Читать книгу Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum - Arno Wulf - Страница 7

Professor Mansouri

Оглавление

„Erinnerst du dich noch an den geologischen Vortrag, den du bei einem Dozenten an der AUB gehalten hast? Und der dir die Möglichkeit geben wollte zu promovieren?”

„Ja sicher. Es handelte sich um einen ausserordentlich renommierten Professor. Er hieß Mansouri.”

„Du kannst ihn hier und jetzt begrüßen - er ist zufälligerweise 50 Meter von hier entfernt und hält sich in dieser Larssen Sphäre auf. Wahid, Mary und all die anderen haben ihn gerade sehr herzlich willkommen geheißen. Wenn du willst, kannst du mit ihm reden.”

Knud war völlig überrascht.

Professor Mansouri sah Knud und Mouad ungläubig an, als ihm beide nacheinander die Hand reichten.

„Was machen Sie denn hier?”

Wahid mischte sich ein „Hamid - dies ist Knud Larssen - der Entwickler und Erbauer der namensgleichen Sphäre, in der wir uns gerade befinden.”

Professor Mansouri sah Knud interessiert an. „Jetzt wird mir auch klar, warum Sie mich damals in Beirut so mühelos fachlich übertrumpft haben. Meine Hochachtung.”

Wahid: „Setzen wir uns doch erst einmal an diese wunderschöne naturbelassene Küste. Ich erkläre dir dann alles, was du wissen willst.”

„Einverstanden. Aber mit Herrn Larssen - war es nicht vielmehr Ahmad Bribire? - möchte ich gerne auch persönlich reden. Denn das mit dem Vortrag von damals will ich nämlich auch noch genauer hinterfragen.”

„Es ist mir eine Ehre, Ihnen dabei behilflich zu sein”, erwiderte Knud freundlich. „Ich gebe Ihnen einen kurzen Überblick über das, was Sie hier sehen und welche Funktion ich bei diesem Projekt habe...”

Nach einer Weile sah man Professor Mansouri kopfschüttelnd neben Knud, Wahid und Mouad sitzen. Nefud hatte sich zwischenzeitlich zur anderen Gruppe von Knuds Freunden begeben und erzählte aus seiner Zeit in Bagdad.

„Es ist unglaublich, was Menschen leisten können. Und ich dachte, dass ich selbst schon einiges in meinem wissenschaftlichen Leben geleistet habe. Aber dies hier - dies hier ist so überwältigend...”

Er schwieg und ließ die Erhabenheit dieses Bauwerks auf sich wirken.

„Und das nach all dem, was im Libanon geschehen ist.”

„Wie habt Ihr”, begann Mouad, „die Kampfhandlungen im Libanon heil überstanden?”

Schweigen. Der Professor wich seinem Blick immer wieder aus. Sein Mund zuckte, als ob er etwas sagen wollte. Doch es gelang ihn nicht. Er wandte sich ab und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Mouad konnte anfangs diese Reaktion nicht so richtig einschätzen.

Was er dann tat, konnte Mouad nicht begründen. Aber in diesem Moment musste er den Professor in den Arm nehmen.

„Ihr braucht Euch Eurer Tränen nicht zu schämen. Hier seid Ihr in Sicherheit - unter Euresgleichen. Ich kann Eure Gefühle gut nachempfinden. Denn meine Familie und auch ich selbst mussten Schreckliches durchmachen, ehe wir gerettet wurden.”

Mansouri brauchte eine geraume Zeit, um seine Fassung zurück zu erlangen.

Schließlich stammelte er. „Ich bin bei dem Bombardement auf die umliegenden Orte um Beirut so gerade mit dem Leben davongekommen. Wurde dann viele Monate, weil ich ein Wissenschaftler war, unter freiem Himmel ohne Anklage im Gebirge bei Wind und Wetter interniert. In den Iran zur Zwangsarbeit deportiert. Dann gelang mir die Flucht in die Türkei, schließlich nach Syrien. Aber immer wieder wollte ich zu meiner Familie zurück. Dabei hatte ich auch immer die Hoffnung, dass meine Forschungsergebnisse und Entdeckungen nicht alle vernichtet worden waren. Aber als ich zurückkehrte, wurde mein schrecklicher Verdacht bestätigt. Ich war aller meiner Rechte beraubt. Und alle meine Aufzeichnungen jahrzehntelanger Arbeit waren unwiederbringlich verloren.

Und das Demütigendste: Ich wurde von den Behörden als Bettler angesehen und auf die Straße gejagt. Dann musste ich feststellen: Meine Frau, die Töchter, der Schwiegersohn und meine Schwiegertochter waren inzwischen tot. Ich habe deshalb nichts mehr - gar nichts mehr.”

„Ist es doch wahr geworden, was ich damals schon bei unserer Flucht vermutet hatte? Die neuen Machthaber haben dem Libanon die gesamte wissenschaftliche Elite geraubt?”, fragte Wahid.

„Tausende sind wie ich in den Iran verschleppt worden.”, erwiderte Mansouri stockend. „Unzählige sind vermutlich an ihren Entbehrungen gestorben. Libanon ist zu einem erbärmlichen Entwicklungsland verkommen. Die neuen Herrscher haben das libanesische Wissen, seine Intelligentia ausradiert.”

-

Schweigen.

„Es tut mir so leid, dass ich mich so habe gehen lassen”, meinte Mansouri irgendwann zu Knud und Mouad gewandt. „So verliere ich doch auch noch den letzten Rest meines Stolzes.”

Knud und Mouad schüttelten den Kopf.

„Ihr seid einer der besten Koryphäen auf dem Gebiet der Geologie, die der Libanon je hervorgebracht hat”, stellte Mouad sachlich fest. „Leute Ihres Formats werden auch hier händeringend gesucht - zumal Ihr euch ja auch schon an verschiedenen universitären Einrichtungen der Föderation Lorbeeren verdient habt. Und deshalb braucht Ihr Euch um die berufliche Zukunft in diesem Staate keine Sorgen zu machen.”

Mansouri rang erneut nach seiner Fassung. „Ich muss alles wieder neu aufbauen. Ich bin doch schon recht alt. Und ich bezweifle, dass ich die Kraft haben werden, noch mal ganz von vorn anzufangen - trotz aller Erfolge, die ich in den vergangenen Monaten hier bereits hatte.”

Knud winkte Nefud zu sich herüber. Dieser nahm den schluchzenden Akademiker in den Arm. Abwechselnd berichteten Mouad, Wahid, Nefud und Knud, was in den vergangenen Monaten auf SolIII und in der Föderation vorgefallen war: Politisch, wissenschaftlich und besonders menschlich.

Viele Stunden später - auch alle anderen Freunde Knuds hatten sich dazugesetzt - fasste Mansouri langsam wieder neuen Lebensmut. Er hatte begriffen, dass sein Schicksal nur eines von vielen weiteren war - und er lernen musste, damit fertig zu werden.

„Ich glaube, ich schaffe jetzt den Start in ein neues Leben. Und ich bin so glücklich darüber, dass ich mit so viel Freundlichkeit und menschlicher Wärme empfangen wurde.

Aber eins irritiert mich doch. Warum bin ich von Knud und Mouad umarmt worden, und nicht von dir, Wahid?”

Der Angesprochene schmunzelte. „Auch wenn Knud wie ein 18 - jähriger aussieht, so ist er doch der mit Abstand älteste unter uns. Und er ist zugleich der höchste Repräsentant dieses Gemeinwesens - der Kurator der Föderation.”

Mansouri sah ihn mit offenem Mund an.

Nach einer Weile schlängelte sich Admiral Worssorgh an Mouad heran.

„Zum Abschluss dieses erstaunlichen Zusammentreffens möchte ich Ihnen eine bemerkenswerte Persönlichkeit vorstellen. Würden Sie mir bitte folgen, junger Mann? Denn derjenige, mit dem ich sie bekannt machen will, dürfte ihre innere Zerrissenheit um einiges abschwächen.”

Mouad blickte ihn zunächst ein wenig irritiert an, warf Knud einen nachdenklichen Blick zu, folgte dann aber dem Admiral. Nach wenigen hundert Metern erreichten sie den künstlichen Höhleneingang, durch den sie das Innere dieser Welt betreten hatten. Schließlich standen Sie vor einer Tür, dessen Äußeres nahezu perfekt einer Sinterkaskade aus Kalkstein nachempfunden war. Selbst die Kühle und die Feuchtigkeit in der Nähe eines unterirdischen Flusssystems waren perfekt nachgebildet worden.

„Ich lasse Sie jetzt erst einmal allein. Der junge Herr, den Sie in dem vor ihnen liegenden Raum vorfinden werden, kann Ihnen vermutlich viele Fragen beantworten. Aber zuvor noch ein letztes: Ich habe mit der Möglichkeit, dass Ihr jetzt mit Bobak Ferdowsi sprechen könnt, einen direkten Auftrag der Föderationsregierung missachtet. Nur Knud, Sie und auch ich selbst wissen davon - und auch davon, dass alle anderen Menschen, deren Sprecher Herr Ferdowsi war, sich in Sicherheit befinden. Sie erinnern sich doch gewiss noch daran.”

Der Admiral wendete und glitt mit hoher Geschwindigkeit den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren.

Mouad war wie vor den Kopf gestoßen: Das Gewissen der Welt, die Menschen, die in Jerusalem gegen den drohenden Atomkrieg demonstriert hatten - sie lebten. Und der Anführer der Bewegung war jetzt vor ihm in diesem Raum.

Mouad konnte es auch nach mehr als einer halben Stunde einfach immer noch nicht fassen. Aber gleichzeitig verspürte er das Gefühl der Genugtuung. Denn offensichtlich hatte die hitzige Debatte damals in Turghar Tarchambra doch dazu geführt, dass sich irgendjemand für die Menschen verantwortlich gefühlt - und sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen hat.

Er war vollkommen auf sich allein gestellt. Und dann überkam auch ein gewisser Stolz. Denn offensichtlich vertraute man ihm inzwischen auch schwierige menschliche Aufgaben an.

Mouad öffnete die Tür vor ihm - und erblickte das ratlose und verunsicherte hohe, intelligente Gesicht des drahtigen jungen Mannes, an das er sich noch im Zusammenhang mit zahllosen Marsmissionen der Amerikaner erinnerte. Selbst das blaue T-Shirt, das Markenzeichen der NASA Raumüberwachung, trug er noch. Nur sein damaliges weltbekanntes Markenzeichen, der Irokesenschnitt, fehlte.

„Was habt ihr Israelis mit mir - uns allen, die damals in Jerusalem demonstriert haben, gemacht?”, begann er vorwurfsvoll, als er Mouad erblickte. „Ist Einsperren die einzige Vorgehensweise gegenüber uns, die euch einfällt? Ist euch das Schicksal eines ganzen Planeten vollkommen egal?”

Mouad schüttelte energisch den Kopf.

„Niemand wird es wagen, Ihnen etwas anzutun. Ich bin auch kein Israeli, ich bin Bürger der Föderation.”

„Föderation? Nie gehört.”

„Wenn Ihr erpicht darauf seid, zu erfahren, wo Ihr Euch gerade befindet, und vielleicht auch mit bahnbrechenden wissenschaftlichen Entwicklungen konfrontiert werden wollt, so bitte ich darum, mir zu folgen.”

Mouad machte eine einladende Handbewegung. Zögernd folgte ihm der ehemalige NASA Ingenieur.

„Ist das auch keine Falle? Ich habe große Angst, sogar Panik vor Gefängnis oder gar Schlimmerem. Denn ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.”

„Wie schon gesagt - Ihr seid hier in Sicherheit, und habt die Chance auf ein neues Leben.”

Als sie die Küste erreichten, faszinierten ihn die wunderschöne Küstenformationen. Aber je länger er die Umgebung in sich aufnahm, desto ungläubiger wurde er und desto mehr begann er, die Fassung zu verlieren.

Schließlich kollabierte er. Tränen liefen über sein Gesicht, als Knud und Mouad sich ihm näherten.

„Ist...ist das real?”

„Genau so real wie das, was Sie bei der Couriosity - Landung, der Mission des James-Webb Telekops oder in Jerusalem erlebt haben”, erwiderte Mouad.

„Sie sind in der glücklichen Lage, in einem Staat Aufnahme gefunden zu haben, der sich in seiner zivilisatorischen Blütezeit befindet - genauso wie alle anderen Demonstranten, die von der israelischen Armee vernichtet werden sollten”, führte Knud aus.

„Aber was geschieht mit meiner Welt?”

„Da müssen wir Sie enttäuschen. Sie alle - das Gewissen der Welt - konnten nichts mehr für den Planeten tun.”

Bobak verbarg sein Gesicht in den Händen.

Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum

Подняться наверх