Читать книгу Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum - Arno Wulf - Страница 15

Vermisst

Оглавление

Spätsommer auf dem Saphir. Knud und Mouad hatten sich nach den anstrengenden Verhandlungen nach den Feierlichkeiten zur erweiterten Föderation vier Wochen Auszeit genommen. Auf zwei altmodischen Fahrrädern radelten sie auf dem Kraterrundweg - einer uralten Straße, deren Basaltoberfläche glatt poliert war. Vier Fahrbahnen - für Radfahrer, Fußgänger und das Ganze nochmals in der Gegenrichtung - bildeten das Herzstück der über 6000 Kilometer langen touristischen Attraktion. Etwa alle 25 Kilometer gab es eine unterirdisch angelegte, komfortable Übernachtungsmöglichkeit.

Die beiden genossen in vollen Zügen die naturbelassene Bergwelt, die sich auf der Ostseite des Kratermeeres auftürmte - die etwa 7000 Meter hohen Ausläufer des Polgebirges. Immer wieder blieben sie stehen - tief eingeschnittene Canyons, deren steil abfallende Flanken mit dichter Vegetation überwuchert waren, faszinierten sie. Enorme Mengen türkisfarbenes Schmelzwasser ergossen sich über hunderte Meter hohe Katarakte in das kreisrunde Gewässer.

Die Luft war klar und angenehm kühl. Dann und wann setzten sich die beiden an einen Bachlauf und ließen ihre Füße in dem kristallklaren Gebirgswasser baumeln. Sie genossen ihre Zweisamkeit und die sie umgebende Landschaft. Eine belebende Frische durchströmte ihre Körper und verursachte ein leicht euphorisches Gefühl.

Kurz hinter einer uralten steinernen Bogenbrücke, unter der ein wasserreicher Gebirgsbach toste, bog ein steiler Pfad rechts von der Straße Richtung See ab.

Die fremdartige Vegetation über ihnen war so dicht, dass kein Sonnenstrahl zum Erdboden gelangte. Ein bläulich - grünliches Dämmerlicht umfing sie. Ab und an mussten sie schmale Rinnsale überqueren, an deren Boden helle, abgerundete Quarzkiesel schimmerten.

„Wohin gehen wir?”, flüsterte Mouad.

„Nur noch knapp 200 Meter!”, kam die ein wenig rätselhafte Antwort.

Der Boden wurde abschüssiger.

Plötzlich brachen sie durch einen Pflanzenvorhang. Blendendes Sonnenlicht empfing sie. Mouad stockte der Atem. Sie blickten auf die tiefblaue, scheinbar unendliche Wasserfläche des Kratersees. Am Horizont konnten sie die strahlend weiße Gletscherkappe des Vulkans erkennen. Darüber eine schwarzgraue, mächtige Aschewolke, die bis weit in die Stratosphäre reichte.

„Eigentlich normale Aktivität”, erwähnte Knud beiläufig, als er das besorgt - fragende Gesicht Mouads sah.

Sie wandten sich nach rechts. In eine halbkreisförmige Bucht, die von knapp 200 Meter hohen Felswänden eingefasst war, stürzte ein mächtiger Wasserfall. Gischtschwaden zerstoben, als die blendend weiße Säule auf die Wasseroberfläche traf.

Sie legten die Räder vorsichtig auf den Boden. Die Luft war warm und angenehm feucht. Sie zogen sich aus. Weicher, warmer Quarzsand unter ihren Füßen.

Mouad wollte schon in das natürliche Becken hineinspringen - doch Knud hielt ihn zurück.

„Das Seewasser ist deutlich wärmer.” Er deutete in die Brandung, die von einer steifen Brise erzeugt wurde.

Hand in Hand stürmten sie los, sprangen kopfüber in die knapp anderthalb Meter hohen Brecher.

Wie Kinder tobten sie in der Brandungszone, spritzten sich nass, stießen sich gegenseitig zärtlich in die heran rollenden Wellen, umarmten und küssten sich.

Schließlich lagen sie auf einer ausgedehnten Sandbank. Mouad begann Knud zärtlich zu liebkosen. Liebevoll knabberten sie sich gegenseitig an ihren Schnurrbärten.

Knud schloss die Augen. Er genoss es, als er Mouads Zunge in seinem Mund spürte. Er fühlte die Wärme, die seinen Körper durchströmte.

Mouad legte Knud vorsichtig auf den Rücken, in eine flache Kuhle aus warmem Wasser und weichem Sand.

Sie streichelten sich innig.

„Darf ich?”, flüsterte Mouad schließlich erregt mit leuchtenden Augen.

„Ich liebe dich”, sagte Knud leise.

Knud fühlte den wunderschönen Körper seines Freundes auf sich. Er spürte, wie etwas Festes, Warmes allmählich in seinen Körper glitt.

Mouad bewegte sich langsam und vorsichtig vor und zurück. Dabei streichelte Knud ihn vorsichtig über seinen behaarten Rücken und Po.

Knud spürte, wie Mouads Schwanz immer fester wurde - er immer tiefer in ihn eindrang. Sie knutschten immer intensiver.

Mouad bewegte sich rascher. Knud war in lustvoller Erwartung, wie es seinem Mann kam. Dann stöhnte Mouad auf. Knud fühlte hautnah, wie in ihm Etwas zuckte, klopfte, sich eine heiße Flüssigkeit stoßweise in seinen Körper ergoss.

Mouad strahlte seinen Freund an.

„Du bist so zauberhaft schön.”

Knud verspürte eine wohlige Wärme, als er sich in seinen Freund vortastete. ,Mein faszinierender, durchtrainierter Mann. Für mich ist er das Erotischste auf dieser Welt.’

Er begehrte Mouad. Er verspürte ein angenehmes Kribbeln, dann ein lustvolles Prickeln, dem er sich vollkommen entspannt hingab. Das überwältigende Verlangen nahm immer mehr zu. Knud hatte das Empfinden, dass er gleich explodieren würde. Er wollte das Gefühl hinauszögern... hinauszögern...

Aber irgendwann gelang ihm das nicht mehr. Etwas zog sich in ihm zusammen und ging in ein rhythmisches Pulsieren über.

Mouad spürte intensiv, wie der warme Liebessaft seines Freundes tief in seinem Körper schubweise herausspritzte.

Es war bereits später Nachmittag, als sie erschöpft, aber glücklich, Arm in Arm durch das warme Wasser zurück zum Strand wateten.

„Ich will schlafen”, meinte Mouad ermattet.

„Keine Chance. Du musst noch etwa 15 Kilometer Radfahren, bevor wir ein Nachtlager für dich finden können.”

„Ich kann wirklich nicht mehr!”, jammerte Mouad, wohl nicht ganz ernst gemeint.

„Du bist mir so einer. Den ganzen Tag nur Spaß haben wollen und dann schlappmachen. Das gilt nicht!”

Und mit diesen Worten schubste Knud seinen Freund mit Schwung in die halbrunde Bucht. Aber Knud passte nicht richtig auf. Im Fallen erwischte Mouad noch einen Arm seines Freundes und riss ihn mit sich.

Ein Kälteschock überflutete Mouad. Schlagartig war er hellwach. Er prustete, japste nach Luft.

Knud packte ihn, zog ihn aus dem Wasser und setzte ihn in den warmen Sand.

„Ich geh mich mal eben frischmachen”, lachte er, stürzte sich ins Wasser und tauchte unter.

Langsam taute Mouad, der am ganzen Körper bibberte, wieder auf. Der warme Sand, das milde Licht der Sonne - die Müdigkeit war wie weggeblasen.

Aber er wurde nervös. Wo steckte bloß Knud? Er war nirgends zu sehen. Mouad sprang auf und wollte schon losstürmen, um ihn zu suchen.

„Alles in Ordnung!” Der Ruf hallte kurz zwischen den Felswänden, bevor er vom Rauschen des Wasserfalls verschluckt wurde.

Da plötzlich - ihm stockte der Atem: In der Gischtwolke kaum erkennbar - Knuds Körper ragte zu drei Vierteln aus dem Wasser - nah an der Wassersäule, die von oben herabstürzte. Er lief hin und her, tauchte seine Arme, seinen Kopf, manchmal auch den ganzen Körper in die Wassermassen. Knud musste offenbar all seine Kraft aufbringen, um nicht weggedrückt zu werden. Immer wieder wurde sein Körper mit Gewalt nach vorn gebeugt.

„Hör sofort auf mit dem Blödsinn - bist du lebensmüde?”, brüllte Mouad.

Knud musste ihn wohl gehört haben - denn er schüttelte den Kopf. Dann machte er einen Schritt nach vorne und verschwand in den kochenden Wassermassen.

Mouad erfasste Panik. Er rannte am Rand entlang und hoffte verzweifelt, seinen Freund irgendwo zu entdecken. Auf einer winzigen Sandzunge, die einige Meter in die Bucht hereinreichte, blieb er schliesslich suchend stehen.

Plötzlich zog ihn etwas nach hinten - er plumpste in den warmen, weichen Sand. Ein kühler, nasser, muskulöser Körper legte sich auf ihn. Knud küsste ihn zärtlich.

„Du bist ein Idiot”, flüsterte Mouad.

„Überraschung”, schmunzelte Knud zurück. „Dies ist eines meiner Geheimnisse. Ein Ort, an den ich mich manchmal zurückziehe, um völlig mit mir allein zu sein. Ich kenne diese Bucht - auch unter Wasser - wie meine Westentasche.”

Mouad knuffte und zwickte Knud zärtlich in die Seite. Dieser begann sofort los zu gackern - so kitzelig war er.

Aber Mouad ließ nicht ab - und die beiden rollten sich wie kleine, sich balgende Jungen im weichen Sand.

Dann rappelten sie sich wieder auf und rannten über niedrige Dünen, die der Seewind aus den Ablagerungen der unzähligen Gebirgsbäche in Ufernähe aufgetürmt hatte.

Mouad war entlang der Küste ein ganzes Stück über flache Priele, Wasserlachen und Sandmäander vorausgelaufen.

„Komm, hol mich doch ein, Väterchen”, rief er ihm lachend und auf die Entfernung kaum mehr verständlich zu. Knud jedoch hatte keine Lust mehr auf Albereien und blieb stehen.

Er blickte aufs Meer hinaus. Eine gigantische, dutzende von Kilometern hohe Aschensäule erhob sich dort, weit, weit draussen auf dem See - mehr als 500 Kilometer von ihnen entfernt. Plötzlich erschütterte ein leichtes Beben den Boden.

„Komm sofort zurück, Mouad! Wir müssen hier weg!”, brüllte Knud ihm zu - denn dies war keine gewöhnliche Vulkanaktivität mehr.

Aber der tollte unbeschwert weiter den Strand entlang - er hatte offensichtlich sein Rufen nicht gehört - vermutlich wegen des Gegenwindes, dem die beiden bereits seit geraumer Zeit ausgesetzt waren. Und die geologische Warnung war scheinbar auch nicht in sein Bewusstsein eingedrungen.

Knud stürmte los. Aber der lockere Sand behinderte sein rasches Fortkommen. Er sah, wie sich rechts von ihm das Seewasser allmählich immer weiter zurückzog. Mouad hatte es endlich auch bemerkt und blieb verwundert stehen.

„Du Idiot! Wir müssen zurück!”, schrie Knud. „Lauf, lauf doch endlich! Tsunami!!!”

Erst jetzt erkannte Mouad die Gefahr. Er wandte sich um und lief genau auf ihn zu. Knud erreichte endlich seinen Freund, der sich ziemlich verausgabt hatte. Zusammen hetzten sie zurück. Mouad wollte näher an den Küstensaum zurück, auf höheres Gelände. Aber bereits nach wenigen Metern versank er bis über die Knöchel im weichen Untergrund und kam kaum noch voran.

Knud packte seinen Mann, setzte ihn auf die Schultern und rannte mit ihm in Richtung des Wasserbeckens. Denn er allein kannte die trittfesten Strandbereiche - die es noch gab.

Mouad, völlig verwirrt, drehte seinen Kopf so, dass er auf den See blicken konnte. Und das, was er in diesem Moment noch weit draussen auf dem Wasser erspähte, ließ in ihm das Blut in den Adern gefrieren: Eine dunkle, blauschwarze Wand erhob sich dort, deren Höhe immer weiter anwuchs. Aber noch immer zeigte sie keine Brecherkrone auf der Oberseite. Entsetzt wandte seinen Blick ab und sah knapp 400 Meter schräg rechts vor sich das Bassin, an dessen felsigen Wänden sie zum Strand hinabgeklettert waren. Und jetzt begriff er endlich auch, warum sie dorthin zurück mussten und wie leichtsinnig sie gewesen waren: Der dichte Durodontenbewuchs verhinderte, dass sie an anderer Stelle an Land gehen konnten. Denn die rasiermesserscharfen Pflanzenteile würden sie in Stücke schneiden, sobald sie auch nur einen Fuß in den Bewuchs setzen sollten.

Nur noch weniger als 50 Meter. Aber das Gebirge aus Wasser verfolgte sie unbarmherzig. Ein Gurgeln und Tosen, ein Bersten und Krachen war hinter ihnen zu hören, als die Wasserwand die Uferböschung entlang der Küstenlinie zermalmte. Knud erreichte endlich den Fuß des steil ansteigenden Walls und stürmte den felsigen Steig hinauf. Aber das brodelnde Geräusch ließ sich nicht abschütteln.

Doch plötzlich wurde er gepackt und mit einer titanischen Kraft nach oben geworfen. Mouad ruderte hilflos mit Armen und Beinen und landete glücklicherweise auf nachgebendem Untergrund. Eine starke Strömung erfasste ihn und warf ihn weiter den Hang hinauf. Dann bekam er die mörderische Wucht der Hangabtriebskraft des zurückströmenden Wassers zu spüren. Es gelang ihm, sich an irgendetwas Hartem festzukrallen.

Auf einmal verspürte er das Gefühl, von irgendeiner unbekannten Macht beschützt zu werden. Mouad war jedoch noch viel zu benommen um tatsächlich zu begreifen, was um ihn herum geschah. Er sah durch seine teilweise verklebten Augen nur noch, wie sich hinter ihm eine noch viel gewaltigere zweite Wasserwand auftürmte. Mit dem Mut der Verzweiflung riß er sich los, und probierte wie von Sinnen, weiter den Anstieg hinauf zu hasten - stark behindert durch die Unmengen glitschigem Schlamm, die alles bedeckten.

Mit einem Mal glaubte er erneut zu fühlen wie ihn jemand bei der Hand ergriff. Sicher war er sich jedoch nicht. Aber Mouad zog den Unbekannten unbarmherzig - auch wenn es nur Einbildung sein sollte - weiter voran, denn er ahnte, was nun kommen würde:

Eine ungeheure Kaft wirbelte ihn umher. Aber er packte die womöglich nur virtuelle Hand, so fest er nur konnte - sie bot ihm den einzigen Anker. Sie verhinderte sogar, dass er in Panik nach Luft schnappte. Aber er war weiterhin in diesem Mahlstrom gefangen - immer noch ein Spielball der Elemente dieser Welt.

Doch plötzlich ließ die verheerende Gewalt um ihn herum nach, das Wasser - Schlamm Gemisch floß ganz allmählich ab. Dann endlich gaben ihn die Kleistermassen wieder frei. Eine Zeitlang lag er einfach nur so da - unfähig sich auch nur einen Millimeter zu bewegen - so erschöpft war er. Aber irgendwann setzte sich bei Mouad die Erkenntnis durch, dass er aufstehen müsste. Denn wenn sich der mineralische Brei um ihn herum erst durch Abtrocknungsprozesse verfestigen würde, würde er schon sehr bald keine Chance mehr haben, sich aus eigener Kraft zu befreien.

Aber so sehr er sich auch bemühte - seine Extremitäten schienen aus Blei zu bestehen. Und allmählich drang es in sein Bewusstsein, dass er bald auf entsetzlich Weise zu Grunde gehen würde: Er spürte einen erdig-sandigen Geschmack in seinem Mund, bemerkte die scharfkantigen Stücke, die offensichtlich doch in Mund und Nase eingedrungen waren. Es gestaltete sich für ihn auch extrem schwierig, Luft einzuatmen - nur durch einen schmalen Kanal in seiner verstopften Nase gelangten überhaupt die lebensrettenden Gasmoleküle in seinen Körper.

Und dann kam ein Reiz auf: Würgend, quälend, erstickend - der Organismus rebellierte gegen die eingedrungenen Fremdkörper. Sein Körper bäumte sich verzweifelt auf - doch seine Muskeln gehorchten ihm nicht.

Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hob ihn urplötzlich jemand hoch. Er glaubte das Rauschen eines schnell strömenden Gewässers zu hören, spürte, wie er auf eine Sandbank gelegt wurde. Dabei wurde er in stabile Seitenlage gebracht. Jemand zwang ihn, den Mund zu öffnen, um die Fremdkörper aus Mund und Rachen zu beseitigen. Schließlich wurde er halb aufgerichtet - Mouad würgte, erbrach sich. Er bekam endlich wieder Luft. Gleichzeitig spürte er, wie kühles, klares Gebirgswasser auf ihn von weit oben auf ihn hinab prasselte. Ganz langsam wurde er die verfestigte und zugleich schmierige Schlammschicht los - er wurde von den klebrigen Fesseln befreit. Erst jetzt bekam er mit, dass auch sämtliche anderen Körperöffnungen mit der fast schon zu Beton verfestigten Masse verstopft waren. Denn so sehr er sich auch anstrengte: Er konnte immer noch überhaupt nichts sehen - die Lieder waren vollkommen zugekleistert.

Und immer wieder musste er vollkommen hilflos Kälteschocks ertragen, denn er war noch stets nicht in der Lage, seinen Mund selbstständig zu öffnen, geschweige denn ein Wort hervorzubringen. Aber der Unsichtbare besaß offensichtlich großes Geschick darin, die Kraft des fallenden Wassers optimal für Reinigungsoperationen einzusetzen.

Endlich, nach einer scheinbaren Ewigkeit, war er soweit wieder freigepellt - und gewaschen, dass er seine Umgebung wieder wahrnehmen konnte. Jedoch musste er sich noch stets immer und immer wieder übergeben und lautstark abhusten, bis sein Körper endlich die letzten mineralischen Fremdkörper hinausbefördert hatte.

Wenig später saßen die beiden eng umschlungen auf einem weichen Pflanzenpolster. Mouad war völlig ermattet. Aber Knud hatte ihn auf schon beinahe wundersame Weise regeneriert - medikamentös und durch Heilkräuter, deren aetherische Inhaltsstoffe ihm seine Kraft, seinen Lebensmut auf völlig unerklärliche Weise zurückgaben.

Sie blickten von einem Aussichtspunkt in das Halbrund des natürlichen Amphitheaters. Vor ihnen lagen mächtige Stromschnellen, bevor der Gebirgsbach über die Kante in die Tiefe donnerte. Bis hier oben waren die Riesenwellen nicht vorgedrungen. Aber am meisten wunderte es Mouad, dass Knud offensichtlich nicht einen Kratzer abbekommen hatte. Sein Körper war noch stets so unversehrt und makellos, wie er es immer schon bewundert hatte. Denn an sich selbst bemerkte er unzählige Prellungen, Schürfwunden und Schnitte, die auf die Gewalt des zurückliegenden Naturereignisses hindeuteten.

„Danke, dass du mich wieder einmal gerettet hast. Denn das war doch sehr knapp!”, bemerkte Mouad nach einer Weile. „Sind wir hier denn wenigstens absolut sicher?”

„Wir befinden uns zur Zeit etwa 250 Meter oberhalb der Seeoberfläche. Der Tsunami erreichte mit seinem Maximum lediglich etwa 100 Meter Höhe. Unsere jetzige Position bietet auf jeden Fall ausreichend Schutz vor bösen Überraschungen.”

„Aber wieso sind wir nicht gewarnt worden? Mit föderaler Technologie kann man doch bestimmt rechtzeitig vor einem drohenden Ausbruch des Zentralvulkans mit nachfolgender unterseeischer Hangrutschung und dem dadurch ausgelösten Tsunami alarmiert werden.”

„Dem ist auch so. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte ungestört sein, wollte die Natur unverfälscht genießen - in in ihrer ganzen Größe erfahren.”

Mouad schüttelte den Kopf.

„Auch auf die Gefahr hin, an ihr zu Grunde zu gehen?”

Knud antwortete nicht.

„Ich hatte schon wieder so ein beunruhigendes Gefühl einer nach mir ausgreifenden Macht. Hast du vielleicht eine befriedigende Erklärung dafür? Steckst du selbst vielleicht dahinter, nach all den Veränderungen, die Du als Individuum erfahren hast?”

„Das könnte schon sein. Aber was da genau geschehen ist...”

Sie blickten über den See hinweg. Das Wasser nahm eine silbrig - graue Färbung an. Die Sonne berührte allmählich die Spitzen der Gebirgsketten hinter ihnen. Dunkle Schatten in der Silhouette der einzelnen Gipfel schoben sich immer weiter auf’s Wasser hinaus. Aber immer noch erhob sich in der Ferne der gewaltige Wolkenturm - die Eruptionswolke, in der Spitze in strahlendem gelb, weiter nach unten über orange und rot ins Graue hinein verlaufend: Ein unglaublich beeindruckendes Erlebnis eines Sonnenuntergangs auf einer fremden Welt. Ganz unten in der Ausbruchssäule, knapp oberhalb des Horizonts, flackerte es hin und wieder orangerot auf - der Widerschein der Lavafontänen, die dort herausschossen.

Es wurde allmählich immer dunkler. Hin und wieder konnten sie sogar aufzuckende blauweiße Verästelungen in der Aschewolke ausmachen - elektrische Entladungen, die sich entlang der aufquellenden Massen verzweigten.

„Ich verspüre gerade ein sehr eigenartiges Gefühl. Obwohl ich auf dieser Welt soeben nur knapp dem Tode entronnen bin, kann ich mich in diesen Planeten einfach nur verlieben”, sagte Mouad verträumt. „Du hast mir schon so viele Welten in der Föderation gezeigt - alle davon waren auf ihre Art faszinierend und wunderschön. Aber der Saphir bildet nach meinem Dafürhalten die perfekteste Komposition aller nur erdenklichen Naturschönheiten, gepaart mit ungezähmter Wildheit und Kraft. Auch wenn das furchtbare Geschehen von vorhin mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird - fühle ich mich dennoch auf eine fremdartige Weise geborgen, die ich nicht näher erklären kann. Als ob dieser Planet eine Mutter für mich ist - auf der einen Seite liebevoll, manchmal sogar zärtlich und dabei wunderschön, dann wieder andererseits zornig, brutal und absolut vernichtend. Ich habe jetzt beide Merkmale kennen gelernt - trotzdem bin ich mir jetzt ganz sicher, hier endgültig meine Heimat gefunden zu haben.”

„Jetzt wirst du auch verstehen, warum ich immer wieder den Wunsch verspüre, an diesen Ort zurückzukehren. Denn dieser Welt wohnt einfach etwas Göttliches inne. Daher habe ich stets aufs Neue das Bedürfnis, für immer auf meiner Insel leben zu wollen. Möchte auch, wenn einmal der Zeitpunkt kommen sollte, hier sterben und begraben werden.”

„Bestand eigentlich tatsächlich reale Todesgefahr für uns?”

Knud blieb ihm die Antwort schuldig.

Sie schoben ihre Räder entlang des Gewässers zurück zum Rundweg. Plötzlich bückte sich Mouad. Er hob einen Stein hoch, der mit Lehm verschmutzt war, tauchte ihn ins Wasser und betrachtete ihn. Wunderschöne Bergkristallprismen funkelten in der Sonne. Dazwischen blinkte es gelb-metallisch.

„Ist das echtes Gold?”, fragte er.

„Ja, dieser Fluss ist für seine Goldablagerungen und Nuggets unter Geologen sehr bekannt - schon seit langem.”

„Und ihr beutet ihn nicht aus?”

-

„Die Natur ist kostbarer als der bloße Materialwert des Edelmetalls.”

„So allmählich begreifst du unsere Philosophie. Warum sollten wir diesen zauberhaften Ort zerstören, wenn wir doch zum Beispiel kurz nach der - zugegeben sehr seltenen - Kollision zweier Neutronensterne innerhalb kürzester Zeit Billiarden Tonnen diverser Edelmetalle abernten können?”

Mouad blickte auf die fast völlig fehlerfrei auskristallisierte mineralische Stufe.

„Aber nimm doch das schöne Stück als Erinnerung herzlich gern mit.”

Knud und Mouad schwangen sich wieder auf den Sattel und radelten weiter. Auf der Kuppe eines Hügels, den sie mit einiger Anstrengung erklommen hatten, setzten sie sich auf den steinernen Rand eines Aussichtspunktes und genossen wieder einmal die Aussicht: Senkrecht unter ihren Füßen brach eine viele hundert Meter tiefe Abbruchkante in die spiegelglatte See. In der Ferne der dunkelrot angestrahlte Blumenkohl als Zeichen der weiterhin heftigen Ausbruchsaktivität.

Auf der zum Kratermeer abgewandten Seite erhob sich der mit riesigen Gletschern überzogene, sturmumtoste Nostaq, mit 8311 Metern der höchste Gipfel der östlichen Ausläufer des Polgebirges in den stahlblauen Himmel. Sie betrachteten respektvoll das chaotische Terrain aus Eislawinen, Schneewächten und Gletschern.

Es verging geraume Zeit, in der die beiden nur so da saßen und die faszinierenden Bilder in sich aufsogen.

„Ich wünschte mir, dass all die Menschen, die mir auf der Erde etwas bedeutet hatten, diese phantastische Natur zusammen mit uns genießen könnten. Ich glaube, dass auch sie neue Kraft für ihr weiteres Leben tanken könnten, um den Schrecken ihrer Erlebnisse auf Terra zu überwinden.

Knud kuschelte sich an Maouad. Abermals küssten und liebkosten sie sich zärtlich.

„Ich bin so glücklich”, flüsterte Mouad. „Diese Erotik, diese Intimität - ich habe sie vermisst.”

Nach einer Weile ergänzte er leise: „Ist schon sehr eigenartig, dass ich die Katastrophe heute Mittag scheinbar mühelos weggesteckt habe.

Es dämmerte. Knud und Mouad saßen unter einer gläsernen Aussichtskanzel auf einer knapp 1000 Meter hohen Klippe, aus der man auch bei schlechtem Wetter das Panorama genießen konnte. In dessen Mitte war eine Bodenplatte eingelassen, auf der 20 Personen Platz finden konnten: Der Zugang zu einem unterirdischen Hotel.

„Lass uns die Nacht doch hier verbringen”, schlug Mouad vor.

Knud nickte. Er deutete auf den See hinaus: Die langen Schatten aus dem himmelhohen Gebirge hinter ihrem Rücken hatten sich weit auf den See hinausgeschoben: Caeleon versank endgültig hinter den eisigen Flanken des Gebirgsmassivs. Rasch wurde es empfindlich kalt - der Herbst nahte. Mouad und Knud blickten ein letztes Mal den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Aber was war das? Eine Gruppe Radfahrer, schemenhaft, tief unten am Fuße des kilometerlangen steilen Anstiegs?

Mouad: „Die werden aber erst hier oben ankommen, wenn es schon tiefe Nacht ist.”

Die Gruppe schien aus Leibeskräften den Anstieg bewältigen zu wollen - rasch wurden die ersten Steigungen überwunden.

Knud wurde sichtlich nervös. Mit bebender Stimme sagte er:

„Mouad, auch wenn du mich für total verrückt hältst - ich muss ihnen entgegen fahren.”

Er stieg auf sein Fahrrad und raste den Abhang hinab, ein nachdenklicher, und zugleich sichtlich irritierter Mouad folgte ihm.

Beim Näherkommen erkannte er Astrid, Mary - und eine Gruppe von jungen Leuten, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er identifizierte einige Afrikaner, mehrere Asiaten - vielleicht Koreaner sowie Menschen aus dem zentralasiatischen Raum.

Knud brauste - wie von Sinnen - auf die Gruppe zu. Dabei stieß er fortwährend Freudenschreie aus und Namen, an die sich Mouad aus Knuds dramatischen Erzählungen erinnerte.

Er sah, wie sein Freund plötzlich stehenblieb, abstieg, von der Gruppe in die Mitte genommen und immer wieder umarmt und geküsst wurde. Schließlich wurde Knud triumphierend ein Stück bergauf getragen.

Jetzt erreichte auch Mouad die lachenden und zugleich vor Freude weinenden Menschen. Astrid und Mary standen etwas abseits. Sie sahen überglücklich aus.

Mouad gesellte sich zu den beiden Frauen, die ihn herzlich begrüßten.

„So ist offensichtlich ein Wunder geschehen: Knud hat viele seiner terranischen Freunde, die er einst aus heiklen Situationen einst befreit hat, wieder gefunden.”

Mary lächelte.

„Wunder würde ich das nicht nennen. Eher Zähigkeit und Hartnäckigkeit unsererseits und zugleich ungeheure Dankbarkeit. Denn ohne Knuds aufopferungsvollen Einsatz wären wir beide schließlich nicht mehr am Leben. Wir wussten, dass er an diesen Menschen hängt. Wir haben zum Teil jahrelang recherchieren müssen, um sie auf Terra ausfindig zu machen. Vor zwei Jahren hatten wir endlich Erfolg.”

„Aber warum habt ihr mit dieser freudigen Nachricht so lange gewartet?”, fragte Mouad.

„Einige dieser Menschen waren in einem so schlechten Zustand, dass jahrelange, umfangreiche psychologische Vorbereitungen notwendig waren. Insbesondere die drei Koreaner brauchten sehr intensive und liebevolle Betreuung.”

„Koreaner? Davon hat mir Knud nie etwas erzählt.”

„Knud soll dir selbst über sie berichten.”

Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum

Подняться наверх