Читать книгу Menschen mit Migräne sind Kämpfer - Anna Wichelmann - Страница 36

Mit Migräne in die Notaufnahme - Regina Sophia

Оглавление

Notruf: 112. Es pocht. Der Kopf kurz vorm Explodieren. Ein Ziehen bis in den Kiefer. Das Auge kurz vorm Herausfallen. Jedes Licht und jedes Geräusch zu viel. Übelkeit. Erbrechen. Schlafentzug. Kreislaufprobleme. Stärkste Schmerzen. Medikamente wirkungslos: Aushalten? – Keine Option!


Die Kräfte schwinden von Minute zu Minute. Verzweiflung und Hilflosigkeit machen sich breit. Doch was soll man nur in so einer Situation tun? Kann man denn überhaupt etwas machen? – JA!!

Solch ein Szenario spielt sich sehr regelmäßig bei mir zu Hause ab, denn ich habe eine schwere und therapieresistente Form der chronischen Migräne. Eigentlich habe ich ein ganzes Ärzteteam um mich, zu denen ich auch jederzeit notfallmäßig für Infusionen etc. kommen kann. Und gleichzeitig gibt es Momente, in denen sie mir nicht mehr weiter helfen können. Ambulant hat man eben die ein oder andere Einschränkung, da eine Überwachung der Kreislauffunktionen (Puls, Blutdruck, Sauerstoffsättigung) nicht ausreichend möglich ist. Jedoch können vor allem stärkere Schmerzmittel wie Opiate oder Schmerzmittelkombinationen diese beeinflussen. Manchmal ist es auch so, dass ich es gar nicht bis in die Praxis schaffen würde, da die oben genannten Symptome mir das Sitzen und Gehen unmöglich machen.


Meistens hilft es dann nur noch, den Notruf abzusetzen und auf die erlösende Hilfe zu warten, die in Bayern innerhalb von 12 Minuten vor Ort sein sollte! Meiner Erfahrung nach war der Rettungswagen bei mir bereits jedes Mal nach 2 bis 10 Minuten. Oft höre ich schon das Martinshorn von weitem und sehe das Blaulicht immer kräftiger durch meinen Vorhang scheinen. Kaum in meinem Zimmer angekommen, legt der Notarzt auch schon die ersten Infusionen und die Notfallsanitäter messen mich einmal durch.


In diesem Moment macht sich bei mir bereits eine gewisse Erleichterung breit, denn ich weiß, jetzt wird es gleich ein wenig aushaltbarer. Im Liegen und mit Blaulicht geht es dann in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses und ein Anästhesist, Neurologe oder Neurochirurg mit Pflegekraft empfangen mich. In der Notaufnahme ist es meist die ersten paar Minuten etwas hektisch, wobei ich die Hauptrolle bin und auf mein Wort gehört wird. Ich werde, ohne warten zu müssen, in einen Behandlungsraum gebracht, verkabelt und noch einmal durchgemessen (EKG, Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Temperatur, Covid Abstrich). Blut wird abgenommen und die bereits leeren Infusionen werden durch neue und teilweise noch stärkere ausgetauscht. In der Regel werden ebenfalls ein paar neurologische Tests im Liegen gemacht, soweit ich dazu überhaupt in der Lage bin. Vor allem das Pflegepersonal kümmert sich neben den medizinischen Aspekten auch, mir eine möglichst reizarme Umgebung zu bereiten: Großes Licht aus, kleines Licht an, Bildschirme aus, Alarme lautlos, Kühlpack, warme Decke, Nierenschale etc. Bisher hatte ich in der Notaufnahme immer ein Einzelzimmer, sodass es auch möglichst ruhig war. Und so legt sich auch schon der große Ansturm wieder. Die Medikamente wirken langsam und ich komme etwas zur Ruhe.


In der Regel dauert es nicht lange, bis mir Bescheid gesagt wird, auf welche Station ich komme. Meistens ist es die IMC (Intensivstation ohne Beatmung) oder die Akutneurologie. Ich lag jedoch auch schon wegen Migräne auf der Intensivstation. Der anschließende Krankenhausaufenthalt dauert im Schnitt zwischen 3 und 7 Tagen, je nachdem auf welche Station man aufgenommen wird und ob noch weitere Untersuchungen gemacht werden (EEG, Schädel-MRT). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass oft gerade in den ersten Tagen versucht wird, ein Einzelzimmer aufzutreiben oder ein Zimmer, in der ein Patient mit ähnlichen Symptomen und Bedürfnissen, z.B. nach Ruhe, liegt. Da der Weg zur Station (im Bett liegend) trotzdem oftmals anstrengend ist, bekomme ich in der Regel auf dem Zimmer angekommen gleich noch einmal etwas zur Schmerzlinderung, einen frischen Kühlpack und was ich sonst noch brauche. Ich darf jederzeit klingeln und mir wird geholfen!

Erkenntnisse: gute und schlechte Erfahrungen

Ja, es gab sie und wird es bestimmt auch in Zukunft noch einige Male geben – die schlechten Erfahrungen. Ich denke, dass solche die meisten von euch kennen: Schmerzen werden nicht ernst genommen, man bekommt nur Schmerzmittel, die nicht helfen, man wird im Moment größter Hilflosigkeit alleine gelassen. Glaubt mir, auch mir fällt es alles andere als leicht in ein Krankenhaus zu gehen, denn aufgrund solcher schlechten Erfahrungen habe ich eine PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) entwickelt. Und gleichzeitig bin ich jedes Mal unglaublich dankbar, wenn ich gegangen bin und mir geholfen wird.


Ich habe sogar die schlechtesten und besten Erfahrungen in ein- und derselben Klinik gemacht! Ich hatte einfach andere Ärzte und andere Krankenpfleger, die für mich und meine Situation in dem Moment mehr Verständnis und Empathie hatten. Nach all den unzähligen Krankenhausaufenthalten kann ich auch mit reinem Gewissen sagen: Es gibt definitiv mehr Leute im Krankenhaus, die euch helfen wollen als solche, die euch nicht verstehen. Deshalb hoffe ich, dass auch ihr das ein oder andere Mal einen Mutausbruch habt und euch helfen lasst – zur Not in der Notaufnahme. Solche Schmerzen auszuhalten, ist auf Dauer einfach keine Option!

Regina Sophia studiert Heilpädagogik. Sie ist 21 Jahre alt und hat seit 14 Jahren Migräne.


Menschen mit Migräne sind Kämpfer

Подняться наверх