Читать книгу Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum - Arno Wulf - Страница 9

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„Seid Ihr sicher, dass das Signal von dieser Welt gekommen ist?”

Aischa schüttelte den Kopf.

„Das ist doch nur eine öde Eiswüste, die um diesen blauen Gasriesen nebst einigen anderen Monden kreist. Wer soll denn bitteschön von diesem Ort ein derart starkes Signal ausgesendet haben?”

„Ich wäre da mit meinen Schlussfolgerungen nicht so voreilig”, entgegnete Nefud. „Knud hat mit Mouad und mir inzwischen hunderte Planeten besucht, von denen ich auch zunächst dachte: ,Leben - hier, an diesem unwirtlichen Ort - unmöglich! Und dann wurden wir doch eines Besseren belehrt. Denn hoch entwickelte Rassen gibt es überall:”

Mouad, dessen Spezialgebiet inzwischen Extrembiologie war, führte aus: „Intelligentes Leben existiert

 bei Temperaturen von etwa 170 K an bis etwa 1050 K,

 im Druckbereich ab ungefähr 0,05 Bar bis ca. 10000 Bar,

 auf Wasserplaneten, die von bis zu 8000 Kilometer tiefen Ozeanen bedeckt sind,

 auf Riesenplaneten, deren Atmosphäre wegen der enormen Gravitation aus für Menschen giftigen organischen Verbindungen aufgebaut ist.

Es geht sogar noch weiter: Braune Zwerge verursachen häufig durch ihre Gravitationswechselwirkung auf den sie umgebenden Monden oder Planeten gewaltige Gezeiteneffekte. Damit ist ein heftiger Vulkanismus verbunden. Dieser kann dann sogar so stark sein, um Ozeane - verborgen unter einer dicken Eisschicht - zu erzeugen.

Und sogar auf 2875 Schnellläufern - Planeten, die durch Bahnstörungen aus ihrem ursprünglichen Sonnensystem hinauskatapultiert wurden - existiert intelligentes Leben. Dabei ist der Planet selbst die Energiequelle. Der radioaktive Zerfall instabiler Isotope tief im Inneren dieser Welten führt zur Erwärmung äußerer Planetenschichten, wo Leben über Äonen existieren kann.”

Nefud: „Und obendrein ist das Zeitempfinden intelligenten Lebens häufig ein völlig anderes als das der Terraner. Es konnte inzwischen sogar der Nachweis erbracht werden, dass Gedankengänge bei vielen Rassen Tage, Wochen, Monate, Jahre dauern. Wichtige Entscheidungsprozesse somit bei den einzelnen Lebewesen sehr wahrscheinlich Jahrtausende. Und das bei Kulturen, die vielleicht schon seit hunderten von Millionen, wenn nicht gar Milliarden Standardjahren existieren.”

Aischa war eine schlanke, tiefschwarze, junge Frau mit einer scharfgeschnittenen Nase und tiefschwarzen Augen. Sie war eine der ersten Terranerinnen aus den afrikanischen Gebieten, die der föderalen Kontrolle unterstanden und hatte die Flottenakademie auf Gambilon V mit Bravour absolviert. Sie war aufgeweckt, verfügte über einen messerscharfen analytischen Verstand und hatte ein unglaublich gutes Gedächtnis.

,Wirklich eine Powerfrau’, dachte Knud voller Respekt, als er das erste Mal vor wenigen Wochen mit der neuen Offiziersanwärterin zusammen traf. ,Und das bei ihrem persönlichen Schicksal: Beschneidung als Kind, mit 11 Jahren zwangsverheiratet, stetige Erniedrigung und Vergewaltigung durch ihren Mann. Die Zwangsverpflichtung durch die Harakat Al-Shabaab al-Mujahideen Miliz. Dann ihre Enttarnung durch Milizionäre, dass sie sich heimlich intellektuell weit fortgebildet hatte, was in Somalia streng verboten ist. Ihre strikte Weigerung gegenüber der Forderung der Miliz, andere Menschen töten zu müssen. Schließlich mehrfache öffentliche Amputation von Gliedmaßen ohne Narkose. Ihr früheres Leben - ein einziges Martyrium.

Und dann ihre Wiedergeburt, nachdem auch Somalia unter föderalen Einfluss gelangte: Vollständige Beseitigung aller Verstümmelungen, glanzvoller schulischer Werdegang und dann Aufnahme in die Akademie. Und jetzt war sie drauf und dran, eine der besten Admirals der Flotte zu werden. Einfach nur beeindruckend.’

„Aber wie soll das denn technisch überhaupt funktionieren?”, überlegte Aischa. „Dass eine womöglich hoch entwickelte Kultur unter 20 Kilometer dickem Eis mit der Aussenwelt kommunizieren kann? Eine so massive Wasser- und Eisschicht ist schließlich ein guter Isolator gegenüber elektromagnetischer Strahlung aller Art.”

„Vielleicht durch Teleportation? Durch multifunktionelle Fahrzeuge, die sowohl die Funktion eines U-Bootes, einer Eisfräse und schließlich noch eines Raumschiffes miteinander kombinieren? Oder ist es tatsächlich gelungen, auf der fast atmosphärenlosen Oberfläche des Mondes eine Sendestation zu errichten?” Nefud wagte sich ins Reich spekulativer Theorien.

Knud: „Viele Erklärungen können zutreffen. Zumal sich in letzter Zeit vermehrt die Hinweise verdichten, dass viele der Wasserwelten eine Art von transgalaktischer Kommunikationssymbiose betreiben. Dass die dortigen Kulturen womöglich telepatisch, durch Verschiebung des Raum-Zeit Kontinuums oder durch Raum - oder sollte ich vielleicht besser sagen Ozeanschiffe miteinander in Kontakt treten. Es gibt nämlich sehr viele Eisplaneten und -monde, die überraschenderweise zeitgleich am Rande eines gewaltigen evolutionären Sprunges stehen. Das würde auch zum Teil die Beobachtungen auf Epsilon Eridani IV, Orodon, dem Saphir und anderen Ozeanplaneten erklären: Sie haben vermutlich ebenso eine Art von Bündnis ähnlich dem der Föderation geschmiedet. Nur unter ganz anderen Voraussetzungen - unter Wasser eben.”

Mouad dachte nach. „Ich habe einmal in Rogopols Haus Einblicke in das transgalaktische Netzwerk der Wurmlöcher und Anomalien erhalten. Nach all dem, was ich inzwischen in Erfahrung bringen konnte: Ist es vielleicht nicht so, dass diese Struktur beispielsweise den Gründungsrassen der Föderation dazu dient, sich jederzeit ein Bild von der zivilisatorischen Reife der jetzigen Bewohner machen zu können? Oder sogar um den Reifegrad aller Rassen im Universum zu kontrollieren?”

Knud hörte aufmerksam zu.

Nefud: „Dazu würde es auch ins Bild passen, dass beispielsweise der Saphir, aber auch Epsilon Eridani IV, Überwachungsplaneten sind. Sie sind die allwissenden Informationssammler vor Ort. Und erfüllen in ihrem jeweiligen Raumbereich eine Funktion, die man nur als gottgleich bezeichnen kann: Rassen, die sich so weit entwickelt haben, dass sie über das Zeitalter der Gewalt, der Unterdrückung oder der Eroberung hinausgewachsen sind. Und möglicherweise diese Verhaltensweisen auch niemals an den Tag gelegt haben.”

Aischa: „Dieser Staat unterliegt wahrscheinlich auch unter genauer Supervision der Gründungsrassen. Schon aus diesem Grunde erscheint es mir äusserst wichtig, dass sich die Föderation bei der Auswahl ihrer Mittel, um mögliche Angriffe von aussen abzuwehren, sensibel auf den zivilisatorischen Reifegrad ihrer Kontrahenten einstellt. Brutale Gewalt ist immer die schlechteste Lösung. Terra ist beispielsweise anders zu behandeln als die Duwuthrounu oder gar die Guruthuwrunuh.”

Astrid: „Die Bedrohung der Föderation durch Letztere diente deshalb auch als Test, wie die Führung der Föderation mit diesen Herausforderungen umgeht. Ob sie lediglich barbarische Härte an den Tag legt oder ob sie es zu Wege bringt, gewaltfrei den Konflikten zu begegnen. Wie sensibel, wie abgestuft ihre Vorgehensweise ist.”

Knud nickte anerkennend.

„Ihr alle habt es weit gebracht. Eure Fähigkeit, logische Schlussfolgerungen zu ziehen, euch in unbekannte Forschungsbereiche zu wagen. Neue, vielleicht sogar revolutionäre Thesen aufzustellen. Genau so etwas wird bei der Föderation benötigt.”

„Dann sind wir also hier, um Kontakt zu einer weiteren Hochkultur herzustellen - einer Kultur, die es im Verborgenen zu ähnlichen Leistungen fähig ist wie die Föderation”, stellte Mary fest.

„Genauer gesagt zu zwei”, antwortete Knud. „Denn auch die fliegenden Händler, die Rovennon, haben diese Stufe erreicht.”

„Sind es diese Treffen und der damit verbundene intensive Gedankenaustausch, die Evolutionsschübe in weit entwickelten Rassen auslösen?”, fragte Wahid.

„Mit absoluter Sicherheit”, antwortete Mouad. „Knud und auch ich haben schon mehrmals solche überaus fruchtbaren Kontakte zu den Rovennon gehabt. Und dort wurden uns Wege, die in diese Entwicklungsrichtung deuten, aufgezeigt.”

„Insbesondere im letzten Winter auf dem Saphir”, sagte Knud.

Mouad drehte sich erstaunt nach ihm um. „Dein Zusammenbruch - hatte der etwa mit einer solchen Begegnung zu tun?”

„Ja,”, antwortete Knud knapp. „Ich wurde zu dieser Zeit von einem Rovennon besucht.”

„Schon wieder die galaktischen Händler?”, fragte Nefud erstaunt.

Knud bejahte.

„Aber was ist da genau geschehen?”, bohrte Wahid nach.

„Ich begann mich evolutionär weiter zu entwickeln. Mein Stoffwechsel veränderte sich. Ich war drauf und dran, die Kontrolle über meine Physis zu verlieren. Der gesamte Zellmetabolismus lief völlig aus dem Ruder - um vermutlich Energien freizusetzen, die ich nicht mehr beherrschen konnte. Und erst unter Aufbietung all meiner Kräfte, mit all meinem Willen habe ich es geschafft, diesen Prozess zum Stillstand zu bringen - ihn sogar umzukehren. Aber ich weiss, dass mein Körper und mein Geist an der Schwelle zu etwas stehen, das ich jetzt noch nicht erfahren und erleben möchte. Ich bin mir jedoch sicher: Sollte ich irgendwann einmal den Sprung über diese Grenze überschreiten, so wird es vermutlich kein Zurück mehr geben. Mein altes Leben wird dann Geschichte sein. Womöglich hätte ich mich zu einem von diesen Wesen entwickeln können - reine Energie, reiner Geist. Nicht mehr den Zwängen eines biologischen Körpers unterworfen.”

„Du hast das Angebot abgelehnt”, flüsterte Nefud.

„Ich hielt die Zeit noch nicht für gekommen. Ganz abgesehen davon - ich möchte auf meine engsten Freunde nicht verzichten. Und es kommt hinzu: Erst wenn die Föderation sich noch einige Jahrhunderte weiter entwickelt hat und dieser Übergangsprozess in vollem Gange ist, wäre ich möglicherweise bereit, einem solchen transzendenten Wechsel zuzustimmen. Und das Problem Terra ist ja bis jetzt auch lediglich rudimentär gelöst.”

„Es ehrt Euch, wenn Ihr so denkt”, meldete sich Krrwrrrh zu Wort. „Dass Euch das Schicksal aller Mitgeschöpfe viel mehr bedeutet als Euer eigenes Los. Denn ich selbst wüsste nicht, wie ich mich gegenüber solch einem verlockenden Angebot verhalten hätte.”

Und leise fügte Mouad hinzu: „Ich bin so froh darüber, dass du das Angebot der Rovennon abgelehnt hast.”

„Die Rovennon sind es auch gewesen, die den Duwuthrounu den Weg ihrer Flucht vorgegeben haben. Denn sie haben von den Kuratoren immer schon den Auftrag gehabt, hoch entwickelten Rassen als letzten Ausweg die Flucht in den Föderationsraum aufzuzeigen. Sie sind zudem die Nachfahren der Gründungsrassen der Föderation.”

Knud blickte prüfend in die Gesichter seiner Freunde. Er straffte sich.

„Wie schon gesagt”, betonte Knud noch einmal nachdrücklich. „Ich habe den Rovennon bedeutet, dass es meine ganz persönliche Entscheidung ist, wann ich diese Herausforderung annehme. Ich lege Wert darauf, dass ich diesen evolutionären Schritt erst dann beschreiten möchte, wenn nicht nur ich, meine Freunde und mein Geliebter, sondern auch große Teile der Bevölkerung der Föderation diesen Weg beschreiten können. Und ich halte gar nichts davon, als irgendein geistig völlig entrücktes Wesen weiter zu existieren. Ich bin zufrieden mit dem Hier und Jetzt, möchte die Erhabenheit und Schönheit des Kosmos so wie ich sie jetzt wahrnehme, erst einmal für lange Zeit genießen. Und ich möchte mein privates Glück nicht aus der Hand geben.”

Mary und Fatima ergriffen das Wort. „Uns ist immer noch nicht so ganz deutlich geworden, was wir eigentlich an diesem gottverlassenen Ort tun.”

Professor Mansouri meldete sich: „Ich denke, dass wir gerade von einer dieser Rassen sehr genau analysiert werden. Vielleicht wird in diesem Augenblick darüber befunden, ob wir Geduld haben, uns nicht in den Vordergrund drängen, nicht gierig nach dem evolutionären Schritt sind.”

Wahid pfiff leise durch die Zähne: „Das bedeutet aber nichts anderes, als dass dieses Treffen neben einer Supervision durch die hoch entwickelten Spezies eine Art von erster Weichenstellung bedeutet, ob die Föderation vielleicht einen würdigen Nachfolger dieser ehrwürdigen Ahnen verkörpert.”

„Hier heißt es abzuwarten”, empfahl Knud. „Ich habe Zeit und Muße, mir Berichte über wichtige Ereignisse aus allen Teilen der Föderation anzuhören. Vielleicht wird dieser Informationsaustausch ja schon für die Entscheidungsfindung der anderen Hochkulturen benötigt. Und in die Diskussion über unsere zukünftige Rolle in diesem evolutionären Prozess einbezogen.”

Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum

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