Читать книгу "Gemeinsam wachsen" - der Elternratgeber ADHS - Armin Born - Страница 11
1.1 Die Problemsammlung als Grundlage für spätere Veränderungen
ОглавлениеNun wird es konkret!
In einem ersten Schritt sollten Sie die unterschiedlichen Probleme und Verhaltensweisen Ihres Kindes, die Ihren Alltag am meisten belasten, genau beobachten. Anschließend tragen Sie diese bitte in den abgebildeten Protokollbogen ein.
Diese Problemverhaltensweisen dienen als Grundlage für die anschließende Veränderungsarbeit. Das schriftliche Fixieren hilft Ihnen aber auch, später vergleichen zu können, was sich möglicherweise durch Ihre Arbeit zwischenzeitlich bereits verbessert hat. Dann werden Sie sich vielleicht über diesen Fortschritt freuen können.
Auch die außer Haus berufstätigen Väter möchten wir bitten, sich Zeit zu nehmen und über das Wochenende die Problemsammelliste auszufüllen.
Füllen Sie als Mutter und Vater die Liste zunächst bitte getrennt aus.
Sammelliste problematischer Verhaltensweisen
Arbeitsblatt 1.1: Sammelliste problematischer Verhaltensweisen
Wenn Sie diese Liste eine Woche geführt haben, verabreden Sie sich als Paar und machen einen festen Termin aus, so dass Sie genügend Zeit zum Austausch über Ihre Beobachtungen haben. Zeigen Sie einander Ihre Aufzeichnungen und versuchen Sie, diese unvoreingenommen zu vergleichen. Wichtig dabei ist, dass Sie einfach akzeptieren, dass es für den andern genau so ist, wie er es aufgeschrieben hat. Berücksichtigen Sie dabei, dass die Wahrnehmung des Einzelnen unterschiedlich ausfallen kann und dass Sie außerdem jeweils verschiedene Situationen mit Ihrem Kind erleben. Mit Hilfe der Problemsammelliste wird für Sie beide als Eltern der Ausgangspunkt für die weitere gemeinsame Erziehungsarbeit festgehalten.
Für Väter bzw. Lebenspartner ist es in einem solchem Austauschgespräch besonders wichtig, zunächst nur zuzuhören. Es geht hier nicht darum, Ihrer Frau nahezubringen, dass das Problem vielleicht nicht so schwierig ist oder dass das Kind sich bei Ihnen anders verhält. Es geht auch nicht darum, dass Sie in einer für viele Männer manchmal typischen Art sofort an Lösungen denken. Zu diesem Zeitpunkt müssen Sie Ihrer Frau keine Vorschläge machen, wie sie es besser machen kann. Wichtig ist allein, dass Sie zuhören und dass sie die Erfahrung ihrer Frau annehmen können. Akzeptieren Sie einfach, dass es im Augenblick so ist, wie Ihre Frau es berichtet. Denken Sie auch als Vater immer daran, dass Sie die schwierigsten Zeiten mit Ihrem Kind in der Regel nicht miterleben und deswegen einfach auch viel bessere Möglichkeiten im Umgang mit Ihrem Kind haben, da Sie viel weniger »vorbelastet« sind. Als (allein-)erziehende Mutter könnte es wichtig sein, dass Sie mit Ihren Problemen nicht allein bleiben. Versuchen Sie sich mit einer anderen betroffen Mutter, die in einer ähnlichen Situation ist, zu verabreden. Eine solche Mutter können Sie z. B. in einer Selbsthilfegruppe kennenlernen. Überwiegend ist es so, dass im Vergleich zu einem Elternpaar zwei Mütter deutlich mehr Übereinstimmungen im Hinblick auf die belastenden Problemverhaltensweisen ihrer Kinder erleben. So können Sie im Gespräch mit einer ebenfalls »betroffenen« Mutter die wichtige Erfahrung machen, dass Sie mit Ihren Problemen nicht alleine da stehen.
Sehen Sie sich nach dem Erfahrungsaustausch die folgende Aufstellung aus einer Elterntrainingsgruppe an. Hier wurden die Problemverhaltensweisen der jeweils betroffen Kinder auf einem Plakat zusammengestellt. Wie Sie sicher schon vermuten konnten: Das Plakat wurde dabei sehr voll ( Abb. 1.1).
Problemverhalten unserer ADHS-Kinder
Abb. 1.1: Plakat – Problemverhalten unserer ADHS-Kinder
Wenn Sie sich die Auflistung ansehen, finden Sie vielleicht Übereinstimmungen mit Ihrem eigenen Protokollbogen. In der Elterntrainingsgruppe war nach der Sammlung und Erstellung dieses Plakates immer dasselbe Phänomen zu beobachten. Die Mütter in der Runde nickten beim Vorlesen der einzelnen Problemverhaltensweisen. Gleichzeitig huschte immer wieder ein Lächeln über ihre Gesichter: »Genauso ist es bei mir auch.« Die Teilnehmerinnen machten hier die Erfahrung, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine waren. Ähnliches gab es also genauso auch in anderen Familien, auch bei anderen Müttern – vielleicht sogar noch größere Probleme als in der eigenen Familie.
Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, in denen die Probleme und die Belastungen in Familien mit einem ADHS-Kind mit denen anderer Familien verglichen wurden. In Deutschland untersuchten u. a. Döpfner und Mitarbeiter, wie sich eine Familie mit einem ADHS-Kind von anderen Familien unterscheidet (Döpfner, Schürmann, Frölich, 1997). In dem nachfolgenden Schaubild sind die häufigsten Probleme von 6- bis 10-jährigen Kindern angeführt. Die dunkelblauen Balken stellen die Häufigkeit des belastenden Problems in ADHS-Familien dar, die hellblauen Balken dessen Ausmaß in nicht betroffenen Familien. Die Grafik macht auf einen Blick klar, um wie viel mehr Familien mit einem ADHS-Kind belastet sind.
Abb. 1.2: Belastungen und Probleme in Familien mit und ohne ADHS-Kind(er) (vgl. Breuer & Döpfner 1997)
Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. In den USA erfasste z. B. Barkley, einer der renommiertesten ADHS-Forscher, in einer Untersuchung zum einen die Häufigkeit des durch ADHS bedingten Problemverhaltens, zum anderen das Ausmaß der Belastung durch das Problem für die jeweilige Familie. Die Hausaufgabensituation fehlt bei Barkley, da die Kinder in den USA Ganztagsschulen besuchen.
Problemhäufigkeit bei Kindern mit ADHS im Vergleich zu Kindern ohne ADHS
Tab. 1.1: Problemhäufigkeit bei Kindern mit ADHS im Vergleich zu Kindern ohne ADHS (Nach Barkley, Taking charge of ADHD. The complete, authorative guide for parents. New York, London 2000, S. 96)
Durchschnittlicher Ausprägungsgrad* der Probleme bei Kindern mit ADHS im Vergleich zu Kindern ohne ADHS
* Eingeschätzt auf einer Skala von 1 (gering) bis 9 (stark)
Tab. 1.2: Durchschnittlicher Ausprägungsgrad bei Kindern mit ADHS im Vergleich zu Kindern ohne ADHS (Nach Barkley, Taking charge of ADHD. The complete, authorative guide for parents. New York, London 2000, S. 96)
Die Schaubilder sollen Ihnen als Eltern noch einmal verdeutlichen, dass Sie mit Ihrem persönlichen Belastungserleben keineswegs alleine sind. Andere Familien, andere Mütter bzw. andere Kinder müssen sich vielleicht sogar mit noch ausgeprägteren Problemen auseinandersetzen.