Читать книгу Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter - Arne Burchartz - Страница 11
2.3 Die Phasen der infantilen Sexualentwicklung
ОглавлениеIm Lauf der kindlichen Entwicklung treten bestimmte erogene Zonen in den Vordergrund. Nach ihnen benennt die frühe psychoanalytische Entwicklungstheorie Phasen. Freud geht von einer »zweizeitigen Sexualentwicklung« des Menschen aus: die frühkindlichen Sexualkonflikte kommen in der Latenz vorläufig zur Ruhe, um in einem zweiten Entwicklungsschub in Pubertät und Adoleszenz zur erwachsenen genitalen Sexualität zu reifen.
Die einzelnen Phasen, angelehnt an körperliche Vorgänge, beschreiben psychische Modalitäten, die lebenslang das Seelenleben des Menschen begleiten, jedoch in der jeweiligen Phase in den Vordergrund treten.
In der oralen Phase geht es um Modi des Aufnehmens und Empfangens, um emotionale Sicherheit und Vertrauen in eine haltende und lebensspendende Umwelt, aber auch um die Modulation von Gier und Neid.
Die anale Phase ist geprägt von Konflikten um Zurückhalten und Loslassen, Macht und Kontrolle, Beherrschung und Unterwerfung, Geben und Nehmen.
In der genital-ödipalen Phase rückt das Thema Liebe und Hass in einer Dreiecksbeziehung in den Mittelpunkt. Stolz, Schau- und Zeigelust, Rivalität und Ausschluss und die Anerkennung der grundlegenden triadischen Struktur des Lebens stellen sich als Entwicklungsaufgaben.
In der Latenz entfaltet das Kind Lern- und Wissbegier, den Wunsch, die Dinge der Welt zu entdecken, Fähigkeiten zu verfeinern und Können zu erwerben, Selbstvertrauen zu verankern. Die Affektsteuerung ist nun gereift, neue soziale Räume und außerfamiliäre Beziehungen werden wichtiger.
Die Pubertät und Adoleszenz stellt den jungen Menschen vor die zwei zentralen Aufgaben der Ablösung von den Primärobjekten und des Aufbaus einer eigenen Identität.
Erik H. Erikson (1966) arbeitete diese psychoanalytische Entwicklungspsychologie weiter aus zu einem »epigenetischen Entwicklungsmodell«. Ähnlich wie Havighurst (1972), vgl. OPD-KJ 2 (2016, S. 30), ordnet er jeder Phase einen spezifischen Grundkonflikt zu, den zu lösen sich dem Individuum als Entwicklungsaufgabe stellt. Dabei dehnt er das Konzept der Entwicklung über das Kindheits- und Jugendalter aus auf den gesamten Lebenszyklus des Menschen. Es ist die Leistung des Ichs, das in der Balance von Konflikten auch zwischen Individuum und den Anforderungen der Gesellschaft vermittelt ( Kap. 4.2).
Neuere psychodynamische Entwicklungsmodelle sind in der OPD-KJ 2 (2016) eingearbeitet ( Kap. 4.2, Kap. 5.7.3).
Ein zentrales Theorem der Psychoanalyse ist der Ödipuskomplex. Sein Name leitet sich her vom antiken Mythos von Ödipus, der ohne Wissen seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet. In der Entwicklung tritt er hervor, wenn dem Kind etwa ab dem Alter von 2,5 Jahren der Geschlechtsunterschied bedeutend wird. Das Kind möchte Teil des Elternpaares sein und richtet sein erotisches Begehren auf den gegengeschlechtlichen Elternteil. Nun entsteht Rivalität zum gleichgeschlechtlichen Elternteil. Das Kind hat es mit zwei Strebungen zu tun: Es empfindet Rivalität und Hass, möchte aber doch die Liebe zu beiden Eltern nicht missen. Das zieht Schuldgefühle nach sich. Freilich muss es auch erkennen, dass es einerseits zu klein ist, um diesen erotischen Wünschen wirklich gerecht zu werden, andererseits wird es gewahr, dass – wenn alles gut geht – das begehrte Liebesobjekt den anderen Elternteil erotisch vorzieht und es aus der sexuellen Elternbeziehung ausgeschlossen ist. »Der Verzicht auf das begehrte Sexualobjekt, die Verschiebung und der Aufschub des Triebwunsches auf nicht-inzestuöse Liebespartner und die Identifizierung mit dem eigenen Geschlecht und seinen Rollenausprägungen sind die Lösung dieser vertrackten Konstellation.« (Burchartz et al. 2016, S. 64). Damit sind die Voraussetzungen geschaffen für eine reife Geschlechtsidentität und eine Ausbalancierung von Nähe und Distanz sowie ein Internalisieren kultureller Verbote als Über-Ich.
Der Ödipuskomplex ist als metapsychologische psychoanalytische Konstruktion umstritten. Gleichwohl enthält er einige Grundbedingungen menschlicher Existenz: die Zweigeschlechtlichkeit, die grundlegend triadische Struktur der Psyche, das Inzestverbot, die Ambivalenz dem anderen gegenüber. Ödipale Verstrickungen lassen sich im Laufe des Heranwachsens unschwer beobachten. Im Rahmen der Neubetrachtung der geschlechtlichen Identitäten (hinsichtlich Kerngeschlechtsidentität, Sexualpartnerwahl und Geschlechtsrollen) ist – im Anschluss an Jaques Lacan – festzuhalten, dass der/die Dritte nicht unbedingt ein gleichgeschlechtlicher Elternteil ist, sondern dass es hier vielmehr um eine Funktion geht, die auch andere, auch gesellschaftliche Instanzen einnehmen können. Immer aber geht es um die Begrenzung omnipotenter Ansprüche an das Liebesobjekt und die Errichtung einer Generationengrenze.