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7. Kapitel

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»Übrigens: was brachte Sie dazu, so zielstrebig den Fundort einer Leiche anzusteuern?«

Emma saß im Kommissariat von Adeje, und der Kommissar war freundlich, aber neugierig. Er hatte Emmas und Hollerbecks Personalien aufgenommen, er hatte sie, jeden für sich, minutiös berichten lassen, wie sie auf die Leiche gestoßen waren und festgestellt hatten, dass es eine Leiche war. Emma ließ auch Jos Nasenbluten nicht aus. Vermutlich hatte er Blutspuren hinterlassen. Blutspuren am Tatort.

Zuerst hatte der Kommissar mit Hollerbeck gesprochen, während sich eine junge Polizistin rührend um Emma kümmerte, ihr Kaffee anbot und auch Zigaretten. Danke, Emma rauchte nicht. Man ließ sich Zeit. Längst war es darüber dunkel geworden.

Es hatte nicht lange gedauert, nach Hollerbecks Anruf – Emma hatte ihm die Initiative überlassen, schließlich sprach er Spanisch –, dann war ein Erste-Hilfe-Helikopter aufgetaucht und auf einem nahen Plateau gelandet. Nachdem klar geworden war, dass hier tatsächlich ein Leichenfund vorlag, kam sogar ein zweiter Helikopter, mit Polizisten an Bord. Die Sanitäter zogen wieder ab. Die Polizeibeamten nahmen Emma und Hollerbeck mit. »Und mein Auto?« fragte Hollerbeck.

»Wo steht das genau? Geben Sie uns den Schlüssel. Wir kümmern uns darum«, versprach ein Polizist.

Beamte waren damit beschäftigt, den Fundort mit Plastikbändern zu sichern und den Boden drumherum akribisch abzusuchen, als der Hubschrauber mit Hollerbeck und Emma an Bord startete. Es war ein fantastischer Flug. Gomera war jetzt noch klarer zu erkennen. Der Blick hinunter auf die Steilküste, auf Meer und Brandung war atemberaubend, fand Emma. Hollerbeck allerdings schien sich für die Aussicht kein bisschen zu interessieren.

Seit Stunden saßen sie nun schon in diesem Präsidium, in einem Ort, von dem sie noch nie gehört hatte, der ihr aber recht wohlhabend vorkam, obwohl sie hier keinerlei Hotelanlagen gesehen hatte und Adeje auch gar nicht am Meer lag, sondern in den Bergen, hoch entrückt von dem Treiben unten an der Küste.

Jetzt, endlich, war sie an der Reihe. Gut, dass sie mit Jo vereinbart hatte – als der Anruf getätigt war und sie auf die Beamten warteten, in sicherem Abstand vom Fundort, wie es am Telefon angeordnet worden war –, dass sie strikt die Wahrheit sagen würden, nichts als die Wahrheit. Hollerbeck riet zwar zu einer gewissen ›Vereinfachung‹ der Story, aber davon wollte Emma nichts wissen. Hielt sich jeder an die Wahrheit, darauf bestand sie, dann konnten sie sich auch nicht in Widersprüche verwickeln. Also erzählte Emma dem Kommissar schnurstracks, was geschehen war. Auf Deutsch, der Kommissar sprach Deutsch:

»Ich bin erst seit ein paar Tagen auf der Insel. Meine Großmutter hat hier als Residentin gelebt. Sie ist vor kurzem gestorben und hat mir ihre Wohnung vererbt. Die will ich verkaufen und so habe ich Herrn Hollerbeck kennengelernt. Er ist Makler und hat mir angeboten, mich mit der Insel und dem Immobilienmarkt hier vertraut zu machen…«

»Im Tenogebirge«, unterbrach sie der Kommissar, süffisant lächelnd.

»Ja, ich weiß, das sieht komisch aus. Aber wir sind rund um die Insel gefahren, waren in Puerto, in Laguna, an der Costa del, ich glaube, Silentium…«

»Silencio, Costa del Silencio.« Täuschte Emma sich, oder hatte das Lächeln des Kommissars etwas Maliziöses?

»Ja, jedenfalls in einem Golfresort dort, dann weiter nach Los Cristianos, und ich habe Herrn Hollerbeck gebeten, auf dem Rückweg durch die Berge zu fahren und im Tenogebirge zu halten.«

»Und warum? Warum ausgerechnet dort, wo wir Herrn Hollerbecks Straßenkreuzer gefunden haben? Das ist ziemlich, wie sagt man: entlegen? Ein Wanderparkplatz ist da nicht.«

»Weil ich zuletzt vor zwanzig Jahren auf der Insel war, als Kind, als Jugendliche. Und damals mit meinen Großeltern wandern war, genau dort. Glaubte ich jedenfalls. Und deshalb habe ich Herrn Hollerbeck gebeten, dort anzuhalten und eine kleine Wanderung zu unternehmen.«

»Herrn Hollerbeck? Sie siezen sich?«

»Natürlich! Wir kennen uns doch erst seit gestern.«

»Oh, das muss nichts heißen. Herr Hollerbeck hat jedenfalls vorhin in der Vernehmung nie von ›Frau Schneider‹ gesprochen, sondern immer nur von ›Emma‹. Sind Sie sich näher gekommen?«

Emma erschrak. Was war das hier? Ein Verhör? Worauf wollte der Kommissar hinaus? Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass die Wahrheit, so wie sie war, etwas Unglaubwürdiges an sich hatte. Vielleicht wäre Hollerbecks Idee von der ›Vereinfachung‹ doch nicht so schlecht gewesen. Aber jetzt war es dafür zu spät. Sie legte tiefe Empörung in ihre Stimme:

»Nein! Wo denken Sie hin!«

»Liebe Señorita Schneider: Ihr Freund – oder Ihr Bekannter, der Señor Hollerbeck, für erstaunlich viele einfach ›Jo‹, ist hier kein ganz Unbekannter. Dass er einer jungen, sehr attraktiven Frau die ›Insel zeigt‹, wird niemanden verblüffen. Aber dass er mit ihr spontan wandern geht, das schon. Eine ausgeprägte Wanderfreude, wie sie vielen Ihrer Landsleute ja durchaus zu eigen ist, hat man Jo Hollerbeck bisher noch nicht nachgesagt.«

»So? Was sagt man ihm denn nach? Und wer ist, bitte schön, ›man‹?«

»Wer ›man‹ ist, fragen Sie? Muss ich Ihnen das wirklich erklären? Sie sind doch Journalistin, sagen Sie. Sie leben doch von Gerüchten, oder nicht? Sehen Sie, Teneriffa ist eine Insel. Hier kennt man sich. Und die einen sind bekannter, die anderen leben zurückgezogener. Jo Hollerbeck jedenfalls lebt nicht zurückgezogen.«

»Das heißt, Herr Kommissar?«

»Eigentlich stelle ich hier die Fragen, Señorita Schneider. Der ›Herr Kommissar‹ hat übrigens einen Namen. Ich heiße Madrigal. Roberto Rodríguez Madrigal. Hier haben Sie meine Karte!«

Er schob Emma eine Visitenkarte über den Tisch hinweg zu.

»In deutschen Krimis kommt jetzt immer der Zusatz: Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich an!« Emma sah sich die Karte an und steckte sie ein.

»Das sagen wir hier auch. Aber Sie wollten mir hier und heute noch erzählen, warum Sie unbedingt zu dem alten Dreschplatz wollten und warum sie dort so zielstrebig eine Leiche freigelegt haben!«

»Ich wollte dort keine Leiche freilegen, sondern ein Amulett.«

Kommissar Madrigal zog seine schwarzen Augenbrauen theatralisch hoch und machte ein übertrieben interessiertes Gesicht. Emma fühlte sich an irgendeinen berühmten dicklichen Schauspieler erinnert, aus einer, glaubte sie, Agatha-Christie-Verfilmung. Er spielte darin einen belgischen Detektiv. Beleibt war Madrigal allerdings nicht, eher drahtig, terrierhaft.

»So, ein Amulett!« Madrigal tat ernsthaft interessiert, aber Emma witterte Spott: »Was bringt eine junge deutsche Journalistin dazu, am Tag drei nach ihrer Ankunft auf unserer schönen Insel Teneriffa, an einem gottvergessenen Ort mitten in einem entlegenen Gebirge ein Amulett zu suchen? Können Sie mir das verraten? Sie haben mich wirklich neugierig gemacht?«

Emma musste zugeben: so wie die Frage aus Kommissar Madrigals Mund kam, wirkte ihre Geschichte alles andere als glaubwürdig. Viel hätte nicht gefehlt und sie hätte sich selbst verdächtig gefunden.

»Ich weiß, das klingt komisch, aber es ist nun einmal, wie es ist. Vor zwanzig Jahren, auf dieser Wanderung mit meinen Großeltern, ich war fünfzehn, habe ich dort in diesem Steinhaufen, der mal eine Hütte war, ein Amulett versteckt, ein goldenes Amulett, den mir ein Freund geschenkt hatte. Ich wollte Schluss machen mit diesem Freund…«

Madrigal schob seinen Drehstuhl zurück und zog eine Schublade auf. Er holte etwas hervor und ließ es vor Emmas Kopf schwingen.

»Haben Sie das hier gesucht?« fragte er lächelnd.

»Sie haben es gefunden? Es war also tatsächlich dort? Ich habe mich nicht geirrt?«

»Nein, Señorita Schneider, Sie haben sich nicht geirrt. Sie waren am richtigen Ort. Ob Sie mit dem richtigen Partner dort waren und zur richtigen Zeit, das überlasse ich allerdings Ihrem eigenen Urteil.«

Wieder lächelte Madrigal süffisant, wobei sein feiner schwarzer Schnurrbart ein Eigenleben zu führen schien. Überhaupt war vieles schwarz an diesem Kommissar, fiel Emma auf. Er hatte tiefschwarzes, glatt nach hinten gekämmtes, zweifellos gegeltes Haar. Er trug ein schwarzes Hemd und eine schwarze Krawatte, was den goldenen Krawattenhalter umso auffälliger hervorstechen ließ. Wie alt mochte er sein, der Herr Kommissar? Emma schätzte ihn auf Mitte bis Ende vierzig und fragte: »Sie wollten mir noch erklären, warum Sie Herrn Hollerbeck, wie Sie das offenkundig tun, für keine gute Gesellschaft halten?«

»Habe ich das gesagt, Fräulein Schneider? Das habe ich ganz sicher nicht gesagt. Wir betreiben hier keine üble Nachrede. Wir sind hier bei der Polizei und nicht bei der Presse.«

Jetzt war sie also ›Fräulein Schneider‹, keine Señorita mehr. Was hatte das zu bedeuten? Vielleicht sollte sie vor diesem schwarzen Señor Madrigal, der so ungezwungen auf Deutsch parlierte, auf der Hut sein.

»Ihr Deutsch ist hervorragend, Herr Kommissar. Wo haben Sie es gelernt?«

»Schon in der Schule, in León, auf dem Festland. Auf der ›Halbinsel‹, wie die Tinerfeños sagen. In Kastilien. Meine ganze Familie war sehr an Deutschland interessiert. Später habe ich einige Zeit in Osnabrück gelebt. Man soll dort, habe ich gehört, das reinste Deutsch überhaupt sprechen.«

»Das ist ein Irrtum. Das beste Deutsch wird in Gelsenkirchen gesprochen«, widersprach Emma ihm, um des reinen Widerspruchs willen.

»So? Ist das wahr?« Madrigal tat ernsthaft irritiert. »Ich dachte, in Gelsenkirchen werde eher wenig gesprochen, sondern nur Fußball gespielt – wenn auch nicht besonders gut.«

Was wurde das hier? Was auch immer, Emma entschloss sich mitzuspielen:

»Letzteres stimmt, ersteres nicht. Der bessere Fußball wird natürlich in Dortmund gespielt, der beste überhaupt, jenseits von Barcelona.« Emma nahm an, dass Kommissar Madrigal, wenn er aus Kastilien stammte, vermutlich kein Fan der Katalanen war.

Treffer! Kommissar Madrigals Miene verdüsterte sich:

»Wie können Sie so etwas sagen? Ein solch krasses Fehlurteil ist nur durch Ihre Jugendlichkeit und Ihr zartes Geschlecht zu entschuldigen. Den reinsten Fußball der Welt spielt natürlich Real Madrid. Und den effektivsten Bayern München.«

»Mein Geschlecht? Denken Sie, Frauen können nichts von Fußball verstehen? Haben Sie die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft schon mal spielen gesehen?«

»Nein, und das werde ich wohl auch nie. Es sei denn, eine Ihrer Ballheldinnen begeht einen Mord, hier, auf meiner Insel, in meinem Revier.«

»Kann ich mein Amulett jetzt wieder haben?«

»Noch nicht, ich bedaure, aber Sie können mir beschreiben, was auf dem Amulett dargestellt ist!«

Emma hatte das Gefühl zu erröten. Wie peinlich. Vor diesem Macho, der vermutlich nachts von Stierkämpfen träumte! Und wieso eigentlich? Was gab es hier zu erröten?

»Ein Pferd. Ein wieherndes Pferd.«

»Ja, das stimmt.« Madrigal hielt sich das Amulett dicht vors Gesicht und tat so, als sähe er die Gravur zum ersten Mal. »Ein merkwürdiger Liebesbeweis, finden Sie nicht auch? Oder war Ihr erster Freund – es war doch der erste, oder nicht? – ein Pferd?«

Da half nur lachen. Emma lachte. Gekünstelt, egal.

»Das soll ein Wildpferd aus dem Emscherbruch darstellen, aus der Gegend, wo mein erster Freund – und in dem Sinne, in dem Sie das zu meinen scheinen, war er nicht einmal mein Freund – zuhause war, und ich auch. Falls Sie das alles wirklich so genau wissen müssen. Wenn‘s der Wahrheitsfindung dient.«

»Wir werden das Alter und die Herkunft des Amuletts überprüfen müssen, Señorita Schneider. Sie verstehen. Reine Routine.« Madrigal war jetzt wieder die Freundlichkeit selbst. »Sie wollen sicher nach Hause. Es war ein langer Tag für Sie. Ruhen Sie sich aus. Wir melden uns wieder. Ich glaube, Herr Hollerbeck wartet noch auf Sie. Er wird Sie sicher gern nach Puerto zurückfahren, in seinem Mercedes.«

Madrigal sprang auf, reichte ihr die Hand und führte sie zur Tür: »Ach, eine Frage hätte ich noch!«

»Natürlich, das machen Kommissare schließlich immer so.«

»Sie scheinen sich gut auszukennen mit Kommissaren, nicht nur mit Maklern!«

Emma fühlte, dass sie schon wieder errötete: »Was wollen Sie wissen?«

»Was sagt Ihnen der Name Klaus Kaltenbrenner?«

Emma erbt

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