Читать книгу Russisch Blut/Doppelte Schuld - Anne Chaplet - Страница 21
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Es hatte in der Nacht geregnet. Jetzt waren die Wolken verschwunden. Die Bombe platzte in einen klaren blauen Himmel.
Während Liao-Wangtai von Aasenheim Katalina mit Würde und Zurückhaltung empfing, begrüßte Frau Werner sie fast atemlos, mit leuchtenden Augen und mit der Frage, die alle Klatschbasen der Welt als erstes stellten: „Haben Sie es schon gehört?“ Hatte sie nicht. Natürlich nicht. Sonst hätte sie der guten Frau Werner ja den ganzen Spaß verdorben.
In der Wohnhalle lag die Zeitung ausgebreitet auf dem Couchtisch. „Die erste Seite im Lokalteil. Ich hab’ es immer schon gesagt: da stimmt was nicht, bei denen da oben.“ Die alte Dame machte eine bezeichnende Handbewegung Richtung Schloss.
Katalina setzte sich und ließ sich einen Kaffee eingießen.
„Wenn ich nur nicht zum Bridgeabend gemusst hätte, gestern! Sie haben es schon im Vorabendfernsehen gebracht. Kindermund tut Wahrheit kund. Kinder und Narren! Hab’ ich immer schon gesagt.“
Frau Werner schüttelte begeistert den Kopf, während Katalina sich über den Zeitungsbericht beugte.
„Die Raubritter sind zurück“, lautete die Überschrift im Lokalteil der „Brockenzeitung“. Untertitel: „Wie man sich an der Geschichte bereichert“. Im Ton der Empörung schilderte der Autor die Bemühungen der Frankens, auf dem Markt der geschichtlichen Sensationen ihr Schnäppchen zu machen. Kronzeuge: die Tochter der Besitzer, die in die Fernsehkamera gesagt habe: „’Wenn hier was gefunden wird, irgendwas Römisches oder Keltisches, kriegen wir Geld vom Staat, wir und die Gemeinde. Mit so einer archäologischen Sensation kann man ganz schön Kohle machen, und irgendwas findet man immer. Und wenn man selbst was Passendes vergräbt.’“
Katalina wäre fast in lautes Gelächter ausgebrochen. Das war alles ein bisschen verkürzt, aber Noa hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Stimmung auf Almas Soiree hatte zeitweise einem Goldgräberlager alle Ehre gemacht.
Im Rest des Artikels wurden offenbar altgediente Konflikte ausgetragen. Noa – das „Kind“ – habe nur ausgesprochen, was Schlossbewohner und Gemeinde heimlich ausgekungelt hätten. Dort schrecke man auch vor Betrug nicht zurück, um sich an unrecht Gut zu bereichern. Die dubiosen Geschäfte der Bürgermeisterin seien in der „Brockenzeitung“ ja schon vor einiger Zeit aufgedeckt worden. Nun verbünde sie sich mit Dahergelaufenen, denen das wertvollste Kulturgut Blanckenburgs für Gotteslohn zugeschustert worden sei und die nicht daran dächten, es zu erhalten und zu pflegen. Der Artikel endete mit der Frage, was denn der Graf zu alledem sagen würde. „Der Erbe von Schloss Blanckenburg, Gregor v. Hartenfels, ist im Jahre 2000 vom Verwaltungsgericht abschlägig beschieden worden, als er die Rückgabe seines 1945 unrechtmäßig konfiszierten Grund und Bodens forderte. Nach dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürfte dieser Bescheid keinen Bestand haben. Es wäre der Gemeinde zu wünschen, dass der Graf das nächste Mal erfolgreich ist – wenn wir verhindern wollen, dass wir immer wieder das Opfer von Glücksrittern, Betrügern und Scharlatanen werden.“
Katalina sah auf in das erwartungsvolle Gesicht der Werner. „Was sagen Sie nun?“ Was sollte sie sagen? Ihr tat Noa leid. Sie hatte in aller Naivität eine komplizierte Angelegenheit auf den einfachsten Nenner gebracht. So, wie es nun in der Zeitung stand, ließ es die Frankens als Betrüger und Halunken erscheinen und gab Klara Buddensen im Nachhinein recht. Andererseits: wenn nicht bald etwas geschah, konnte man das Kulturgut Schloss Blanckenburg abschreiben. Alma hatte es wenigstens mit einer praktischen Lösung versucht, auch wenn sie eindeutig ihre dubiosen Seiten hatte, um es vorsichtig zu formulieren.
Aber worauf warteten die anderen Schlossbewohner? Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie gehört hatte, damals an einem ihrer ersten Tage in Blanckenburg, als sie Sophie und Alex beim Flirten im Pferdestall erwischte. „Wenn er nur endlich reden würde“, hatte Sophie gesagt und von einem Deal gesprochen. Von einem Deal mit einem Mann, der krank ist und 84 Jahre alt wird. Der simuliert .
Sie ahnte langsam, wer gemeint war: Noas Patient oben im Turmflügel. Und sie wusste, dass Sophie recht hatte: der alte Herr simulierte. Anders konnte sie sich seine Reaktion bei ihrem gestrigen Besuch nicht erklären.
Als sie die Tür öffnete, lag der alte Herr blass in den Kissen und rührte sich nicht. Sie hatte ihm den Puls gefühlt. Stabil. Aber der halbleere Streifen Rohypnol neben dem Wasserglas machte ihr Sorgen. Sie war zum Fenster gegangen, um Luft in das stickige Zimmer zu lassen. Wer gab dem Mann die Tabletten? Oder nahm er sie selbst? Vor drei Tagen wäre er dazu nicht in der Lage gewesen, aber danach war es ihm immer besser gegangen. Er hätte also können, aber hatte er auch wollen? Der alte Herr wirkte nicht wie ein Selbstmordkandidat. Andererseits ... Was wusste sie schon über diesen Mann? Sie hätte den Laut fast nicht gehört, weil ein Pfau auf die Treppe unter dem Fenster gesprungen war, sein Schwanzgefieder ausgefahren, es selbstgefällig in alle Himmelsrichtungen gehalten hatte und in schrilles Trompeten ausgebrochen war.
Sie drehte sich um. Zeus war auf das Bett gesprungen. Sie wollte ihn rufen. Aber dann hörte sie es vernehmlich glucksen. Und schließlich war der alte Herr in ein fast hysterisches Gelächter ausgebrochen, das Zeus mit freudigem Japsen beantwortete. Katalina war mit ein paar Schritten neben dem Bett. „Das ist Folter“, sagte der alte Herr lachend, wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und kraulte mit der anderen Hand den Hund. „Wie soll ich stillhalten, wenn das Vieh mich ableckt?“
Katalina hätte gelacht, wenn sie nicht so wütend gewesen wäre. „Schön, dass Sie leben und ansprechbar sind“, sagte sie. „Aber würden Sie die Güte haben, mir zu erklären, was hier abläuft?“
Er hatte ihr keine Antwort gegeben. Aber langsam begann sie sich eine Antwort zusammenzureimen.
Sie strich die Zeitung glatt und stand auf. „Und?“ fragte die Werner, lauernd. „Ich weiß es nicht.“ Katalina fühlte sich müde. Und das lag nicht daran, dass das Leben in Blanckenburg langweilig wäre, im Gegenteil: es war entschieden zu viel los.
Frau Werner war sichtlich enttäuscht, dass sie schon gehen wollte. „Noch einen Kaffee? Und Liao – “
„Ist rettungslos gesund, das wissen wir doch beide.“
Katalina drückte der Werner hastig die Hand und verließ die Villa. Sie hatte noch zu telefonieren und die Besitzer zweier überernährter Goldhamster und eines senilen Kanarienvogels zu besuchen. Ganz zum Schluss radelte sie bei Tenharden vorbei, dem Züchter von Angusrindern, dessen Schwarzwälder Fohlen lahmte. Röntgen oder raten lautete in diesen Fällen die tierärztliche Devise. Ihrer Erfahrung nach war raten bei Pferden, den unbekannten Wesen, die bessere Methode.
Endlich war Feierabend. Als ihr Mobiltelefon vibrierte, drückte sie auf die Austaste. Sie hatte es plötzlich eilig.