Читать книгу Wie aus einer Radtour eine Weltreise wurde. Vom Improvisieren und kleinen & großen Abenteuern. - Annika Wachter Roberto Gallegos Ricci - Страница 14

Unkonventionell übernachten Tag 312, Kilometer 6303, Grenzgebiet von Armenien und dem Iran

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POSITIV In Armenien die Aprikosen, Lebkuchen und Barbecue an jeder Ecke; im Iran Ghormeh Sabzi (Eintopf), ZamZam-Limo und keine betrunkenen Autofahrer NEGATIV In Armenien Alltagssexismus und im Iran das komplexe kulturelle Konzept von Taroof GELERNT 30 Tage ≠ ein Monat

Die Grenze zum Iran liegt vor uns. Iran, das Land, vor dem wir immer gewarnt wurden – ausschließlich von Menschen, die noch nie da waren. Die meisten Iranreisenden kommen jedoch begeistert wieder. Im armenischen 5000-Seelen-Städtchen Meghri heben wir US-Dollars, armenische Dram und Euros für anderthalb Monate ab, denn im Iran dürfen Ausländer kein Geld abheben, und auch in den folgenden Ländern würde es schwierig werden, Geldautomaten aufzutreiben. Es fühlt sich seltsam an, mit so viel Geld in den Taschen herumzulaufen.

Wir fühlen uns wohl in unserem gemütlichen Zimmerchen mit den weinroten Gardinen, in dessen Mitte eine Tanzstange steht. Ein wenig wundern wir uns darüber, dass der Ganzkörperspiegel an der Decke hängt, statt an der Wand, doch erst als Roberto auf der Suche nach einem Feierabendbier den Schildern zum Restaurant folgend die Treppe hinuntergeht und in einem Stripclub landet, bestätigt sich unsere Vermutung: Unser Zimmer wird auch stundenweise vermietet. Die Frage bei unserer Ankunft, ob wir nicht ein paar weitere Frauen haben wollten, war wohl doch kein Übersetzungsfehler. Es ist sehr sauber, und alle sind nett zu uns, wir fühlen uns dennoch wohl. Als Reiseradler kann man es sich bei der Wahl einer günstigen Unterkunft ohnehin nicht leisten, wählerisch zu sein.

Den Abreisetag verschieben wir spontan, denn das Besitzerpaar des »Hotel and Restaurant«, wie es auf dem Schild draußen steht, lädt uns mit seinem Sohn zum Picknicken in den nahe gelegenen Biergarten ein. Wir unterhalten uns über ihren letzten Urlaub, deutsches Essen und darüber, dass sie als Armenier so manche Freunde und Geschäftspartner aus der Türkei und Aserbaidschan haben, auch wenn die politische Stimmung der Länder zueinander eisig ist.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zum zehn Kilometer entfernten Grenzübergang. Immer wieder werden wir angehalten, nach unseren Pässen gefragt und auf Armenisch und Russisch angemeckert. Wir verstehen kein Wort und werden zur Grenzpolizei weitergeschickt, die uns erklärt, dass wir unser armenisches Visum überzogen haben! 30 Tage sind eben nicht das Gleiche wie ein Monat. Zum Glück drücken die Grenzbeamten alle Augen zu, schieben uns durch, drehen uns um, lassen uns von der anderen Seite erneut einreisen (Visum on arrival für schlappe sechs Euro) und stempeln uns dann bei erneuter Ausreise regulär aus. Glück gehabt!

Damit liegt die große Aufregung bereits hinter uns, als wir – ich mittlerweile mit Kopftuch – am iranischen Teil der Grenze eintreffen. Auch hier sind die Beamten freundlich, und schon sind wir in den Mittleren Osten eingereist. Dafür, dass Armeniens nächster Grenzübergang über 500 Kilometer entfernt im Norden des Landes liegt und nach Georgien führt, ist wirklich wenig los.

Von der Route durch die Berge wird uns abgeraten. Um nach Täbris zu fahren, sollen wir einen Umweg über die größere Straße nehmen. So kommt es, dass wir den ganzen Tag an der Grenze entlang nach Westen radeln, zunächst liegt noch Armenien auf der anderen Flussseite, dann später die Autonome Republik Nachitschewan, eine aserbaidschanische Exklave. Erst in Jolfa, einem 5000-Seelen-Städtchen, biegen wir in Richtung Landesinneres ab. Wir atmen auf. In permanenter Grenznähe fühlen wir uns immer etwas unwohl und beobachtet. Wir wollen eigentlich noch 20 Kilometer radeln, da entdecken wir einen Campingplatz. Den müssen wir uns genauer ansehen. Auf einer großen Rasenfläche liegen unzählige Picknickdecken. Darauf sitzen Familien unter Schatten spendenden Bäumen und essen, trinken, lachen und spielen. Im Laufe des frühen Abends packen die Familien die Picknickdecken ein und stellen Zelte auf die frei gewordenen Plätze. Ein Plätzchen ist noch frei, also stellen wir unser Zelt einfach dazu. Kostenlos, versteht sich, denn was ich für einen Campingplatz gehalten habe, ist in Wirklichkeit ein Stadtpark vor einer Moschee, und da der Freitag im Iran Wochenende bedeutet, gehen die Leute zelten. Einfach so, mitten in der Stadt im Park. Wir freunden uns direkt mit den Zeltnachbarn an und fühlen uns auf Anhieb wohl und sicher. Wir haben gelernt, einfach auf unser Gefühl zu vertrauen. Nachts öffnen wir sogar noch die Zelttüren, damit etwas Wind reinkommt, da wir sonst bei immer noch über 30 Grad zerfließen würden. Zähne putzen und uns waschen können wir im Bad der Moschee. Wir werden von den Nachbarn zum Frühstückspicknick eingeladen und ziehen kurz darauf sauber, satt und zufrieden weiter ins Landesinnere.

Wie aus einer Radtour eine Weltreise wurde. Vom Improvisieren und kleinen & großen Abenteuern.

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