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I. Ein vierfacher Außenseiter zwischen Berlin, Liverpool und New York
ОглавлениеDie Zäsuren in Arthur Rosenbergs Biographie stehen für die Wegscheiden der deutschen und europäischen Geschichte und machten ihn zum vierfachen Außenseiter. Als Jude gehörte Rosenberg zu einer grausam verfolgten Minderheit, dem nur knapp die Flucht aus seinem Geburtsland gelang, als ausgebildeter Althistoriker wandte er sich der Zeitgeschichte zu, als Kommunist geriet er in Konflikt mit seiner Partei, als Paria im Universitätsbetrieb erreichte er erst sehr spät im Exil eine – schlecht bezahlte – Festanstellung. Als Wissenschaftler aber hinterließ er Spuren, die Vertreibung und Verleumdung nicht auszutilgen vermochten.
Arthur Rosenberg wurde am 19. Dezember 1889 in Berlin in einer Familie des jüdischen unteren Mittelstandes geboren. Sein Vater Georg Henry, ein Geschäftsmann, und seine Mutter Helene stammten beide aus dem Gebiet Rosenberg/Rózsahegy (heute Ružomberok), das damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte und jetzt ein Teil der Slowakei ist. Beide Eltern waren assimilierte Juden. Arthur und seine Schwester Jenny wurden nach ihrer Geburt protestantisch getauft.
Georg Henry Rosenberg starb in recht jungen Jahren, und so hatte die Familie Mühe, den Unterhalt zu sichern. Ein Stipendium der Gustav-Levinstein-Stiftung ermöglichte Arthur Rosenberg den Besuch der höheren Schule. 1907 bestand er sein Abitur mit sehr gutem Ergebnis am Askanischen Gymnasium, einer der besten Lehranstalten Berlins. Von 1907 bis 1911 studierte er Alte Geschichte, Philologie und Archäologie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der damals bestangesehenen Alma mater Mitteleuropas.
Rosenberg schloss sich eng seinem Lehrer Eduard Meyer an, einem international herausragenden Forscher zur Sozialgeschichte der Alten Welt. Meyer und Otto Hirschfeld begutachteten seine Dissertation über Untersuchungen zur römischen Zenturienverfassung. Die Arbeit erschien in erweiterter Form im Buchhandel und wurde mit dem Preis der Johann-Gustav-Droysen-Stiftung ausgezeichnet.3 Dies ermöglichte Rosenberg, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen.4
Er arbeitete zunächst für die Frankfurter Zeitung, einem der führenden Blätter Deutschlands, und war an der Herausgabe von Ullsteins Weltgeschichte beteiligt. Zeitweilig hielt er sich in Italien auf, um das Material für seine Habilitationsschrift zusammenzutragen. Im Januar 1914 habilitierte der noch nicht 25-Jährige sich mit der (bereits gedruckt vorliegenden) Arbeit Der Staat der alten Italiker. Verfassung der Latiner, Osker und Etrusker, worin er die verschiedenen Regierungsformen in den Stadtgemeinden des vorrömischen Italiens untersuchte.5 Bis zu Beginn der 1920er Jahre erarbeitete er sich einen Ruf als einer der produktivsten jüngeren deutschen Althistoriker.6
Rosenberg war gerade Privatdozent geworden, als der Erste Weltkrieg begann. Der glühende deutsche Patriot meldete sich als Kriegsfreiwilliger. 1915 wurde er zur Armee eingezogen und diente die meiste Zeit im Kriegspresseamt, wo er auch General Ludendorff kennenlernte, doch war er auch kurz an der Westfront eingesetzt. Daneben fand er Zeit für eine Neuherausgabe von Droysens Geschichte Alexanders des Großen, für die er eine Einleitung schrieb.7 Politisch stand er der rechtsgerichteten Deutschen Vaterlandspartei nahe, in der auch sein Lehrer Eduard Meyer wirkte. Einige Biographen nennen eine Mitgliedschaft in der Vaterlandspartei.8 Rosenberg betonte hingegen, er habe in der Zeit bis zum 10. November 1918 keiner politischen Partei oder Organisation angehört. 1918 war er aussichtsreicher Kandidat für eine Professur an der Prager Universität, die dann aber Arthur Stein erhielt.
Wie viele Deutsche seiner Generation verlor Rosenberg jedoch alle Illusionen über die alte soziale Ordnung, die für vier Jahre eines gegenseitigen Tötens auf Europas Schlachtfeldern und in den Schützengräben stand. Er gehörte alsbald zur Minderheit derer, die im sozialistischen Internationalismus eine Alternative zum deutschen Nationalismus sahen.
Im November 1918 schlug sich Rosenberg auf die Seite der äußersten Linken, was zum Bruch mit Eduard Meyer führte. Fortan war er beinahe ein Paria im Universitätsbetrieb. Im Februar 1921 erteilte ihm die Philosophische Fakultät einen strengen Verweis und drohte ihm mit dem Entzug der Lehrbefugnis, nachdem er sich in einem Untersuchungsverfahren für einen Studenten eingesetzt hatte. Dieser hatte die nazifreundlichen Brüder Leonardo und Silvio Conti als Reichswehrinformanten enttarnt, worauf sie den Studenten beim Akademischen Senat wegen Beleidigung angezeigt hatten.9
Noch 1918 wurde Arthur Rosenberg Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), die sich zwei Jahre darauf spaltete. Ihr linker Flügel, zu dem Rosenberg gehörte, schloss sich 1920 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) an. Seine Rede auf dem Vereinigungsparteitag von USPD und KPD bezeugte seinen revolutionären Enthusiasmus. „Genossen!“, rief er aus. „Die weltrevolutionäre Lage liegt zurzeit so, daß die Welle nach Mitteleuropa geht. Italien und Deutschland werden reif für den Entscheidungskampf, und diesen Entscheidungskampf werden wir in diesen beiden Ländern mit ziemlich ähnlicher Taktik führen müssen.“10 Er konstatierte, die italienische Regierung habe nicht gewagt, die von den Arbeitern besetzten Fabriken anzugreifen, da die Arbeiter gut bewaffnet seien. Entsprechende Kampfmethoden seien für Deutschland nötig.
Neben seiner Tätigkeit als Privatdozent an der Universität unterrichtete Rosenberg an der Berliner Volkshochschule und publizierte Beiträge zur Arbeiterbildung, so die kleine, ganz auf Nicht-Akademiker ausgerichtete Schrift Demokratie und Klassenkampf im Altertum, in der er jedoch Kategorien der modernen Sozialgeschichte – ganz entgegen seiner bisherigen Arbeitsweise – recht grob auf die so andersgeartete Realität der alten Welt anwandte.11 Anfang 1921 wurde er zum kommunistischen Stadtverordneten für Groß-Berlin gewählt. Er wurde durch seine Auftritte auf KPD-Parteitagen bekannt. Im August 1921 erklärte er: „Wir gehen großen Perioden heftiger Kämpfe entgegen“; dies werde „zu großen Zusammenstößen mit der Staatsgewalt führen; das ist vollkommen klar.“12 Er ignorierte die Tatsache, dass diese Politik der putschistischen Märzaktion von 1921 zugrunde gelegen und zu einer Katastrophe für die deutschen Kommunisten geführt hatte, da diese von der Mehrheit der deutschen Arbeiter vollkommen isoliert geblieben waren. Sogar die neuerliche Niederlage im Herbst 1923 konnte seine Haltung, dass Deutschland für eine kommunistische Revolution reif sei, nicht erschüttern. Folglich gehörte er zur Linksopposition um Ruth Fischer und Arkadij Maslow, die sich gegen die realistischere Politik Heinrich Brandlers, des Parteivorsitzenden, und August Thalheimers, des damals bedeutendsten Theoretikers der Partei, wandten.
Im Frühjahr 1924 übernahm die bisherige Linksopposition 1924 die Parteiführung. Nunmehr rückte Rosenberg innerhalb der KPD rasch auf. Noch 1924 wurde er in die Leitung des Parteibezirks Berlin-Brandenburg, einer der wichtigsten Bezirksorganisationen, gewählt. Im gleichen Jahr stieg er auf dem Frankfurter Parteitag in die Parteizentrale auf. Im Mai 1924 wurde er Reichstagsabgeordneter und übte sein Mandat bis zu den Wahlen von 1928 aus. Auf dem 5. Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) wurde er im Juli 1924 zum Präsidiumskandidaten des Exekutivkomitees (EKKI) gewählt. Auch schrieb er zahlreiche Artikel für die Komintern-Presse zu Fragen der internationalen Beziehungen.
In der KPD bestimmte Rosenberg mit Ruth Fischer und Werner Scholem zunächst den ultralinken Kurs. In einer Rede vor der Chemnitzer Parteiorganisation erklärte er, „daß es nicht von Bedeutung sei, ob die Partei ein oder zwei Millionen Stimmen bei dem „parlamentarischen Affentheater“ verliere. Die einzige Aufgabe sei die Bewahrung des Geistes der Revolution und der proletarischen Organisation.13 Im April 1925 kritisierten Rosenberg, Scholem und Iwan Katz sogar Fischer und Maslow, die in Übereinstimmung mit der Komintern-Führung eine „relative Stabilisierung“ der kapitalistischen Weltordnung konstatiert hatten.14
Rosenberg hielt bis zum Herbst 1925 an dieser ultralinken Haltung fest. Seitdem aber rückte er davon ab. In der Atmosphäre der Stabilisierung in der Mitte der zwanziger Jahre begriff er, dass für revolutionäre Abenteuer jede Voraussetzung fehlte. Im November 1925 schrieb er einen Artikel, in dem er klar feststellte, dass die KPD nur bei einer Minderheit der Arbeiter über Einfluss verfüge; die Mehrheit folge weiterhin den Sozialdemokraten, der katholischen Zentrumspartei und sogar nationalistischen Kräften. In einer nichtrevolutionären Situation vertrete die SPD die Interessen der Arbeiter besser und effektiver als die KPD. Für eine solche Lage, schrieb Rosenberg, habe die KPD eine ernsthafte, sachliche Strategie nicht gefunden. Die Mehrheit der arbeitenden Menschen würde die Partei „für einen konfusen Haufen von Thesenfabrikanten, Radaumachern und Putschisten halten.“15
Diese Art der Kritik und Selbstkritik brachte Rosenberg in Kontakt mit der von Ernst Thälmann geführten Fraktion. Thälmann, früher ein Ultralinker, schien jetzt für die Strömung in der KPD zu stehen, die sich mehr an der Realität orientierte. Rosenberg hoffte auch, dass eine KPD-Führung mit Thälmann gegenüber der sowjetischen Parteiführung eine unabhängigere Position beziehen werde, was eine völlige Fehleinschätzung war.
Unterdessen entwickelte Rosenberg im Reichstag eine Reihe von Initiativen. Seine wichtigste parlamentarische Aktivität war seine Mitarbeit im Reichstagsausschuss zur Untersuchung der Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Weltkrieg. Durch die Mitgliedschaft im vierten Untersuchungsausschuss erhielt er Zugang zu einer Vielzahl von Primärquellen und Dokumenten, die sein Interesse für Zeitgeschichte verstärkten.
Doch nahm Rosenberg besorgt die immer stärkere Unterordnung der KPD unter das Regime Stalins wahr. Am 26. April 1927 trat er deshalb aus der Partei aus. In einem Brief an die Parteiführung, den die SPD-Presse am folgenden Tag veröffentlichte, nannte er die kommunistische Niederlage in China und die Unterwerfung der verschiedenen kommunistischen Parteien unter die Moskauer Politik als Gründe für seinen Schritt.16 Er blieb fraktionsloser Abgeordneter des Reichstages. Nunmehr kritisierte Rosenberg die KPD und ihre „romantische Phraseologie, die nicht im Entferntesten eine reale Bedrohung der bestehenden Staatsordnung darstellt. […] Durch diese Romantik werden Millionen Arbeiter davon abgelenkt, in realer sachlicher Weise ihre Tagesinteressen zu vertreten. Der Kampf gegen die Romantik bringt eine außerordentliche Energieverschwendung für die übrigen Tendenzen und Richtungen der Arbeiterbewegung mit sich […].“17
Nach den Reichstagswahlen von 1928 verlor Rosenberg sein Abgeordnetenmandat. Um seine Familie – seine Frau Ella und die Kinder Liselott und Wolfgang – ernähren zu können, nahm er eine Stelle als Lehrer am Köllnischen Gymnasium an, wo der spätere Agrarökonom Theodor Bergmann zu seinen Schülern zählte.18 Die von Siegfried Kawerau geleitete Schule war durch die progressiven Bildungsreformen der SPD-geführten preußischen Regierung und des Berliner Magistrats geprägt. Gleichzeitig unterrichtete er als Privatdozent an der Berliner Universität. Unter seinen Hörern war der spätere Historiker der französischen Revolution, Walter Markov.19 Nunmehr publizierte Rosenberg in verschiedenen SPD-nahen Organen und wurde Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte. Gegen den Widerstand der konservativen Berliner Fakultät ernannte ihn der preußische Kultusminister Adolf Grimme 1930 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor.
Der 30. Januar 1933 veränderte Arthur Rosenbergs Leben völlig. Der Marxist jüdischer Herkunft musste aus Hitler-Deutschland fliehen. Im März 1933 verließ er mit seiner Familie Berlin. Über Konstanz, wo Verwandte seiner Frau lebten, ging er nach Zürich, dann unter großen Schwierigkeiten 1934 nach London und von dort nach Liverpool, wo ihm die dortige Universität einen Lehrauftrag in Alter Geschichte anbot. Aber die Universität sah sich nicht imstande, ihm eine dauerhafte akademische Stellung zu geben. Nach dem Ende seines Dreijahresvertrages verließ Rosenberg 1937 England und ging in die Vereinigten Staaten, der letzten Station seines Lebens.
Im November 1937 erreichte die Familie New York. Einige Wochen später nahm Rosenberg seine althistorische Lehrtätigkeit am Brooklyn College wieder auf. Die Stelle, für die sich der Präsident des College, Jesse Clarkson, und die Historikerin Madeleine Robinton eingesetzt hatten, war zwar schlecht bezahlt, doch erhielt Rosenberg finanzielle Unterstützung sowohl vom Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars als auch von der Carl Schurz Foundation. Zum 1. Januar 1941 stellte ihn das Brooklyn College fest als Instructor an. Die schlechte Bezahlung bedeutete jedoch, dass er weiterhin von der Gehaltsaufbesserung durch die Stipendien abhing. Politisch blieb er aktiv: Im Frühjahr 1942 trat er der von KPD-nahen Emigranten, darunter seinem Freund Felix Boenheim, gegründeten German American Emergency Conference bei, die sich mit Planungen für ein Deutschland nach Hitler befasste.
Doch wurde Rosenberg, der bis dahin seiner jüdischen Herkunft keine große Bedeutung beigemessen hatte, nunmehr auch zum sozialistischen Zionisten. 1939 publizierte er eine Reihe von Aufsätzen in der linkszionistischen New Yorker Monatszeitschrift Jewish Frontier. Die britischen Spezialisten für den Nahen Osten, so Rosenberg im Juni 1939, seien gewiss keine Antisemiten im Sinne Hitlers. Sie seien auch keine Feinde der jüdischen Kapitalisten, aber hassten die jüdische Gewerkschaft, die Histadruth, und „die freie Selbstverwaltung der jüdischen Bauern und Arbeiter. Wenn die Juden fähig wären, eine funktionierende Demokratie in Palästina aufzubauen, dann könnten sie durch dieses Beispiel den ganzen Nahen Osten ‚entgiften‘. Die armen arabischen Arbeiter und Bauern würden vielleicht entdecken, dass sie auch menschliche Wesen sind und würden sich gegen ihre einheimischen Unterdrücker und deren britische Freunde wenden.“20 Seit 1939 hielt Rosenberg jährliche Sommerkurse in Liberty in den Catskill Mountains im Staate New York ab, die von der linkszionistischen Studentenvereinigung Avukah (Fackel) organisiert wurden.
Im Herbst 1942 wurden Arthur Rosenbergs Stipendien nicht verlängert. In einem bewegenden Brief an Betty Drury, die Sekretärin des Emergency Committee, schrieb er, seine „Situation hat sich verschlechtert. Während der letzten Monate bekam ich Schmerzen in der Hüfte und begann mit dem rechten Fuß zu hinken. Als die Schmerzen immer stärker wurden, habe ich einen Spezialisten aufgesucht. Dieser sagte mir, eines meiner Beine sei ernsthaft geschädigt und würde die umliegenden Organe des Körpers angreifen. Ich muß mich einer langwierigen Röntgenbehandlung unterziehen. Trotz meiner Krankheit werde ich versuchen, soweit dies irgend möglich ist, meinen akademischen Verpflichtungen nachzukommen. Sie wissen, wie teuer eine solche Röntgenbehandlung ist, und ich weiß zur Zeit nicht, wie ich mir das leisten kann. Ohne die Behandlung muß ich in naher Zukunft meine akademische Tätigkeit aufgeben. Bitte informieren Sie das Komitee über diese neue Lage. Ein Stipendium ist deshalb dringender denn je zuvor.“21
Am 1. Februar 1943 wurde Arthur Rosenberg in das Long Island College Hospital in Brooklyn eingeliefert. Sechs Tage später starb er im und wohl auch am Exil. Sein Freund und Kollege Hans Rosenberg, der nicht mit ihm verwandt war, erreichte, dass das Brooklyn College der Familie die einmalige Summe von 2000 Dollar zukommen ließ. Eine Mitteilung hielt fest, das Geld werde aufgrund einer Verzögerung nicht vor Mai eintreffen. Rosenbergs Grab befindet sich auf dem Friedhof Cypress Hills in Brooklyn.