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II. Der Historiker der Weimarer Republik
ОглавлениеNeben seiner politischen und seiner Lehrtätigkeit machte sich Rosenberg einen Namen als Verfasser alt- wie zeithistorischer Werke. Bis 1918 war er ausschließlich als Experte für altrömische Geschichte bekannt. Neben wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Büchern schrieb er Aufsätze für Zeitschriften und Handbücher, darunter Paulys Real-Encyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft. Als KPD-Politiker hatte er weder Zeit noch Gelegenheit zur wissenschaftlichen Arbeit. Doch publizierte er nach seiner Abwendung von der KPD in rascher Folge seine Bücher zur Entstehung der deutschen Republik und zur Geschichte des Bolschewismus. Diese zeugten von seinem Außenseiter-Status in der „Zunft“, erwiesen sich aber nach seinem Tod als wissenschaftlich haltbarer als die Arbeiten fast aller, damals etablierter Kollegen in Deutschland.
Sein zeitgeschichtliches Debüt war das 1928 erstmals bei Rowohlt erschienene Buch Die Entstehung der deutschen Republik.22 Es richtete sich nicht nur an einen eng begrenzten Kreis von Spezialisten, sondern an das gebildete Massenpublikum, nicht zuletzt an politische interessierte Arbeiter. Doch sollten die zentralen Thesen zwar nicht unmittelbar, doch in späteren Jahrzehnten die wissenschaftliche Debatte stark beeinflussen, denn Rosenberg arbeitete in diesem Buch als Erster einige der Merkmale des deutschen Kaiserreichs heraus, die heute zum Kernbestand historischer Erkenntnis zählen. Dazu gehören der konstitutionelle Dualismus von ziviler und militärischer Gewalt, die bonapartistischen Elemente des Kaiserreichs und seine halbabsolutistische Struktur, der Klassenkompromiss des Bürgertums mit dem Adel nach 1848 und besonders nach 1871, die allmähliche Integration der Sozialdemokratie in den Staat bei Festhalten an der revolutionären Rhetorik und – last but not least – die Definition der Novemberrevolution als bürgerlich-demokratisch.
Den Bonapartismus, wie Rosenberg ihn im Anschluss an Marx’ Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte verstand, kennzeichnete einen Herrscher, der dem Bürgertum die Akkumulation von Kapital und damit den wirtschaftlichen Erfolg sicherte, ihm aber die reale politische Macht vorenthielt, die in der Hand des Herrschers konzentriert blieb. So legte die von Bismarck erdachte halbabsolutistische Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 das Schicksal Deutschlands in die Hand des Kaisers. Die lange Friedensperiode und der wirtschaftliche Aufschwung schoben die darin liegenden Konflikte nur auf, ohne sie zu lösen.
Denn die staatliche Konstruktion Deutschlands schloss die Arbeiterklasse aus der Gestaltung der Politik aus. Dies galt besonders für Preußen, den wichtigsten deutschen Teilstaat, mit seinem undemokratischen Dreiklassenwahlrecht. Somit wurde die Forderung nach voller Parlamentarisierung des Reiches zur Angelegenheit der Sozialdemokratie, da alle Fraktionen des Bürgertums, schließlich sogar der preußenkritische politische Katholizismus, mit den politischen Zuständen ihren Frieden machten und sie in der erfolgreichen wirtschaftlichen Betätigung gewissermaßen einen Ersatz für ihre politische Zweitrangigkeit gegenüber dem Adel fanden. Denn dieser besetzte die Schlüsselpositionen in der Staatsverwaltung, der Diplomatie sowie beim Militär. Der wirtschaftliche Erfolg habe das deutsche Bürgertum politisch geschwächt.
So wurde der SPD-Parteivorstand mitsamt seinen Forderungen, die eigentlich auf der Aganda des Bürgertums standen, zur heimlichen Gegenregierung und August Bebel auf der Höhe seines Einflusses eine Art von Gegenkaiser. Doch hatte dies eine Kehrseite: Die SPD verstand sich immer mehr als Sachwalter sogenannter gesamtnationaler Interessen, nicht mehr der Klasseninteressen der Arbeiter. Die sozialistische Revolution, obwohl immer noch beschworen, wurde zum abstrakten Fernziel. Die alltägliche Opposition der Partei richtete sich immer mehr nur gegen die kastenmäßig abgesonderten Junker als gegen die Kapitalisten.
Den Entschluss der SPD-Führung und der Reichstagsfraktion, sofort nach Kriegsbeginn 1914 Kaiser und Reichsregierung zu unterstützen, verglich Rosenberg mit der Haltung von Marx und Engels zur Frage eines revolutionären Verteidigungskrieges 1871 gegen Napoleon III. Er relativierte diesen ohnehin unglücklichen Vergleich jedoch mit seiner Kritik an der Politik des „Burgfriedens“ der SPD. Deren Verzicht auf politische Opposition gegenüber der Regierung könne keineswegs mit marxistischen Argumenten begründet werden. Vielmehr sei die Politik des Burgfriedens eine verhängnisvolle Erneuerung des Bismarckschen Klassenkompromisses unter Kriegsbedingungen gewesen. Damit aber könne, unabhängig von der militärischen Leistung, auf die Dauer kein Krieg gegen gleichstarke Feinde geführt werden.
Weite Strecken des Buches basierten auf allgemein zugänglichen Quellen. Doch das letzte Kapitel, das die Vorgeschichte der Novemberrevolution 1918 behandelt, beruhte auch auf Rosenbergs Erfahrungen im Untersuchungsausschuss über die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Weltkrieg. So entwickelte er die Theorie von „zwei Revolutionen“ während des Krieges. Die erste sei die Errichtung der de facto militärischen Diktatur durch Hindenburg und Ludendorff im Jahre 1916 gewesen. Sie habe den Kaiser wie den Reichstag auf eine bloß symbolische Rolle reduziert. Die zweite Revolution sei der Zerfall der Obersten Heeresleitung im Oktober 1918 gewesen, wodurch die Macht auf die nichtrevolutionäre deutsche Mittelklasse übergegangen sei, die die Monarchie abschaffen wollte. Am 3. Oktober wurde Prinz Max von Baden Reichskanzler und bildete eine Regierung, in der neben dem Zentrum und der Fortschrittspartei erstmals die Sozialdemokraten vertreten waren. Die Regierung bot ihren Kriegsgegnern einen sofortigen Waffenstillstand an. Am 26. Oktober trat Ludendorff von seinem Posten zurück, zwei Tage darauf begann der Aufstand in der Hochseeflotte, die deren Auslaufen verhinderte. Ab dem 3. November griff der Aufstand von Kiel auf immer weitere Gebiete Deutschlands über. Es kam zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten. Erst die Aktionen der Räte schufen die politischen Voraussetzungen für die Entstehung der Republik. Eine Mehrheit in diesen Räten wollte die parlamentarische Demokratie mit dem Sozialismus verbinden, über dessen Inhalt jedoch die unterschiedlichsten Vorstellungen bestanden, so dass all diese Bestrebungen keinen Erfolg hatten.
Rosenbergs nächstes Buch, die Geschichte des Bolschewismus, erschien 1932. Es war die erste seriöse Untersuchung zum Thema und basierte auf seiner politischen Erfahrung als führender KPD-Politiker. Doch stellte er klar, dass er „das Buch keiner Partei oder Gruppe zu Liebe geschrieben“ und „kein Bedürfnis zu ‚Enthüllungen‘ und zu ‚Abrechnungen‘“ habe. „Wer in meinem Buch Anekdoten über Stalin und die ‚Schreckenskammern‘ der GPU sucht, wird sehr enttäuscht sein.“23 Rosenberg betonte, der Bolschewismus sei trotz seiner diktatorischen Elemente ein für Sowjetrussland fortschrittliches Gesellschaftsexperiment, hingegen könne die Politik der von Moskau abhängigen Komintern für die Arbeiterbewegung der westlichen Länder nur noch negative Folgen zeitigen.
Arthur Rosenbergs Geschichte der deutschen Republik (so der ursprüngliche Titel), die 1935 erschien, wurde eines der wichtigsten Geschichtsdokumente des deutschen Exils. Rosenberg arbeitete den Mangel an demokratischen Traditionen als Hauptursache der Niederlage der Revolution von 1918 heraus. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich im November 1918 noch vor dem Rat der Volksbeauftragten spontan in ganz Deutschland bildeten, hofften auf die Verankerung einer wirklichen Massendemokratie und entscheidende Wirtschaftsreformen. Der Ruf nach dem Sozialismus sei, so Rosenberg, nicht eine Ursache, sondern eine Folge der Novemberrevolution gewesen. Was man im Einzelnen unter Sozialisierung verstehen wollte, darüber bestünden freilich die größten Meinungsverschiedenheiten. Aber jede Form einer Plan- oder Gemeinwirtschaft könne nur dann Erfolge erzielen, wenn sie die produzierenden Massen zur lebendigen Mitwirkung mobilisierte. Die gegebenen Organe für diese Mitwirkung aber seien die Räte.
Ein direkter Übergang von der bürgerlichen zur sozialistischen Demokratie sei, so Rosenberg, 1918 noch nicht möglich gewesen.24 Erst in einem langwierigen Entwicklungsprozess lasse sich die Mehrheit des deutschen werktätigen Volkes für den sozialistischen Staatsgedanken gewinnen. Nach seinem Klassenkompromiss mit dem Feudaladel im Kaiserreich aber sei das Bürgertum nicht einmal zur Absicherung der bürgerlich-demokratischen Revolution imstande. Die Arbeiterschaft müsse diese Aufgabe übernehmen. Somit stehe, wie Rosenberg unterstrich, eine demokratische Räterepublik, aber unter Ablehnung einer jeden Parteidiktatur auf der Tagesordnung. Wenn aber das Volk eine Nationalversammlung wolle, dürfe sich die radikale Linke dem nicht verweigern. Sie müsse, wie Rosa Luxemburg richtig erkannt habe, vielmehr das Parlament als Tribüne ihrer Forderungen nutzen. Doch nicht einmal innerhalb des Spartakusbundes habe Rosa Luxemburg ihren Standpunkt durchsetzen können. Dessen Mehrheit habe, in Rosenbergs Worten, mit hemmungslosem Utopismus an die besonders armen, verelendeten und verbitterten Arbeiterschichten appelliert und damit den Bürgerkrieg heraufbeschworen. Doch verkannte Rosenberg hier Ursache und Wirkung, denn es waren die politische Rechte und die militärische Gegenrevolution, die durch ihre Begünstigung von Seiten der SPD-Führung Oberwasser bekamen und den Bürgerkrieg entfesselten.
Dabei begriffen die Funktionäre der Mehrheitssozialisten nicht, wie Rosenberg mit Recht betonte, dass Räte und Bolschewismus in keiner Weise identisch waren. Die SPD-Spitzen fühlten sich von den Aktivitäten der Räte unter den Arbeitern bedroht und wünschten bestenfalls eine Art der Verbindung zwischen den Räten und der Nationalversammlung. Sie hätten sich mit begrenzten Sozialisierungsmaßnahmen zufriedengegeben, an deren Beginn die Nationalisierung der Bergwerke gestanden hätte.
Überraschenderweise sah Rosenberg nicht den kleinsten Anschein eines Beweises, dass die mehrheitssozialistischen Volksbeauftragten die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg gewünscht oder gebilligt hätten. Mit Recht hielt er aber fest, dass diese Bluttat entscheidend dazu beitrug, dass Millionen deutscher Arbeiter der SPD den Rücken kehrten. Mit der Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar 1919 durch einen fanatischen Nationalisten habe die deutsche sozialistische Arbeiterschaft den einzigen schöpferischen Staatsmann verloren, der seit dem November 1918 hervorgetreten war. Im Ergebnis des konterrevolutionären Terrors habe Mitte des Jahres 1919 die reale Macht in Deutschland bei den Freikorps und nicht bei der Nationalversammlung gelegen.
Doch nicht nur die SPD, sondern alle drei Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung hätten in der revolutionären Nachkriegskrise versagt, denn jede von ihnen habe einmal die Führung der Linken innegehabt: die SPD in der Revolution, die USPD im Kapp-Putsch 1920 und die KPD 1923. In diesem Jahr habe die KPD alle Fehler der Sozialdemokratie von 1918 wiederholt. Sie habe, wie damals die SPD, die Mehrheit der Arbeiter hinter sich gehabt, sei indes auf die Machtübernahme überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Rosenbergs Fazit war klar: Wie schon das kaiserliche Deutschland, das die Arbeiter von jeder Mitwirkung im Staat ausgeschlossen habe, war die Weimarer Republik von Anfang an todkrank. Ihre weitere Geschichte war aus der Sicht Rosenbergs nicht zuletzt eine Krankheitsgeschichte. Diese forschen Urteile waren und blieben jedoch umstritten. Rosenbergs lebendig geschriebene politische Geschichte der ersten deutschen Republik wurde natürlich in Hitler-Deutschland totgeschwiegen, sollte indes eine Nachwirkung entfalten. Die später stark beachtete Kultur der Weimarer Republik aber fand bei Rosenberg noch nicht die angemessene Berücksichtigung.
Rosenbergs scharfe, große Linien der Beweisführung ziehende Argumentation zeigt sich auch 1938 in seiner letzten Monographie Demokratie und Sozialismus. Darin untersuchte er den Bedeutungswandel von Demokratie und demokratischer Bewegung zwischen dem 18. und dem frühen 20. Jahrhundert. Rosenberg legte dar, wie die Demokratie sich von einer revolutionären Volksbewegung zum Herrschaftsmittel der Bourgeoisie entwickelte. Wie in seinen früheren zeitgeschichtlichen Büchern betonte er mit Bezug auf Marx und Engels die Bedeutung der sozialen Konflikte und Klassenkämpfe für die moderne Geschichte. Doch während Marx und Engels eine „revolutionäre Realpolitik“ betrieben, verzichtete die Zweite Internationale vor 1914 trotz verbalen Bekenntnisses zur Revolution „auf eine volkstümliche Revolutionspolitik und ersetzte sie durch eine Berufs- und Protestpolitik der Industriearbeiter.“25 Marx und Engels konnten noch nicht erkennen, „daß es sich […] bei den sozialistischen Parteien nicht um einzelne Fehler, sondern um einen neuen Typus handelte und dass die normale Berufspartei der europäischen Arbeiter von dem revolutionären Marxismus in ihrem Wesen verschieden war.“26 Rosenberg war und blieb der marxistischen Gesellschaftsanalyse verpflichtet, sah jedoch deren Begründer nicht als unfehlbare Propheten, sondern als suchende und auch irrende Persönlichkeiten.27