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Frühling 1945, Ankunft in Blanckenburg

Am Tag, als der Krieg zu Ende war, blühte der Flieder. Und jetzt war die Kirschenzeit bereits vorbei und die Äpfel noch nicht reif. Das Land wirkte wie kahlgefressen von den Flüchtlingsmassen, die von Osten und Süden durch Deutschland fluteten und die Vorräte an Menschlichkeit und Lebensmitteln aufgezehrt hatten.

Mathilde marschierte mit leichtem Gepäck Richtung Harz, dessen Umrisse sie am Horizont zu erkennen glaubte. Der Rucksack war gestohlen worden auf einer der Fahrten in überfüllten Zügen, das Silberbesteck mit ihren Initialen hatte sie eingetauscht und von den Stiefeln musste sie sich kurz vor der Elbe trennen. Sie war barfuß weitergelaufen, bis sie auf einen englischen Offizier traf, der ihre blonden Haare und graublauen Augen bestaunte und ihr Armeestiefel schenkte. Mathildes Füße hatten sich noch nicht an den festen Halt gewöhnt, den die Schuhe ihr gaben. Bloß keine Blasen kriegen, dachte sie und bewegte ihre Zehen, jetzt noch, so kurz vor dem Ziel.

Blanckenburg war nicht mehr weit. Ob Gregor da sein würde? Es wäre ein Wunder. Sie glaubte nicht, dass er tot war. Aber sie vermisste ein Echo, wenn sie an ihn dachte. Ob es daran lag, dass sie versucht hatte, das innere Band zwischen ihm und ihr nicht zu überdehnen mit all dem, was weh tat? Gewalt und Raub, Gier und Neid – und Überlebensangst in den Gesichtern, die ihr begegnet waren auf der langen Flucht.

Oder war es – das andere? Sie spürte die Veränderung mit jedem Tag. Sie verwandelte sich. Es verwandelte sie.

Sie versuchte, nicht an ihre Füße zu denken. Statt dessen begann sie, mit offenen Augen zu träumen – von der Erfüllung der einfachsten, der großartigsten Wünsche: in einem richtigen Bett schlafen. Unter Menschen allein sein dürfen. Durch die Bibliothek gehen und endlich wieder ein Buch in die Hand nehmen. Mathilde versuchte, die vertrauten Fingerübungen zu machen, erst mit der linken, dann mit der rechten Hand: Klavierspielen!

Sie trat an den Straßenrand und wartete, bis die beiden Armeelastwagen vorbeigefahren waren. Vielleicht gab es sogar etwas zu essen.

Abends war sie angekommen. Von fern boten Stadt und Schloss den gewohnten Anblick: oben die mächtige Barockanlage, unten ein spitzer Kirchturm über Fachwerkhäusern und Jugendstilvillen. Aber noch vor der Stadtmauer begannen die Schuttberge und Trümmerhalden. Mathilde nahm den steilen Fußweg hoch zum Schloss. Der Geruch der erkalteten Brandstätten wurde intensiver, je näher sie kam. Das Ausmaß der Zerstörung war von oben erst richtig zu erkennen. Das Pförtnerhaus unterhalb des Schlosses war zerbombt, Bäume lagen zersplittert im Park. Und nach einer weiteren Wegbiegung sah sie etwas, das ihr den Atem nahm: die Schlosskirche war getroffen worden, das Hauptschiff zerstört und der Turm ausgebrannt.

Im Schlosshof wimmelte es von Menschen. Flüchtlingsfrauen wuschen Wäsche, Männer mit Krücken rauchten dünne Zigaretten, ein Trupp gellend schreiender Kinder lief ihr entgegen. Mathilde bahnte sich den Weg zum Eingang.

In der Schlossküche war es heiß. Als sie vor Ella stand, wusste Mathilde sekundenlang nicht, was sie sagen sollte. Die ehemals rundliche Köchin hatte unnatürlich große, fiebrig glänzende Augen im blassen Gesicht. „Kindchen“, sagte sie zur Begrüßung. Und dann schossen ihr die Tränen in die Augen.

Sie hielten sich lange umschlungen, weinend. Dies hier war das erste Stück Heimat seit langem.

Endlich löste sich Ella verlegen lächelnd aus der Umarmung und sagte „Du musst ja ausgehungert sein, Kind!“ Und dann saß Mathilde am großen Tisch, vor sich einen Teller mit Suppe und Brot, neben sich die Köchin, die so wie früher, als sie noch ein Kind war, aufpasste, dass sie den Teller auch leeraß. Ella erzählte, leise, erst stockend, dann immer schneller.

Von der Bombardierung Halberstadts. Von den letzten Kämpfen auf dem Hexentanzplatz. Vom Einmarsch der Amerikaner. Von der Weigerung des Stadtkommandanten, die Stadt kampflos zu übergeben. Von jenem Tag im April, als gegen elf Uhr morgens eine Bomberstaffel über dem Harzvorland auftauchte, dreizehn schnelle Thunderbolts, die auf Blanckenburg zuzutänzeln schienen, bevor sie ihre Fracht abluden.

Mehr als sechzig zerstörte Gebäude. Über siebzig Tote. Die Kirschblüte hatte gerade begonnen.

„Aber das schlimmste ist: Sie haben uns verraten. Sie überlassen uns den Russen. Der Graf ist schon fort. Die Wagen mit Möbeln und Büchern sind vorausgefahren. Alles andere – “ Ihre Handbewegung umschrieb das Schloss und das, was dazugehörte, wie etwas, das bereits verschwunden war.

Mathilde war für Sekunden wie gelähmt. Und dann setzte jene Ernüchterung ein, die sie den ganzen langen Weg über begleitet hatte. Sie sollte auch diesen Ort verlieren? Das musste wohl so sein.

„Erinnerst du dich an Matthias Klenke? Er ist zurück, als Berater der Roten Armee.“ Ella klang verächtlich. „Er kam hoch ins Schloss und erzählte, wir seien enteignet und das Schloss gehöre ab sofort dem Volk. Ich hab ihn achtkant rausgeworfen.“

„Weiß man etwas von Gregor?“ Mathilde zögerte, bevor sie danach fragte. Plötzlich fürchtete sie die Antwort.

„Er hat geschrieben, aus französischer Kriegsgefangenschaft. Halbverhungert, wahrscheinlich. Aber er lebt.“ Ella schüttelte missbilligend den Kopf. „Und wir können ihm noch nicht einmal etwas schicken.“

Mathilde lächelte unter all den Tränen, die plötzlich so locker saßen. Sie schrieb seit Wochen alles auf für ihn, jeden Tag ein Stückchen mehr, mit einem Bleistift, von dem mittlerweile kaum noch ein Stummel übrig war. Sie hoffte auf die richtigen Worte. Er sollte sie nicht missverstehen.

„Ich hab ihn da, den Brief.“ Ella sah verlegen aus, als sie das Stück Papier aus ihrer Schürzentasche holte, auf dem Küchentisch glattstrich und dann an Mathilde weiterreichte, die es stumm entgegennahm. Später. Später würde sie den Brief lesen. „Wann kommen die Russen?“

„Am 23. Juli. Du musst weg. Möglichst bald.“

Ella baute ihr ein Bett neben ihrem eigenen, oben, in einem Zimmer auf dem Dienstbotenflur des Turmflügels. Mathilde schlief tief und fest und als sie morgens erwachte, schwebte noch ein Traumbild am Rande ihres Bewusstseins, das schön und leicht und sonnig war. Mehr erinnerte sie nicht.

Das Schloss kam ihr bemerkenswert ruhig vor, als sie hinunterging. Die britischen Soldaten waren fort. Die verwundeten Gefangenen auch. Ella stand allein in der großen Küche, ihr Gesicht war gerötet und ihre Augen hatten noch immer diesen seltsamen Glanz. Und plötzlich schwankte sie. Mathilde war mit wenigen Schritten bei ihr. Die Hände der Köchin waren trocken und heiß. Sie fasste sie um die Schultern und zog sie auf einen Stuhl. Ella hustete, als sie sich hineinfallen ließ.

„Du bist krank.“

„Unsinn.“ Der Husten schüttelte den schmalen Körper. Und dann brach die treueste Seele von Schloss Blanckenburg zusammen.

Ella fieberte. Mathilde wagte nicht, sie zu verlassen. Aber seit sie den Brief gelesen hatte, wusste sie, was zu tun war. Sie deckte die Kranke zu und schlüpfte aus dem Zimmer.

Den ganzen Tag über hatte es geregnet auf ausgedörrte Wiesen und staubige Straßen, und jetzt stiegen Nebel aus dem Flusstal. Mathilde näherte sich der Kirche mit abergläubischer Vorsicht. Der Glockenturm war ein zerklüfteter Stumpf, das Hauptschiff ausgebrannt. Was hinderte einen strafenden Gott, Rache zu nehmen und auch noch diese geborstenen Mauern fallen und auf sie herabstürzen zu lassen?

Sie kletterte über Gesteinsbrocken und Gebälk, über Säulen und Pilaster, über Heiligenköpfe und Dämonenfratzen. Durch eine Bresche in der Schutthalde gelangte sie in das Seitenschiff, dessen Kreuzgewölbe dem Luftangriff standgehalten hatte. Es roch nach wilden Tieren.

Die Marienstatue war fast unversehrt. Auf ihren Schultern hatten sich Mörtelbrocken niedergelassen und hockten da wie Tauben oder Spatzen. Ein herabstürzender Stein musste ihr die segnende Hand abgeschlagen haben.

Mathilde stieg vorsichtig über die beweglichen Schuttmassen. Ihre Hand tastete nach dem Päckchen, das sie unter der Strickjacke an sich gepresst hielt. Sie musste ans Ende des Seitenschiffes gelangen, dort führte eine Tür hinunter zur Krypta. Als sie endlich davorstand, blickte sie zurück. Über dem aufgerissenen Hauptschiff rötete sich der Himmel. Niemand war ihr gefolgt.

Beim Schein der Kerze, die sie mitgebracht hatte, stieg sie die schmale Treppe hinunter. Unten in der Krypta stand die Luft, faulig und brandig. Beutesucher und Plünderer hatten planlose Zerstörung und Exkremente hinterlassen. Die Tür zur Familiengruft war aufgebrochen. Was mochten sie hier gesucht haben? Schädel, Knochen, Grabbeigaben? Mathilde hob die Kerze. Die Kindersärge waren geöffnet worden und die Deckel beiseitegeschoben, einige lagen zerborsten am Boden, in einem der kleinen Sarkophage sah man Tuchreste und winzige Knochen. Sie ging den Mittelgang entlang. Auch am Katafalk in der Mitte des Raumes hatten sich die Grabräuber versucht. Aber der gusseiserne Deckel hatte widerstanden.

Unter ihren Füßen raschelten vertrocknete Kränze und Blumengebinde. Als Kinder hatten sie sich oft hier hinuntergeschlichen, an heißen Sommertagen. Damals war es ein Vergnügen gewesen, sich zu gruseln. Mathilde gruselte nichts mehr. Sie kannte schlimmeres. Und war nicht dieser Ort der Toten angesichts der Ruinen draußen und der Dunkelheit, in die Deutschland zurückgefallen war, ein Hort des Friedens? Die hier lagen, waren wenigstens bestattet worden.

Die ältesten Särge standen am Ende des Gewölbes. Nicht weit davon blieb sie stehen – vor einem schlichten grauen Steintrog mit einem Deckel, durch den ein Riss ging. Der hier bestattet lag, war ihr Schutzheiliger gewesen, damals, als Folkert noch lebte und Gregor noch keinerlei Ähnlichkeit mit dem finsteren Herrn erkennen ließ, der sein Vorfahre war. Gregor Gawan Graf von Hartenfels zu Blanckenburg, 1640 bis 1723, dessen überlebensgroßes Porträt im Kaminzimmer Blanckenburgs gehangen hatte und das nun verschwunden war, wie so vieles andere auch.

Als sie noch ein Kind war, zu Besuch bei den Verwandten auf Blanckenburg, hatten sie bei einem Spiel namens Schatzsuche entdeckt, dass sich am Kopfende von Graf Gawans Sarkophag der steinerne Fußboden bewegte. Man konnte eine der grobbehauenen Platten aus dem Fußboden lösen. Sie erinnerte sich noch an die Begeisterung der beiden Brüder, als sie darunter einen Ring und eine schwarz angelaufene Silbermünze fanden. „Wir werden uns Nachrichten schreiben und sie hier hineinlegen“, hatte Folkert mit verschwörerisch gesenkter Stimme und leuchtenden Augen verkündet. Jahre später war er tot. Verendet – an einem Fleischerhaken baumelnd. Mathilde schloss die Augen. Es war vorbei. Das war vorbei.

Ob alles noch dalag?

Sie kniete sich auf den Boden neben dem Steinsarg und schob das Taschenmesser in einen kaum sichtbaren Spalt zwischen Platte und Fuge. Dann hebelte sie den Stein hoch.

Sie hatte die Luft angehalten und atmete jetzt erleichtert aus. Hier hatte niemand nach Schätzen gesucht. Alles sah noch so aus, wie sie es zurückgelassen hatte: nur das Foto war stumpf geworden und die Rose vertrocknet. Sie hatte beides am Morgen nach einem unwirklich schönen Sommertag hineingelegt; der Krieg warf bereits Schatten. Gregor hatte sie am Abend zuvor bei den Händen gehalten und etwas von immer und ewig geflüstert – wie man das machte, in dieser untergegangenen Welt; sie sechzehn, er neunzehn. Und dann musste er gehen. „Nach dem Krieg in Blanckenburg!“ Sie hatten sich einander in die Augen gesehen bei diesem feierlichen Schwur. Wer konnte schon ahnen, was der Krieg aus ihnen machen würde. Und aus Blanckenburg.

Mathilde hob Bild und Rose behutsam aus ihrer Höhle. Das Mädchen auf dem Foto sah ebenso ernst wie furchtlos in die Welt. Sechs Jahre war das her. Sie spürte ihre Brust eng werden. Sie war nicht mehr der Mensch auf dem Bild, der Mensch, den Gregor geliebt hatte.

Dann nahm sie seinen Brief aus dem zerknitterten Umschlag, den sie von Ella bekommen hatte. Sie kannte die Zeilen auswendig, sie hatte sie wie unter Schüttelfrost gelesen, immer und immer wieder.

„Mathilde ist der Stern in der Nacht meiner Demütigung. Meine geheiligte Inbrunst, all die Jahre über. Edle Größe in süßer Gestalt. Ihre Reinheit war jedes Opfer wert.“ Seine Worte waren herabgesunken und liegengeblieben, unverdaulich und kalt. Sie hatten sie bestärkt in ihrem Beschluss.

Mathilde holte das flache Päckchen unter der Strickjacke hervor, das sie ein halbes Jahr lang bei sich getragen hatte; es war noch warm von ihrem Körper. Sie faltete die Serviette auseinander, die nicht mehr weiß war, sondern fleckig von Schweiß und Schmutz und Blut. Die Bilder waren nicht groß, barocke Miniaturen, zwei davon Email auf Gold, Porträts von Anna Katharina und Friedrich von Jechow, angefertigt von Peter Boy. Das dritte zeigte einen hakennasigen Herrn mit strahlend blauen Augen. Seine Oberlippe war zu schmal, seine Unterlippe zu ausladend. Von den Nasenflügeln zogen sich scharfe Linien hinunter zu den Mundwinkeln. Graf Gawan. Pastell auf Elfenbein. Rosalba Carriera. Wenn man den grimmigen Gesichtsausdruck durch ein heiteres Lächeln ersetzte, konnte man ihn für Gregor halten. Die Miniatur war sein Verlobungsgeschenk gewesen.

Sie wickelte alle drei Bilder wieder sorgfältig ein und bettete sie zuunterst in die Höhle im Fußboden. Die Kerze, die sie auf den Steinsarg gestellt hatte, flackerte im Lufthauch, der durch das Gewölbe strich, als ob er etwas suche. Ihre Hand schien in dem warmen Licht zu zittern. Sie zögerte. Dann legte sie die vielen Seiten hinzu, die sie beschrieben hatte in den letzten Wochen. Das Foto. Die Rose, die ihr in den Händen zerfiel. Sie zögerte, bevor sie die Steinplatte wieder herabsenkte. Er würde nicht verstehen. Jetzt nicht. Aber vielleicht ... später.

Falls er überhaupt zurückkommt nach Blanckenburg, sagte eine kalte Stimme in ihr. Und falls er das alles dann noch wissen will.

Sie richtete sich auf, nicht mehr mit der alten Leichtigkeit, die sie gewohnt war. Sie spürte die Veränderung. Es begann etwas Neues, das seine Ansprüche anmeldete. Vorsichtig tastete sie sich zurück, die schmale Treppe hoch, hinaus in die warme duftende Abendluft.

Ella starb im Schlaf. Mathilde löste behutsam die erstarrten Finger, die sich um ihre Hand gelegt hatten und zog die Stiefel an. Es war Zeit.

Der Schlosshof war menschenleer. Aus dem Neuen Flügel hörte sie Stimmen, Gelächter. Und ein Klavier. Chopin. Wanja? Fast wäre sie stehengeblieben, um den Klängen zu lauschen. Sie hörte Schritte, duckte sich gerade noch rechtzeitig unter den Torbogen und wartete, bis sich die Schritte entfernten. Und dann war sie auf dem Weg hinunter zur Stadt. Die Russen waren da.

Im Gemeindehaus brannte Licht. Es gab etwas zu essen, ein paar Decken, eine Pritsche. Sie schlief nicht in den wenigen Stunden bis Sonnenaufgang. Sie dachte an den Brief. Gregor hatte den Brief an seine Eltern adressiert, aber er war geöffnet worden, wahrscheinlich von der Zensur. Nichts stand darin über die Gefangenschaft, über die Zustände in dem französischen Lager, über die Aussichten, bald freizukommen. Der Brief war eine Hymne an die Zukunft. Und eine Hymne an seine künftige Frau.

Diese Worte, diese quälenden, entsetzlichen Worte. „Stern in der Nacht der Demütigung.“ „Geheiligte Inbrunst.“ „Edle Größe in süßer Gestalt.“

Edle Größe. Reinheit. Mathilde hätte gern gelacht, aber ihr war nach weinen. Wie konnte man edel, groß und rein bleiben in diesen Zeiten? Wie sauber sein, wenn man durch Morast gelaufen war?

Es gab sie nicht mehr, die Welt, die sie einst mit Gregor teilte.

Deine Stella ist nicht mehr. Das Sternchen ist verglüht. Und Blanckenburg, unser Blanckenburg, wird nie mehr unser sein. Die Erbin von Jechow nennt sich ab sofort Mathilde Bergen. Sie ist schwanger, im schätzungsweise vierten Monat. Wie viele Väter für das Kind in Frage kommen, ist unbekannt. Sie hat keine Zeit mehr für hehre Worte und edle Größe. Sie will überleben, für sich und das Kind. Sie wird überleben.

Zwei Tage später machte sie sich auf den Weg. Je früher sie den Harz überquerte, desto besser. Als sie sich weit genug entfernt von Blanckenburg glaubte, drehte sie sich um. Das Schloss lag da, wie es seit Jahrhunderten auf dem weißen Kalkstein gestanden hatte. Neben ihm ragte die Turmruine der zerstörten Schlosskirche in den blassen Himmel.

Die Welt stand still. Und dann schoss eine Staubfontäne lautlos in den Himmel, dahinter verzerrten sich die Konturen des Kirchturms. Seine Säulen und Pilaster schienen zu schweben, bevor sie ineinander stürzten. Und in einer weiteren aufbrandenden Rauchwolke, mit einem mächtigen Grollen, versank die Kirche von Schloss Blanckenburg. Ihre Trümmer verschütteten den Ort, an dem Mathilde von Bergen niedergelegt hatte, was noch übrig war von ihrem vergangenen Leben.

Sie hatten den Turm über der Krypta gesprengt.

Russisch Blut/Doppelte Schuld

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