bei den Nürnbergansichten arbeitete er einige der Zeichnungen später zu Aquarellen aus, die rückblickend die wichtigsten Zeugnisse dieser Reise darstellen. Sie erlauben nicht nur den Fußstapfen Dürers, sondern auch seinem Blick zu folgen und unmittelbar nachzuvollziehen, welche Orte und Ansichten ihn besonders interessiert haben. Und schließlich lassen sich aus den Aquarellen Anhaltspunkte für die Datierung seiner Reise gewinnen.
Wichtig sind hier vor allem die Aquarelle mit Ansichten der Stadt Innsbruck, in der Dürer auf der Hin- und Rückreise Station gemacht hat. Zwei Blätter zeigen die „Hofburg zu Innsbruck“ (Wien, Albertina). Beide erinnern in ihrem „trockenen“ Stil an die frühen Nürnbergaquarelle und sind am ehesten der Hinreise zuzuordnen. Hingegen weist die wesentlich malerischere Auffassung des dritten Blattes mit „Innsbruck von Norden“ (Wien, Albertina) auf eine spätere Entstehung hin (Abb. 9). Dieses Aquarell ist zugleich der einzige Beleg dafür, dass sich der Künstler 1496 tatsächlich in Innsbruck aufgehalten hat. Die detaillierte Wiedergabe des Stadtprospekts erlaubt die Identifizierung der Gebäude. Wichtig ist der links von der Bildmitte aufragende „Wappenturm“ mit seinem spitzen Turmhelm. Der Turm war 1494 durch einen Brand zerstört worden. 1495 begann man mit dem Neuaufbau, der frühestens 1496 abgeschlossen wurde, wie eine Inschrift belegt, die durch einen Stich von Salomon Kleiner (1750/51) überliefert ist. Dürer sah den Turm kurz vor der Vollendung, aber noch mit eingerüstetem Turmhelm, wahrscheinlich Ende des Jahres 1496 während der Rückreise, was zudem dadurch bestätigt wird, dass der neben der Hofburg stehende „Wappenturm“ auf dem Aquarell mit der „Hofansicht nach Süden“ nicht dargestellt ist – vermutlich, weil er sich noch im Bau befand.
Abb. 9: Innsbruck von Norden. Aquarell (1496).
Die meisten Aquarelle der Italienreise ähneln in ihrem Stil der Ansicht „Innsbruck von Norden“ und beruhen wohl ebenfalls auf Zeichnungen, die Dürer erst während der Rückreise anfertigte. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass er seine Ansichten nicht vor dem Objekt malte, sondern, wie schon bei den Nürnbergblättern, das Landschaftsmotiv in raschen Skizzen festhielt, möglicherweise nur auf ein Wachstäfelchen, und zu einem späteren Zeitpunkt im Atelier zu einer „Ansicht“ oder „Landschaft“ ausarbeitete. Sehr wahrscheinlich geht die Ansicht von der Südtiroler Ortschaft Klausen im Kupferstich „Das große Glück“ (um 1501/02) auf eine solche Zeichnung des Ortes und nicht auf ein verloren geglaubtes Aquarell zurück. Dürer hielt in seinen Zeichnungen vor allem die Bauwerke und die geographische Lage fest, Himmel und Vegetation sind weitgehende Zufügungen während der farbigen Ausarbeitung und können als Datierungskriterium nur bedingt herangezogen werden.
Abb. 10: Ansicht von Arco. Aquarell (1496).
Vermutlich ist Dürer auf der Hinreise dem üblichen, von vielen Kaufleuten und Pilgern benutzten Weg entlang des Inntals, über den Brenner, durch das Eisacktal nach Trient und dann über Padua nach Venedig gefolgt, der recht gut ausgebaut war und genügend Gasthäuser entlang der Strecke aufwies. Auf der Rückreise erlaubte er sich einige Aufenthalte, etwa in Trient, sowie Abstecher nach Arco am Gardasee und ins Cembratal nördlich von Trient. Hier sammelte er Material für einige seiner schönsten Aquarelle, darunter die „Ansicht von Arco“ (Paris, Louvre, Abb. 10).
„Ansicht von Arco“
Das als „fenedier klausen“ bezeichnete Aquarell zeigt den Blick auf den Burgfelsen von Arco, der venezianischen Grenzfeste oberhalb des Gardasees, und die unterhalb gelegene Stadt. Das Aquarell beruht auf Zeichnungen, die Dürer wohl bei der Rückreise von seinem ersten Venedigaufenthalt im Jahre 1496 anfertigte. Erst auf den zweiten Blick erkennt man links in der Schlucht in den Felswänden zwei Gesichter, wie sie als Felsformationen in der Nähe von Arco noch heute zu sehen sind. Allerdings konnte Dürer die Felsgesichter unmöglich von dem Standpunkt, den sein Bild vorgibt, gesehen haben. Vielmehr integrierte er diese Naturphänomene in seine Ansicht, indem er verschiedene an unterschiedlichen Standpunkten gezeichnete Ansichten zu einer Kunstlandschaft verschmolz. Trotz ihrer natürlichen Erscheinung wird die Landschaft so zu einem optischen Vexierspiel.
Wie auch andere in Verbindung mit der ersten Italienreise entstandene Aquarelle zeigen, brachte Dürer dem Studium von Felslandschaften ein besonderes Interesse entgegen. Vielfach meint man, in den bizarren Steinformationen oder Holzpfählen Gesichter erkennen zu können, so etwa in dem Aquarell mit der „Verfallenen Berghütte“ (Mailand, Biblioteca Ambrosiana). Bei Dürers Aquarellen handelt es sich nicht um Phantasielandschaften, sondern um Landschaftsporträts, die Orte wiedergeben, die tatsächlich existieren und heute noch weitgehend identifizierbar sind. Jedoch ist keines seiner Aquarelle eine topographisch ganz exakte Aufnahme. Dürer sah und gestaltete seine Umwelt mit den Augen des Malers; Ziel war immer eine stimmige Bildgestaltung. Insofern handelt es sich nicht um Ideallandschaften, sondern um idealisierte Landschaften.
Wichtig für seine künstlerische Entwicklung ist die Frage, welche Kunstwerke er in Venedig und anderen Städten Oberitaliens gesehen hat, welchen Künstlern er begegnete und was er selbst für erinnerungswürdig befand. Sieht man von den Reiseaquarellen ab, sind von seinem Aufenthalt in der Lagunenstadt nur wenige Zeichnungen überliefert. Es handelt sich vor allem um Kostümstudien venezianischer Edelfrauen, die er in den folgenden Jahren immer wieder als Vorlagen für Gemälde und Druckgraphiken, etwa das „Holzschuher-Epitaph“ oder die „Apokalypse“, benutzte. Obwohl sicher viele Zeichnungen verloren sind, entsteht der Eindruck, dass Dürer die venezianische Kunst fast völlig kalt gelassen hat. Abgesehen von wenigen Ausnahmen lassen sich in den nach der Rückkehr entstandenen Gemälden und Druckgraphiken kaum Reflexe venezianischer Motive finden. Eine Sache scheint ihn aber doch nachhaltig beeindruckt zu haben, wie aus einem Brief hervorgeht, den er während seiner zweiten Venedigreise im Februar 1506 an Willibald Pirckheimer schrieb:
Vnd daz ding, daz mir vor eilff joren so woll hatt gefallen, daz gefelt mir jcz nüt mer. Vnd wen jchs nit selbs sech, so hett jchs keim anderen gelawbt. (R. I, S. 43f., Nr. 2)
Man wüsste zu gerne, was sich hinter dem „Ding“ verbirgt, das Dürer „vor elf Jahren“ so gut gefallen hat, wobei der scheinbar präzisen Zeitangabe inmitten der ansonsten vagen Aussagen mit Vorsicht zu begegnen ist. Es muss etwas sein, über das er mit Pirckheimer gesprochen hat, da er davon ausgeht, dass dieser sofort weiß, um was es geht. In seinen späteren Schriften bezeichnet Dürer mit „Ding“ alle Arten von Kunstwerken, zumeist jedoch Gemälde, Zeichnungen oder Druckgraphiken. Möglicherweise handelte es sich um das 1496 vollendete Gemälde Gentile Bellinis mit der „Prozession vor dem Markusdom“, das den jungen Dürer wegen des Detailreichtums der Figuren und exotischen Gewänder sowie der akribischen Wiedergabe des Markusplatzes so fasziniert haben muss, dass er von einigen Figuren Kopien anfertigte. 1506 enttäuschte ihn das Gemälde möglicherweise genau wegen dieser übergenauen, wenig malerischen Darstellungsweise.
Selbst wenn sich keine Zeugnisse einer systematischen Auseinandersetzung mit der Renaissancekunst, etwa das Anlegen eines Motivvorrates, finden lassen, so hat Dürer die Augen vor der Kunst seiner Zeit nicht verschlossen. Letztlich hat die Begegnung mit den italienischen Kunstwerken seinen Blick nachhaltig geschärft und ihn hinsichtlich Figurenauffassung und Komposition endgültig von der spätmittelalterlichen Welt Wolgemuts und Schongauers gelöst.
Abb. 11: Selbstbildnis von 1498.
Sein „Selbstporträt von 1498“ (Madrid, Prado), das Dürer im Alter von 26 Jahren malte, fasst die erste Phase seines Künstlerlebens zusammen und ist in der modischen Selbststilisierung der eigenen Person zugleich ein Ausblick auf die Zukunft (Abb. 11). Denn Dürers Darstellung als ein nach der neuesten italienischen Mode gekleideter Dandy geht weit über die Standesgrenzen eines Nürnberger Handwerkers hinaus. Vielmehr verleiht er sich selbst das „Image“ eines international orientierten Künstlerindividuums im Sinne der Renaissance. Neben der vornehmen Kleidung war es vor allem seine in den Augen der Zeitgenossen exzentrische Haar- und Barttracht, mit der Dürer sein Künstlertum unterstrich. Sein extravagantes Aussehen wurde in der Folge zu einem Markenzeichen des Nürnbergers. Im Madrider Selbstporträt benutzte Dürer die im 15. Jahrhundert beliebte Formel des Porträts mit Fensterausblick als vermutlich erster Künstler für ein Selbstbildnis und ein noch ungewöhnlicheres Berufsporträt.
„Selbstbildnis von 1498“
„1498/Das malt Ich nach meiner gestalt/Ich was sex vnd zwenczig jor alt/Albrecht Dürer/AD“ – mit dieser Inschrift in goldenen Lettern bezeichnete Dürer sein „Selbstbildnis von 1498“, das er im Frühjahr dieses Jahres kurz vor seinem 27. Geburtstag am 21. Mai 1498 malte. Der Künstler hat sich als Halbfigur in einem Innenraum hinter einer gemalten Brüstung dargestellt, im Hintergrund rechts blickt man durch einen Fensterbogen auf eine Berglandschaft mit einem See und einem Wanderer.
Dürer stellte sich als vornehmer junger Herr dar. Seine Kleidung, bestehend aus einem fein gefältelten Hemd mit Goldstickborte, einem weit geschnittenen Wams mit schwarzen Borten und Streifen an den am Ellbogen geschlitzten Ärmeln, dem schräg über die Schulter geworfenen und mit einer schwarz-weißen Kordel gehaltenen Umhang sowie der schwarz-weißen Mütze, entspricht der neuesten Mode, wie Dürer sie kurz zuvor bei seinem Venedigaufenthalt kennen gelernt hatte. Der Clou sind die fein abgesteppten Lederhandschuhe, welche die Hände des Malers wie eine zweite Haut umhüllen. Es ist das einzige Selbstporträt, in dem Dürer Handschuhe trägt. Während er sonst sehr viel Wert auf die Darstellung der Hände als „Werkzeuge“ des Malers gelegt hat, ordnet er hier diese Maxime der modischen Gesamterscheinung unter.
Hingegen entsprachen sein Bart und die kunstvoll gelockte Haartracht nicht der Mode der Zeit, die bei Männern seines Alters kurze Haare und Bartlosigkeit vorsah. Mit seinen langen Haaren und dem Bart galt Dürer als Exzentriker und wurde im Freundeskreis immer wieder verspottet. Das Madrider Selbstporträt ist der erste Beleg für Dürers Selbstinszenierung als Künstler, die bei seiner äußeren Erscheinung anfing. Ebenso wie das „AD“-Monogramm auf seinen Werken wurde seine Frisur in den folgenden Jahren zum Erkennungszeichen.
Der selbstbewusste Blick, mit dem er den Betrachter aus den Augenwinkeln zu fixieren scheint, passt zum neuen Erscheinungsbild des Künstlers, der lässig an die Brüstung im Vordergrund gelehnt ist. Der Fensterausblick mit der – allerdings noch recht schematisch dargestellten – Berglandschaft im Hintergrund lässt sich als Erinnerung an seine Italienfahrt und Hinweis auf die internationale Ausrichtung des Künstlers verstehen. Im Gegensatz zur eher demütigen Haltung des „Selbstporträts von 1493“ vermittelt das Madrider Selbstbildnis den Eindruck, dass sich Dürer seines Könnens und seines Erfolgs nun sicher war.