Читать книгу Wie aus einer Radtour eine Weltreise wurde. Vom Improvisieren und kleinen & großen Abenteuern. - Annika Wachter Roberto Gallegos Ricci - Страница 17
Esmeralda Tag 364, Kilometer 6730, Grenzregion Turkmenistan und Usbekistan
ОглавлениеPOSITIV Viele einheimische Radler in Turkmenabat NEGATIV Gegenwind GELERNT Den Wechselkurs noch vor dem Grenzübertritt herausfinden
Im Morgengrauen erreicht unser Nachtzug Turkmenabat. Uns bleibt der ganze Tag für die letzten 30 Kilometer bis zur Grenze. Dennoch halten wir uns nicht in der Stadt auf, sondern sehen zu, dass wir Land gewinnen, denn Roberto ist noch längst nicht wieder auf der Höhe. Es geht mit Gegenwind durch eine sehr karge Landschaft. Ein einzelnes Auto hält, und die Fahrerin winkt uns heran. Ob wir Geld wechseln wollen. Na, aber sicher wollen wir das. Die ersten Stunden bis Tage in einem neuen Land, in dem man keinen Cent der Landeswährung in der Tasche hat, sind immer etwas schwierig zu meistern. Wir kratzen unsere letzten turkmenischen Manat und iranischen Rial zusammen, legen ein paar US-Dollar drauf, feilschen hart und bekommen dafür eine kleine Plastiktüte voller Geldscheine. Unsere erste halbe Million usbekischer Som! Obendrauf bekommen wir noch einen Laib Brot geschenkt, was uns dann doch etwas stutzig macht und dazu veranlasst, ein paar Tage später den Wechselkurs zu googeln. Wie sich dann herausstellt, hatte die Frau wohl ein schlechtes Gewissen, uns derartig über den Tisch zu ziehen, dass sie uns ein Brot als Trostpreis schenkte. Da wir all das aber noch nicht wissen, verabschieden wir uns lächelnd von der netten Geldwechslerin.
Wir lassen uns auf der turkmenischen Seite der Grenze anblaffen, herumscheuchen und ausstempeln und erreichen dann den usbekischen Grenzposten. Auch hier erwarten uns grimmig dreinblickende Soldaten mit Gewehren. Roberto schlottern die Knie. Schon als Grundschüler ist er täglich von seiner Heimatstadt Tijuana in eine Schule in den USA gependelt. Visaanträge, Grenzüberquerungen und die Willkür mancher Grenzbeamter bereiten ihm seither immer Bauchschmerzen.
Wir nähern uns dem Stacheldrahtzaun, da kommt ein kleiner, aber sehr kräftiger und sichtlich übellauniger Grenzbeamter auf uns zu, schaut Roberto genau an und knurrt etwas, das wie »Otkuda« klingt. Da wir kein Wort Usbekisch oder Russisch sprechen, ist jetzt Improvisation gefragt. Dies ist die 13. Grenzüberquerung. Die ersten Fragen waren bisher meist das Wohin, das Woher und die Staatsbürgerschaft. »Mexiko und Deutschland«, antwortet Roberto betont gelassen und deutet dabei auf mich und sich selbst. Dem Beamten fällt für einen Moment die Kinnlade hinunter. »Mexiko?«, wiederholt er ungläubig, dann hellt sich sein Gesicht auf, und er strahlt von einem Ohr zum andern. »Esmeralda!« Er öffnet eine Tür im Zaun und lässt uns vor den anderen Menschen in der Schlange hindurch. Während wir neben ihm herlaufen, wechsle ich kurz einen Blick mit Roberto, der auch nicht weiß, warum er so fröhlich mit einem etwas altbackenen Frauennamen angesprochen wird. Der Beamte spricht auf Spanisch weiter. »Te amo, José Armando!«, ruft er mit hoher Stimme, und »No me dejes, Rodolfo!« Dann klingelt es bei Roberto, und auch er wirft mit schnulzigen Ausdrücken um sich. »Ich sehe mit den Augen der Liebe«, bekennt er und sagt, er würde nie jemand anderen lieben als seine Esmeralda. Die beiden kichern wie zwei Schuljungen, während wir in Richtung Grenzhäuschen laufen. »Mexiko! Der kommt aus Mexiko! Wie Esmeralda!«, ruft der Grenzbeamte allen Kollegen zu. Ich tappe verwirrt hinterher. Wir werden bis hinter den ersten Schlagbaum eskortiert, lachend per Handschlag verabschiedet und an den nächsten Beamten verwiesen. Ich verstehe noch immer nicht, was gerade geschehen ist, warum wir die Schlange abkürzen durften, warum wir nicht wie üblich angemotzt wurden, warum der Beamte José Armando liebt und was das bitte gerade alles war. Erst als wir auf der anderen Seite des Grenzpostens ankommen, kann Roberto es erklären. Mexiko ist bekannt für seine besonders dramatischen Seifenopern. Eine davon ist »Esmeralda«, stammt von 1997 und handelt von zwei nach der Geburt vertauschten Babys, die jeweils in einem sehr reichen und einem sehr armen Haushalt aufwachsen und sich viele Jahre später ineinander verlieben, was den vermeintlichen Eltern natürlich gar nicht recht ist. Mit dabei: Intrigen, Eifersucht, Dramen, unsterbliche Liebe, Manipulation und viele einschlägige Sätze auf Spanisch. Die Show ist in Usbekistan so beliebt, dass sie mit Untertiteln versehen jeden Abend ausgestrahlt wird. Zuschauer sind die ganze Familie, Frauen und Männer, Kinder und Alte. Und natürlich auch unser Grenzbeamter mit den rudimentären, sehr kitschigen Spanischkenntnissen. So kommt es, dass die Telenovela, die bei Roberto zu Hause immer in der Küche im Hintergrund flimmerte, uns die Tür nach Usbekistan öffnet.