Читать книгу Die Friedensformel - Annabelle Laprell - Страница 10

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Die Zeit mit Draven verging wie im Flug. Als habe eine höhere Macht beschlossen, den Zeiger einer Taschenuhr immer schneller und schneller zu drehen.

Die Nachricht, dass Draven und ich ein Paar waren, hatte sich in unserer Schule schneller herumgesprochen als die Schwangerschaft von Stephany Prinston. Mein Vater war in der ersten Woche ganz aus dem Häuschen gewesen.

»Leider kann ich ihn jetzt nicht mehr heiraten, aber ich freue mich für dich, Schätzchen«, hatte er gesagt, um mir damit in seiner komplizierten Weise seinen offiziellen Segen zu geben.

Amy war sehr süß und gratulierte uns beiden jeden Tag, weil sie der Meinung war, dass jeder Tag ein neues Jubiläum sei. Natürlich hatte sie recht. Eigentlich war das ganze Leben ein Jubiläum.

Selbst Ella hatte mir ihre Glückwünsche ausgesprochen. Nach dem Vorfall im »Lights and Lollis« hatte sie die Schule ein Tage Wochen gemieden, doch mittlerweile kam sie wieder regelmäßig zum Unterricht. Sie war freundlicher zu mir als je zuvor. Manchmal setzte sie sich in der Mensa sogar zu uns.

Es hätte nicht besser für mich laufen können. Die Zeit verging so schnell, dass ich mich kaum noch an das gemeinsame Schulprojekt mit Amy erinnern konnte: Am Tag der offenen Tür unserer Schule hatten wir einen phänomenalen Stand gehabt. Es war uns ziemlich erfolgreich gelungen, über den Hunger in der Welt aufzuklären, aber was ich bei der Aktion genau gesagt hatte und was die anderen Menschen geantwortet hatten, das wusste ich schon nicht mehr.

Dafür konnte ich mich noch genau an das Essen bei Draven und den darauffolgenden Besuch im Rosengarten erinnern.


»Du kannst nichts für das Verhalten deiner Mutter«, beruhigte ich Draven und nahm beschwichtigend seine Hand. Er schlug mit der Faust gegen die Hauswand.

»Ich habe Mom extra gesagt, dass sie sich zusammenreißen soll. Ich kann ihr Verhalten nicht einmal entschuldigen. Sie ist keine Alkoholikerin, sie ist nicht mit ihrem Job überlastet. Sie ist einfach …« Ein trauriger Gesichtsausdruck huschte über sein sonst so glückliches Gesicht, während er nach den richtigen Worten suchte. »Einfach ein schlechter Mensch.«

Natürlich konnte ich verstehen, dass sich Draven für das Abendessen schämte. Seine Mutter Ashley war ohne Grund sehr unfreundlich zu mir gewesen, während Dravens Vater nur peinlich berührt dagesessen hatte. Kurz entschlossen waren wir aus dem Haus geflüchtet.

Ich nahm Draven fest in den Arm. Viele andere hätten jetzt vielleicht etwas geantwortet wie: »Das ist sie nicht.« Oder: »Sie ist doch deine Mutter, Draven.« Doch ich konnte Draven verstehen.

»Lass uns hier weggehen«, flüsterte er in meine Haare. »Irgendwohin, wo wir allein sind.«

»Und wohin?«, fragte ich, als er mich zu meinem Cabrio zog.

»Das ist eine Überraschung.« Draven gab mir einen Kuss auf die Stirn und ich atmete hörbar aus.

Meine Haut kribbelte, als ob er mich verzaubert hätte. Vielleicht hatte er das ja auch.

Ich stieg auf der Beifahrerseite ein und genoss den Wind, als Draven das Dach öffnete. Entspannt ließ ich mich in den Sitz sinken, während Draven uns zu dem Ort fuhr, der ihm vorschwebte. Vielleicht fuhr er uns zum Meer. Das dauerte nicht einmal lange, aber keiner von uns hatte Badesachen dabei. Schwimmen könnten wir dort nicht, aber vielleicht wollte er sich auch nur am Strand entspannen.

Da er kein eigenes Auto besaß und dazu nicht häufig fuhr, war seine Fahrweise … nun ja … interessant. Trotzdem fühlte ich mich in Dravens Gegenwart immer sehr geborgen. Ich wusste, dass mir nichts passieren würde; dass uns nichts passieren würde. In gewisser Weise fand ich es bewundernswert, dass sich Draven sein Auto selbst finanzieren wollte. Er war niemand, der sich auf dem Wohlstand seiner Eltern ausruhte.

Draven fuhr ungefähr eine halbe Stunde, als die dicht bebauten Straßenränder auf einmal etwas ausgedünnt wurden und wir in eine ländlichere Gegend kamen. Die Palmen, die hier wuchsen, waren nicht in perfekten, regelmäßigen Reihen für Touristen angepflanzt worden. Es musste sich also um einen Ort handeln, der nicht in jedem Reiseführer stand.

Abrupt bremste er und ich wurde nach vorne geschleudert. Er zog die Handbremse an und kam in Lichtgeschwindigkeit an meine Seite, um mir die Hand zu reichen.

»Darf ich bitten?«, fragte er mit ernster Stimme wie ein Butler.

Auf das Spiel ließ ich mich gern ein. »Ich kann dich nicht ernst nehmen, James!«, schimpfte ich, als ich mir aus dem Auto helfen ließ.

Draven führte mich in einen botanischen Garten, in dem vereinzelte Leute umherliefen. Insekten schwirrten durch die Luft und die Blumen schienen alle Farben des Regenbogens in sich versammelt zu haben. Einige große Bäume machten den Eindruck, als stünden sie hier bereits seit hunderten von Jahren. Was sie wohl schon alles erlebt hatten?

»Es ist wunderschön hier«, musste ich zugeben und fasste Dravens Hand noch fester.

Viel entspannter als eben noch, blickte er mich an.

Händchenhaltend machten wir einen langen Spaziergang und folgten dabei den Kieswegen, die sich an den Beeten vorbeischlängelten. Als wir bei einem Zitronenbaum stehen blieben, weil Draven unbedingt ein Selfie machen wollte, erschrak ich sehr, als ein Vogel nur ein paar Zentimeter über unseren Köpfen vorbeiflog.

»Bestes Foto überhaupt«, entschied Draven und zeigte mir das Foto, auf dem mein Gesicht zu einer ängstlichen Grimasse verzogen war. Wir kamen an einem Baum vorbei, der mit einem großen Sicherheitsabstand eingezäunt war.

»Das da drüben ist übrigens der giftige Manchinelbaum. Seine Früchte sind tödlich und selbst das Berühren der Rinde kann zu starken Hautirritationen führen«, gab ich mit meinem Wissen an.

Draven stöhnte auf. »Habe ich etwa die Führung mit Tourguide gebucht?«

Doch in seinen Worten konnte ich Belustigung ausmachen. Während wir an unzähligen Reihen Zitrusfruchtbäumen vorbeigingen, wurde es langsam dunkel.

»Ich liebe es, wenn abends die Sterne am Himmel strahlen«, platzte es plötzlich aus mir heraus.

Draven sah mich grinsend an. »Hast du gerade etwas Romantisches gesagt?«

Ich musste zurückgrinsen. Ich musste einfach.

»Vielleicht«, gab ich zu.

Schon von weitem sah ich, dass sich etwas an dem Gelände veränderte. Vor unseren Augen erstreckte sich ein atemberaubender Rosengarten, der von wunderschönen rankenbewachsenen Toren eingezäunt wurde.

»Ich liebe diesen Teil des botanischen Gartens«, flüsterte Draven.

Kurz bevor wir den schmalen Durchgang erreicht hatten, hob mich Draven schwungvoll hoch und trug mich hindurch. Auf der anderen Seite angekommen, stellte er mich sanft ab. »Fühlst du dich jetzt wie Dornröschen?«

»Nein, ich fühle mich wie bei einem Wettlauf, bei dem man seine Freundin tragen muss. Wetten, ich könnte dich auch tragen?«

»Kannst du nicht«, entgegnete er. »Sei nicht traurig, Valery, aber das könnte nicht einmal Spaghetti.«

»Wetten, doch?« Er staunte nicht schlecht, als ich meine Arme um seine Hüfte legte und ihn ein paar Zentimeter hochhob. Dann ließ ich ihn runterplumpsen.

»Fühlst du dich jetzt wie Dornröschen?«, wollte ich wissen.

»Ich fühle mich entmannt und wie ein Zementsack, den man auf den Boden geworfen hat.«

Ich musste lachen. Das war einfach ein zu schöner Vergleich. Wir gingen durch den Garten, während wir uns neugierig die einzelnen Blumen anschauten.

Eine alte Dame mit lustigen Löckchen und Kopfhörern, aus denen laute Musik tönte, öffnete ein kleines Köfferchen und nahm ein Tütchen heraus. »Blumensamen« stand darauf. Was für eine ungenaue Bezeichnung! Wer ging denn bitte in einen botanischen Garten, um dort ungefragt Blumen zu pflanzen? Wie selbstverständlich riss sie das Tütchen auf und drückte ein paar Samen in die Erde. Dann ging sie einfach weg, während ich ihr neugierig hinterherschaute.

Als wir an einer weißen Rose vorbeikamen, äffte Draven eine hohe, quietschende Stimme nach: »O nein! Der Gärtner hat weiße, anstatt rote Rosen gepflanzt. Malt sie an!«

Ich kicherte und versuchte mich zu erinnern, woher ich diese Worte kannte.

»Alice im Wunderland«, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. Er setzte sich auf die Wiese, die sich vor dem Beet ausbreitete. »Ich war früher oft mit Sarah hier. Manchmal habe ich ihr dann aus dem Buch vorgelesen«, plapperte er drauf los.

Ich ließ mich neben Draven nieder. »Du musst deine Schwester sehr lieben.«

Draven nickte und ich legte meinen Kopf in seinen Schoß.

»Ich dachte eigentlich immer, dass ich niemanden so sehr lieben könnte wie Sarah. Doch dann bist du in mein Leben getreten.« Mit einem liebevollen Lächeln fügte er hinzu: »Oder hineingeschwommen, wie man es nimmt. Ich muss zugeben, dass ich dich vor den Landesmeisterschaften nie wirklich wahrgenommen habe. Ich dachte immer, dass du so eine oberflächliche Schönheit wärst, die jede Woche mit einem anderen Footballer geht.«

»Na, vielen Dank«, erwiderte ich. »Ehrlich gesagt, warst du mir auch nicht besonders sympathisch, als ich dich im Schwimmbad kennengelernt habe. Ich mochte deinen Nachnamen nicht.«

Draven legte sich ebenfalls hin. »Was hast du gegen meinen Nachnamen? Der ist doch fantastisch!«

»Na ja«, kicherte ich. »Er ist so gewöhnlich und langweilig, da bin ich automatisch davon ausgegangen, dass du es auch bist. Wenn ich im Wettkampf-Modus bin, rede ich mir viel ein, um mich besser zu fühlen. Aber zugegeben: Draven ist schon ein ganz cooler Name.«

»Danke«, meinte er und griff nach meiner Hand, um mir einen Kuss auf die Finger zu drücken. »Warum riechst du denn so gut?«

»Das muss an Jack Sparrow liegen«, überlegte ich. »Sarah hat ihn mir heute auf den Kopf gesetzt. Irgendwie hatte der einen erstaunlich angenehmen Geruch.«

Draven nickte. »Das muss es sein«, stimmte er zu. »Sie badet den armen Vogel, wenn wir Besuch bekommen.«

»Sie ist eine gute Vogelmommy. Du kannst stolz auf deine kleine Schwester sein.«

»Ich bin stolz. Sehr stolz sogar. Dass sie in einer solch gestörten Familie so cool und selbstbewusst geworden ist, finde ich wirklich erstaunlich. Hoffen wir mal, dass das so bleibt.«

»Stimmt, solche Mädchen braucht die Welt«, meinte ich.

»Ja«, hauchte er. »Du bist schließlich auch so ein Mädchen.«

Das war wahrscheinlich eines der nettesten Komplimente, das ich jemals bekommen hatte. Vor Glückseligkeit schloss ich die Augen.

»Ich habe eine Sternschnuppe gesehen«, rief er begeistert.

Sofort riss ich die Augen wieder auf. »Ehrlich? In welcher Richtung?«

Draven deutete in den Himmel, aber natürlich war es zu spät.

»Willst du wissen, was ich mir gewünscht habe?«

»Du denkst, dieser Aberglaube ist echt?«, fragte ich belustigt.

»Ich habe mir gewünscht, dass du mich jetzt küsst.«

Lachend wies ich ihn zurecht: »Also erstens darf man den Wunsch, soweit ich weiß, nicht verraten, wenn man wirklich will, dass er in Erfüllung geht. Und zweitens: Wieso wünschst du dir nicht etwas Krasseres? So etwas wie Weltfrieden, oder dass wir für immer gesund bleiben. Oder dass Jack Sparrow deiner Mutter noch mal auf den Kopf kackt.«

Mit meinen letzten Worten setzte ich mich wieder auf und schaute Draven neckisch an.

Er bekam einen Lachanfall, doch dann betrachtete er mich ernst.

»Aber ich wünsche mir gerade wirklich nur, dass du mich küsst«, raunte er.

Mit einem kindischen Geräusch streckte ich ihm die Zunge heraus. »Wunsch verraten, Wunsch vertan.«

Draven zog mich sanft zu sich herunter und unsere Gesichter näherten sich immer mehr, bis ich mich selbst in seinen Augen spiegelte. Dann küssten wir uns und ich vergaß die wunderschöne Umgebung.

Selbst die unschönen Worte, die mir seine Mutter heute an den Kopf geschleudert hatte, gehörten der Vergangenheit an. Überhaupt waren nur noch die Gefühle zwischen uns wichtig und ich vergrub meine Hände zufrieden in Dravens Haaren. Schließlich legte ich mich auf ihn, weil er das wohl beste Sofa der Welt war. Groß genug war er ja. Zuerst küssten wir uns vorsichtig, doch dann zog Draven mich fester an sich. Dabei gab er sich sehr viel Mühe, meine Haare durcheinander zu wirbeln. Seine Lippen waren weich, aber fordernd. Ich fühlte mich von Glück durchflutet und war einfach nur froh darüber, dass es ihn gab. Es fühlte sich so gut an, dass ich Draven für diesen Wunsch dankbar war. Dieser Kuss war durchaus eine Sternschnuppe wert.


Allzu lange waren wir an diesem Abend nicht mehr geblieben, da ich George keine Sorgen bereiten wollte. Unter der Woche ging ich normalerweise nicht so lange aus.

Doch der Rosengarten würde immer unser liebster Ort bleiben. Wir fuhren in den nächsten Wochen oft dorthin. Einmal sogar mit Sarah, wobei es schwer gewesen war sie zu überzeugen, dass Jack Sparrow besser zuhause blieb.

Ich versuchte, mit Amy genauso viel Zeit zu verbringen wie früher, doch uns beiden war klar, dass ich unsere Freundschaft vernachlässigte. Die Zeit verging und immer wieder erzählte sie mir von der Geschichte, die sich Anfang Mai zugetragen hatte: Der Postbote Paul hatte bei ihr geklingelt und sie gefragt, ob sie eine Sendung für ihre Nachbarn annehmen könne. Daraufhin hatte er ihr ein riesiges Paket gegeben, das sie ein Stück getragen hatte, um es dann neben der Tür abzustellen.

»Du bist aber ein starkes Mädchen«, war die Bemerkung des Postboten gewesen. »Das mag ich.«

Amy war rot angelaufen wie eine Tomate und hatte mich sofort angerufen, nachdem sie die Tür geschlossen hatte und ließ kein Detail aus.

Die Friedensformel

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