Читать книгу Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht - Anne Hahn - Страница 308

1.6.3 Nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen, Beweislast, pressemäßige Sorgfaltspflicht

Оглавление

67

Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegen nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht.[186] Alle übrigen Tatsachenbehauptungen, also auch zunächst nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug, genießen den Grundrechtsschutz. Dies gilt auch und gerade dann, wenn sie sich später als unwahr herausstellen.[187] Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der Abwägung ins Gewicht, wobei jedoch bedacht werden muss, dass die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiss ist und sich erst als Ergebnis während eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt. Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich als unwahr erkannte Äußerung stets mit Sanktionen belegt werden dürfen, so stünde zu befürchten, dass der grds. gewollte Kommunikationsprozess litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten.[188] In der Abwägung kann die Nichterweislichkeit einer Tatsache z.B. dann hinzunehmen sein, wenn es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage handelt[189] oder wenn der Äußernde auf ein vorangegangenes Verhalten des Betroffenen reagiert.[190] Die vom BVerfG gedeckte Rechtsprechung hat sich in diesen Fällen dadurch geholfen, dass sie demjenigen, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Sorgfaltspflichten auferlegt. Diese richten sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten und sind etwa für die Medien strenger als für die Privatleute.[191]

68

Sind die Sorgfaltspflichten eingehalten, stellt sich aber später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass weder eine Wiederholungsgefahr noch i.d.R. eine Erstbegehungsgefahr gegeben ist. Besteht die auf konkreten Anhaltspunkten beruhende Gefahr, dass die Äußerung trotz besserer Erkenntnis in der Zwischenzeit aufrecht erhalten wird, besteht im Ausnahmefall Erstbegehungsgefahr.[192] Teilt das Medium hingegen mit, dass es nun, nachdem sich die Unwahrheit trotz sorgfaltsgemäßer Recherche nachteilig herausgestellt hat, an der Äußerung nicht mehr festhält, so wird i.d.R. keine Erstbegehungsgefahr bestehen. Wirkt die Beeinträchtigung des von der Äußerung Betroffenen nach Feststellung der Unwahrheit fort, ist ein Richtigstellungsanspruch nicht ausgeschlossen.[193] Allerdings darf dies nur für Einzelfälle besonders schwerwiegender Beeinträchtigungen gelten.

69

Bei Nichterweislichkeit der Wahrheit legt die Rechtsprechung dem Äußernden darüber hinaus eine (erweiterte) Darlegungslast auf, dass er mit seinen Recherchen die strenge Sorgfaltspflicht erfüllt hat und ihn dazu anhält, Belegtatsachen für seine Behauptungen anzugeben.[194] Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts gegen einzuwenden, wenn die Anforderungen an die Darlegungslast nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit überspannt werden.[195] Insbesondere darf auch das Redaktionsgeheimnis nicht ausgehöhlt werden; ist ein Presseorgan deswegen an der Benennung eines Informanten gehindert, ist lediglich zu verlangen, dass wenigstens nähere Umstände vorgetragen werden, aus denen auf die Richtigkeit der Information geschlossen werden kann.[196]

Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

Подняться наверх