Читать книгу Die Friedensformel - Annabelle Laprell - Страница 6

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Gedemütigt, wie ich war, machte ich mich für den Tag zurecht. Ein bisschen Make-up, Haare kämmen – das musste genügen. Die Enttäuschung von gestern saß mir noch tief in den Knochen. Umso seltsamer war es, dass ich so gut geschlafen hatte. In meinem Traum schwamm ich erneut gegen Dearing und er paddelte dabei nur hilflos im Wasser herum. Er kam keinen Meter voran.

Mit einem Luftkuss verabschiedete ich mich von Spaghetti. Während ich ins Bad ging, merkte ich, wie sich langsam ein Sonnenaufgang der Erleichterung in mir breitmachte. Ich musste mir keine Gedanken mehr machen, ob ich gewann oder nicht. Nun, da die Landesmeisterschaften vorüber waren, konnte ich mein Training ein paar Tage vernachlässigen. Heute gönnte ich mir auch mal wieder ein süßes Frühstück.

Für George und mich bereitete ich Pancakes zu. Obwohl ich definitiv aus der Übung war, schaffte ich es, den Köstlichkeiten eine perfekte runde Form zu geben.

Mein Vater berichtete von seiner Forschung, wodurch wir unweigerlich auf das spannendste wissenschaftliche Ereignis zu sprechen kamen, das kurz bevorstand. Zwischen ein paar Bissen schwärmte George: »Ich freue mich jetzt schon auf den ersten Juni, als wäre es mein Geburtstag!«

»Und ich erst. Vielleicht kann ich dir ja noch rechtzeitig so ein Nerd-Shirt besorgen, damit jeder weiß, was für ein Fanboy du bist. Wie wäre die Aufschrift: I love Alfred Simons more than pancakes?«

»Aber nur, wenn wir im Partnerlook gehen«, erwiderte er mit einem frechen Grinsen.

Auch wenn sein eigener wissenschaftlicher Schwerpunkt die Astrophysik war, interessierte George sich für fast alle Themen, die mit Zahlen erklärbar waren.

Weil ich Amy pünktlich abholen wollte, musste ich jetzt losfahren. Ich gab George einen Kuss auf die Wange und verließ das Haus. Geschwind setzte ich mich in mein Cabrio, das mir mein Vater zu meinem siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte.

Um in die Stadt zu kommen, musste ich eine endlos lange Straße herunterfahren, was ziemlich unspektakulär war. Es war bereits sehr warm und ich genoss die aufsteigende Sonne, als ich in meinem ärmellosen Shirt die Straße runterfuhr. Den Weg zu meiner besten Freundin kannte ich, als wäre es mein eigener Heimweg. Er war mir im Laufe der Jahre einfach in Fleisch und Blut übergegangen. Vor Amys Haus hielt ich an; ihre Mutter winkte mir freundlich aus dem Fenster zu. Mit einem Blick in den Vorgarten bemerkte ich, dass sie neue Blumen angepflanzt hatte.

Ich fühlte mich in der Nähe von Jeanette immer sehr wohl. Vielleicht lag es daran, dass ich keinen Kontakt zu meiner eigenen Mutter hatte. Vielleicht aber auch an ihrem überaus guten Geschmack für Mode. Nicht selten hatte sie mir ein Kleid auf den Körper geschneidert, was nicht nur sensationell gut gepasst, sondern auch so ausgesehen hatte.

Amy knallte die Tür laut hinter sich zu. Wahrscheinlich hatten sie wieder eine Streiterei gehabt.

»Guten Morgen!«, rief sie winkend.

Noch während sie diese Worte sagte, schien sie die Auseinandersetzung mit ihrer Mutter hinter sich zu lassen und ihre Augen begannen zu strahlen. Ich allein konnte wohl nicht der Grund dafür sein, zumal ihre Wangen unnatürlich gerötet waren.

»Lass mich mal raten. Bist du heute etwa einem überaus attraktiven Postboten begegnet?«, fragte ich, von Amys guter Laune angesteckt.

Amy nickte zufrieden. Sie schien sehr in Gedanken versunken, denn sie brauchte drei Versuche, um sich anzuschnallen.

Mit einem Lächeln ließ ich die Kupplung kommen.

»Gut kombiniert«, fügte sie reichlich spät hinzu. »Ich habe mich mit meiner Mutter gestritten, wer die Tür öffnen darf.«

Ich zog meine rechte Augenbraue hoch.

»Wieso das denn?«, erkundigte ich mich. »Ist deine Mutter beim Frühstück nicht immer so in ihre Design-Servietten vertieft, dass sie das Klingeln überhaupt nicht wahrnimmt?«

Amy zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja auch nicht.«

Wir schwiegen eine Weile und ich betrachtete sie kurz von der Seite. Amy hasste es, wenn ich das tat, während ich Auto fuhr. Sie öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, traute sich dann aber doch nicht. Offensichtlich wollte sie wissen, wie ich meine Niederlage verkraftet hatte.

»Es geht mir gut«, sprach ich in die Stille hinein.

»Das freut mich«, antwortete sie. Ich konnte ihr breites Lächeln aus diesen Worten heraushören. Dann legte sie wortlos die Badekappe in meinen Schoß, die ich gestern wütend zurückgelassen hatte.

»Süß war dieser Dearing aber trotzdem«, kicherte Amy.

Krampfhaft umklammerte ich das Lenkrad, bis meine Knöchel eine weiße Färbung bekamen.

»Nenne diesen Namen nicht. Generell, Mäuschen, lässt du dich viel zu leicht von Jungs beeindrucken«, versuchte ich die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.

»Überhaupt nicht«, schimpfte sie und verschränkte beleidigt ihre Arme vor der Brust.

»Überhaupt doch«, stellte ich klar. »Was war denn vor ein paar Monaten mit Sam?«

Amy sagte kein Wort, sondern kniff ihre Augen zusammen.

»Kaktus Nummer sechs«, korrigierte ich mich automatisch.

Sie musste es aussprechen. Nur so konnte ich sie beschützen. Ich hasste es, wenn sie wegen eines gebrochenen Herzes so traurig war.

»Als er die Hände vollbeladen hatte, habe ich ihm die Türe aufgehalten. Er hat sich mit einem süßen Lächeln bedankt. In der Schulkantine habe ich ihn jeden Tag angeschaut, einmal sogar angesprochen. Dann hat er mich »Jamy« genannt. Ich dachte immer, dass er mich angrinst. Doch eigentlich meinte er die Praktikantin, die neuerdings die Limonade in der Kantine verkauft.«

»Richtig«, sagte ich. Als ich nun bemerkte, dass Amy die Geschichte nicht zu Ende erzählte, hakte ich nach. »Was war dann?«

Amy stöhnte auf und rasselte dann herunter: »Zwei Tage später hat er vor meinen Augen ihren Mund abgeschleckt, als gäbe es kein Morgen.« Sie klang verletzt.

Sofort merkte ich, dass ich wieder einmal zu weit gegangen war. Gegenüber Amy war ich einfach zu dominant.

»Es tut mir so leid, Mäuschen. So habe ich es nicht gemeint.« Beruhigend streichelte ich ihr die Schulter. »Aber so etwas musst du dir auch eingestehen.«

»Er ist ein Arsch«, antwortete Amy.

»Nein. Er ist ein Kaktus. Nichts weiter«, flüsterte ich, als wir auf den Schulparkplatz bogen.

Zwei Mini-Donuts aus Amys Spind später, sprachen wir im Spanischunterricht über »los gamines de México«. Als die Lehrerin Amy eine Frage stellte, antwortete diese nur: »Si señora. Hola señora.«

Zugegeben, was Fremdsprachen anging, war Amy nicht das hellste Licht im Hafen. Dafür besaß sie ihre ganz eigenen Qualitäten. Auch wenn sie es nicht gerne zugab, hatte sie das kreative Talent ihrer Mutter geerbt. Das half ihr gerade nur nicht besonders. Amys Verwirrung hatte wohl einen ganz anderen Grund. Höchstwahrscheinlich hatte dieser Grund sogar einen Namen.

Timur.

Timur kam aus Barcelona und würde vier Monate bei uns in Florida bleiben, um seine Englischkenntnisse zu verbessern. Das hatte er mir jedenfalls vor dem Fachraum erzählt. Nun war Amy der Meinung, dass er vielleicht auch die große Liebe in Amerika suchte. Sie verlor ihr Herz einfach viel zu schnell an unwürdige Kakteen.

Die Lehrerin wiederholte ihre Frage. Dieses Mal etwas langsamer. Als sie auch dieses Mal keine richtige Antwort erhielt, meldete sich Timur. Er behauptete, dass er Amy schon verstanden habe und sagte daraufhin vermutlich etwas unglaublich Intelligentes. Jedenfalls glaubte ich das. Denn auch wenn ich keine der Vokabeln kannte, zog die Lehrerin beeindruckt die Augenbrauen nach oben.

Als ich mit Amy in die Pause ging, war sie schon über beide Ohren in Timur verliebt.

»Dieser großartige Akzent! Seine Muskeln und dann noch dieser Teint. Ich kann nicht mehr. Außerdem wäre nicht jeder bereit gewesen, mich aus so einer peinlichen Situation zu retten.«

Genervt rollte ich mit den Augen. »Worüber haben wir eben im Auto gesprochen, Amy? Außerdem bleibt er nur vier Monate. Selbst wenn das was mit euch werden sollte, wärst du untröstlich, sobald er zurück in seine Heimat geht.«

Wir blieben vor unseren Spinden stehen. Amys und meiner befanden sich nebeneinander, obwohl sie uns durch das Losprinzip zugeteilt worden waren.

»Ich werde mich ihm nicht an den Hals werfen, im Sinne von: Hola chico, soll ich deine Austauschromanze sein?«, versicherte Amy mir und schüttelte bei ihren Worten wild mit ihrem Kopf.

In meinem mit Zauberwürfeln bedruckten Rucksack schaute ich nach, welche Bücher ich noch einstecken musste.

Beim Öffnen meines Schließfachs flog mir ein Zettel entgegen. Der konnte auf keinen Fall von mir sein, da ich diesen Stauraum, genau wie mein Zimmer, immer sehr ordentlich hielt. Während Amy versuchte, zwischen den Donut-Packungen, die sich in ihrem Spind stapelten, ein Schulbuch zu finden, inspizierte ich das Blatt Papier näher.

Der Zettel war offensichtlich unachtsam aus einem Block gerissen worden. Desto verwunderlicher war die kleine, ordentliche Handschrift, in der die Botschaft verfasst worden war: »Wollen wir mal zusammen schwimmen gehen? Draven :D«

Auf der Rückseite hatte er seine Handynummer notiert. Ich knüllte den Zettel zusammen und warf ihn, ohne weiter darüber nachzudenken, auf den Boden.

Amy, der die Neugier ins Gesicht geschrieben stand, hob ihn auf, um ihn zu lesen. Sie machte einen Freudentanz und versuchte augenscheinlich, ihre kindlichen Schreie zu unterdrücken.

»Wie cool ist das denn?«, fragte sie und umarmte mich fest.

Als ich nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Draven Dearing, das ist der süße Junge, der dich gestern … Der gestern auch im Schwimmbad war.«

Dieses Mal war ich drauf und dran zu schnauben.

»Erstens ist er nicht süß«, stellte ich fest. Warum wurde mir bei meiner Lüge warm im Bauch? »Zweitens habe ich ihn auf Instagram gecheckt. So ein Langweiler. Postet nur Bilder von sich mit seiner kleinen Schwester, deren Gesicht er auch noch verpixelt.«

Amy schaute mich eine Sekunde lang an, ehe sie laut loslachte. »Natürlich auch auf Snapchat, Twitter und Facebook?«, vermutete sie.

Sprachlos konnte ich nur nicken.

Amy war in ihrer Begeisterung nicht zu bremsen.

Während ich versuchte, sie in die Mensa zu schleifen, redete sie wie wild auf mich ein. Doch Wortgefüge wie »Engelslocken«, »süßes Lächeln« und »durchtrainierter Oberkörper« konnten meine Aufmerksamkeit nicht so gut erregen, wie mein Vater es mit einem Gedankenexperiment konnte.

»Warum willst du denn nicht mit ihm ausgehen?«, fragte mich Amy ganz offen, als ich ihr die Tür zur Mensa aufhalten wollte.

Doch eine andere Hand kam mir zuvor, um die Tür über meine Schulter hinweg aufzudrücken.

»Ja genau, warum willst du denn nicht mit mir ausgehen? Hast du etwa schon einen Freund?« Diese Stimme kannte ich doch!

Kräftig biss ich die Zähne aufeinander und schob Amy durch die Tür. Meine beste Freundin konnte mein Glück kaum fassen. Sie bemühte sich, Schritte zu vermeiden, die mich von Draven Dearing trennten. Indiskret klatschte sie aufgeregt in ihre Hände, während sie mich anlächelte.

Ich nahm mir ein Tablett und reihte mich in die Schlange zu der Essensausgabe ein, obwohl mir gerade der Appetit vergangen war.

Um Draven, der sich hinter mir angestellt hatte, nicht das Gefühl zu geben, dass ich seine Anwesenheit genießen würde, begann ich vor mich hinzumurmeln: »Du hast nur Glück gehabt. Wenn wir noch einmal gegeneinander schwimmen würden, hättest du keine Chance.« Ich legte währenddessen eine Zitronenscheibe neben meinen Fisch. »Das lag nur daran, dass …«

»Ja, woran lag es denn?« Mit einem Blick auf meinen Teller fügte er hinzu: »Du hast übrigens eine beunruhigende Vorliebe für Zitronen.«

Jetzt erst bemerkte ich, dass ich mir schon den halben Teller mit Zitronen beladen hatte. Ich zuckte jedoch nicht mit der Wimper und ging mit hoch erhobenem Kopf an die Kasse. Dort stand das Mädchen, das nun mit Sam zusammen war.

»Geht auf mich«, verkündete Draven hinter mir.

Im Gegensatz zu mir hatte er sich den ganzen Teller mit einem Gemüseauflauf und Salat vollgeschaufelt.

»Das kommt gar nicht infrage«, keifte ich ihn an.

Entschlossen riss ich dem Mädchen den Geldschein, den er ihr gereicht hatte, aus der Hand und schmiss ihn auf sein Tablet. Die Kassiererin sah so erschrocken aus, als hätten sich soeben meine Vampirzähne in ihre Halsschlagader gebohrt. Nachdem ich selbst bezahlt hatte, drehte ich Draven ohne ein weiteres Wort den Rücken zu, um in Richtung eines Esstisches zu marschieren.

»Du bist ja noch saurer als die Zitronen auf deinem Teller!«, rief er mir hinterher.

Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder und begann zu lachen.

»Für den Spruch solltest du einen Preis bekommen.«


»Also, welchen Film wollen wir schauen?«, grübelte ich, als Amy und ich vor den verschiedenen Filmplakaten im »Lights and Lollis« standen.

Dies war ein entzückendes historisches Kino in der Stadt. Im Eingangsbereich gab es stimmungsvolles Licht und das berühmte 1950 er Lied »Lollipop« der Chordettes wurde in Dauerschleife gespielt. Die Theke war mit alten Filmrollen dekoriert, bei denen ich mich schon immer gefragt hatte, zu welchen Filmen sie wohl gehörten.

»Loving Hawaii«, schlug Amy vor, wobei sie begeistert auf das Filmplakat deutete.

»So eine Liebesschnulze?«, stöhnte ich auf. Insgeheim wollte ich den Film auch gerne sehen, das würde ich allerdings nicht zugeben.

»Naja, da ich dich einlade, finde ich, dass du den Film aussuchen solltest«, stimmte ich also diskret zu.

»Dann ist es beschlossene Sache!«

Mit beschwingten Schritten gingen wir zum Schalter und kauften zwei Tickets.

Ich wollte mich schon auf den Weg zu unserem Kinosaal machen, als Amy an meinem Ärmel zupfte, während sie zum Popcornstand hinüber deutete.

»Komm – ich spendiere uns welches.«

Begeistert gab ich ihr ein High-Five. Wir stellten uns an und diskutierten darüber, ob wir eine mittlere oder eine große Tüte kaufen sollten.

»Also ich bin für groß, schließlich dauert der Film fast zwei Stunden.«

»Du musst aber bedenken, dass da immer die obligatorischen Lollis dabei sind«, warf ich ein.

Auf einmal wurden Amys Augen sehr groß und ich folgte ihrem Blick. Am Getränkestand befand sich Timur. Ob er mit einem Mädchen hier war? Erleichtert hörte ich Amy aufatmen, als Timur dem Jungen hinter sich einen Becher reichte.

»Zum Glück ist er mit Jonathan hier!«, freute sie sich. Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange. »Ist Jonathan vielleicht schwul?«

Ich schob Amy ein Stück nach vorne, da wir sonst unseren Platz in der Schlange verlieren würden. Das schien ihr gerade egal zu sein.

»Glaube ich nicht. Jedenfalls sendet er mir regelmäßig oberkörperfreie Fotos.«

»Dann ist ja gut.« Meine Freundin nickte und schaute mich zweifelnd an. »Aber was, wenn er bi ist?«

Diese Spekulation wäre wahrscheinlich noch lange so weitergegangen, wenn der Verkäufer Amy nicht gefragt hätte, was sie haben wolle. Ich wusste nicht, ob es an Timurs Anwesenheit lag, doch sie bestellte nur die Medium-Popcorntüte.

Als sie bezahlte, beugte ich mich vor, um ihr ins Ohr zu flüstern: »So, jetzt gehen wir ganz cool an den Jungs vorbei, als ob wir sie gar nicht gesehen hätten. Das wird Timur bestimmt wahnsinnig machen.«

Sie kicherte und gab mir die Popcorntüte. Während unseres »Walks« zum Kinosaal lachte sie entzückt über einen Witz, den ich gar nicht erzählt hatte.

»Das habe ich echt gerockt.«

»Aber so was von«, stimmte ich zu und ließ mich auf den ozeanblauen Kinosessel neben ihr nieder.

Glücklicherweise war Loving Hawaii schon seit Wochen ein Publikumsmagnet. Deswegen fand die Vorstellung in dem größten Kinosaal vom »Lights and Lollis« statt, der definitiv einen besonderen Charme hatte. Nach einigen Minuten gingen die Kronleuchter aus und der purpurne Vorhang zog sich elegant zur Seite.

»Viel Spaß beim Film«, raunte ich noch.

»Ebenso!«

Ich hatte das Gefühl, dass das ganze Kino verliebt seufzte, als schließlich ein Spanier die Geschichte eroberte. Der schien obendrein auch noch sein T-Shirt verlegt zu haben. Jedenfalls lief er die ganze Zeit oberkörperfrei herum.

Ungefähr nach der Hälfte des Films, leider an einer Stelle, als keiner der Charaktere sprach, flüsterte mir Amy in Bühnenlautstärke zu: »Warum hattest du eigentlich noch keinen Freund?«

Darauf antwortete ich nicht, aber Amy und ich wussten beide, dass es nicht an dem fehlenden Interesse der männlichen Gemeinde lag. Vor mir drehte sich ein Mann, Mitte fünfzig im karierten Hemd, neugierig zu mir um. Als er sah, dass ich ihn bemerkt hatte, wandte er sich schnell wieder in Richtung Leinwand.

Nachdenklich schnappte ich mir meinen Lolli mit Kirschgeschmack und versuchte, beim dritten Heiratsantrag, den der Film zu bieten hatte, nicht laut aufzulachen.


»Was glaubst du denn, Spaghetti?«, fragte ich, als ich wenige Stunden später auf meinem Bett saß und sich meine gelbe Tigerpython langsam um meine Hüften schlängelte. »Warum hatte ich noch nie einen Freund?«

Sie glitt durch meine Hände, während sie mich fragend anschaute. Eigentlich galt, dass man eine Person pro Meter Schlange benötigte, um diese in Schach zu halten. Spaghetti maß stolze drei Meter zwanzig, aber ich besaß sie schon mein Leben lang; sie war zahmer als eine Katze.

»Weißt du auch nicht, hm?«

An meinem Vater lag es nicht. Ich wusste, dass er heimlich davon träumte, Astronomen-Witze vor meinem zukünftigen Freund zu reißen. Man musste auch sagen, dass er gerne mit seinen Teleskopen angab. Wenn ein Versicherungsvertreter oder irgend so ein Staubsaugerverkäufer bei uns klingelte, konnten sie sich stets auf etwas gefasst machen.

Möglicherweise hatte ich einfach unrealistische Erwartungen. Obwohl ich so eine logische, rationale Denkerin war, glaubte ich an die große Liebe. Ein winziges bisschen jedenfalls. Deswegen hatte ich keine Lust auf so einen Sam oder die anderen stacheligen Idioten. Auf einen Draven schon gar nicht!


Weil ich meine Dosis an Sport doch mehr vermisste, als gedacht, machte ich am nächsten Morgen einen kleinen Abstecher ins Schwimmbad, bevor der Unterricht anfing. Außer mir war nur eine Reinigungskraft da, die strickte, statt zu putzen. Ich wusste, dass sie Laura hieß und ich mochte sie sehr. Sie gehörte für mich zum Inventar des Schwimmbads, das vielleicht nicht perfekt war, ich aber innig liebte.

Genau wie der Fleck an der Decke, an dem ich mich stets orientierte, um mir beim Rückenschwimmen nicht den Kopf zu stoßen. Nachdem ich konzentriert meine Bahnen geschwommen war, wollte ich gerade duschen, um mich auf den Weg zur Schule zu machen, als ich bemerkte, dass ich mein Shampoo vergessen hatte.

»Mist.«

»Du fluchst sehr gerne, oder?«, fragte mich eine Stimme, die meine Laune nicht gerade anhob.

Anstatt zu antworten, starrte ich Draven, der anscheinend gerade erst gekommen war, launisch an. Als ich dann noch die Shampooflasche aus seiner Tasche herausragen sah, die mich förmlich auszulachen schien, drehte ich mich einfach um und ging stur geradeaus in Richtung des Duschraums. Doch natürlich wurde ich ihn dadurch nicht los, er folgte mir einfach.

Genervt drehte ich mich zu ihm um.

»Was willst du?«, erkundigte ich mich einigermaßen freundlich. Dann ging mir ein Licht auf. »Außerdem habe ich dich hier noch nie gesehen.«

Er nickte. »Eigentlich trainiere ich in einem anderen Schwimmbad, aber ein Vögelchen hat mir gezwitschert …«, er brach ab, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte.

Ich würde Amy umbringen. Eiskalt. Damit würde ich zu einer von diesen Mörderinnen werden, von denen man es einfach nicht erwartet hätte.

»Warum bist du so sauer auf mich?« Als ich nicht antwortete, fügte er hinzu: »Ich habe schließlich nichts falsch gemacht.« Auf einmal gingen mir die Worte meines Vaters durch den Kopf.

Langsam nickte ich. »Ich schätze, ich bin einfach eine schlechte Verliererin.«

Bei diesem Eingeständnis versuchte ich, ihn nicht anzusehen, sondern meinen Blick auf den Blumentopf mit der Plastikpflanze zu fixieren. Aber ich scheiterte kläglich, denn meine Augen wanderten immer wieder zu seinen Muskeln oder Haaren.

Er lachte auf. »Ehrlich gesagt, ist das richtig süß.«

Als er das sagte, musste er grinsen, wobei mir ganz warm wurde. Dabei stand ich mit nassen Haaren am Beckenrand.

Hörbar schnaubte ich. »Ich dachte, ich bin saurer als die Zitronen auf meinem Teller. Also tschüss jetzt.«

Ich ließ ihn einfach stehen.

»Willst du dir mein Shampoo ausleihen?«, rief er mir hinterher.

Erstaunt blieb ich stehen. Ich hatte das Shampoo doch gar nicht erwähnt.

»Mir ist nicht entgangen, wie du mein Shampoo angestarrt hast. Außerdem habe ich eine kleine Schwester. Ich weiß also, wie ein Mädchen aussieht, das sein Shampoo vergessen hat.«

Bevor ich in die Duschkabine verschwand, drehte ich mich um und rief: »Sexist.«


In der Schule ignorierte ich ihn den ganzen Tag. Obendrein rochen meine Haare unangenehm nach Chlor. Selbst noch am Nachmittag, als ich auf Amys Bett saß und meine Fußnägel lackierte, während sie den Inhalt einer Donut-Packung vernichtete. Warum war ich wieder einmal zu stolz gewesen, seinen Gefallen anzunehmen?

»Dann trägt Timur immer diese super coolen Chucks«, schwärmte Amy. »Die haben sogar einen Riss, aber ihm ist es egal, wie er aussieht. Das finde ich so toll an ihm. Er ist einfach natürlich schön.«

»Ich habe mich schon immer gefragt, was eigentlich die Funktion von den Löchern in Chucks ist«, grübelte ich und schnappte mir ein Kissen, während Amy die Augen verdrehte.

»Lenk nicht schon wieder ab! Lass uns über Jungs reden.«

Zustimmend nickte ich. »Warum nicht?«, begann ich und genoss den erstaunten Gesichtsausruck meiner Freundin. Mit entschlossener Stimme fuhr ich fort: »Während wir mit dem männlichen Geschlecht das X-, aber nicht das Y-Chromosom teilen, leben Männer im Durchschnitt fünf Jahre kürzer als Frauen.«

Amy stöhnte auf. »Ich meinte doch nicht so eine Art von Unterhaltung …«

Ich kicherte. »Dann musst du deine Aufforderung einfach spezifizieren.«

Es war Amy anzusehen, dass ich sie mit meiner Altklugheit nervte, denn sie verzog ihren Mund zu einer Schnute.

Da die Stimmung zu kippen drohte, fragte ich sie: »Was ist jetzt mit Timur?«

Sofort begannen sich ihre Gesichtszüge zu entspannen. Doch sie schwieg. Ich verstand sie einfach nicht.

»Erst willst du über Jungs reden, aber jetzt muss ich dir alles aus der Nase ziehen.« Sie lächelte immer noch bedächtig. »Er hat mich gefragt, ob ich nächste Woche Samstag mit ihm zu einer Party gehen will.«

»Echt jetzt?«, fragte ich überrascht.

»Ja!«, quiekte Amy.

Während ich sie herzlich umarmte, begann die ganze Sache für mich schon verdächtig zu stinken. Das war irgendwie alles sehr schnell gegangen. Schließlich hatten die beiden noch nicht mehr als zwei Sätze miteinander gewechselt. Amy erwiderte glücklich die Umarmung, während ich gedanklich bereits das nächste Liebesdrama auf Amy zukommen sah.

»Was ist denn mit Paul?«, hakte ich nach.

Aus irgendeinem Grund war ich nicht bereit, die Sache mit Paul und Amy beiseite zu schieben. Laut Amys Berichten war er sehr höflich und fragte sie immer, wie ihr Tag war. Ich hatte ihn bereits ein paar Mal auf seinem Postbotenfahrrad gesehen. Der konnte ganz schön strampeln.

Aber kein Wunder: Paul war nur ein paar Jahre älter als Amy – er war die Art junger Mann, die noch nicht genau wusste, was sie nach ihrem Schulabschluss mit ihrem Leben anfangen sollten.

»Was ist denn jetzt mit Draven?«, konterte Amy geschickt.

Ich stöhnte auf. Also war Amy wohl doch nicht entgangen, dass ich Draven in der Schule geflissentlich übersehen hatte. Genau wie er mich.

»Nachdem du ihm verraten hast, in welches Schwimmbad ich gehe, habe ich ihn als Sexisten bezeichnet und bin gegangen.«

Amy schüttelte fassungslos den Kopf. »Alle denken, dass du ein Händchen für Jungs hast. Ich sehe doch, wie deine Augen leuchten, wenn du Draven anschaust. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich Paul anspreche, wenn du deine Gefühle einfach so ignorierst.«

Ich überging ihre Aufforderung und wechselte das Thema: »Was das Y-Chromosom angeht …«

Die Friedensformel

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