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Kapitel 1 – Brummende Köpfe

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Wenn es nur die Tage danach nicht gäbe, stöhnte Alexander Röhricht innerlich, als seine Mischlingshündin Sonny ihm über das Gesicht leckte. Sie war pünktlicher als jeder Wecker, wollte ihr Fressen, danach draußen im Gras herumtollen und irgendwann dazwischen ihr Morgengeschäft erledigen.

Alexander tastete über die schwarzen Rastazöpfe seiner jungen Frau, die wie ein Igel eingerollt neben ihm lag, und tätschelte ihre Wange.

»Hm, ich steh gleich auf, lässt du sie schon mal raus«, bat er heiser und räusperte sich mehrmals kräftig. Er hasste den pelzigen Geschmack auf seiner Zunge, doch das war die Folge des Alkoholgenusses, und so nahm er ihn allmorgendlich in Kauf.

»Pah, warum sollte ich, du bist erst um drei heimgekommen. Wenn du ohne mich absacken kannst, kannst du dich auch selbst um deinen Köter kümmern«, fauchte Emma und gähnte herzhaft.

Sorry Sonny, hab dich ja lieb, aber jetzt muss ich ausrufen, sonst spielt dein Herrchen hier weiter den Pascha, leistete sie der Hündin Abbitte. Sie schnappte sich die Decke, die Alexander ihr im Schlaf weggezogen hatte, und kehrte ihrem Mann den Rücken zu. »Dass du's weißt: Ich hab die Nase voll von deinen Sauftouren!«, schniefte sie.

»Dann steh ich eben auf. Aber vergiss eines nicht: Du lebst hier bequem auf meine Kosten und brauchst nicht mehr zu arbeiten, da könntest du wenigstens am Morgen mit Sonny raus.«

Die Hündin winselte und lief von einer Seite des Bettes zur anderen – wie immer, wenn Herrchen und Frauchen sich stritten, was öfter vorkam. Offenbar ging es diesmal um sie, da sie wiederholt ihren Namen hörte.

»Das tu ich doch schon tagsüber und bis in alle Nacht, wenn du ständig weg bist«, fauchte Emma ihm nach, als Alexander murrend aus dem Zimmer schlurfte, wobei er fast über die erwartungsvoll bellende Sonny stolperte. »Außerdem hast du mich gedrängt, meine Stelle aufzugeben, was ich längst bereue!«, rief sie laut genug, dass er es hören konnte. Alexander sollte nicht merken, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Kaum zwei Monate war ihre Ehe gutgegangen, seither sackte er regelmäßig ab. Meistens dann, wenn er mit seinem Geschäftspartner Eric Freiburg unterwegs war.

Die beiden schienen sich gegenseitig überbieten zu wollen. Denn wenn Alexander mitten in der Nacht heimkam, erzählte er ihr mit treuherzigem Augenzwinkern, er sei wieder mal schwach geworden. Wie gestern, als er mit seiner zerknitterten Anzugjacke, der Krawatte und einer Flasche Wein unter dem Arm eintraf:

»Wir haben um diesen edlen Tropfen gewettet, wer am schnellsten eine Flasche Whisky leeren kann, da konnte ich doch nicht mittendrin aufhören, sonst hätte ich die Rechnung bezahlen müssen!« Er kam auf sie zu und lallte: »Der Barkeeper hat den Whisky für uns in gleich viele Schnapsgläser abgefüllt und auf der Theke aufgereiht. Auf drei ging's los und ...«

»Verschone mich mit weiteren Details«, fuhr Emma wütend dazwischen. »Glaubst du, es interessiert mich, wer eure pubertären Möchtegern-Cowboy-Spielchen gewonnen hat, wenn ich hier rumsitze und vor Angst bibbere, dir könnte was passiert sein? Erst Recht, wenn du in diesem Zustand noch Auto fährst!« Sie schlurfte ins Badezimmer.

Alexander wankte ihr nach und wollte sie umarmen. »Unkraut vergeht nicht, das weißt du doch! Komm schon, gib deinem Mann einen Kuss und lass uns mit einem Glas Wein Versöhnung feiern«, stammelte er und nickte in Richtung Schlafzimmer.

Bei der Erinnerung daran ballte Emma die Hände zu Fäusten. Sie hatte sofort gewusst, was Alexander wollte. Dieser Mann war unersättlich, selbst betrunken dachte er noch an Sex, denn Alkohol und Sex gehörten für ihn zusammen! Dabei zwang er sie nicht etwa mit Gewalt, aber er bettelte, streichelte und zwickte sie so lange, bis sie nachgab, nur damit sie endlich schlafen konnte.

Ich kann nicht mehr! Diese vier Worte drehten sich seit Wochen in ihrem Kopf. Alexander macht mich kaputt, ich muss mich von ihm trennen. Aber wo soll ich hin, wovon kann ich leben? Hätte ich doch damals meine Stelle als Verkäuferin nicht aufgegeben, dann wäre ich jetzt nicht so von ihm abhängig.

Alles hatte sie ihm zuliebe aufgegeben: ihre hübsche Wohnung samt Einrichtung (weil die ihm nicht passten), ihren Job, ihre vertraute Umgebung, ihre langjährigen, guten Freunde – und ihre Freiheit! Eingetauscht gegen das verschwenderische Leben mit Alexander, gegen seelische Achterbahnfahrten und gegen unerträgliche Einsamkeit! Nie hatte sie sich so leer gefühlt wie in den langen Nächten, in welchen sie auf ihren Mann wartete.

Bevor er zur Arbeit fuhr, ging Alexander noch einmal ins Schlafzimmer zurück, küsste seine Frau auf die schokoladebraune Schulter und flüsterte verführerisch:

»Ich komme am Mittag nach Hause. Habe die Steaks aus dem Tiefkühler genommen, kochst du uns dazu was Gutes? Bis dann, hab dich lieb Schatz!«

Emmas frustriertes Schnauben begleitete ihn ein paar Sekunden auf dem Weg ins Büro, dann vergaß er seine junge Frau und überlegte sich, wie er den Abend verbringen wollte. Am liebsten würde er sich mit seinen Pokerfreunden treffen, aber dann hinge sein Haussegen noch schiefer. Emma mochte es nicht, wenn er pokern ging und sie mit Sonny allein ließ. Er gab sich einen Ruck und fasste einen Entschluss:

Sollte wieder mal mein Frauchen zum Tanzen ausführen, sonst wird sie noch zickiger.

Während er in die Garageneinfahrt des Wohnblocks fuhr, in dem sich das Versicherungsmakler-Büro Freiburg & Röhricht eingemietet hatte, erhaschte Alexander einen Blick auf den schwingenden Rocksaum und die Beine seiner Assistentin Sandra Becker, die soeben im Hauseingang verschwand. Ein anerkennendes Grinsen glitt über sein Gesicht. Minuten später stieß er die Bürotür auf.

»Morgen allerseits!«, grüßte er beschwingter, als ihm zumute war.

Sandra und sein Seniorpartner Eric Freiburg sahen ihn forschend an. Beide registrierten sein schlechtes Aussehen, die störrischen halblangen Haare mit dem dunkelblonden Vollbart und die Schatten unter seinen geröteten Augen.

Er sollte nicht so viel trinken, dachte die vierundzwanzigjährige Sandra betroffen und schüttelte sich innerlich. Der Mann ist drei Jahre älter als ich und sieht aus wie fünfzig.

»Hast du deinen Rausch noch nicht ausgeschlafen?«, vernahm sie da Eric Freiburgs kalte Stimme. »Geh wasch dir die Augen mit kaltem Wasser aus. Der Josef Schmidt kommt jeden Moment, es geht um ein größeres Projekt.« Der Seniorchef rieb sich die Hände, ein zufriedenes Lächeln erhellte seine strengen Züge. »Da liegt einiges für uns drin, verpatze uns diesen Auftrag nicht!«

Während Herr Röhricht sich im Bad prustend einen Schwall kalten Wassers ins Gesicht spritzte, richtete Herr Freiburg – zum Glück war wenigstens er seriös – freundlich das Wort an Sandra:

»Frau Becker, bringen Sie uns zwei Tassen starken Kaffee ins Gesprächszimmer. Wenn der Schmidt kommt, empfangen Sie ihn bitte recht charmant und protokollieren Sie danach unser Gespräch. Wir sollten jedes Wort aufzeichnen, damit wir ihm ein umfassendes Angebot machen können. Schalten Sie solange den Anrufbeantworter ein.«

»Selbstverständlich, Herr Freiburg!« Sandra eilte in die Küche. Was war der Senior doch für ein patenter Chef! Stets gleichbleibend freundlich, handelte er klug überlegend und vorausschauend, und behandelte sie selbst mit ausgesuchter Höflichkeit. Dabei sah er recht passabel aus für seine neununddreißig Jahre: Ein sehr korrekter, sehr distanzierter, drahtiger Mann mittlerer Größe im schicken Maßanzug, mit schwarzen Locken und einem kurzen, gepflegten, Ziegenbärtchen.

Ganz anders als sein Juniorpartner Alexander Röhricht, der sie manchmal richtig frech anmachte, dann aus heiterem Himmel zusammenstauchte, aber auch total lustig sein konnte, dass sie sich vor Lachen kugelte. Mit diesem Mann war jeder Tag ein kleines Abenteuer, bei dem man nie genau wusste, wie es enden würde. Er war für sie eher ein Freizeitkumpel als ein disziplinierter, vertrauenerweckender Vorgesetzter.

Sie fragte sich, weshalb der Senior und Hauptteilhaber des unabhängigen Versicherungsunternehmens sich ausgerechnet jemanden wie Alexander Röhricht zum Juniorpartner ausgesucht hatte. Die beiden passten doch zusammen wie Katz und Hund. Durch die angelehnte Küchentür hörte sie Herrn Freiburgs Worte mit, die nicht für ihre Ohren bestimmt waren:

»Vergiss nicht, dass ich dich aus der Gosse geholt habe. Hätte ich damals deine Schulden nicht bezahlt, würdest du heute noch tiefer drin stecken!«

Vor Schreck wären ihr fast die Tassen entglitten, die sie unter den Kolben der Kaffeemaschine stellen wollte. Sie schlug die Hand vor den Mund, um ihren entsetzten Ausruf zu unterdrücken. Alexander Röhricht in der Gosse? Das hatte sie nicht erwartet, trotz ihrer Erfahrungen mit dem Junior.

»Denk an unsere Vertragsklausel: Du riskierst, deine Anteile und damit dein sorgloses Leben zu verlieren, wenn du so weitermachst. Was würde Emma wohl dazu sagen?«, fuhr der Senior eindringlich fort.

Alexander Röhrichts Ehefrau Emma mit der schokoladefarbenen Haut, den riesigen Kirschenaugen und den vollen, sinnlichen Lippen (garantiert hyaluronfrei), deren Mutter aus Afrika stammte, war drei Jahre jünger als Sandra selbst. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie es sein musste, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein. Unverbindlich mit ihm herumzualbern und sogar ein wenig mit ihm zu flirten waren ja ganz okay. Aber ihn Tag und Nacht ertragen zu müssen?

Das muss der reinste Alptraum sein!

»Lass mich mit Emma in Ruhe. Und keine Sorge, ich halte mich an unsere Abmachung, habe keine Drogen mehr angerührt seither. Und saufen tust du doch selber!«, presste Alexander hervor, bevor er die Tür zum Besprechungszimmer hinter sich zuschlug.

Drogen? Bestürzt wandte Sandra sich ab, sie musste das Gehörte erst verdauen. Was war heute bloß los? Ob das stimmte, dass der Senior sich auch betrank? Sie hatte ihn bisher nur geschäftsmäßig und stets korrekt gekleidet erlebt. Er lachte eigentlich nie, im Gegensatz zu ihr und Herrn Röhricht, doch auf sein Wort konnte sie sich hundertprozentig verlassen. Sie versuchte, ihn sich so betrunken vorzustellen wie den Junior, was ihr nicht gelingen wollte. Ach was, der hatte bestimmt nur gestichelt, um von der heftigen Standpauke abzulenken!

Sie rief sich in Erinnerung, was sie von Alexander über das Unternehmen erfahren hatte: Vor fünf Jahren habe Herrn Freiburgs ehemaliger Geschäftspartner, Heiner Winter, einen Motorradunfall erlitten und sei kurz darauf seinen Verletzungen erlegen. Einige Wochen später habe der Senior ihn, Alexander Röhricht, eingestellt. Mit seinem überdurchschnittlichen Einsatz habe er sich zum Juniorpartner hochgearbeitet. So sei schließlich Freiburg & Röhricht entstanden.

Im Laufe der Zeit spezialisierten sich die beiden recht unterschiedlichen Männer vorwiegend auf den Versicherungsbedarf weiblich geführter Unternehmen: Denn hier gaben sich Inhaberinnen von Kosmetik-, Mode- und Frisiersalons, Nagelstudios, Physiotherapie-, Tierarzt- und Massagepraxen die Klinke in die Hand. Diese Damen hatten offenkundig reichlich Bedarf an intensiven Beratungsleistungen der Herren Freiburg und Röhricht. Und ihre Chefs ließen sich dafür fürstlich honorieren, wie Sandra immer wieder verblüfft aus den Akten entnehmen konnte.

Mit einem sonnigen Lächeln und festem Händedruck begrüßte sie den angekündigten Großauftrag Josef Schmidt, der soeben eintrat, und dirigierte ihn plaudernd zum Besprechungsraum hinüber, wo die Herren ihn übernahmen. Sie deutete auf das Tablett mit Getränkeflaschen, kleinen Snacks und Gläsern.

»Was darf ich Ihnen anbieten, Herr Schmidt, oder hätten Sie lieber einen Kaffee?«, fragte sie.

Der ältere Kunde bedachte sie mit wohlwollenden Blicken, als sie anschließend das Beratungsgespräch in Echtzeit auf dem Notebook eintippte.

Irrfahrt bis Liebe

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