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ОглавлениеWingarten am Rhein
Sebastian Klar bewunderte seine Frau. Er bewunderte sie unendlich. Andere Frauen hätten weniger Haltung bewiesen. Weniger innere Kraft. Weniger Durchhaltevermögen. Trotzdem machte er sich Sorgen um sie – jeden Tag mehr, wenn er ehrlich war. Er räumte die Weinflaschen in die Kühlschubladen unter dem Tresen, an dem sie stand und traumverloren in die Luft guckte, die Zigarette in der rechten Hand, vor sich eine Tasse Kaffee und ein Glas Cognac. Es war noch nicht einmal vier Uhr.
Hatte sie seinen zweifelnden Blick bemerkt? Plötzlich schüttelte sie sich, lächelte verlegen und goß den Cognac ins Spülbecken. Erleichtert lächelte auch er.
Er brauchte sie. Ohne Elisabeth war alles nichts. Und ohne die Chefin der »Traube« konnte man das Geschäft vergessen. Sebastian lächelte wieder, wenn auch ein bißchen dünner. Einer der Kellner hatte ihn einmal einem Gast gegenüber den »Mann von der Chefin« genannt. Das stimmte natürlich nicht – jedenfalls nicht im juristischen Sinn. Andererseits: Die Seele des Hauses war sie Immer gewesen. Immer noch.
Er brauchte sie. Und er brauchte sie nüchtern. Guter Laune, wenn es ging. Ohne Tränen, wenn das möglich war. Gerade jetzt, wo das Galadiner ins Haus stand. Und all die anderen unzähligen Weinproben und Musikabende der nächsten Wochen. Die »Traube« in Wingarten hatte einen Ruf zu verlieren: den Ruf, eine tadellose Küche mit großartigen Weinen und einem exzellenten Service zu verbinden. Und er wollte diesen Ruf nicht verlieren.
Er liebte Elisabeth – Sebastian Klar war plötzlich so gerührt, daß ihm die Kehle eng wurde. Er liebte sie wirklich. Er zapfte das frische Bierfaß an und ließ den ersten Schaum in die Spüle laufen. Andererseits – auch die »Traube« lag ihm am Herzen. Mein Lebenswerk, dachte er plötzlich. Und jetzt wären ihm wirklich fast die Tränen gekommen.
Elisabeth war hinter den Tresen gegangen und polierte mit einem trockenen Tuch Abtropfgitter und Hähne. Sie hatte ihre langen dunklen Locken hinter die Ohren gekämmt und hinten zusammengebunden. Sie sah tüchtig und umsichtig aus. Sie ist tüchtig und umsichtig, korrigierte er sich. Warum nur war er so nervös? Was konnte schon schiefgehen?
Nichts. Besser gesagt: nicht viel. Nur das, was vor einigen Wochen beim Essen nach einer bedeutenden Weinprobe geschehen war.
Er war in der Küche gewesen. Als er gerade wieder in den Gastraum gehen wollte, lief sie ihm in die Arme – tränenüberströmt und völlig aufgelöst. Er hatte sie zu beruhigen versucht und nach oben geschickt – aber am Gesichtsausdruck seiner Gäste konnte er mühelos ablesen, daß sie vor aller Augen in Tränen ausgebrochen war. Ein anderes Mal hatte sie ein Tablett mit drei Gläsern fallengelassen und war geradezu aus dem Raum geflüchtet, als August M. Panitz eine Weinprobe zu kommentieren begann. Was hatte sie plötzlich gegen seinen alten Freund Panitz?
Oder – Klar schluckte – hatte sie etwas mit ihm? Er schüttelte den Kopf. Augusts Vorliebe für junge Blondinen war bekannt. Elisabeth war nicht sein Fall – sie war klein, dunkel, ein bißchen rundlich, also ganz und gar Sebastians Typ. Er schloß den Bierhahn wieder und säuberte das Spülbekken.
Bitte, lieber Gott, nicht wieder eine Szene! flehte er im stillen. Und bitte nicht wieder eine Philippika von Panitz, nicht beim Galadiner am Samstag. Nicht wieder die bekannte Tirade gegen die Kleingeister, Verbrecher und Betrüger, gegen alle Wingartener, die sich gegen das Gottesgeschenk Wein versündigten. Beim letzten Mal wäre es fast zu einer Prügelei gekommen, als Christoph Corves sich angesprochen fühlte. Dabei war es dessen Vater gewesen, der sich beim Verstoß gegen das Weingesetz hatte erwischen lassen. Selbst Walter Prior war aufgebracht gewesen. Gute Winzer hatten langsam die Nase voll davon, für sämtliche Sünden der ganzen Branche herhalten zu müssen.
Sebastian hakte im Geiste noch einmal die Liste für die nächsten Tage ab. »Die Flaschen sind übrigens schon oben, Elisabeth« – die Flaschen für die Gala lagerten seit Wochen im Keller und waren gestern von Johann und ihm nach oben in den Kühlraum neben der Küche gebracht worden.
»Übernimmst du die Tischdekoration?« Er bevorzugte eine gute, präzise Organisation. Alles Spontane erzeugte unnötigen Stress. Elisabeth nickte und wischte noch einmal über die längst strahlend saubere Theke.
Erleichtert atmete er aus. Er machte sich wahrscheinlich umsonst Sorgen. Liebevoll legte er den Arm um sie. Sie zuckte zusammen, als ob sie aus dem Tiefschlaf erwachte. Mein Gott, sieht sie müde aus, dachte er und spürte eine wachsende Ungeduld in sich, von der er wußte, daß sie ungerecht war. Mir tut es doch auch weh, Elisabeth, dachte er. Aber nicht so wie ihr, sagte ihm sein schlechtes Gewissen. Er hatte versucht, den Schmerz zu überwinden, der nach einem Jahr nur noch stach, aber nicht mehr riß und brannte. Ob sie ihm das übel nahm? Er küßte sie auf die Stirn. Daß er auch mal vergessen konnte?
Er war überrascht, als sie ihn plötzlich anlächelte. Und hätte deshalb fast den mit altmodischer Eleganz gekleideten Mann übersehen, der sich vor der Bar aufgebaut hatte, auf einen Stock gestützt, und den Kopf mit dem dünnen weißen Haar schüttelte. Sebastian zuckte zusammen – als ob er ertappt worden wäre.
»Kann ich etwas für Sie tun, Herr Dr. Quast?« Der Stammgast war schon gekommen, als Klars Eltern noch das Haus leiteten. Der alte Quast glaubte, sich über jede kleine Neuerung, die Sebastian und Elisabeth einführten, erstmal bitterlich beschweren zu müssen. Hoffentlich hatte er nicht schon wieder etwas zu mäkeln. Sebastian ließ Elisabeth los.
»Ich wollte doch …« Der Greis sah mit blaßblauen Augen durch ihn hindurch.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Quast schüttelte immer noch den Kopf und stampfte plötzlich mit seinem Stock auf den Boden. »Aber natürlich!« sagte er, blickte von Sebastian zu Elisabeth und ging zur Tür. »Kümmert euch nicht um mich alten Narren!«
Elisabeth lachte – ein lautes, ein befreites Lachen. Fast hätte er mitgelacht. »Was für ein verrückter alter Kerl.« Sie schubste den unschuldig aus seinen schrägen Augen blinzelnden Mönch vom Hocker. Sebastian runzelte die Stirn. Eigentlich hatte das Tier hier gar nichts zu suchen. »Gibt es schon eine Tischordnung für Samstagabend?«
Klar war erleichtert, daß Elisabeth sich wieder fürs Geschäft interessierte. »Panitz kommentiert die Weine, deshalb sitzt er an Tisch Eins.« Der stand dem Klavierpodest mit dem Mikrofon am nächsten. »Zusammen mit Dana Müller-Dernau, Maximilian von der Lotte, Hannes Janz, Alain Chevaillier. Und Susanne Eggers.« – Weil sie blond ist, fügte er im stillen hinzu.
»Aha.« Elisabeth brachte die Flaschen mit den Schnäpsen, den Digestifs und Aperitifs, in eine imaginäre Ordnung. Er hatte das beklemmende Gefühl, daß sie das Interesse schon wieder verloren hatte. Als ob sie – das Licht ausgeknipst hätte, das innere Licht, das sie früher so warm und lebendig hatte wirken lassen.