Читать книгу Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter - Arne Burchartz - Страница 7
Оглавление1 Einleitung
Die Psychodynamische Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen fußt auf der von Sigmund Freud begründeten Psychoanalyse und deren Erweiterungen. Wesentliche Impulse zur Entwicklung der Psychoanalyse sind von der Kinderanalyse ausgegangen. Bis in die 70er Jahre des 20. Jhd. hat sich die Psychoanalyse zwar mit schulenspezifischen Varianten, jedoch wissenschaftlich, methodologisch und behandlungstechnisch relativ konsistent dargestellt. Zunehmend aber stellten sich Behandlungsnotwendigkeiten ein, die mit der »klassischen Psychoanalyse« nicht mehr ohne Weiteres zu bewältigen waren. Zudem bildeten sich Ärztinnen und Ärzte in Psychoanalyse weiter und arbeiteten damit in Praxen und Kliniken, ohne sämtliche Ausbildungsstandards zu erfüllen. Die Psychoanalyse musste also – wollte sie weiterhin möglichst vielen Patientinnen und Patienten zugänglich sein – Modifikationen erfahren. Mit der Zulassung der Psychoanalyse als kassenfinanzierte Krankenbehandlung 1971 wurden zwei Verfahren definiert: Die analytische und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (AP und TfP). Analog dazu gab es diese Differenzierung von nun an auch in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Lange Zeit ging man davon aus, dass sich in diesem Anwendungsbereich die beiden Verfahren schwer voneinander unterscheiden lassen, klare Unterscheidungskriterien hinsichtlich der Differentialindikation und der Behandlungstechnik fehlten. Diese Unschärfen drängten zur Klärung, als mit dem Psychotherapeutengesetz 1999 endgültig zwei Verfahren mit zwei Ausbildungen etabliert wurden und Institute entstanden, die ausschließlich in TfP für Kinder und Jugendliche ausbildeten. Es mussten also auch im Kinder- und Jugendlichenbereich beide Verfahren in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden begründet, differenziert dargestellt und in der klinischen Praxis verankert werden (Burchartz 2015).
Die verschiedenen Anwendungen der Psychoanalyse in der Krankenbehandlung bezeichnet man heute als »Psychodynamische Psychotherapie(n)«, weil allen gemeinsam die Annahme eines innerseelischen Kräftespiels, einer Psychodynamik ist, die Fühlen, Fantasieren, Denken und Verhalten des Menschen prägt. Dieses Buch stellt also zwei verwandte psychoanalytische Verfahren dar. Wo von deren Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Geschichte, der wissenschaftlichen Grundlagen und der metapsychologischen Annahmen die Rede ist, wird im Text nicht differenziert; Unterschiede v. a. in der Behandlungstechnik werden in den entsprechenden Kapiteln markiert.
In den Anfängen der psychoanalytischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sprach man von Kinderanalyse. Sie wurde von Analytikerinnen und Analytikern durchgeführt, die auch Erwachsene behandelten. Es hat mit der geschichtlichen Entwicklung zu tun ( Kap. 2.16), dass es strittig ist, wer sich heute »Kinderanalytiker« nennen kann und was als »Kinderanalyse« bezeichnet wird. In der IPA (International Psychoanalytic Association) wird dieser Begriff ausschließlich für solche Behandlungen reserviert, die von Analytikerinnen und Analytikern durchgeführt werden, die auch für Erwachsenenanalysen ausgebildet sind und die hochfrequent – also mindestens dreistündig – erfolgen ( Kap. 2.9, Kap. 2.16). Diese Einengung leuchtet nicht ein: Zum einen, weil sich eine Analyse nicht allein durch die Frequenz definiert, zum anderen weil sich nach einem langen Weg der Emanzipation der kinderanalytischen Arbeit (Müller-Brühn 2003 (1998); Holder 2002) jeder, der eine Ausbildung zum analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut mit einer Lehranalyse durchlaufen hat, als Analytiker bezeichnen kann.
Kinderanalytiker arbeiten mit vielfältigen Anwendungsformen und Settings ( Kap. 9). Ziel in der Analytischen Psychotherapie ist die Umstrukturierung der Persönlichkeit bzw. der Persönlichkeitsentwicklung, in der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie eine aktuelle Konfliktlösung oder die Reifung der Struktur.
Definition
Dieses Werk versteht unter »Psychoanalyse« das wissenschaftliche und anthropologische Gebäude, dessen Fundamente von Sigmund Freud gelegt wurden und das sich seither in einem gemeinsamen Diskurs von Psychoanalytikern, zu denen auch und gerade Kinderanalytiker gehören, laufend fortentwickelt. Unter dem Dach dieses Gebäudes wohnen nicht allein verschiedene therapeutische Anwendungsformen, sondern auch kulturanthropologische, soziologische und pädagogische Ansätze und Forschungen – z. B. die Ethnopsychoanalyse, die Psychoanalytische Pädagogik, die Psychoanalytische Sozialarbeit usw.
Für die TfP müssen sich Kinderanalytiker speziell qualifizieren – meist in einer sog. »verklammerten« Ausbildung, in der sowohl AP als auch TfP gelehrt wird. Kinderanalytiker sind also Psychotherapeuten, ebenso wie Psychotherapeuten, die sich allein in TfP ausgebildet haben, jedoch nicht Kinderanalytiker sind. Der Text beachtet diese Differenzierung, wo sie sachlich notwendig ist.
Psychoanalytiker kamen über viele Jahrzehnte aus einem breiten Spektrum von Grundberufen (Freud 1926e). Kinderanalytiker kamen mehrheitlich aus pädagogischen Berufen – sie brachten also eine fundierte Sichtweise auf das gesunde Kind und seine Entwicklung mit. Mit der grundlegenden Novellierung der Psychotherapeutenausbildung 2019 sind solche Zugänge verschlossen. Psychotherapeut wird, wer einen Masterabschluss in dem neu etablierten Hochschulstudium der Psychotherapie absolviert hat. Das bedeutet für die Psychoanalyse einen herben Verlust an Vielfalt fachlicher und persönlicher Kompetenzen. Es wird sich zeigen, wie sich diese sowohl an den Hochschulen als auch in der vertieften postgradualen Ausbildung erwerben lassen.
Das Verfassen eines Textes steht vor einem Konflikt zwischen einer gerechten Sprache, in der Geschlechter gleichwertig vorkommen, und einer flüssigen Lesbarkeit. Ich habe mich dafür entschieden, dort zwischen den Geschlechtern zu differenzieren, wo es für das Verständnis geboten ist, ansonsten aber die traditionelle Sprache beizubehalten mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass damit keine Diskriminierung anderer Geschlechter verbunden ist.