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Schulzeit und Goldschmiedelehre
ОглавлениеDürer d. Ä. setzte von Anfang an große Hoffnungen in den Sohn, der seinen Namen trug und als ältester überlebender Sohn dazu bestimmt war, einst die väterliche Werkstatt zu übernehmen. Zunächst sah alles danach aus, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen würde.
Bevor Albrecht als Goldschmiedelehrling bei seinem Vater eintrat, besuchte er für einige Jahre die Schule. Nürnberg besaß im 15. Jahrhundert ein sehr entwickeltes Schulsystem, das es nicht nur Angehörigen der Oberschicht, sondern grundsätzlich jedem Bürgersohn ermöglichte, eine Schulbildung zu erhalten. Mädchen wurden meist von ihren Eltern oder älteren Geschwistern, in begüterten Familien von Privatlehrern oder in einer Klosterschule unterrichtet. Während die vier Pfarr- bzw. Lateinschulen auf eine geistliche Laufbahn oder ein Universitätsstudium vorbereiteten, wurden in den zahlreichen privat geführten Schreib- und Rechenmeisterschulen gegen ein geringes Schulgeld vor allem die Fächer unterrichtet, die für eine spätere Berufsausübung als Kaufmann oder Handwerker von praktischem Nutzen waren: Lesen, Schreiben und Rechnen. Dürers mangelnde Latein-, aber sehr guten Mathematikkenntnisse sprechen für seinen Unterricht bei einem Schreib- und Rechenmeister.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der junge Albrecht die Erwartungen des Vaters voll erfüllt. Neben einer außergewöhnlichen künstlerischen Begabung besaß der etwa Zwölfjährige einen aufgeweckten Geist, Neugier und Lerneifer – Eigenschaften, die ihn bis zu seinem Lebensende auszeichnen sollten. Mit Eifer begann er 1483 seine Goldschmiedelehre in der väterlichen Werkstatt. Seine spätere Meisterschaft im Kupferstich ist in vielem auf seine Ausbildung als Goldschmied zurückzuführen, bei der die Metallgravur eine wesentliche Rolle spielte.
Ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts war die Übung im Zeichnen. Damit ist vor allem das Abzeichnen von Vorlagen gemeint, weniger das freie Zeichnen und Entwerfen. Zum Vorlagenvorrat in spätmittelalterlichen Künstlerwerkstätten gehörten neben Zeichnungen von Figuren, Szenen und Ornamenten auch Kupferstiche und Holzschnitte. Dürer d. Ä. hatte solche Musterblätter möglicherweise von seinem Aufenthalt in den Niederlanden mitgebracht, anderes in der Werkstatt von Hieronymus Holper kopiert oder bei einem Graphikhändler erworben.
Wohl eine Vorstellung von der Zeichenkunst des Vaters vermittelt eine um 1486 entstandene Silberstiftzeichnung mit dem „Selbstbildnis Albrecht Dürers d. Ä.“ (Wien, Albertina). Zu sehen ist das Brustbildnis eines älteren Mannes, im Dreiviertelprofil nach links gewandt, die Unterarme auf einen angedeuteten Tisch oder eine Brüstung gelegt. Bekleidet ist er mit einer eng anliegenden Jacke über dem kragenlosen Unterhemd, auf dem Kopf trägt er eine hohe Kappe. In der rechten Hand hält er als Attribut eine kleine Männerfigur auf einem Stab.
Das Zeichnen mit dem Silberstift auf grundiertem Papier erlaubte feinste Schraffuren, Schattierungen und Modellierungen. Der Nachteil dieser Technik ist, dass auf der Grundierung alle Korrekturen sichtbar bleiben, wie bei dem Wiener Blatt im Bereich von Kopf, Schultern und Händen, aber auch der später hinzugefügten Brüstung zu sehen ist. Angefertigt wurde die Zeichnung mit Hilfe eines schräg vor dem Porträtierten stehenden Spiegels. Die verborgene linke Hand ist also in Wirklichkeit die zeichnende Rechte gewesen. Mit seiner hervorragenden technischen Ausführung und lebensechten Wiedergabe der Gesichtszüge übertrifft das Porträt die meisten anderen Zeichnungen, die in dieser Zeit in Nürnberg entstanden sind. Das Blatt steht mit seiner fast malerischen Modellierung von Kleidung und Gesicht der Zeichenkunst der Altniederländischen Schule nahe, wie sie Dürer d. Ä. in den Niederlanden kennen gelernt hatte.
Abb. 2: Selbstbildnis als Knabe. Silberstiftzeichnung (1484).
„Selbstbildnis als Knabe“
Die Silberstiftzeichnung zeigt das Brustbild eines Knaben im Dreiviertelprofil. Er ist mit einem weiten Kittel bekleidet und trägt auf dem Kopf eine geknöpfte Mütze mit langen Trotteln, die rechts über das sanft gewellte Haar hängen. Sein Blick ist nach rechts gerichtet. In diese Richtung deutet auch der gestreckte Zeigefinger der rechten Hand, während die Linke in einer merkwürdigen Biegung nah an den Oberkörper gelegt ist. Die zu einem späteren Zeitpunkt ergänzte Inschrift in der rechten oberen Ecke gibt Auskunft über die Entstehungsumstände des Bildes: „Dz hab ich aws eim spigell nach/mir selbs kunterfet Im 1484 Jor/do ich noch ein kint was/Albrecht Dürer“.
Dürer konnte zu Recht stolz auf sein Werk sein. Die Zeichnung ist nicht nur ein äußerst lebensnahes Bildnis, für das Alter ihres Schöpfers weist sie auch einen erstaunlich differenzierten Umgang mit der Silberstifttechnik auf. Das Rätsel des starren, leicht schielenden Blicks, der eingedrehten Hand und des weisenden Zeigefingers erklärt sich durch die Entstehung des Porträts mit Hilfe eines Spiegels. Die gekrümmte Linke ist in Wirklichkeit die Rechte, die den Zeichenstift hält, während die andere Hand auf den Spiegel weist, den der Knabe fixiert.
Die Zeichnung ist kein ausgearbeitetes Blatt, sondern ein Übungsstück mit zahlreichen Korrekturen. So waren die Mütze und die beiden Ärmel ursprünglich wesentlich größer geplant. Der Zeigefinger wurde gleich zweimal korrigiert, der Kopf hingegen weist fast keine Korrekturen auf. Die Gesichtszüge werden weitgehend durch unterschiedlich dicht gesetzte Parallelschraffuren modelliert, die Licht- und Schattenpartien in verschiedener Intensität wiedergeben. Die Gewandstruktur und Faltenwürfe sind überwiegend durch lange, flüchtig wirkende Parallel- und Kreuzschraffuren herausgearbeitet.
Dürer hat die Zeichnung zeitlebens als Dokument seines Aussehens im Alter von 13 Jahren sowie als Nachweis seiner frühen Kunstfertigkeit aufbewahrt. Dieser doppelte Dokumentstatus scheint im Zeigegestus sinnbildhaft verdeutlicht: Aufmerksamkeit fordernd weist er aus dem Bild hinaus auf den imaginären Spiegel und damit auf das reale Vorbild der eigenen Person. Das „Selbstbildnis als Knabe“ ist Dürers frühestes erhaltenes Werk, in dem sich bereits das künstlerische Selbstbewusstsein des Schöpfers offenbart. Es gilt als die früheste autonome Selbstbildniszeichnung und zugleich als die älteste Kinderzeichnung der europäischen Kunstgeschichte. Abgesehen von dem knabenhaften Antlitz haftet dem Werk jedoch nichts Kindliches an. Vielmehr ist das Blatt eine meisterhafte Demonstration von Dürers früher Zeichenkunst.
Das unsignierte Blatt ist bisweilen als Werk seines Sohnes angesehen worden. Vergleicht man jedoch den Zeichenstil mit dessen „Selbstbildnis als Knabe“ von 1484 (Wien, Albertina), so werden die Unterschiede deutlich (Abb. 2). Wo der junge Dürer äußerst zart und fast zaghaft zu Werke gegangen ist, hat der Vater seine Züge mit kräftigen, harten Strichen gezeichnet. Die Kontroverse, ob es sich bei dem Porträt Albrechts d. Ä. um eine geniale Kinderzeichnung oder ein Alterswerk des Vaters handelt, berührt unmittelbar die Frage, bei wem der junge Dürer seine Zeichenkunst lernte, die er wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit meisterlich beherrschte. Die frühe Meisterschaft von Dürers „Selbstbildnis als Knabe“ lässt sich am ehesten mit einer soliden Grundausbildung beim Vater erklären, der als Erster die Begabung seines Sohnes gefördert hat. Seine Freude über ihn fand allerdings zunächst ein jähes Ende, als Albrecht d. J. ihm erklärte, dass er nicht Goldschmied, sondern Maler werden wollte.