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New York

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New York, East Side Hudson River, UNO Hauptquartier - vor dem Aufzug zum Besprechungssaal des Generalsekretärs.

„Hier muss ein Missverständnis vorliegen”, knurrte ein Wachoffizier ungehalten. „Vertreter des afrikanischen Raumes stehen nicht auf der Teilnehmerliste der Dringlichkeitskonferenz der führenden Wirtschaftsmächte.”

Sein Kollege prüfte die beiden Einladungen äusserst gewissenhaft - ebenso wie ihre Diplomatenpässe. „Ich muss das erst klären.”

„Behalte sie genau im Auge - wir dürfen kein Risiko eingehen!”

Zwei weitere Wachleute erschienen mit Maschinenpistolen bewaffnet. Sie wurden von einem Sicherheitsbeamten begleitet, der einen mobilen Scanner mit sich führte.

„Ich habe meine Anweisungen,” schnarrte er, während er das Gerät aktivierte.

Mit kreisenden Bewegungen führte er den Prescan durch.

„Ok”, stiess er schließlich hervor. „Warten Sie!”

„Sie sind definitiv nicht eingeladen!”, sagte der Beamte nach mehreren Handy - Telefonaten. „Aber da Sie sich mit gültigen Dokumenten als Generalsekretär Moluh und dessen Stellvertreter Johar der Afrikanischen Union ausgewiesen haben, werde ich bei seiner Exzellenz, dem Generalsekretär Sihan Lu anfragen, wie mit Ihnen weiter zu verfahren ist.”

Nach einer weiteren telefonischen Rückfrage: „Hier entlang.”

Vor einer Sicherheitsschleuse blieben sie stehen. Eine Kabinentür öffnete sich.

„Sie haben sich für den Sicherheitsscheck komplett zu entkleiden. Der Generalsekretär hat verlautbaren lassen, dass er persönlich Ihnen diese Prozedur ersparen würde. Aber die Sicherheitschefs sowohl der amerikanischen Präsidentin Nilap als auch des Staatschefs Yanxi Ning sind nicht bereit, auch nur das geringste Risiko einzugehen.”

Moluh protestierte. „Das ist doch ungeheuerlich. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass ich - als der höchste Repräsentant der Afrikanischen Föderation - mich hier einer so zutiefst entwürdigenden Behandlung unterziehen muss.”

Die Maschinenpistolen wurden entsichert.

„Zwingen Sie mich nicht, meinem Befehl Nachdruck zu verleihen!”, fuhr ihn der Sicherheitbeamte mit eisiger Stimme an.

„Mach keinen Aufstand!”, sagte Johar zu Moluh so leise, dass niemand der Umstehenden etwas mitbekam. „Sollen sie sich doch an deinem wunderschönen schwarzen Körper erfreuen.”

Über Moluhs Gesicht huschte ein Lächeln.

Dann wandte er sich abrupt um und fuhr den Sicherheitsmann an:

„Sollte ich von diesem Vorfall irgendwelche Spuren im Internet finden, so wird das zu einer ernsthaften diplomatischen Krise führen! Nehmen Sie das gefälligst zu Protokoll!”

Schmallippig und zugleich herablassend entgegnete der: „Sie sind hier kaum in der Position, um irgendwelche Forderungen zu stellen. Ihr dürft euch glücklich schätzen, dass man von euch überhaupt Notiz nimmt.”

Moluh wollte schon explodieren, als er die Hand von Johar auf seiner Schulter spürte.

„Jetzt ist nun wirklich nicht die Zeit, hier den Helden zu spielen. Ihr könnt hinterher noch formal Beschwerde einlegen - aber konzentrieren wir uns doch auf unsere Aufgabe!”

Die Lifttür öffnete sich vor ihnen.

Der Generalsekretär - ein schlanker, hochgewachsener Chinese mit ernstem, ruhigen Gesichtsausdruck - erhob sich. Er begrüßte die beiden Besucher mit Handschlag und einer angedeuteten Verbeugung.

„Viele Staaten unserer Welt sind in den letzten Jahren scheinbar von der Landkarte verschwunden. Wir haben uns sehr große Sorgen gemacht, was aus den Menschen in Südamerika, Afrika und Teilen Asiens geworden ist. Isolationismus hat sich - so stellt es sich Uns jedenfalls dar - epidemische Ausmaße angenommen. Uns ehrt Ihre Anwesenheit daher ganz besonders.”

„Es scheint auch nicht selbstverständlich zu sein, in diesem Hause respektvoll behandelt zu werden”, erwiderte Johar leise.

„Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass Unserer Handlungsspielraum auf der internationalen Bühne sehr begrenzt ist. Verschiedene Global Player” und Lu deutete mit einem Kopfnicken in die um einen riesigen, schwarz polierten Konferenztisch sitzenden Politiker und Militärs „sind schon sehr bestimmend auf dem politischen Parkett.”

Der Generalsekretär geleitete die beiden Vertreter zu zwei Stühlen, die zwischen die amerikanische und chinesische Delegation in großer Eile gezwängt worden waren.

Moluh sah sich um. Die amerikanische Präsidentin Nilap thronte in einem weinroten Kostüm an der Innenseite des Konferenzraumes. Verteidigungs-, Aussen- und Wirtschaftsminister sowie ranghohe Militärs - unterstützt durch eine Vielzahl diplomatischer Vertreter - unterstrichen allein schon durch dieses Auftreten ihren Herrschaftsanspruch. Ihnen gegenüber saß die nicht minder machtbewusst auftretende chinesische Delegation. Daneben die russischen Vertreter - vollkommen von sich selbst überzeugt. Die Repräsentanten Europas hingegen wirkten blass und wenig zielgerichtet. Und dann waren da noch die Abgesandten der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens - Spielball der Rivalität der Machblöcke. Israel stand wie fast immer in völliger Opposition zu den arabischen Staaten - jetzt sogar ganz besonders nach dem verlorenen Libanonfeldzug der USA und ihrer Verbündeten.

Moluh und vor allem Johar hatten ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, wer in dieser Runde den Ton angab und wer nur durch Äusserlichkeiten versuchte, die anderen Machtblöcke zu beeindrucken. Die Vertreter Chinas verrieten durch winzige Schattierungen in ihrer Mimik trotz aller Interpretationsschwierigkeiten ostasiatischer Gefühlsäusserungen, dass sie hier über die anderen Blöcke längst triumphierten. Und die aufgeblasene Arroganz der Amerikaner - zusätzlich gekrönt durch die unsäglich dumme Borniertheit einer Haras Nilap - beeindruckte hier niemanden mehr.

Moluh beobachtete Johar genau. „Was ist los?” fragte er fast unhörbar auf UniKaL. Ihm war es nicht entgangen, dass Ahmad mehrmals tief luftholen und schlucken musste.

„Warendula!”, kam es genau so leise zurück. „Wenige Wochen vor dem Untergang dieser Welt hatten sich die Mächtigen dort fast genauso verhalten. Ohne Einsicht, rechthaberisch, zerstritten, nur auf die eigenen Interessen bedacht.”

„Wir können jederzeit gehen. Ihr müsst das nicht noch einmal mit machen!”

Johar schüttelte beinahe unmerklich den Kopf.

„Ich muss einfach versuchen, diese verfahrene Situation hier jetzt auf eine andere Spur zu bringen.”

Ein Gongschlag ertönte. Lu erhob sich. Das Gemurmel innerhalb der Delegationen verstummte.

„Ich hoffe, dass in die zuletzt sehr festgefahrenen Konsultationen jetzt nach zweitägiger Pause wieder mehr Bewegung kommt. Zudem es mir auch eine Ehre ist, zwei afrikanische Vertreter willkommen zu heissen, die einen großen Anteil der irdischen Bevölkerung repräsentieren.”

Moluh spürte sofort an den auf sie zu gewandten Blicken die Geringschätzung, die ihnen gegenüber entgegen gebracht wurde. Im Flüsterton hervorgebrachte Äußerungen wie:

„Was wollen die armen Schlucker denn hier?”,

„Da gibt’s doch eh nur Korruption und Misswirtschaft!”,

„Die brauchen wohl wieder Almosen - wollen nur wieder betteln!”,

„Endlich wieder neue Rohstoffe!”,

„Sie haben wohl gemerkt, dass sie nicht ohne uns können!”,

riefen bei Moluh und Johar nur ein fast unmerkliches Kopfschütteln hervor - Moluh war völlig frustriert.

„Ich denke, dass beide Seiten doch aufeinander zu gehen sollten. Es ist doch viel verständiger, wenn die USA und China es nicht auf eine militärische Konfrontation im Südchinesischen Meer und Indischen Ozean ankommen lassen”, erklärte der EU-Ratspräsident.

„Damit wir erneut - wie schon im 19. und 20 Jahrhundert - von ausländischen Mächten gedemütigt werden? Das Reich der Mitte war über tausende von Jahren immer schon der Herrscher über Südostasien und die angrenzenden Meere. Warum sollen wir uns dann von anderen politischen Emporkömmlingen etwas vorschreiben lassen?”, erklärte der chinesische Staatspräsident.

„Ihr plündert doch den Nahen und Mittleren Osten im Moment gnadenlos aus. Die Staaten werden dort von euch mit allen Mitteln gefügig gemacht”, warf der amerikanische Wirtschaftsminister ein.

„Wenn ich mich recht entsinne, hat der US-amerikanische Imperialismus seit den Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts ungefähr 90 Prozent des arabischen Öls unter seine Kontrolle gebracht und sinnlos vergeudet - insbesondere durch eine Unzahl von Kriegen und hemmungslosen Hegemonismus. Wir hingegen entwickeln die Länder dort - errichten Kindergärten, Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen. Modernisieren die medizinische Versorgung und die Infrastruktur. Wir tun endlich auch was für die einfache Bevölkerung. Und vergeuden nichts für die Pfründen der Mächtigen.”

„Das geschah doch im gegenseitigen Einvernehmen. Wir heben doch schon viel früher dorr den Lebensstandard drastisch erhöht. Die Kameltreiber haben dank unseren selbstlosen Bemühungen jetzt endlich mal eine zivilisatorische Grundausstattung”, warf US-Präsidentin Nilap ein.

Wütende Proteste und sogar Flüche erfolgten von arabischer Seite.

„Ihr und eure israelischen Freunde habt uns doch jahrzehntelang nur als Untermenschen behandelt. Von den Chinesen werden wir als seriöse Geschäftspartner respektiert. Und sie tun alles, um die arabischen Staaten zu entwickeln.”

„Alles nur dumme Propaganda. Ihr begebt euch doch in die nächste Abhängigkeit!”, giftete der Vertreter Deutschlands zurück.

„Wir sollten wieder nach Afrika gehen. Dort kann man doch mühelos die einzelnen Machtcliquen gegeneinander ausspielen. Das hat doch jahrzehntelang prächtig funktioniert! Wieso haben wir eigentlich alle vor 30 Jahren den Kontinent widerstandslos aufgegeben? Bemächtigen wir uns doch wieder dem immensen Rohstoffreichtum!” Nilap war höchst euphorisch ob dieser Aussichten.

Alle Augen waren auf Johar und Moluh gerichtet.

Johar sagte erst einmal nichts. Diese Politiker - nichts hatten sie dazugelernt.

„Wir sind bereit zu verhandeln”, setzte ein russischer Regierungsvertreter nach.

„Ihr werdet alle mit leeren Händen da stehen!”, sagte Johar mit eisiger Kälte in seiner Stimme. „Denn wir kommen nicht als Bittsteller. Wir sind es, die uns Sorgen machen um den weiteren Weg, den diese Welt beschreiten wird. Braucht ihr alle nicht vielleicht unsere Hilfe, um aus dieser Sackgasse heraus zu finden?”

„Pah!”, entgegnete der russische Aussenminister und spukte verächtlich auf den Boden. „Was habt ihr denn schon zu bieten - vielleicht Flüchtlinge? Krankheiten? Korruption? Ich werde mir so einen Unsinn nicht anhören.”

Er wandte sich seinem chinesischen Kollegen zu. „Wo waren wir stehen geblieben?”

„Ich bin noch nicht fertig!”, fuhr Johar dazwischen. „Zu meinem großen Bedauern muss ich fest stellen, dass die hier Anwesenden scheinbar nichts von einer technologischen Zusammenarbeit mit uns wissen wollen. Dass wir es innerhalb von 33 Jahren geschafft haben, alle drängenden Probleme in den Entwicklungsländern zu lösen.”

„Was wollt ihr uns denn bieten? Hochtechnologie? Waffen? Das ist unmöglich!”

„Wir alle haben keine Zeit, uns mir euren banalen Problemen zu befassen. wir sind nur an Rohstoffen interessiert. Nicht an den Märkten - denn ohne Kaufkraft kein Markt, und schon gar nicht an irgendwelcher primitiven Hottentottentechnologie...”

„Johar, spart Euch ganz einfach die Mühe!” Moluh blickte in die Runde. „Ihr alle seid es nicht wert, dass man mit Euch kooperiert, mit Euch ins Gespräch kommt. So ein borniertes Verhalten! Es scheint wirklich niemanden zu interessieren, dass wir bemerkenswerte Fortschritte auf allen Gebieten gemacht haben. Dass es keine Armut mehr gibt und Kriege inzwischen unbekannt sind.”

„Haltet doch einfach den Mund. Wenn ihr nichts wirklich Vorzeigbares zu bieten habt, was die fortschrittlichen Nationen interessiert, ist es besser für euch arme Schlucker zu gehen.”

„Ihr braucht euch hier nie wieder blicken zu lassen. Ihr seid einfach nur unnütz.”

„Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir diesen Planeten inzwischen zu großen Teilen beherrschen. Denn es ist Ihnen in den letzten Jahren nie gelungen, uns zu enttarnen.”

„Dafür ist uns jeder Cent zu schade. Und unsere Prospektoren haben in diesem Armenhaus nichts mehr Verwertbares gefunden. Schert Euch einfach nur zum Teufel!”

Johar und Moluh erhoben sich von ihren Plätzen und verließen wortlos den Raum.

Kurz bevor sie das Gebäude verließen, wurden sie vom Generalsekretär noch eingeholt.

„Seien Sie vorsichtig. Palin hat die CIA auf Sie angesetzt. Das bedeutet nichts Gutes. Erpressung? Entführung?”

Er blickte Johar scharf an.

„Ich erkenne Euch wieder. Sie waren mal Ausbilder in Deutschland, haben sich sehr menschlich gegenüber uns Chinesen verhalten. Dafür danke ich Ihnen aus ganzem Herzen.”

Er umarmte Johar, dann Moluh.

„Stimmt das mit den unglaublichen Fortschritten auch wirklich?”

„Sie können sich ja selbst davon überzeugen. Aber Sie müssten dann jetzt mitkommen. Eine zweite Chance wird sich Ihnen nicht bieten!”

„Aber ich werde dann sofort meinen Job los, wenn ich jetzt mit Ihnen einfach so verschwinde.”

„Der Untergang dieser Welt ist nicht mehr fern!” sagte Moluh zu Lu ohne irgend eine Spur von Zweifel in seiner Stimme.

„Ist es wirklich so schlimm?”

Johar nickte.

Lu zögerte einen Moment, dann: „Ich komme mit. Für einige wenige Stunden wird man mich nicht vermissen. Sind wir bis dahin in Sicherheit?”

„Ja!” - Johar.

„Haben Sie Familie?” - Moluh.

„Nein!” - Lu

„Dann ist es gut - kommen Sie!”

Johar schlug den Weg zur Terrasse hinter dem großen Plenarsaal am Ufer des Hudson ein. Moluh wurde sich vollends bewusst, wie sie von mehreren Männern in Zivil bereits geraume Zeit beschattet wurden. Er warf Johar einen besorgten Blick zu.

„Ich weiß!”, lautete die knappe Antwort.

Auf Lus Stirn bildeten sich Schweissperlen.

Durch eine Glastür betraten sie den Restaurantbereich. Zahlreiche Gäste und Bedienstete genossen die letzten warmen Herbststrahlen in der Sonne. Hinter der weniger als hüfthohen Brüstung fiel die Ufermauer knapp 15 Meter senkrecht ab. Darunter der träge dahin fließende Hudson-River. Auf dem Strom selbst herrschte reger Schiffsverkehr. Orangefarbene Reflexionen der unter gehenden Sonne verliehen den Wellen etwas Magisches.

Aber sie hatten keine Zeit mehr, sich daran zu erfreuen. Von drei Seiten schoben sich unauffällig - auffällig gekleidete Gestalten in ihre Richtung.

Plötzlich wurde Lu von Moluh und Johar zugleich ein heftiger Stoß versetzt. Er flog über die Brüstung. Die beiden afrikanischen Gesandten sprangen hinterher. Alle drei landeten nach weniger als zwei Meter Fallhöhe auf allen Vieren auf einer metallischen Oberfläche - Lu erkannte den Boden eines Ganges. Moluh und Johar nahmen den völlig perplexen Generalsekretär in die Mitte, schoben ihn auf einen Cockpitsitz. Angegurtet blickte er kurz danach völlig überwältigt auf das tief unter ihm liegende New York, das rasch kleiner wurde. Er erkannte die Erdkrümmung, dann den blauen Planeten als faszinierende Kugel. Der Mond zog vorbei.

Lu konnte es einfach nicht fassen.

„Ich glaube, dass wir vorhin auf der Sitzung nicht zu viel versprochen haben.”

Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum

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