Читать книгу Russisch Blut/Doppelte Schuld - Anne Chaplet - Страница 18
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„You won’t be lost, hurt, tired and lonely, something beautiful will come your way.” Katalina drehte den Walkman lauter. Es war ein anstrengender Tag gewesen.
Sie hatte zwei Hunde entwurmt, einen alten Gaul gegen Mauke behandelt, ein Kälbchen aus dem Mutterleib geholt, eine ganze Herde Ferkel geimpft und eine einsame Katzenfreundin getröstet. Wenn das so weiterging, würde sie den Tierbesitzern Blanckenburgs bald nichts mehr beweisen müssen. Und nebenbei hatte sie mit den örtlichen Handwerkern gekämpft, die allesamt taten, als ob sie beide Hände voll zu tun hätten. Manchmal fragte sie sich, warum sie das Angebot eines Bekannten nicht angenommen hatte, ihr einen Trupp schneller Polen zu schicken. Dann sähe es in der Praxis von Dr. Gotsky bereits ganz anders aus.
Katalina schaltete, trat etwas kräftiger in die Pedale und fuhr im Schritttempo die steile Auffahrt zum Schloss hoch. Sie hatte sich überraschend schnell wieder ans Fahrradfahren gewöhnt, es begann sogar Spaß zu machen. Alles war intensiver, vom Sattel aus gesehen: die Landschaft, die Gerüche, die Farben, die Laute. Und außerdem vermochten ein paar kräftige Tritte in die Pedale die Spinnweben zu vertreiben, die nächtliche Träume beim Aufwachen hinterließen. Träume, die immer um das gleiche kreisten.
Als sie durch die Allee auf das Schlosstor zufuhr, war es wieder da, das Gefühl, in die Vergangenheit einzutauchen. Und heute täuschte sie sich nicht: Es gab Licht im Schloss. Licht? Das war untertrieben – der Neue Flügel rechts vom Turm war illuminiert, jedenfalls im Parterre. Zwei seiner Eingangstüren standen offen, durch die vielen tiefgezogenen Fenster erkannte man eine Gestalt, die geschäftig durch den Raum ging.
Sie stieg ab und lehnte das Rad an einen Holunder, der aus dem Pflaster im Schlosshof gebrochen war. Das Schloss war ins Leben zurückgekehrt. Es war Alma, die in dem großen Saal umherhuschte. Irgendwie war es ihr gelungen, das alte Sofa aus der Küche im Traiteurshaus hinüberzuschaffen und eine verwirrend vielfältige Menge von Sesselchen, Stühlen und Beistelltischen über den ganzen Raum zu verteilen. Bilder hingen an den Wänden, Kerzenleuchter standen vor Spiegeln, Stoffe waren über Tische und Stühle verteilt - eine rote Samtdecke. Ein bunter Quilt. Dazwischen mehrere Grünpflanzen und eine abschreckend moderne Stehlampe. Katalina stand staunend in der Tür und ging dann langsam durch den Saal. Wenn man näher kam, sah man, wie schäbig vieles war – die Spiegel blind, die Bilderrahmen billig.
„Schön?“ Alma stand neben ihr, das Gesicht gerötet, die Augen funkelnd.
„Wunderschön“, sagte Katalina. Die warmen Töne der Stoffe, der glitzernde Schmuck, den Alma auf den Tischchen verteilt hatte und das Kerzenlicht gaben dem Raum etwas von seiner alten Würde zurück. Eine Wiedergutmachung.
Der Anblick rührte etwas an, irgendeine Saite in ihr, die sie noch nicht kannte. Vielleicht hatten die drei Schwestern und ihr Anhang etwas von seiner Aura gespürt, als sie den alten Kasten kauften? Denn ohne sentimentale Zuneigung zu diesem Ort verbrachte ein erfolgreicher Anwalt wie Alex Kemper nicht seine Wochenenden hier. Und was sonst konnte auf einen Bankmanager wie Peer Gundson, auf eine bekannte Kunsthistorikerin wie Sophie Franken so unwiderstehlich wirken?
„Ich habe alles genommen, was ich finden konnte. Gerümpel meistens. Aber jetzt, wo es Frühling wird, ist es Zeit, das Schloss zu öffnen.“
Alma, hatte sie geglaubt, war noch am ehesten zu verstehen. Sie spielte die Haushälterin, wahrscheinlich gegen Bezahlung durch die anderen. So konnte sie nebenbei an ihrer Schmuckkollektion arbeiten und ihre Tochter im Auge behalten. Aber jetzt nahm sie eine gänzlich neue Rolle ein: Alma war die Schlossherrin. Und die fragte man, wenn man mehr von dem alten Monstrum sehen wollte als der Blick durch verstaubte Fenster offenbarte.
Alma zögerte kaum merklich. Dann lachte sie. „Eine Führung? Warum nicht?“
Es war noch nicht dunkel draußen, aber in den anderen Räumen des Schlosses herrschte Zwielicht. Alma ging voraus, durch die Kapelle – „im Stockwerk darüber befand sich die Bibliothek, übrigens im 18. Jahrhundert schon öffentlich“ und durch den Kaisersaal – „Stuckarbeiten von Jakob Perinetti und Carlo Rossi“. Vor dem Turmflügel zögerte sie. „Die Statuen symbolisieren die Künste und die Wissenschaften – Eversmann 1723“, sagte sie, so, als ob Katalina wissen müsste, wie großartig das war. Katalina lächelte schweigend. Sie hatte von Architektur soviel Ahnung wie Humanmediziner vom Knochengerüst eines Pferdes.
Alma erlaubte ihr einen flüchtigen Blick in die ehemalige Schlossküche, die im Parterre des Turmflügels untergebracht war, sagte vage: „Im ersten Stock waren die Wohnräume der gräflichen Familie“ und eilte dann zurück zum lichtdurchfluteten Saal – „im Neuen Flügel wurden die Gäste untergebracht.“ Der Gartensaal, wie ihn Alma getauft hatte, der mit der einbrechenden Dämmerung draußen umso heiterer wirkte, öffnete sich auf der Rückseite zu einem mauerumstandenen kleinen Garten. Katalina ging durch die Terrassentür hinaus und blickte in den Abendhimmel und über die Dächer Blanckenburgs hinweg, wo die Straßenlichter angegangen waren.
Vielleicht war es die warme Luft, vielleicht die ersten Frühlingsgefühle, aber plötzlich glaubte auch sie an neues Leben in den Ruinen Blanckenburgs. Sie ging zurück in den Gartensaal, in dem Alma stand, mit glühenden Wangen, und sich langsam um die eigene Achse drehte, um ihr Werk zu bewundern.
„Sie kommen hoffentlich auch morgen.“ Alma klang wie ein Kind vor der Bescherung. „Morgen eröffnen wir die Saison. Eine Soiree – “ ihre Hand umschrieb einen weiten Bogen. „Für die Stadthonoratioren. Für die Elite Blanckenburgs. Sie wissen doch: Pfarrer, Bürgermeister, Notar.“
Sie legte Katalina die Hand auf den Unterarm und beugte sich mit Verschwörermiene vor. „Blanckenburg hat sein Schloss zurück. Die werden uns noch die Füße küssen.“
Bevor sie ging, half Katalina, das Sofa an eine andere, eine „dramatischere“ Stelle zu rücken, wie Alma sich ausdrückte. Auf dem Weg zum Kutscherhaus drehte sie sich um und badete ihre Augen in dem warmen Licht, das vom Schloss her hinüberdrang. Und dann ... Nein, sie täuschte sich auch diesmal nicht. Im Turmflügel, dort, wo einst die gräflichen Wohnräume gewesen waren, ging hinter dreien der Fenster das Licht an. Eine Gestalt trat ans Fenster, öffnete es, blickte hinaus, schloss es dann wieder und zog die Vorhänge zu. Das konnte nur eine sein: Noa.
Als sie vor dem Kutscherhaus angelangt war, sah sie drei der schlosseigenen Pfauen auf dem Fensterbrett neben dem Eingang hocken. Die Vögel schienen etwas zu betrachten, nein: zu bewachen. Sie trat näher. Unter dem Fensterbrett stand ein Karton, der sich bewegte.
Katalina seufzte. Sie hatte damit gerechnet. Man musste darauf gefasst sein, dass die einzige Tierärztin weit und breit zur Anlaufadresse für alle unerwünschten Kreaturen wurde, die man loswerden wollte, ohne allzu große Schuldgefühle haben zu müssen. Sie scheuchte die Pfauen fort. Im Karton hockte ein feuchtes, graues Fellbündel, das jämmerlich wimmerte, als sie es hochhob und ihr dann begeistert die Nase ableckte.
„Das hat mir gerade noch gefehlt“, murmelte sie und trug das Bündel ins Haus.
Es war das hässlichste Hundebaby, das ihr je unter die Augen gekommen war.
Später machte sie eine Flasche Wein auf. Es war kein Rotwein, wie Peer Gundson ihn ausgeschenkt hätte. Alex Kemper würde wahrscheinlich noch nicht einmal probieren davon. Aber schon der erste Schluck versetzte sie an die Berghänge von Mostar. Sie nahm das Glas mit nach draußen zur Bank vor der Tür. Nach einer Weile kam das struppige Tierchen schlaftrunken hinter ihr her, kletterte auf ihren Schoß, drehte sich zweimal um sich selbst, steckte die Schnauze unter seinen Schwanz und schlief ein, tief, wie Babies eben schlafen.
Katalina hielt das Gesicht in die kühle, duftende Brise und starrte mit halbgeschlossenen Augen in die Nacht. Das wäre eine Nacht für Gavro gewesen. Neumond. Kein Laut, nirgends. Einschwebende Fledermäuse, jagende Eulen. Jetzt raschelte irgendwo ein Tier.
Das Mädchen stand vor ihr.
Katalina zuckte zusammen. Gavro, den sie eben noch neben sich gespürt hatte, zog sich zurück in die tieferen Schichten ihres Bewusstseins.
Noa trug ein weites T-Shirt über bequemen Hosen und sah plötzlich wie ein ganz normaler Teenager aus. Nein – wie ein verwirrter, ja verängstigter Teenager.
„Alles in Ordnung mit dir?“
Das Mädchen nickte.
„Geht es Alma nicht gut?“ Man konnte ja nie wissen. Tierärzte sind Mädchen für alles. Noa biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. „Könnten Sie ... ich meine: so, dass es niemand merkt? Vor allem Alma nicht?“
„Was soll ich, so, dass es niemand merkt?“ Katalina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Es ist der alte Herr.“
Welcher alte Herr? „Peer Gundson? Alex Kemper?“
„Ach, die doch nicht. Es ist – mein Pflegefall“, sagte Noa mit der Bitterkeit der Jungen, die lieber in die Disco gehen würden als sich in einem halbverfallenen Schloss um Pflegefälle kümmern.
„Wo gibt es denn hier einen Pflegefall, den ich noch nicht kenne?“
Noa verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln. „Es soll ja auch niemand wissen.“
„Also: wer und wo?“
„Er liegt im Turmflügel. Es geht ihm nicht gut.“
„Wer – er?“
„Na, der Alte halt.“ Sie wand sich verlegen wie ein Kind. „Alex nennt ihn Nepomuk, das Schlossgespenst.“
Katalina gab auf. „Was sagt der Hausarzt?“
Noa guckte gequält. „Der ist – “ Sie dachte ein bisschen zu lange nach, bevor sie „im Urlaub!“ anfügte.
„Und warum versuchst du es nicht mit dem Notruf?“
„Katalina! Bitte! Alma bringt mich um!“ Das Mädchen sah so verzweifelt aus, dass Katalina es fast in den Arm genommen hätte.
„Na, ich kann ja mal nachsehen.“ Wer was von Pferden versteht, kennt sich auch mit Menschen aus, hatte ihr Lehrer an der Universität gesagt. Sofern es nicht um einen Schlüsselbeinbruch geht – Pferde haben nämlich keins. Und kotzen können sie auch nicht.
„Er ist ... er ist so komisch .“ Noa knetete ihre Hände. „Erst hat er wirre Sachen erzählt. Dann war er völlig verschwitzt. Und jetzt fühlt er sich ganz kalt an. Und – seine Medikamente. Erin hat mir noch erklärt, was ich ihm alles geben soll, aber ich weiß nicht mehr genau, wieviel und in welcher Reihenfolge und wann.“
Noa war sichtlich durcheinander. Kein Wunder. Das klang nach Kreislaufkollaps – schlimmer wären Schlaganfall oder Herzinfarkt. Hatte Erin dem Mädchen wirklich die Pflege eines kranken Mannes anvertraut, der auch noch in dieser unwirtlichen Ruine hauste? Katalina schüttelte missbilligend den Kopf und setzte den Hund von ihrem Schoß hinunter auf die Bank. Das Tier hob den Kopf mit geschlossenen Augen, seufzte und steckte die Schnauze wieder unter den Schwanz. Die Art, wie Noa den hässlichen kleinen Köter betrachtete, ließ sie weit jünger erscheinen, als sie sich gab. Fast war Katalina gerührt.
Sie folgte dem Mädchen zum Turmflügel und in das Treppenhaus, das in die oberen Räume führte. Der lange Flur im ersten Stock wirkte licht und aufgeräumt und entschieden weniger baufällig als andere Teile des Schlosses. Mit der Warnung vor dem Betreten der oberen Stockwerke wegen Einsturzgefahr wollte man offenbar Neugierige abschrecken.
Noa öffnete eine der großen Flügeltüren, die vom Flur abgingen.
Der alte Herr lag in einem wuchtigen Holzbett unter dickem Bettzeug, drei elektrische Heizkörper standen um ihn herum. Es war viel zu heiß im Zimmer. Sie bat Noa, eines der Fenster zu öffnen und ging auf das Bett zu. „Herr – ?“ Sie guckte Noa an. Noa zuckte mit den Schultern.
Die Augenlider des Mannes flatterten. Die Haut über dem schmalen Schädel wirkte wächsern, in den tief eingegrabenen Mundwinkeln sammelte sich der Speichel. Katalina nahm die rechte Hand des Kranken. Kalkweiß und kalt. Der Puls kaum zu spüren. Auf einem Tisch in der Nähe des Bettes lagen Arzneimittel, eines davon ein gängiges blutdrucksenkendes Medikament.
Der Mann vor ihr hatte keinen zu hohen Blutdruck. Er hatte fast gar keinen mehr. Als ihr Blick auf die Packung neben dem blutdrucksenkenden Mittel fiel, ahnte sie, was los war. Der Mann nahm außer Wandonorm auch noch Amaryl, ein orales Antidiabetikum, das den Blutzucker senkt – und zwar bis unter die Grasnarbe, wenn man nicht aufpasste. Katalina nahm die rechte Hand des alten Herrn zwischen ihre Hände und begann sie behutsam zu massieren. Schöne Hände hatte der Mann, lange, schmale Finger und die Spannweite eines Klavierspielers. Nur die weißliche Warze auf dem Handrücken störte.
An einen Schlaganfall glaubte sie nicht mehr. Wohl aber an eine massive Unterzuckerung, die erst ins Koma und dann in den Tod führen konnte, wenn man nichts dagegen unternahm.
„Habt ihr Traubenzucker im Haus?“
Noa starrte gebannt auf den alten Herrn und rührte sich nicht vom Fleck.
Wieder flatterten dessen Augenlider. Die wächserne Haut. Die kalten Hände. „Apfelsaft! Bananen! Irgendwas Süßes! Worauf wartest du noch? Noa! Beeil dich!“ „Ist er ... erholt er sich wieder?“
„Ja, wenn du tust, was ich dir sage! Honig hilft auch!“
Endlich ging Noa. Katalina betrachtete den Kranken. Kurze weiße Haare. Cäsarenschnitt. Sie strich ihm sanft über die Stirn, die sich glatt anfühlte, trotz der vielen braunen Altersflecken. Kalter Schweiß.
Der Mann war bestimmt über achtzig. Ein Verwandter? Der Vater der drei Franken-Schwestern?
„Herr Franken?“ Man konnte es ja mal versuchen. Vielleicht bekam er noch etwas mit von dem, was um ihn herum geschah.
Und dann öffneten sich seine Augen. Hellblau. Heller geworden mit dem Alter, nahm sie an. Noch blicklos. Aber plötzlich nahm er sie wahr. Das eben noch eingefallene Gesicht veränderte sich. Ein hingerissenes, ein hinreißendes Lächeln breitete sich aus, begann mit den Augen, ergriff den Mund. Er flüsterte etwas. Sie nahm wieder seine Hände zwischen die ihren und rieb sie sanft. Sie schienen nicht mehr ganz so kalt zu sein. Die Augen des Alten schlossen sich und öffneten sich gleich wieder. „Sternchen“, sagte er. Diesmal verstand sie ihn deutlich. Er hatte Sternchen gesagt.
In diesem Moment kam Noa mit Saft und Honig und Bananen, Alma im Gefolge – im Nachthemd, mit zerzausten Haaren und aufgerissenen Augen. Sie sah alt aus ohne die übliche Make-up-Schicht.
„Was machen Sie hier?“ Dann fiel ihr Blick auf den Mann. Sie stürzte ans Bett. „Was ist los? Ist er – ?“
Plötzlich gingen Katalina all die unvollendeten Sätze, zu denen die Familie Franken neigte, entsetzlich auf die Nerven.
„Nein, er ist nicht tot. Nein, es sieht auch nicht so aus, als ob er gleich sterben würde. Er hat einen zu niedrigen Blutdruck und eine schwere Unterzuckerung. Das ist zwar gefährlich, aber man kann etwas dagegen tun.“
„Hat er was gesagt?“
Katalina wunderte sich über die Frage. Nein, besser gesagt: über die Art, wie Alma fragte. Lauernd. Misstrauisch. Erwartungsvoll. Alles davon. Sie legte den Arm um den alten Herrn und zog ihn hoch, bis er halbwegs aufrecht in den Kissen lehnte. Langsam flößte sie ihm etwas von dem Saft ein.
„Nein, er hat nichts gesagt.“ Der Schluckreflex funktionierte noch. „Wie lange ist er schon bettlägerig?“
Die beiden sahen sich an. „Seit ein paar Wochen“, sagte Alma schließlich zögernd. „Und was sagt der Arzt?”
„Was soll der schon sagen?“
Richtig. Sie hätte im übrigen auch nicht gewusst, wie gefährlich die Kombination von Amaryl und Wandonorm bei älteren Menschen sein kann, wenn sie nicht so etwas ähnliches schon einmal erlebt hätte. Der Mann hatte einen prächtigen Schäferhund gehabt, der gottlob die ganze Nachbarschaft zusammengebellt hatte.
„Wer gibt dem Mann seine Medikamente?“
„Erin. Normalerweise.“
Katalina bildete sich ein, dass sich der alte Herr zu erholen begann.
„Es ist nur – ich habe die da heute morgen vergessen.“ Noa machte eine vage Kopfbewegung hin zu der Packung mit den Antidiabetika. „Und deshalb habe ich ihm vorher gleich zwei gegeben. Aber das hat wohl nichts mehr genützt.“
Im Gegenteil. Es hatte zu gut genützt. Katalina verstand Erin nicht. Wie konnte sie die komplizierte Versorgung eines Diabeteskranken einem fünfzehnjährigen Kind überlassen?
Sie hielt dem alten Herrn das Glas an die Lippen, während Alma die Banane mit Honig vermengte. „Er war – es ist – mein Exmann“, murmelte sie.
„Noas Vater?“ Warum nicht. Auch wenn keine Ähnlichkeit zu erkennen war – der Mann hatte ausgeprägte Gesichtszüge, eine starke Nase, ein herrisches Kinn.
„Nein. Der kam vorher. Ich meine: danach.“
Wie denn nun? dachte Katalina, während sie auf den Atem des Alten lauschte.
„Sind Sie sicher, dass es der Blutzucker ist?“ Alma klang plötzlich wieder misstrauisch. „Nein“, sagte Katalina, die hinter dem Wasserglas einen Streifen mit Filmtabletten entdeckt hatte. Rohypnol war ein Schlafmittel, das auch in normaler Dosis einen älteren Herrn umhauen konnte, sofern der nicht durch jahrelangen Gebrauch daran gewöhnt war. „Wenn er nicht bald wieder hochkommt, dann war es ein Schlafmittel. Oder besser gesagt: zuviel davon.“
Zuviel davon. Ein Schlafmittel. Eine Dogge, deren Lebendgewicht allerdings nicht ganz an das eines erwachsenen Mannes heranreichte. Hatte jemand an Leo getestet, wie Rohypnol wirkte und in welcher Dosis es tödlich war? Was für ein Gedanke!
Katalina ließ den Kopf des Mannes aufs Kissen zurücksinken. Er kam langsam zu sich. „Wie können Sie das wissen, Sie sind doch – “ Alma versuchte, sich zu bremsen.
Katalina stand von der Bettkante auf, steckte die Hände in die Jeans und drehte sich zu Alma um. „Ich bin Veterinärmedizinerin, Frau Franken. Und ich kenne den Unterschied zwischen Tieren und Menschen. Er kann sehr groß sein. Und sehr klein.“
„Und gackernde Hühner sind auch nicht besser als dumme Esel“, knurrte es vom Bett her.
„Schön, dass Sie wieder unter uns weilen, mein Herr“, sagte Katalina.
„Und wie immer bei bester Laune.“ Alma drehte sich um und zog die widerstrebende Noa mit hinaus. Sie ließ die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss fallen.
„Wer sind Sie?“ fragte der alte Herr.
Katalina reichte ihm die Hand. „Katalina Cavic. Ich bin der Pferdedoktor hier.“
Er lächelte. Nicht so weich, wie vorhin, nicht so traumverloren, fast zärtlich. „Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen“, sagte er.