Читать книгу Die Friedensformel - Annabelle Laprell - Страница 7

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Meine Müslischüssel balancierend setzte ich mich zu meinem Vater auf die Couch und begann, meine sternenförmigen Cornflakes in mich reinzuschaufeln.

»Na, mein Schatz, wie schmeckt die Milchstraße?«

Ich zog die Stirn kraus. »Den Witz hast du schon tausendmal gemacht, Dad!«

George lachte über sich selbst, während er meine Haare verstrubbelte. »Gute Witze überdauern Jahrhunderte, Schätzchen.«

Er konzentrierte sich wieder auf die Wissenssendung, in der gerade etwas über Affenweibchen berichtet wurde, die alles taten, um den Männchen zu gefallen.

»Das passt ja wie die Faust aufs Auge«, flüsterte ich, während ich mein Frühstück vertilgte.

Anschließend stellte ich meine Schüssel in die Spülmaschine und holte mein Handy hervor. Sofort registrierte ich, dass Amy mir vier Nachrichten geschickt hatte – eine aufgeregter als die andere.

Obwohl es bis zur Party noch eine ganze Woche dauerte, nervte mich Amy jetzt schon mit der Frage, was sie für Timur anziehen sollte. Da sie schließlich befunden hatte, dass sie gar keine Kleidung besaß, was mit einer Designerin als Mutter wohl mehr als unwahrscheinlich war, hatte ich ihr versprochen, mit ihr shoppen zu gehen.

»Mist. Das wird anstrengend.«

»Hast du etwas gesagt?«, riss mich George aus meinen Gedanken.

Vom Schrank nahm ich mir den Autoschlüssel und zog meine Schuhe an. »Nein, Dad. Bis nachher«, verabschiedete ich mich.

Er nickte, dann schloss er mich zum Abschied einen Luftkuss. »Viel Spaß mit Amy. Bis heute Abend.«

Als ich die Tür hinter mir schloss, hörte ich, wie er vor sich hinmurmelte: »Das passt ja wie das Auge aufs Faust?«


Ich zog mit Amy durch die Straßen und musste sie die ganze Zeit von den Läden mit Braut- oder Ballkleidern wegzerren.

»Ist es nicht ironisch, dass du dich in Wirklichkeit genau nach der Kleidung sehnst, die sich deine Mutter für dich wünscht?«, bemerkte ich.

Daraufhin wurde Amy rot und schüttelte energisch den Kopf. Doch ihr anhaltendes Schweigen wusste ich zu deuten. Bevor Amy zum hundertsten Mal etwas von Diamantendcolliers erzählen konnte, schob ich sie in den nächstbesten Laden.

»Hier werden wir auf jeden Fall etwas finden«, behauptete ich. »Hier habe ich meine Jeans gekauft.«

Amys Stimmung wechselte von aufgeregt zu zuversichtlich. »Okay, die sieht echt toll aus. Aber an dir sieht alles gut aus, Valery!«

Ich lächelte. »Tu nicht so, als ob das bei dir anders wäre. Du hast Kurven, von denen ich nur träumen kann. Doch zurück zur Sache: Das Wichtige ist, dass er nicht merkt, dass du dir Mühe gemacht hast.«

Sie bekam einen ihrer berühmten Kicheranfälle. »Umgekehrte Psychologie?«, erkundigte sie sich, als sie schließlich wieder Luft bekam.

»Beinahe«, antwortete ich, während ich ihr anerkennend zunickte, weil sie diesen Begriff gebraucht hatte.

Wir fanden einen grünen Rock mit einer Bluse mit glitzernden Pailletten. Dieses Outfit betonte Amys Figur, ohne unvorteilhaft zu wirken. Sie war hin und weg.

»Aber es fehlt noch das gewisse Etwas …«, murmelte ich vor mich hin.

»Du bist einfach zu kleinkariert«, warf Amy mir vor.

Mit wachsamen Augen blickte ich mich um und fand das perfekte Accessoire. Auch sie stimmte mir zu, dass der dünne grüne Schal exakt denselben Farbton wie der Rock besaß und das Outfit gut ergänzte. Zufrieden mit unserer Ausbeute machten wir uns auf zu Amys Haus.

»Jeanette«, begrüßte ich ihre Mutter.

Sie gab mir links und rechts ein Küsschen auf die Wange. Obwohl ich wusste, dass Amy mich dafür hasste, hatte diese Frau eine faszinierende Wirkung auf mich. Ihre Mutter war ebenfalls begeistert von der Auswahl, die wir zusammengestellt hatten.

»Aber bei deinem Modebewusstsein ‘ätte isch auch nischts anderes erwartet, Valery.« Ich lächelte und bedankte mich.

»Was ist mit meinem Modebewusstsein?«, fragte Amy bitter.

Bevor die Situation in einen Streit eskalieren konnte, zog ich Amy in Richtung ihres Zimmers.

»Komm, wir testen schon einmal einen passenden Lidstrich.«


Meinem Vater hatte ich versprochen, den heutigen Abend mit ihm auf dem Dach zu verbringen. Deswegen musste ich Amys Vorschlag, für einen Filmeabend zu bleiben, ausschlagen.

Doch vorher musste ich unbedingt noch zum Zoogeschäft, um Futter für Spaghetti zu kaufen. Amy weigerte sich stets, ein niedliches Futtertier, auch wenn es bereits tot war, mit mir zu kaufen. Nachdem ich geparkt hatte, ging ich los in Richtung Einkaufsstraße. Flott wählte ich die Nummer von George, damit er nicht ohne mich anfing.

»Hallo, Dad.«

»Ja, mein Schatz?«

»Ich komme später, weil ich noch Futter für Spaghetti brauche.«

Nur Schweigen – sonst nichts.

Schließlich fragte ich mich, ob er noch am Telefon war.

Dann kam doch noch eine Antwort: »Lass dir Zeit, Schätzchen. Vielleicht begegnet dir noch ein weißes Kaninchen.«

Den seltsamen Kommentar überging ich gekonnt. Fast wollte ich schon auflegen, als George mich noch fragte: »Was heißt das jetzt mit dem Auge und der Faust?«

Als ich mein Handy in die Hosentasche steckte, musste ich über meinen Vater kichern und ging Richtung Zooladen. Den Verkäufer kannte ich sehr gut. Als ich den Laden betrat, winkte er mir erfreut zu.

»Hat deine Spaghetti etwa schon wieder Hunger?«, fragte er mit starkem Akzent. Wie viele in der Gegend, war er Kubaner.

Ich lachte auf. »Also, ich könnte ja keine vier Wochen ohne Essen ausharren.«

Der Verkäufer, Jayden, schien kurz zu überlegen. »Ich könnte wohl im Allgemeinen auf eine mittelgroße Ratte zum Lunch verzichten.«

Jayden packte mir das Futtertier ein. Er hatte eklige Fingernägel, aber ich musste den toten Nager ja nicht verspeisen.

Aus der Ecke hörte ich eine Stimme aus der Ecke mit den Vögeln. »Was kannst du denn singen? Bist du eher der Typ Adele oder Billie Eilish?«

Diese Stimme kannte ich. Obwohl ich versuchte, sie zu ignorieren trafen sich unsere Blicke wie zwei voneinander angezogene Magnete. Dagegen konnte ich mich nicht wehren. Draven winkte mir überrascht zu und ich presste ein schlichtes »Hi« hervor.

Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch. »Madame spricht wieder mit mir. Wärst du vielleicht so freundlich, mir zu helfen?«

Unsicher nickte ich.

»Komm her.«

Als ich nicht reagierte, fügte er hinzu: »Ich beiße nicht und ich verspreche, dass ich den Schwimmpokal nicht einfach so aus meiner Jackentasche ziehen werde. Jetzt mach nicht wieder dein Zitronengesicht.«

Über das Wort »Zitronengesicht« musste ich lachen.

»Und falls es dich aufmuntert: Ich bin mittlerweile auch aus dem Wettbewerb ausgeschieden. Stanley Puckson war eine drittel Sekunde schneller als ich.«

Tatsächlich munterte es mich etwas auf. Dankbar dafür, dass er mich etwas aufbauen wollte, ging ich auf Draven zu. Dieser lächelte mich an und ich bemerkte erst jetzt, wie groß er eigentlich war.

»Wobei brauchst du nun meine Hilfe?«, erkundigte ich mich und registrierte, dass meine Stimme ein wenig zitterte.

Das passierte sonst nie. Was war los? Ich räusperte mich.

»Wow, es geht anscheinend auch freundlich.«

»Das ist meine Zuckerwattenstimme«, antwortete ich todernst.

Auf einmal wich Dravens Gelassenheit. Stattdessen strich er sich nervös durch die Haare.

»Was ist los?«, fragte ich sanfter als beabsichtigt, und blickte Draven an, der so unwirklich vor den Wellensittichen wirkte.

Schließlich schien er sich wieder geordnet zu haben, denn er flüsterte mit fester Stimme: »Meine kleine Schwester Sarah wird morgen sieben. Mein Vater ist beruflich in Shanghai und es scheint ihn auch gar nicht zu interessieren. Als ich meine Mutter eben gefragt habe, was sie für morgen geplant hat, sagte sie nur, dass sie golfen geht. Aber Sarah wollte doch unbedingt nach Disney World.«

Aufgebraucht kramte er in seiner Hosentasche, bis er schließlich ein kleines Fläschchen hervorzog. Sein Nasenspray, wie ich bemerkte.

»Immer hat meine Mutter behauptet, sie hätte alles schon seit Monaten gebucht. Aber ich hätte mir ja denken können, dass auf sie kein Verlass ist.« Ein Hub ins linke Nasenloch, dann einer ins rechte. »Auf jeden Fall habe ich schon ein Geschenk für sie. Sarah mochte so gern Alice im Wunderland. Das zweite Buch kennt sie noch gar nicht.«

Trotz der emotionalen Situation musste ich zwischen den Zähnen hervorpressen: »Alice hinter den Spiegeln.«

»Ja, genau. Aber meine Mutter hatte nie Lust, sie zur Buchhandlung zu fahren. Deswegen habe ich ihr das jetzt gekauft. Da es jedoch nicht so aussieht, als ob meine Mutter wenigstens einen Plan B hat, will ich … ich versuche ...«

»Du versuchst, mit einem Wellensittich den Fehler deiner Eltern auszubügeln?«, fragte ich.

Er nickte entschlossen.

Obwohl Draven mir leidtat, fügte ich entschlossen hinzu: »Ich habe selbst ein Haustier. Meiner Meinung nach sollte sich deine Schwester den Vogel selbst aussuchen, wenn du schon dafür sorgen willst, dass deine Eltern von einem zwitschernden Etwas genervt werden.«

Draven musste lachen und nickte. »Eigentlich möchte sie viel lieber eine Eule, aber ich dachte, dass es ein Wellensittich auch tut.«

»Ja, bestimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Wie gesagt: Lass sie den Vogel selbst aussuchen. Wichtig ist erst einmal, dass du einen Kuchen für sie hast.«

»Das habe ich ganz vergessen. Dann muss ich gleich noch einen kaufen«, stöhnte er auf.

Langsam ging ich zurück zur Kasse. Um mich von Draven zu verabschieden, winkte ich. »Viel Glück dann. Aber ich würde dir für einen gekauften Kuchen den Kopf abbeißen.«

Jayden, der mir einen schönen Tag wünschte, nahm das Geld entgegen und ich verließ die Zoohandlung. Hinter mir hörte ich die Türglocke.

»Valery!«, rief Draven, während er mir hinterherlief.

Unbeeindruckt ging ich weiter zu meinem Auto.

»Tut mir leid, aber meine Schlange hat Hunger. Viel Erfolg dann«, rief ich über meine Schulter.

Er hielt ohne Probleme mit mir Schritt und packte meine Schulter. »Meine Mutter hat mir nie gezeigt, wie man backt.«

Dieses scheiß Mitleid! Normalerweise bezeichneten mich die Leute, die mich nicht gut kannten, eher als kalten Menschen, doch weil ich Sarah einen Geburtstagskuchen wünschte, wollte ich ihm helfen. Immerhin hatte mein Vater mir glücklicherweise beigebracht, wie man Kuchen backte.

»Na gut«, murmelte ich und ließ Draven auf den Beifahrersitz steigen. Wer hätte gedacht, dass ich meinen Sportfeind in mein Auto lassen würde?

Zuhause angekommen, schloss ich die Tür auf. Hinter mir stand Draven, eingeschüchtert wie ein geprügelter Hund. Warum war er auf einmal so nervös?

»Deine Eltern haben nichts dagegen?«, wollte Draven wissen, wobei er auffällig oft nach links und rechts schaute.

Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe noch nie einen Jungen in unser Haus gelassen.«

Als ich die Tür öffnete, nahm ich sein Lächeln wahr.

»Wenn es anders gewesen wäre, wäre ich trotzdem mitgekommen«, flüsterte er verschmitzt.

Schnurstracks gingen wir in die Küche. Als ich eine Schüssel gefunden hatte, holte ich das Kochbuch aus der Schublade. Während ich die passenden Zutaten hervorholte, betrachtete Draven das einfache Rezept für Sandkuchen, das ich ihm gereicht hatte.

»Zuerst musst du Butter, Milch und Eier schaumig schlagen«, erklärte ich.

Verständnislos sah er mich an. »Schaumig schlagen?«

»Valery, Schätzchen, das Teleskop wartet«, rief George unvermittelt von oben.

Obwohl ich wahrscheinlich sehr cool wirkte, wurde ich auf einmal nervös. Sicherlich würde sich mein Vater gleich total peinlich aufführen. Nicht, dass mich das irgendwie störte. Es war mir schließlich egal, was Draven dachte.

»Ich bin in der Küche, Dad. Fang einfach ohne mich an!«, antwortete ich ihm.

Schon hörte ich Georges dumpfe Schritte. Als er sah, wie Draven Milch in die Schüssel goss, machte er seinen typischen Witz: »Na, wie schmeckt die Milchstraße?«

Hatte ich es doch gewusst!

Erschrocken sah Draven von der Schüssel auf, doch er erholte sich schnell und reichte meinem Vater die Hand.

»Draven Dearing, Sir. Valery zeigt mir, wie man einen Kuchen backt.«

George lächelte ihn freundlich an. »Du kannst mich George nennen. Aber einen Kuchen backen? Um die Uhrzeit an einem Samstag? Wollt ihr mich einweihen, was der besondere Anlass ist?«

»Valery hilft mir aus der Patsche. Ich bin nämlich ein ziemlich unbegabter Bäcker und meine kleine Schwester hat morgen Geburtstag.«

»Verstehe. Also gehört das Backen nicht zu deinen Talenten?«

»Definitiv nicht«, gab Draven resigniert zu.

»Was sind denn deine Hobbys, Draven?«

»Offensichtlich hat Valery mich noch nicht erwähnt«, stellte er mit einem rätselhaften Blick zu mir fest. »Auch ich bin Schwimmer. Ich bin derjenige, den sie so hasst, weil ich sie beim Wettbewerb geschlagen habe.«

»Tatsächlich?«, fragte mein Vater. »Dann kann ich ja nur gratulieren!«

»Verräter«, murmelte ich.

Draven grinste, ehe er sich bei George revanchierte, indem er höflich nach den Interessen meines Vaters fragte. Georges Augen funkelten. Kein Wunder. Nun war seine Stunde – seine Sternstunde – gekommen.

»Astrophysik, Junge. Sterne, die Sonne, das Universum!« Pure Begeisterung lag in seinem Tonfall. »Wenn du dich dafür interessierst, kannst du demnächst einen Artikel in der Stern und Sonne lesen, in dem ich eine Abhandlung über die Sonnenfinsternis veröffentliche.«

Ergeben seufzte ich, doch Draven strahlte meinen Vater an. »Die Stern und Sonne habe ich auch abonniert!«

Das war der Moment, in dem ich wusste, dass mein Vater ihn am liebsten adoptiert hätte.

»Tatsächlich? Ich merke, du bist ein Mann von Fach. In der North Florida Gazette erscheint ein Exposé zum Artikel schon heute«, prahlte George.

Es war offensichtlich, dass Draven am liebsten pflichtschuldig nach seinem Handy gegriffen hätte, um es sofort zu lesen. Die North Florida Gazette war nämlich eine beliebte und angesehene Online-Zeitschrift, die zu fast allen örtlichen Themen rund um die Uhr Artikel veröffentlichte.

»Sobald der Kuchen im Ofen steht, komme ich aufs Dach, Dad«, versuchte ich, Draven vor George zu retten.

Mein lächerlicher Versuch, ihn loszuwerden, schien aber nicht zu glücken.

»Valery, Schätzchen. Stress dich nicht. Ich blättre so lange in der Stern und Sonne.« Er zwinkerte Draven zu und verschwand im Wohnzimmer.

Wie erwartet stellte sich Draven sehr ungeschickt mit dem Kuchen an. Als die Form mit Teig gefüllt schließlich im Ofen stand, begann er, die Schüsseln zu spülen. Währenddessen machte ich mich kurzzeitig aus dem Staub.

»Spaghetti hat Hunger«, raunte ich George, der seine Augenbrauen hochgezogen hatte, im Vorbeigehen zu.

Er nickte nur, während ich mich zu meiner Schlange begab. Ich platzierte die Ratte in Spaghettis Terrarium, das einen großen Teil meines Zimmers einnahm.

»Hast du Hunger, Spaghetti?«, munterte ich sie auf, sich für ihr Futter zu interessieren.

Ihre kleinen Augen waren konzentriert auf einen Ast gerichtet. Ich hörte Schritte und registrierte, dass sich der Verursacher neben mich auf den Boden setzte.

»Draven, was willst du in meinem Zimmer?«, fragte ich.

»Die Zitrone ist zurück. Wohin soll ich die Schüsseln räumen?«

Ich musste wieder ein bisschen freundlicher werden. Mühsam versuchte ich einen Teil meines Stolzes herunterzuschlucken. Draven war mir gegenüber immer höflich gewesen. Prinzipiell hatte er nichts falsch gemacht. Schließlich trat man bei einem Wettbewerb an, um zu gewinnen.

»Darum kümmere ich mich später. Hauptsache, du hast einen Timer für den Kuchen gestellt.«

Er nickte und richtete seine Aufmerksamkeit auf Spaghetti, die wie gebannt zurückstarrte. Draven versank in dem Anblick der Schlange. Dabei musste ich aufpassen, dass ich nicht begann, ihn anzustarren.

»Spaghetti ist ein passender Name«, sagte er wie aus dem Nichts.

Als er mich, anscheinend auf eine Antwort wartend, anschaute, fixierte ich unsicher mein Modell des roten Riesenglobus, das in meinem Bücherregal stand.

»Manchmal sieht man jemanden und weiß, dass dieser Name passt. Aber manchmal sieht man auch jemanden und denkt: Du bist irgendwie zu alt, um immer noch Nick zu heißen.«

»Ich weiß, was du meinst«, stimmte er mir zu. »Ich mag es, dass ich in meinem eine Alliteration habe. Und dein Nachname passt sogar besonders gut zu dir.«

Ich nickte anerkennend. »Mein Vorname nicht?«, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. »Hydra, die Wasserschlange ist perfekt. Aber bei Valery bin ich mir noch nicht sicher.«

Spaghetti hatte die Ratte schon zur Hälfte verschlungen.


Der Alarm des Timers erklang und wir holten den Kuchen aus dem Ofen. Während ich eine Kuchendose suchte, dekorierte Draven sein Werk mit großer Hingabe. Zum Schluss half ich ihm noch, ein paar Herzchen aus Zuckerguss zu ergänzen. Anschließend wollte ich Draven nach Hause fahren, als mein Vater fragte: »Willst du schon gehen, Draven?«

Dieser lächelte und nickte. »Ich will euch doch nicht von der Arbeit abhalten.«

»Ach, was«, antwortete George. »Die Arbeit kann warten. Wollen wir alle zusammen einen Film anschauen?«

Leise seufzte ich. Draven lachte jedoch erheitert, als er mich ansah. »Wie wäre es denn mit Der Marsianer?«, schlug er vor.

Als wir schließlich zu dritt auf dem Sofa saßen, konnte ich mich nicht auf den Film konzentrieren. Auf einmal wurde mir ganz heiß, obwohl Draven eine Art Sicherheitsabstand zu mir einhielt. Ab und an drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Ob er wohl mich oder das Plakat des Sonnensystems hinter mir anschaute? Ich wollte mir einreden, dass es mir egal war, aber das Kribbeln in meinem Bauch behauptete etwas anderes.

»Der Junge gefällt mir«, flüsterte mir mein Vater ohne Vorwarnung zu, sodass nur ich es hören konnte.

Nach Ende des Films half Draven mir noch, die Spülmaschine auszuräumen.

»War toll, dich kennenzulernen, Draven. Ich hoffe, dass ich dich bald wiedersehe«, rief mein Vater überschwänglich.

»Das kann ich nur zurückgeben, George.«

»Wollen wir jetzt?« Ungeduldig klapperte ich mit den Autoschlüsseln. Wohl oder übel musste ich ihn zurück in die Stadt fahren, da von hier aus keine Busse fuhren.

Wenig später setzte ich ihn zuhause ab und schüttelte seine Hand.

»Danke für deine Hilfe. Ich weiß das wirklich zu schätzen«, verabschiedete er sich mit dem Kuchen in den Armen.

Erst war ich etwas verunsichert, was ich antworten sollte.

»Gern geschehen«, entgegnete ich schließlich.

Völlig von mir selbst überrascht, verwandelte ich meinen Händedruck in eine kurze Umarmung. Unbeholfen standen wir da. Keiner traute sich so richtig, etwas zum Abschied zu sagen. Draven schlich sich schließlich mit dem Kuchen ins Haus, damit seine Schwester ihn nicht bemerkte.

Auf dem Weg nach Hause war ich immer noch nervös, obwohl es dafür keinen Grund gab.

Ich saß wieder in meinem Zimmer auf dem Bett und schaute verträumt aus dem Fenster. Seit wann war ich eigentlich so gefühlsduselig? Ich machte den Protagonisten aus Loving Hawaii Konkurrenz.

Diese Nacht hatte ich einen sehr verwirrenden Traum von mir und Draven, in dem wir zusammen eine Konditorei eröffneten.


Am folgenden Sonntag schlief ich lange aus. Ich frühstückte gemeinsam mit meinem Vater, der unablässig versuchte, so viele Informationen wie möglich über Draven herauszufinden. Dabei machte er keinen Hehl daraus, dass er offensichtlich ein Fan von ihm war. Normalerweise reichte es, das Thema auf einen Wissenschaftler zu lenken, doch im Moment konnte selbst die Erwähnung von Alfred Simons meinen Vater nicht ablenken.

»Ich weiß nicht, welche Schuhgröße er hat, Dad«, meinte ich genervt und machte mich auf den Weg in mein Zimmer.

Dort setzte ich mich an meine Hausaufgaben, die mich – wie meistens – nicht wirklich herausforderten. Es war seltsam und ich war mir sicher, dass das kein Verliebtsein war, aber ich konnte nur noch an Draven denken.

Als ich mittags das letzte Kapitel des Buches über Quantenmechanik aufschlug, konnte ich mich einfach nicht konzentrieren. Selbst Spaghetti schien mich provozierend anzusehen. Schließlich wollte ich mich mit einem Snack in der Küche ablenken, doch dort schien mir die Kuchenform die ganze Zeit zuzuzwinkern.

Trotzdem war er ein arroganter Schnösel, der mich im Schwimmen besiegt hatte! Wobei … Hatte ich das nicht eigentlich schon abgehakt? Mein Handy klingelte. Überrascht stellte ich fest, dass Draven am anderen Ende der Leitung war. Konnte er Gedanken lesen? Doch anstatt das auszusprechen, fragte ich entsetzt: »Woher hast du meine Nummer?«

Er lachte sein typisches Lachen und mein Herz klopfte schneller und schneller. »Das ist nicht von Bedeutung. Ich brauche deine Hilfe«, erwiderte er.

»Schon wieder? Ich habe heute wirklich keine Zeit«, antwortete ich. Bei dieser Lüge kribbelte meine Haut, als ob Ameisen darüber liefen.

»Mir ist schon klar, dass das Ganze ziemlich spontan ist, aber Sarah hat mir gerade offenbart, dass sie dreizehn Kinder zu ihrem Geburtstag eingeladen hat, die um eins kommen.«

Ich schaute auf meinen Wecker. Es war kurz vor zwölf. »Was ist mit deiner Mutter?«

»Golfen«, war die schlichte Antwort.

»Na gut, ich fahr los.«

Während ich mich auf den Weg zu meinem Auto machte, sammelte ich Dinge ein, die man zu einem Kinderspiel umfunktionieren könnte. Mühevoll schleppte ich mich – die Arme voll beladen – ins Wohnzimmer herunter.

»Draven braucht meine Hilfe«, erklärte ich an George gerichtet und wollte schon zur Tür gehen.

»Ist sein Backofen kaputt?«, witzelte er. »Viel Spaß, Schätzchen.«

Ich eilte zu meinem Caprio, hielt mich während der Fahrt jedoch an die Höchstgeschwindigkeitsgrenze. Wegen Draven wollte ich meinen Führerschein nicht riskieren. Neugierig fragte ich mich, warum er nicht früher auf die Idee gekommen war, dass seine Schwester Lust auf eine Geburtstagsfeier haben könnte.

Ich erreichte die Adresse und sah das Haus, in dem Draven wohnte, zum ersten Mal bei Tageslicht. Zweifellos war in dieser Gegend so ein Gebäude mit drei Etagen und Vorgarten nicht günstig. Bestimmt war es einst auch sehr schön und ansehnlich gewesen, doch inzwischen wirkte es vernachlässigt. Der Verputz war in Bodennähe schmutzig und bröckelig. Die Fenster waren voller Dreck; im Vorgarten welkten die Blumen, während das Unkraut daneben wucherte.

Bevor ich die Gelegenheit bekam zu klingeln, öffnete mir Draven bereits die Tür. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, aber ich musste grinsen, als ich ihn so sah: Seine Haare waren verstrubbelt, als wäre er durch eine Waschstraße gelaufen und das Hemd war falsch geknöpft. Ich trat ein und Draven führte mich ohne ein weiteres Wort ins Wohnzimmer, wo anscheinend die Geburtstagsparty stattfinden sollte.

»So, was ist dein Plan?«, erkundigte ich mich. Schließlich blieb uns nicht mehr viel Zeit, bevor die Besucher kamen.

Draven redete etwas von Spielen, die ich nicht kannte. Aber wir legten uns so richtig ins Zeug und bauten einen verdammt coolen Parkour auf. Dabei kombinierten wir die Gegenstände, die ich mitgebracht hatte, mit Stühlen und den Sofasitzkissen. Schließlich kam das Spiel »Der Boden ist Lava« niemals aus der Mode.

Als letzte Station gab es Twister, das als Kind mein Lieblingsspiel gewesen war. Wenn die Geburtstagsgäste mehr als die Hälfte der Spiele bewältigt hatten, bekamen sie die »Süßigkeiten-Bescheinigung«, wie Draven es sehr formell formuliert hatte. Er hatte einen richtigen Kiosk hergerichtet.

»Du darfst runterkommen«, rief Draven endlich. Sofort kam Sarah die Treppe runtergerannt.

»Wow«, seufzte sie erfreut auf und fiel ihrem Bruder um den Hals. »Danke!«

Sie trug ein schönes blaues Kleid und hatte sich ein Diadem in die Haare gesteckt. Ihre haselnussbraunen Locken glichen denen ihres Bruders. Sie bemerkte mich und fragte mich mit neugieriger Stimme: »Wer bist du denn?«

»Ich bin Valery, eine Freundin von Draven«, erklärte ich.

»Bist du das denn?«, flüsterte er mir heimlich zu.

»Eine Schwimm-Freundin.« Graziös schüttelte ich Sarah die Hand. »Alles Gute zum Geburtstag. Ich bin mir sicher, dass die Party ein voller Erfolg wird.«

»Bestimmt, Valery!« Mit Schalk im Nacken sah sie zu mir auf. »Wusstest du, dass Draven damals nur mit dem Schwimmen angefangen hat, weil er an Meerjungfrauen glaubt?«

»Nein, das wusste ich nicht«, japste ich und musste mich beherrschen, um nicht den schlimmsten Lachanfall meines Lebens zu bekommen.

»Ich glaubte an Meerjungfrauen. Präteritum!«, verbesserte Draven. Trotzdem war sein Gesicht tiefrot. Das Klingeln an der Tür rettete ihn.

»Glotz nicht so blöd, Zuckerwattemädchen, und setz dir lieber einen Partyhut auf«, sagte er.


Mit Draven die dreizehn Geburtstagsgäste zu bespaßen, machte mir unerwartet viel Spaß. Während die Kinder Dosen warfen, Sternbilder errieten und Twister spielten, standen Draven und ich an der Seite, um Punkte zu vergeben.

»Hast du noch ein Blatt? Das hier ist jetzt voll«, stellte ich fest.

Bereitwillig riss er aus dem Block ein Blatt heraus und reichte es mir. Ich sah, dass Herzchen darauf gekritzelt waren. Ob die wohl von Sarah oder von Draven waren? Verunsichert schaute ich von dem Blatt auf und Dravens Blick traf meinen.

»Was ist denn los?«, fragte er.

»Ach, nichts«, murmelte ich und schüttelte den Kopf.

Kurz darauf mussten wir zwei Mädchen von einem Streit abhalten, die sich uneinig darüber waren, wer das Eierlaufen schneller geschafft hatte, aber zum Glück ließ sich das Problem schnell lösen.

Zugegeben, der Kuchen reichte nicht für alle Kinder, aber das war bei dem Süßigkeiten-Buffet schnell wieder vergessen. Vielleicht lag es daran, dass ich selbst keine Geschwister hatte, vielleicht aber auch daran, dass ich mich in Dravens Nähe wohler fühlte, als ich jemals zugegeben hätte, aber ich genoss die Geburtstagsfeier.

Es war bereits sechs Uhr, als die meisten Kinder nach einem Disney-Film abgeholt wurden.

Jedem Erwachsenen erklärte Sarah, ob sie es nun hören wollten oder nicht: »Das ist mein großer Bruder Draven und meine Freundin Valery.«

Das machte mich richtig glücklich.

Schließlich wurde das letzte Kind abgeholt und Sarah verkündete, dass sie jetzt mit ihren Geschenken allein sein wollte und verkroch sich in ihr Zimmer. Uns beiden überließ sie damit ein riesiges Schlachtfeld aus Trinktütchen, Chipskrümeln und … War das da hinten eine Kindersocke?

Mitten beim Müllaufsammeln nahm mich Draven abrupt in den Arm.

»Danke für deine Hilfe heute«, bedankte er sich überschwänglich. »Du warst unglaublich. Aber du musst wirklich nicht aufräumen helfen.«

»Ich weiß«, stellte ich klar. »Wir haben diesen Kindergeburtstag echt gerockt.«

Sanft löste ich mich aus der Umarmung, ich fühlte mich durch sie ganz hibbelig. Außerdem, was wäre, wenn Sarah uns so sähe? Sie sollte wirklich nicht auf falsche Gedanken kommen. Trotzdem hatte ich es genossen, seine Arme um mich zu spüren.

Während wir also den Saustall beseitigten, erkundigte ich mich: »Hast du noch was von deinen Eltern gehört?«

Dravens Gesicht, das so glücklich gewirkt hatte, verfinsterte sich. »Mein Vater hat Sarah heute Morgen angerufen. Meine Mutter ist mit einer Freundin noch was essen.«

Nervös benutzte er sein Nasenspray. Er zückte sein Handy und zeigte das Foto von einer Frau, die in einem für ihr Alter unangemessenen Kleid in einem Restaurant saß.

»Deine Mutter hat Instagram?«, fragte ich erstaunt, während ich das letzte Partyhütchen in einen Karton fallen ließ.

»Ja, in gewissen Bereichen ist sie ziemlich auf Zack.«

»Das muss ja nicht immer etwas Schlechtes sein«, meinte ich.

Darüber schien Draven nicht weiter sprechen zu wollen.

»Das hätten wir geschafft«, lobte uns Draven. »Hast du Lust auf eine Runde Twister?«

»Nein!«, stellte ich klar.

»Ach, sei nicht so, du Zitrone.«

»Nein, ich habe wirklich keine Lust.«

»Du hast nur Angst zu verlieren«, neckte mich Draven, die Arme vor der Brust verschränkend.

»Von wegen!«

Schon war ich dabei, meine Schuhe auszuziehen. Twister spielte man besser barfuß, wenn man Chancen auf den Sieg haben wollte.


»Rechter Fuß auf Grün.«

Keine Reaktion.

»Rechter Fuß auf Grün, habe ich gesagt«, wiederholte ich meine Aufforderung. Draven und ich hockten uns gegenüber wie zwei grimmige Katzen.

»Oh, sorry«, murmelte Draven, als er aus seiner Starre erwachte.

»Was schaust du denn so gebannt an?«, fragte ich neugierig.

»Ist dir aufgefallen, dass das Spielfeld nie so klein war, als man noch ein Kind war?«, wich Draven meiner Frage aus.

Er hatte recht. Wenn ich mich ein wenig vorgebeugt hätte, hätte ich Draven an der Schulter anstupsen können.

»Du bist übrigens auch das erste Mädchen, das ich mitgebracht habe«, erklärte er wie aus dem Nichts. »Jedenfalls, wenn Leslie Lorranson nicht zählt.«

»Wer ist Leslie Lorranson?«, erkundigte ich mich so beiläufig und desinteressiert wie möglich.

Abgesehen davon, dass »mitgebracht« in meinem Fall wohl der falsche Begriff war.

»Meine beste Freundin aus dem Kindergarten. Aber in der Grundschule war ich ihr wohl nicht mehr cool genug. Wahrscheinlich, weil ich dem Schachclub beigetreten bin.«

Innerlich lächelte ich, da auch ich einmal Mitglied in einem Schachclub gewesen war. Allerdings nur ein paar Wochen, denn die Spiele gegen meinen Vater waren spannender als die in der Schule.

»Linke Hand auf Gelb«, befahl Draven.

»Stimmt es, dass du an Meerjungfrauen glaubst?«, fragte ich.

Erneut flammten Dravens Wangen feuerrot auf.

»Du siehst übrigens super bescheuert aus. Das wollte ich dir schon den ganzen Tag mal sagen«, stellte ich klar.

»Wie nett von dir«, sagte Draven mit ironischer Stimme.

»Nein, im Ernst. Dein Hemd ist falsch geknöpft.«

Draven lachte. »Das ist es nicht.«

Ich hob meine Hand, um auf den Knopf zu zeigen. In dem Augenblick verlor ich das Gleichgewicht und ich konnte meine schlangenmenschähnliche Position nicht mehr halten. Ich fiel um, wobei ich Draven unter mir begrub.

»Sorry«, lachte ich auf.

Als wären meine Beine paralysiert, konnte ich nicht aufstehen.

»Darf ich das Problem mit dem Hemd später beheben oder wäre es dir lieber, wenn ich es jetzt sofort aufknöpfe?«

Diese Aussage verbesserte auch nicht gerade meinen Kicheranfall.

»Du hast übrigens verloren«, stellte er fest. »Schon wieder.«

Die Friedensformel

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