Читать книгу Wie aus einer Radtour eine Weltreise wurde. Vom Improvisieren und kleinen & großen Abenteuern. - Annika Wachter Roberto Gallegos Ricci - Страница 13

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West- und Zentralasien


Die Ausläufer des Pamir-Hochgebirges in Kirgisistan.

Radler mit Rettungsringen

Tag 259, Kilometer 5138, Türkei

POSITIV Pamukkale, Sonnenaufgang in Kappadokien, alte Küstenwanderwege bei Fethiye und die vielen Trinkwasserquellen am Straßenrad NEGATIV Es geht immer bergauf, selbst wenn alle sagen, es bliebe flach GELERNT Etwas Türkisch, die Okey-Spielregeln und ein Stehklo mit Wasser, statt Papier zu benutzen

»Wie kann das sein, du radelst jeden Tag und trotzdem bist du genauso dick wie ich!« Roberto guckt an sich herunter und ist für einen Moment sprachlos. Das kommt äußerst selten vor. Sein Gegenüber, eine füllige Frau mittleren Alters im engen rosa Rennradtrikot, grinst ihn an. Sie hat es nicht böse gemeint, sie hatte eher drahtig sportliche Muskelpakete erwartet und nicht zwei Normalos mit Rettungsringen.

Woran das liegt, wissen wir ganz genau. An sportlicher Betätigung mangelt es uns nicht. Die Türkei ist voller Berge, und bis wir die Schwarzmeerküste erreichen, geht's immer irgendwo rauf oder runter. Es ist vielmehr die kolossale Menge an Kalorien, die wir täglich aufnehmen. Grund dafür ist die unvergleichbare türkische Gastfreundschaft.

Gleich am ersten Tag im Land winkt uns eine Gruppe älterer Herren zu, die in einem Lädchen sitzt und Backgammon und Okey spielt. Einer formt seine linke Hand zu einem kleinen Teeglas und rührt mit der Rechten einen imaginären Löffel. Wir sollen ihnen auf ein Pläuschchen Gesellschaft leisten. Nach drei Gläsern beschließt die Gruppe, dass wir die Nacht bei Mustafa verbringen würden, seine Frau sei bereits zu Hause und bereite einen Schlafplatz vor. Zunächst sind wir noch überrascht ob der spontanen Gastfreundschaft gegenüber zwei völlig Fremden. Doch dies ist kein Einzelfall. Während unserer fünf Monate in der Türkei erfahren wir am eigenen Leib, dass es für Türken selbstverständlich ist, das, was sie haben, zu teilen, auch mit völlig Fremden. Reisende werden ohnehin immer unterstützt, sonst hätte es sich früher kaum jemand leisten können, nach Mekka zu pilgern.

Wochenlang bricht Roberto hinten rechts am Rad immer wieder eine Speiche. Da wir weder Nippelspanner noch Kettenpeitsche besitzen (und diese Werkzeuge für uns zu diesem Zeitpunkt noch wie Fantasienamen klingen), sind wir Dauerbesucher in allen lokalen Radlädchen auf dem Weg. Meist kriegen wir währenddessen noch einen Tee angeboten, und nicht selten heißt es hinterher, die Rechnung sei schon beglichen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir von fremden Menschen spontan eingeladen werden, fasziniert uns.

Nördlich von Ankara schlagen wir das Zelt auf einer Schafweide auf, nachdem wir das Okay von Ahmet, dem Schäfer, eingeholt haben. Seine Familie und er bestehen aber darauf, dass wir nicht schlafen gehen, ohne zuvor mit ihnen zu Abend gegessen zu haben.

An einer Tankstelle werden wir von der Betreiberin spontan zu Limonade und einem Essen in der Kantine eingeladen. Kurz darauf kommt uns ein Paar auf einem Trecker entgegen. Als sie uns auf ihrem Rückweg überholen, haben sie uns ein Eis mitgebracht. Wieder zelten wir zwischen zwei Feldern, und diesmal bekommen wir nächtlichen Besuch, der uns nicht schlecht erschreckt. Die Bauernsöhne sind mit Cola und Keksen auf einen Plausch vorbeigekommen, und bald sitzen wir gemeinsam auf dem Acker unter den Sternen, knabbern Kekse und stellen unsere mageren Türkischkenntnisse auf die Probe.

An einem Rastplatz kauen wir gerade an einem Stück Börek, das wir geschenkt bekommen haben, als Ömer und Umut, zwei Lkw-Fahrer, uns zu sich an den Tisch einladen. Auf einer Tischdecke aus Zeitungspapier liegen Fladenbrot, Honig, Oliven und Käse, Gurke und Tomate und natürlich Tee. Ein komplettes türkisches Frühstück. Wir bleiben in Kontakt mit Ömer und verbringen ein paar Wochen später ein paar Tage bei ihm und seiner Familie.

Je näher wir der Schwarzmeerküste kommen, umso energischer werden die Einladungen und umso größer auch die Rettungsringe. Bayran zum Beispiel, bei dessen Familie wir später übernachten würden, setzt sich einfach zu uns und fragt, wie wir heißen und wo wir hinfahren. »Habt ihr Hunger?« »Nein danke, wir haben gerade eine riesige Portion ...«. »Gut, dann nur etwas Kleines. Kellner, drei Pide, bitte! Und auch drei Ayran, ja, die großen.«

Alle paar Kilometer lernen wir liebenswürdige Leute kennen, quatschen, trinken Tee und essen einen Happen oder zwei. Wir wissen gar nicht, wie uns geschieht, ständig finden wir uns in einer anderen Küche wieder, unterhalten uns und kriegen die Teller immer wieder mit hausgemachten Köstlichkeiten aufgefüllt. Es ist ein bisschen wie bei Oma am Tisch, nur dass wir nicht mehr groß und stark werden müssen, sondern mit dem Kalorienverbrennen nicht hinterher kommen. Aber das ist uns herzlich egal. Wir genießen die Zeit bei den gastfreundlichen Türken, und wenn man uns das ansieht, dann ist das auch in Ordnung.


Im Frühjahr verlassen wir das ländliche Fethiye


Ömer aus Rize zeigt uns die Teeplantagen der Region. Hier mit seiner Tochter Purki


Tee wird immer und überall gereicht.


Die Strecke durch die Türkei ist landschaftlich sehr abwechslungsreich. Auch einen Salzsee gibt es.


Abendbrot bei der Familie unseres neuen Freundes Hamid im Iran.


In Armenien ist der Sommer Aprikosenzeit.

Wie aus einer Radtour eine Weltreise wurde. Vom Improvisieren und kleinen & großen Abenteuern.

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