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Zwischen Verzweiflung und Kampf - Anna Wichelmann

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- Studieren mit Migräne -

Triggerwarnung Ich konnte es kaum glauben, als ich endlich mein Abitur in den Händen hielt. Ich wollte sofort richtig durchstarten und schrieb mich in meiner Heimatstadt für das Lehramtsstudium mit den Fächern Niederländisch und Geschichte ein. Meine Migräne war damals nur ein begleitender Faktor, der mich aber von nichts abhielt. Die Muräne quälte mich in der Schulzeit und auch durch die Abi-Zeit kam ich mit nur 50% Anwesenheit. Aber sie war nicht so einschränkend wie Jahre später. So begann ich also im Wintersemester 2016/2017 mein Lehramtsstudium und wollte meinem Traum, Lehrerin zu sein, einen Schritt näherkommen. Doch bereits im Laufe des Wintersemesters merkte ich, dass mit mir gesundheitlich vieles nicht stimmte. Ich verpasste die O-Woche und immer mal wieder eine Vorlesung. Der erste Dozent, dem ich von meiner Migräne-Erkrankung erzählte, reagierte mit einem Lachen. In Niederländisch gab es in den Sprachkursen Anwesenheitspflicht. Wer drei Mal fehlte, durfte den ganzen Kurs wiederholen. Na und wer fehlte öfter als drei Mal? Richtig, ich. Und wer wusste damals noch nichts von einem Nachteilsausgleich? Ja, auch ich. Ich versuchte also mit jedem Dozenten eine Lösung zu finden. In dem Zusatzmodul „Erziehungswissenschaften für Lehrer:innen“ bekam ich Hilfe, Hausarbeit statt Referat. Kein Problem. Im Seminar „Neue Geschichte“ bekam ich Hilfe, mehr Zeit bis zur Abgabe. Kein Problem. Aber in meinem liebsten Fach Niederländisch kam man mir nicht entgegen. Und so musste ich letztendlich die Uni verlassen. Den Traum Lehramt habe ich im Wintersemester 2017/2018 begraben, als ich versuchte von Niederländisch zu Deutsch zu wechseln und keinen Platz bekam. Good Bye, Heimatstadt! 2017 gründete ich meinen ersten Blog „Smiletime“ und tauchte tief in die Medienwelt ein. Keine Ahnung, wo ich später landen möge, bewarb ich mich auf diverse „Irgendwas mit Medien“-Studiengänge. Überraschenderweise bekam ich mehrere Zulassungen und nahm die Zusage einer niedersächsischen Hochschule am Meer für den Studiengang „Medienwirtschaft und Journalismus“ an. Zum ersten Mal war ich so richtig bereit für die neue Herausforderung. Ich zog 2018 dann um, wohnte erst in einer WG, später alleine und 2019 kam endlich mein Freund hinterher, der seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Die Migräne lief im Hintergrund, aber sie war da. Die Ersti-Begrüßung verbrachte ich im Bett. In der O-Woche fand ich kaum Anschluss. Im Laufe des Semesters bekam ich dann Kontakt zum Fachschaftsrat, der in seiner Form nur aus drei Personen bestand. Ein neues Projekt, mein Projekt. Und so begann ich schon im zweiten Semester mit der umfangreichen Arbeit, einen Fachschaftsrat aufzubauen, der Studierende unterstützt und den Kontakt zu den Professor:innen verbessert! Ja genau, das waren meine Ziele. Nebenbei wollte ich einfach irgendwo dazugehören und vor allem meinen Eltern beweisen, dass ich auch etwas kann. Ich wollte Anerkennung. Die ich auch bekam, von den Professor:innen und vereinzelt von Studierenden. Semester für Semester grub ich mich tiefer in diese Organisation, belegte „nebenbei“ noch andere Sitze in weiteren hochschulpolitischen Gremien und fand schlussendlich nur durch die psychologische Beratung und die unerträgliche Migräne das Ende. Ich hatte mich fast in den Burnout gearbeitet. Schon im ersten Semester trat ich zu jeder Klausur mit Migräne und Erkältung an. Es gab ja keinen zweiten Prüfungstermin. Das erste Semester endete für mich in der Notaufnahme: eine verschleppte Grippe, 40 Grad Fieber und am Ende meiner Kräfte. Ich war als Folge dessen drei Monate krank! Daraus hätte ich eigentlich lernen sollen. Im zweiten Semester schrieb ich die Soziologie-Klausur mit einer Sehnenscheidenentzündung in der linken Hand. Die Heilung dauerte dementsprechend auch länger. Ich versuchte Studium, Führerschein, drei Ehrenämter, von denen eines der Vorsitz des Fachschaftsrates war, Semester für Semester unter einen Hut zu kriegen. Ich war engagiert, ich wollte etwas verändern und stieß immer wieder gegen meine Grenzen und die Ecken von anderen.

Als am Ende des Jahres 2019 plötzlich seltsame Symptome wie kribbelnde Füße und Doppelbilder begannen, ignorierte ich alle Warnsignale meines Körpers und fand meinen Zusammenbruch im März 2020, als ich mit einem Migräne-Status im Krankenhaus landete. Es folgten monatelange Untersuchungen an verschiedenen Stellen. Im März gab ich, als ich aus dem Krankenhaus kam, alle meine Ehrenämter auf.


Außerdem brach ich den Führerschein ab, obwohl ich die Theorie bereits fehlerfrei bestanden hatte. Ich konnte einfach nicht mehr, ich war am Ende. Bombardiert von Verdachtsdiagnosen und der Hilflosigkeit, dass mir scheinbar niemand helfen konnte, war ich psychisch in einem großen schwarzen Loch angekommen.


Im März verstand ich zumindest, dass ich in einen MÜK geraten war. Doch ebenfalls im März startete das neue Semester, mit neuen Herausforderungen, wie dem Medienprojekt. Und wie konnte es das Workaholic-Ich nicht lassen, mit mir als Projektleitung. Die Zeit verflog, das Projekt raubte uns Studierenden, wegen der Corona-Krise, den letzten Nerv. Am Ende des Semesters sollte dann noch eine Präsenz-Klausur „Recht“ stattfinden. Ich erzählte der Dozentin am Tag vor der Klausur von meinem Migräne-Problem. Sie reagierte überraschend gut, setzte mich an die Tür, damit ich bei Übelkeit den Raum, ohne Aufsehen zu erregen, verlassen konnte.

So ging ich mit gutem Gefühl in die Klausur. Ich hatte Kopfschmerzen, aber ich wollte es ja unbedingt schaffen. Ich war sehr gut vorbereitet. Mein Notenspiegel von 1,85 sprach für mich. Ich war eine ausgezeichnete Lernerin. Erst später verstand ich, dass das Teil meines Hochleistungsgehirns ist. Lernen fällt mir einfach immer leicht. Und so schrieb ich in der ersten halben Stunde alles in Lichtgeschwindigkeit runter, was ich wusste. Und wunderte mich, dass die Klausur so schnell fertig war. Doch als ich mein gesamtes Wissen auf dem Papier entleert hatte, setzte eine Migräne-Aura ein. Ich sah sehr schlecht. Ich wollte aufstehen, doch ich spürte meine Beine nicht mehr. Langsam breitete sich Panik in mir aus. Was ist, wenn ich jetzt einfach umkippe? Wen soll ich fragen, sagen, dass es mir schlecht geht? Und so hing ich die Restzeit in dem Prüfungsraum, wie ein Schluck Wasser in der Kurve und fasste einen Entschluss: Ich will nie wieder krank in eine Klausur

gehen. Ich möchte einen zweiten Prüfungstermin, damit der Druck, mit Migräne oder Unwohlsein, in eine Klausur zu müssen, sinkt.


Am Ende des Semesters waren alle meine Energiereserven leer. So leer, dass ich mich an das Studierendenwerk wendete und um Beratung bat. Die Behindertenberaterin sagte mir, ich könne für die anstehenden Prüfungen einen Antrag auf Nachteilsausgleich stellen. Ich bräuchte nur ein Attest meines Facharztes und das entsprechende Formular, wo ich reinschreiben könne, was ich bräuchte. Ich brauchte dringend einen zweiten Prüfungstermin! Damit ich bei zu starken Kopfschmerzen ausweichen konnte. Ich beantragte aber auch für Gruppenarbeiten mehr Zeit. Es dauerte nur wenige Tage und mein Antrag kam als „abgelehnt“ zurück. Zudem begann ein unheimlich unangenehmer Krieg mit der Prüfungskommission. Man glaubte mir auf Grund meiner guten Noten nicht, dass ich so schwerkrank sei. Am Telefon brüllte man mich an. Lange E-Mail-Verläufe bis spät abends zermürbten meinen Kopf. Ich möchte im Detail nicht ausführen, was alles vorgefallen ist. Jedenfalls habe ich mich nach dieser ganzen Reise an oberster Stelle (beim Präsidenten der Hochschule) beschwert, damit andere Studierende da nicht auch noch durchmüssen und gewisse Dozent:innen im Umgang mit Behinderten sensibilisiert werden.


Die Symptome, die ich hatte, nahmen zu. Ich war am Ende. Die Hochschule wollte mich nicht unterstützen. Ein Kompromiss war nicht möglich. Ich hatte keine Kraft mehr, für mein Recht zu kämpfen. Und als ich im Herbst aus der Schmerzklinik Kiel kam, fasste ich wieder Mut. Während meinem Aufenthalt hatte ich eigentlich den Entschluss gefasst, mein Leben zu ändern und das Studium abzubrechen. Die Fronten waren verhärtet und so beschloss ich, mein Glück an einer dritten Hochschule zu versuchen. Ich schrieb viele Hochschulen an, ob ein Wechsel mit Anrechnung meiner bisherigen Leistungen möglich sei. Eine andere niedersächsische Hochschule war dann diese, wo ich hingehen wollte. Wo man mir versicherte, dass sich die Ereignisse aus der Vergangenheit nicht wiederholen würden.


Ich war überglücklich, als mein Freund einen Job in der neuen Stadt fand und wir Ende des Jahres umzogen. Doch dadurch, dass sich meine Migräne 2020 chronifizierte und die Auren täglich auftraten, war ich auch verunsichert, ob ich das Studium beenden könnte. Ob ich das wirklich schaffen kann. Ich hatte wirklich Pech, dass ich an einen Berater geriet, der mir erstens vom Nachteilsausgleich abriet und dann den Stundenplan so vollpackte, dass ich nach der ersten Woche nicht mehr atmen konnte. Der Berater, der mir damals versicherte, es würde alles gut werden, war krank, also weg. Und ich am Boden zerstört. Ich suchte wieder Hilfe bei der Behindertenbeauftragten, die sich wirklich für mich einsetzte. Neben einem kleinen Diskriminierungszwischenfall, in dem ich vor meiner Gruppe als „wenig belastbar“ dargestellt wurde, war ich noch bereit zu kämpfen. Ich versuchte mit den Dozent:innen eine Lösung zu finden. Aber der einzige Vorschlag war, dass ich alle Gruppenarbeiten alleine bearbeiten sollte, mehr Zeit bekam, aber viel mehr Arbeit hatte, als alle anderen.


Wenn in einer Gruppe jeder 5 Seiten schreibt, hätte ich bei einer Anzahl von 5 Personen, 25 Seiten alleine schreiben müssen. Und da ist dann die Bombe explodiert. So nicht! Nicht mit mir! Ich hatte in den letzten Hochschulen schon so viel erlebt, dass es in dem Moment, wo klar wurde, unter welchen Bedingungen ich studieren sollte, mein Inneres „Nein“ schrie. Nein zur Hochschule. Nein zum Studium. Einfach nein. Die Entscheidung nach 5 langen Jahren das Studium aufzugeben, riss mich für drei Tage in eine depressive Episode, bei der ich sogar bereit war mir jetzt und sofort das Leben zu nehmen. Ich fühlte mich unverstanden, alleine, hilflos. Ich hatte den Kampf gegen drei Hochschulen verloren. Ich erkannte, dass mein durchgeplantes Leben mit Migräne einfach nicht funktionieren kann. Dass ich nicht mehr funktionieren kann. Und dass ich das alles nicht mehr will. Dass ich das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen kann. Dass ich im Labyrinth eingesperrt wurde. Dass man mich in eine Sackgasse laufen ließ, wo nicht mal das Schild „Sackgasse“ dranstand. Doch ich schöpfte neuen Mut und Kraft durch meinen Freund. Zeitweilig entschied ich mich für eine Ausbildung zur Mediengestalterin. Doch leider bekomme ich (Danke! Corona) wegen der Arbeitsmarkt-Krise keinen Ausbildungsplatz. Wenn im nächsten Jahr kein Wunder geschieht, bleibe ich in einem Studium hängen, das ich nicht liebe.


Über die Jahre des Studiums an der zweiten Hochschule lernte ich viel über Mediengestaltung. Das war für mich die Sonnenseite am Studium, der Teil, der mir lag. Aber es reichte letztendlich nicht für einen Abschluss, weil durch die Situation mit der Prüfungskommission und meiner chronischen Migräne alles nicht mehr möglich war.

Ein kleines Licht wird es möglicherweise im Wintersemester geben, da sich die Behindertenbeauftragte der neuen Hochschule tatsächlich sehr für mich eingesetzt hat und die Chancen auf einen fairen Nachteilsausgleich gutstehen! Trotzdem begleitet mich die Angst: „Werde ich es überhaupt bis zum Ende schaffen? Und gibt es womöglich die gleichen Probleme wie bei der letzten Hochschule?“ Wie es für mich weitergeht, könnt ihr auf meinem Blog und auf Instagram verfolgen. Immerhin bin ich nun doch noch Autorin geworden, was ich mir immer gewünscht habe.


Mit chronischer Migräne in Vollzeit zu studieren ist wirklich eine Herausforderung, für die Studierenden als auch die Dozent:innen. Trotzdem ist es wichtig, sich immer weiter zu bilden, voneinander zu lernen und zu zuhören. Es soll Hochschulen geben, die ihre behinderten Studierenden sorgsam unterstützen. Es soll Hochschulen geben, die auf ihren Webseiten offen über das Thema Nachteilsausgleich schreiben und diesen auch umsetzen. Die einfach helfen. Deshalb kann ich jedem:r Studierenden mit Einschränkungen nur empfehlen, sich zu informieren, Beratungsstellen aufzusuchen, sich über Nachteilsausgleiche zu informieren und für seine Rechte zu kämpfen. Vielleicht hätte ich eine bessere Chance gehabt, wenn ich von Anfang an die Karten auf den Tisch gelegt hätte und nicht versucht hätte, alles trotz Migräne zu schaffen. Erfahrungen sind nun mal Erfahrungen. Und Migräne ist nun mal Migräne. Individuell wie wir selbst. Wir sollten unsere Migräne nicht verstecken, wie andere Menschen ihre Pickel! Auch wenn die Erkrankung unsichtbar ist, wir können sie sichtbar machen, wenn wir darüber reden. Wenn wir für die Anerkennung kämpfen.


Und wenn es doch nicht das Studium ist, dann quäle Dich nicht unnötig lange dadurch und sei offen für andere Wege. Für jede:n wird es eine individuelle Lösung geben, auch wenn wir uns diese erst erarbeiten müssen. Du schaffst das!


Meine Tipps Frühzeitig informieren zu den Themen: Härtefallantrag und Nachteilsausgleich Hilfe holen: Beratungsstellen, Behindertenbeauftragte Diskriminierung melden! Um auch andere zu schützen. Wo Du Dir Hilfe holen kannst und welche Angebote es gibt, erkläre ich Dir im Extra-Teil. Anna Wichelmann ist 25 Jahre alt, Bloggerin und Buchautorin. Sie hat seit sieben Jahren Migräne.

Menschen mit Migräne sind Kämpfer

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