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Vorstellungsübung – Eine Phantasiereise

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Mit der Vorstellungsübung soll erreicht werden, dass Sie sich ganz bewusst in Ihr Kind hineinversetzen können. Ziel dabei ist es, eine besondere Form von vertiefter innerer Besinnung zu erreichen.

Die Übung setzt sich aus einer kleinen Einstimmung und der eigentlichen Vorstellungsübung zusammen.

Versuchen Sie einfach, sich soweit darauf einzulassen, wie es Ihnen möglich ist.

Setzen Sie sich möglichst bequem auf Ihren Stuhl. Wenn Sie bequem sitzen, schließen Sie dann langsam die Augen.

Richten Sie die Aufmerksamkeit zunehmend nach Innen und spüren Sie, wo Sie entspannt sind und wo Sie vielleicht noch nicht so entspannt sind.

Versuchen Sie vielleicht eine noch bequemere Körperhaltung zu finden. Achten Sie jetzt auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft durch die Nase oder den Mund einströmt. Fühlen Sie, wie die Luft durch den Hals in die Brust und in den Bauch geht.

Stellen Sie sich jetzt vor, Sie sind das Kind, dessentwegen Sie dieses Buch lesen und durcharbeiten.

Versetzen Sie sich langsam immer mehr in Ihr Kind hinein.

Sie erleben als Ihr Kind, Sie werden immer mehr Ihr Kind.

Wenn Ihnen das immer mehr gelingt, weißt du als Kind und kannst du es vielleicht auch hören, wie du von deinen Eltern gerufen wirst.

Du kennst dein Alter. Du weißt, wie du aussiehst. Du weißt, ob du Geschwister hast oder nicht.

Beginne dich, an die Tage in der letzten Woche zu erinnern.

Versuche dir, einen Morgen in dieser Zeit vorzustellen. Du wirst geweckt oder wachst vielleicht selbst auf.

Du erlebst, was alles passiert, bis du in die Schule (oder in den Kindergarten) gehst.

Du hörst, was die Mutter und vielleicht auch der Vater häufig zu dir sagen.

Du nimmst auch den Tonfall und vielleicht auch die Lautstärke dabei wahr.

Du siehst, wie die Mutter und vielleicht auch der Vater dabei aussehen.

Vielleicht gehen dir auch bestimmte Gedanken durch den Kopf. Vielleicht löst dies auch Gefühle in dir aus.

Wenn du das morgendliche Geschehen durchlebt hast, mache einen kleinen Zeitsprung und versetze dich in den Unterricht (oder in den Kindergarten). Du erlebst, wie es dir im Unterricht (oder im Kindergarten) geht. Du erlebst, wie du dich im Unterricht (oder im Kindergarten) verhältst. Du hörst, was die anderen Kinder zu dir sagen. Und du hörst auch, was die Lehrer (oder die Erzieherin) häufig zu dir sagen und wie sie dabei aussehen. Wie sich ihr Tonfall und ihre Lautstärke dabei anhören.

Vielleicht gehen dir auch bestimmte Gedanken durch den Kopf.

Vielleicht löst dies alles in dir ein bestimmtes Gefühl aus oder vielleicht sogar mehrere.

Wenn du dies alles wieder durchlebt hast, mache wieder einen kleinen Zeitsprung und versetze dich in die Zeit am Nachmittag. Du musst vielleicht Hausaufgaben machen oder hast vielleicht auch Freizeit.

Du erlebst, was dir gefällt und auch, was dir schwer fällt.

Du erlebst, was dir immer wieder passiert.

Du erlebst noch einmal, wie du dich häufig verhältst.

Und immer wieder gibt es auch bestimmte wiederkehrende Situationen für dich.

Du hörst, was deine Mutter oder dein Vater in solchen Situationen häufig zu dir sagen und wie sie dabei aussehen.

Und du nimmst ihren Tonfall und ihre Lautstärke dabei wahr.

Vielleicht gehen dir auch wieder bestimmte Gedanken durch den Kopf.

Vielleicht löst dies alles in dir wieder bestimmte Gefühle aus.

Wenn Sie dies alles an der Stelle Ihres Kindes durchlebt haben, kehren Sie langsam wieder zurück in Ihre eigene Person.

Öffnen Sie langsam die Augen und dehnen und strecken Sie sich vielleicht, wenn Ihnen danach ist.

Arbeitsblatt 1.4: Vorstellungsübung – Eine Phantasiereise

Wie gut ist es Ihnen gelungen, sich auf die Phantasiereise einzulassen?

Das ist nicht einfach. In den Elterntrainingsgruppen gab es immer wieder Mütter, denen es schwer fiel, sich in ihr Kind hineinzuversetzen und die dann in ihre eigene Mutterrolle zurückgerutscht sind. Sie versuchten dann zum Teil zu begründen, warum sie als Mutter auf eine bestimmte Weise auf ihr Kind reagiert haben, so z. B., dass ihr Kind viel Unsinn mache und deswegen geschimpft werden musste.

Wenn dies bei Ihnen auch der Fall war, versuchen Sie noch einmal, die Augen zu schließen, sich in Ihr Kind hineinzuversetzen und ausschließlich in der Perspektive Ihres Kindes zu bleiben.

War es Ihnen jetzt möglich, sich ein bisschen in Ihr Kind hineinzuversetzen?

Wenn es Ihnen gelungen ist, versuchen Sie sich zu erinnern: Haben Sie in den einzelnen Situationen mit den Augen Ihres Kindes etwas sehen können? Haben sie etwas hören können? Was haben Sie als Ihr Kind gedacht? Wie haben Sie sich als Ihr Kind gefühlt?

Bevor Sie weiter lesen, möchten wir Sie bitten zu versuchen, diese Erfahrungen aus dem Blickwinkel Ihres Kindes schriftlich in dem folgenden Bogen festzuhalten. Sie wissen ja, Gedanken und Erinnerungen sind sehr flüchtig. Nur wenn wir sie schriftlich festhalten und nachlesen können, können wir auch bewusst damit arbeiten.


Vorstellungsübung »Ich bin mein Kind«

Arbeitsblatt 1.5: Vorstellungsübung »Ich bin mein Kind«

Möglicherweise ist Ihnen nach dem Ausfüllen und Durchlesen Ihres Bogens etwas bewusst geworden.

Diese Vorstellungsübung ist fester Bestandteil in unseren Elterntrainingsgruppen. Obwohl die Vorgaben neutral formuliert sind, berichten die Eltern durchgängig fast immer nur »Negatives«.

Als Kind sehen sie die großen Erwachsenen, sie sehen einen verärgerten oder gereizten Gesichtsausdruck bei den Erwachsenen. Sie sehen den bösen Blick der Eltern auf sich gerichtet, sie hören die laute Stimme, sie hören das ständige Drängen und Auffordern. Sie hören die gereizte Stimme »Jetzt mach doch endlich!«. Sie hören die vorwurfsvolle Stimme der Mutter »Hör endlich auf!«.

Als Kind denken sie, »was habe ich denn schon wieder falsch gemacht«, »ich bin immer Schuld«, »ich muss immer …«, oder »ich kann doch nichts dazu«. Als Kind fühlen sie Wut, Zorn, Scham, Angst, Hilflosigkeit, Traurigkeit.

Die folgende Abbildung zeigt wieder Plakate aus einer Elterntrainingsgruppe, auf denen die Auswertung der Phantasiereise festgehalten wurde. Vielleicht erkennen Sie nun einiges wieder, was Sie selbst als Ihr Kind gesehen, gehört, gedacht und gefühlt haben.

Stellen Sie sich vor: Sie erleben dies Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Wie würden Sie sich fühlen, wie würde es Ihnen ergehen?

Und, was passiert bei Ihrem Kind?

ADHS-Kinder wirken nach außen hin meist »cool«. Als Außenstehender, d. h. als Vater, Mutter oder als Lehrer und Erzieher hat man oft den Eindruck, dass es den Kindern gar nichts ausmacht, wenn sie geschimpft oder gestraft werden. Vielleicht denken die einen oder anderen Erwachsenen auch, dass ADHS-Kinder diese negativen Rückmeldungen ihrer Umwelt gar nicht so richtig wahrnehmen.

Die Vorstellungsübung hat in unseren Elterntrainingsgruppen sehr viele Emotionen ausgelöst. Manche Mütter haben geweint, da ihnen zum ersten Mal wirklich deutlich wurde, dass ihre Kinder nämlich nicht nur cool sind, sondern, dass sie sich oft sehr schlecht fühlen, dass sie traurig sind, dass sie sich unverstanden fühlen, dass sie sich hilflos fühlen.

An dieser Stelle geht es nicht darum, Ihnen als Müttern und Vätern Schuldgefühle zu machen. Aber diese Vorstellungsübung erscheint uns eine ganz wichtige Grundlage dafür zu sein, sich in die Kinder hineinzuversetzen und wahrzunehmen, dass die vielen negativen Rückmeldungen – die Strafen, das Schimpfen, die Ermahnungen –, die sie erhalten, deutliche Spuren in ihrer Seele hinterlassen. Sie haben Auswirkungen auf das Selbsterleben, das Selbstbild und das Selbstwertgefühl der Kinder. Die Vorstellungsübung hat damit in erster Linie das Ziel, dass Sie als betroffene Eltern die Bedeutung der Form Ihres »Feedbacks« für Ihr Kind besser einschätzen können.


Abb. 1.4: Plakat – Eltern werten ihre Phantasiereise aus



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