Читать книгу Geschichten von A bis Z - Autorengemeinschaft Aussagekräftig - Страница 13

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Ausgerechnet in der Neujahrsnacht hatte es einen Orkan gegeben und mit lautem Getöse war der morsche Schuppen am hinteren Ende des Grundstücks zusammengebrochen.

Sobald die Dämmerung es zuließ, war Farhild Banks in Gummistiefeln und Regenjacke nach draußen geeilt und hatte den Schaden begutachtet.

»Da ist nichts mehr zu retten.« Ihr Nachbar, der alte Jasper, war aus dem Schatten des knorrigen Apfelbaumes hervorgetreten, hatte ihr einen nicht gelinden Schrecken damit eingejagt und hatte mit einer alten Militärlampe schwankend in Richtung Schuppen geleuchtet. »Übermorgen kommt unser Jüngster zu Besuch. Bleibt drei Tage und will mir helfen, den Dachboden und die Garage auszuräumen. Sagt immer, dass wir endlich mal klar Schiff machen sollen, die Missus und ich. Also, wenn er schon da ist, kann er auch die Überreste Ihres Schuppens entsorgen. Und jetzt gehen Sie mal schön ins Haus. Der Wetterbericht hat weitere Böen vorausgesagt. Nicht, dass Ihnen noch ein Dachziegel auf den Kopf fällt. Morgen ist auch noch ein Tag und übermorgen ebenfalls.«

Zwei Tage später kniete Farhild vor der Blumenrabatte, von der nichts übriggeblieben war, abgesehen von fünf Dutzend dunkelgrüner Flaschen, die als Begrenzung dienten und kopfüber im Boden staken.

Bis jetzt hatte sie zwei Flaschen aus dem Boden gegraben und hier, in der zweiten hatte sie die Entdeckung gemacht.

Der Flaschenhals war von Wachstuch umwickelt und zusätzlich mit Kerzenwachs umstrichen. Und als sie sie schüttelte, kam es ihr vor, als würde etwas in der Flasche stecken.

Sie streifte ihre Gartenhandschuhe ab und begann die Flasche an ihrer Hose abzuwischen. Das grüne Glas blieb matt, aber als sie es ans Licht hielt, konnte sie einen Umriss, einer Röhre gleich, erkennen.

Sie zögerte.

Was auch immer in dieser Flasche stecken mochte, es war klar, dass es nicht für ihre Augen bestimmt war. Derjenige, der es hineingesteckt hatte, hatte nicht sie im Sinn gehabt. War es dann in Ordnung, wenn sie die Flasche öffnete und nachschaute?

Eine Bewegung ließ sie den Kopf heben.

»Wir wären dann mit unserer Arbeit fertig und würden Ihre Säcke und das Holz mit zur Deponie nehmen.« Der alte Jasper lehnte am Apfelbaum, der zur Hälfte auf seinem und zur anderen Hälfte auf ihrem Grundstück stand.

»Nochmals danke, dass Sie sich der Sache angenommen haben. Ich hätte den Schuppen schon vor sechs Monaten bei meinem Einzug abreißen lassen sollen. Aber Sie wissen ja, wie das ist, Unangenehmes verschiebt man gerne nach hinten.«

»Na, jetzt hat der Wind Ihnen die Entscheidung abgenommen.« Der alte Jasper deutete auf die Flasche, die sie in der Hand hielt.

»Das ist das Werk von Susan. Wenn die Mülltonnen voll waren, hat sie die übrigen Flaschen vergraben. Irgendwann fing sie dann an, diese Begrenzung zu setzen. Sagte so etwas wie, dass es modern sei.«

»Wie kam sie an die vielen Flaschen?«

Der alte Jasper kratzte sich am Kopf. »Man soll über Tote nicht schlecht reden. Aber Susans Mutter liebte den Inhalt sehr, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und wenn sie ihre Launen hatte, konnte es nicht genug Inhalt geben. Susan hatte dann die Aufgabe, alles in Ordnung zu bringen. War ein armes Ding. Wir haben aber nie etwas gesagt. Haben vorne die Wege gefegt, wenn sie mit der Schüppe rausging und hinten die Löcher grub.«

»Was ist aus Susan geworden? Als ich das Haus kaufte, habe ich eine Susan nicht kennengelernt.«

»Können Sie auch nicht. Das ist alles schon lange her. Da waren ich und die Missus ganz jung und unser Ältester lag im Kinderwagen. Als unser Jüngster zehn wurde, fing Susan an, die Beete mit den Flaschen zu umranden.« Der alte Jasper kratzte sich wieder am Kopf. »Ist viele Jahre her. Als ihre Mutter starb, war sie selbst nicht mehr die Jüngste. Hatte nie die Möglichkeit zu gehen und ein eigenes Leben aufzubauen. Tja, sie verkaufte damals das Haus und wie das so ist, ein Jahr später war sie selbst tot.«

Er deutete wieder auf die Flasche in ihrer Hand. »Wundert Sie vielleicht, dass es nicht mehr sind. Aber irgendwann bekamen wir größere Tonnen und Susan musste nicht länger wie eine Wühlmaus Löcher graben. Nur bei diesem Beet um den Schuppen herum, da hat sie die Flaschen weiter kopfüber hineingestopft. In dem Schuppen hat sie sich übrigens immer dann verkrochen, wenn die Launen der Mutter zu schlimm waren.«

»Armes Ding«, sagte Farhild und beschloss, nichts über den Inhalt der Flasche zu sagen.

»Wir kommen dann mal rüber und räumen alles auf den Anhänger.«

»Ich helfe Ihnen selbstverständlich.«

»Nein, junge Frau. Das ist Männersache, das überlassen Sie uns mal ganz schön alleine. Am besten, Sie lassen uns auch allein, Sie stehen uns sonst nur im Weg. Wir kommen prima zurecht, mein Jüngster und ich. Sind ein eingespieltes Team, sozusagen. Der Missus habe ich auch nie erlaubt, Männerarbeit zu tun. Du hast zwei Söhne und einen kerngesunden und starken Mann, habe ich ihr immer gesagt, wenn sie helfen wollte.«

Farhild nickte und unterdrückte ein Lachen. Junge Frau, das war sie schon lange nicht mehr.

Sie hob die Gartenhandschuhe auf und ging zum rückwärtigen Eingang, der direkt in die Küche führte, streifte an der Tür die Gummistiefel ab und schlitterte auf Wollsocken über die dunklen Bodenfliesen.

Noch mit ihren schmutzigen Gartenhänden wühlte sie in der obersten Besteckschublade nach einem Gemüsemesser und begann Wachsschicht und Tuch vom Flaschenhals zu lösen. Sie brauchte lange und war zwischendurch versucht, den Hals der Flasche abzuschlagen.

Mit der Messerspitze löste sie den letzten Rest, schüttelte dann die Flasche kopfüber und hielt eine Hand darunter. Die Röhre in der Flasche entpuppte sich als ein zusammengerollter Bogen Papier. Dank des Tuches und des Wachses war keine Feuchtigkeit eingedrungen und das Papier fühlte sich trocken an.

Farhild strich darüber, rollte den Bogen auseinander. In einer altmodischen und zierlichen Handschrift war mit dünner, schwarzer Tinte ein Text niedergeschrieben worden.

Sie setzte sich an den Küchentisch, schaltete die Lampe darüber ein, während draußen ein Graupelschauer niederging und Wind in den Kaminen heulte.

Gib niemals auf

selbst wenn du weißt

dass du die Ernte

deiner Saat

nicht erleben wirst

Säe den Samen aufs Feld

und sei gewiss

nichts ist vergeblich

-Faith-

Sie las den Text ein zweites und drittes Mal. Wer ist denn Faith, überlegte sie. Auch der Text sagte ihr nichts.

Ihr Beruf der Illustratorin hatte sie mit vielen Texten in Berührung gebracht. In den letzten Jahren ihres Berufslebens hatte sie sich auf Lyrik spezialisiert. Eine Frau namens Faith war ihr nie begegnet, ebenso wenig hatte sie einen Text von einer Faith in den Händen gehalten.

Es klopfte an ihrer Küchentür und als sie sie öffnete, standen der alte Jasper und sein junges Ebenbild auf den Stufen.

»Alles erledigt und verladen, Sie können wieder in Ihren Garten«, sagte der alte Jasper.

»Haben Sie etwa bei dem Regen weitergearbeitet?«

»Wir sind doch nicht aus Zucker, junge Frau.«

»Warten Sie«, Farhild hielt die Männer zurück, als sie sich bereits umwandten. »Kennen Sie eine Faith?«

Der alte Jasper runzelte die Stirn. »Nie gehört. Ich habe es aber auch nicht so mit Namen. Ich frag mal die Missus. Wen sie nicht kennt, den kennt der liebe Gott auch nicht, sage ich immer.« Er tippte sich an seinen Südwester und stapfte die Stufen hinunter.

Kurz nach Mittag, die Nachbarn waren im Wagen ihres Jüngsten zum örtlichen Baumarkt gefahren, kehrte sie in den Garten zurück. Die Erde war durch den Dauerregen aufgeweicht und sie hoffte, die Flaschen leichter aus dem Boden graben zu können.

Nach einer Stunde hatte sie zehn Flaschen neben sich gestapelt und machte sich daran, sie in einen großen Weidenkorb zu legen, als ihr Handy in ihrer Jackentasche vibrierte.

»Ach du, Lyra.«

»Ich habe deine Nachricht gelesen und dachte, ein Telefonat ist schneller als diese elende Schreiberei. Sag jetzt bitte nicht, dass mein Anruf ungelegen kommt.«

»Ich hocke nur in der Rabatte und grabe weitere Flaschen aus.«

»Und was gefunden?«

»Sie sind voller Schlamm, aber ich glaube, in einigen stecken weitere Gedichte.«

»Woher willst du wissen, dass es Gedichte sind?«

»Lyra, ich weiß es natürlich nicht. Mein Bauch sagt mir nur, dass da mehr ist.«

Sie hörte, wie Lyra ins Telefon prustete. »Dein Bauch und meine innere Stimme, die haben sich nie getäuscht. Kein einziges Mal in den letzten fünfunddreißig Jahren.«

»Und was sagt deine innere Stimme?«

»Dass ich mich schneller als der Blitz aufmachen und mich zu dir in die Rabatte hocken sollte. Bin in zwanzig Minuten bei dir.«

Zwanzig Minuten später klingelte es vorn und eine schnaufende rundliche Mittsechzigerin im dunkelgrünen Streifenpullover und weiter Hose lehnte an der Tür und lugte durch die Glasscheibe.

»Da bin ich. Habe meine Gummistiefel dabei, Zimt-Zucker-Kuchen und eine Tüte Madeleines«, sagte sie statt einer Begrüßung, als Farhild die Tür aufriss.

»Ich dachte, du bist auf Diät.«

»Nicht Anfang Januar, wenn die einstige Starillustratorin mir eine WhatsApp schickt und von einer möglichen Entdeckung redet. Lässt du mich jetzt bitte hinein?«

Farhild trat zur Seite und Lyra Robins, ehemalige Lektorin und Verlegerin drückte ihr eine Papiertüte in die Hand. »Für später, erst mal graben wir uns wie die Maulwürfe durch die Rabatte und heben den Schatz. Zur Stärkung habe ich noch einen Whisky mitgebracht. Habe ihn von Tante Griselda zu Weihnachten bekommen. Meinte, das würde mich für die nächsten dreißig Jahre aufs Beste konservieren.«

»Ich hoffe, die übrigen Flaschen haben die Texte dieser Faith konserviert. Bei zweien ist die Wachsschicht nicht gut erhalten.«

»Dann lass uns nicht trödeln, sondern starten. Wenn mir meine Arthrose im linken Arm keine Lügen zuflüstert, ist der nächste Regenguss nicht weit entfernt.«

Sie brauchten zwei Stunden, bis sie alle Flaschen ausgegraben und ins Haus getragen hatten und zwei weitere, bis sie gesäubert und geöffnet waren.

»Falscher Respekt«, murmelte Lyra bei der dritten Flasche und stellte sie in eine Plastiktasche und schlug gekonnt mit einem Hammer den Flaschenhals ab.

Am Schluss lagen fünfundvierzig Papierbogen auf dem Küchentisch. Fünf davon waren feucht und die Schrift an mehreren Stellen verwischt. Einige Bogen waren dicht beschrieben, auf anderen standen nur wenige Zeilen.

Alle trugen die gleiche Unterschrift. Faith.

Farhild hatte Tee gekocht und Lyra kniete wie üblich auf einem Stuhl, hatte ihre giftgrüne Lesebrille aufgesetzt und studierte die Texte.

»Höre dir das einmal an:

Ich habe mich selbst verjagt

habe dem Sturm nicht standgehalten

nun bin ich an Orten

die meine Schritte nicht zulassen

ich stolpere

mein Ich droht

fremd zu werden

-Faith-

Oder das hier:

Aufwachen

vor der Dämmerung

dem Tag

Stille und Zeit

abringen

das Wissen

um den Herbst

zulassen

das Licht der Kerze

flackern lassen

-Faith-«

»Es hört sich traurig an.«

»Aber sie sind gut, richtig gut. Wir müssen unbedingt herausfinden, wer diese Faith ist, wie Susan an die Texte kam und warum sie sie vergrub.« Lyra klopfte energisch mit ihrem Zeigefinger auf die Holzplatte. »Vielleicht gibt es noch mehr Texte von ihr.«

»Wenn, dann sind sie nicht hier. Diese Susan hat eine Menge Flaschen vergraben, richtig vergraben, meine ich. Mein Nachbar, der alte Jasper, hat mir davon erzählt. Aber der Garten ist mehrfach umgestaltet worden. Als ich das Grundstück kaufte, habe ich einen riesigen grauenhaften Self-made-Pool ausgraben lassen. Da waren keine Flaschen, nicht eine einzige.«

»Gut, dann haben wir nur diese Texte. Wir müssen trotzdem herausfinden, wer Faith ist.« Lyra hangelte nach dem Teller mit dem Zimt-Zucker-Kuchen. »Lass mich das nicht alles alleine essen.«

»Der alte Jasper meint, dass seine Frau vielleicht mehr wüsste.«

»Und warum sitzen wir dann noch hier? Auf zu den Nachbarn.«

Lyra war aufgestanden und nahm Farhild das Stück Kuchen aus der Hand. »Kannst du später essen.«

»Wir können doch nicht einfach bei meinen Nachbarn vorbeischauen.«

»Doch, können wir. Du sagst, dass sie alt seien. Womöglich sterben sie heute Nacht im Schlaf und wir haben das Nachsehen. Nein, eines habe ich gelernt. Nichts aufschieben, wenn man es sofort erledigen kann. Also vorwärts.«

Im Schein einer trüben Außenbeleuchtung standen sie auf den Treppenstufen des Nachbarhauses und Lyra klopfte mit den Handknöcheln fordernd ans Türholz.

»Komme schon«, rief eine Männerstimme.

»Der alte Jasper«, flüsterte Farhild.

Die Tür wurde mit einem Ruck aufgezogen und ihr Nachbar stand in Hausschuhen vor ihnen. »Missus, wir haben Besuch. Unsere Nachbarin steht zitternd in der Kälte vor unserer Haustür«, brüllte er. »Setz schon mal den Kessel auf.« Er öffnete die Tür weit. »Nur herein, mit euch zwei Hübschen. Gleich gibt es Tee.«

»Wir wollen nicht stören.«

»Hier hat noch niemand gestört.«

»Es geht um Faith.«

»Da fragen wir am besten die Missus, die kennt sich mit den Menschen aus.«

Er scheuchte sie ins Wohnzimmer, zeigte aufs Sofa und verschwand.

»Hier kommt der Tee mit ein paar Kleinigkeiten«, sagte eine Frau, bevor sie zu sehen war. Ein überladener Teewagen wurde hineingeschoben und eine mütterlich wirkende Frau in kariertem Rock, derben Schuhen und einem Strickpullover nickte ihnen auffordernd zu. »Mein Jasper hat mir erzählt, dass sie nach Faith fragen. Aber bevor ich Ihnen alles über Faith erzähle, wird erst mal was gegessen. Sie beide sollen den halben Nachmittag draußen gewesen sein und die Flaschen ausgegraben haben. Da dürften sie richtig hungrig sein. Miss Eveline von nebenan hat Sie die ganze Zeit beobachtet. Hat ja sonst nichts mehr zu tun. Bei dem nasskalten Wetter kann sie nicht rausgehen. Das machen ihre Knie nicht mit. Hat sich aber mächtig Sorgen gemacht, dass Sie beide sich etwas wegholen. Jetzt greifen Sie mal tüchtig zu.«

»Danke schön«, antwortete Lyra undeutlich, weil sie sich bereits ein Pastetchen mit Schweinefleisch und Zwiebeln in den Mund gesteckt hatte.

»Wer ist Faith«, fragte Farhild und warf einen tadelnden Blick Richtung Lyra, die inzwischen bei Siruptörtchen und Kümmelkuchen angekommen war.

»Faith war eine von drei Freundinnen. Faith, Hope und Love, so nannten sie sich. Drei Freundinnen, die ihre Kindergartenzeit miteinander verbrachten und die ersten Jahre auf der Schule. Sie belegten einen Literaturkurs bei Miss Posset in der örtlichen Secondary School und eine von ihnen kam auf die Idee, ihre Geschichten und Gedichte unter einem Pseudonym herauszubringen.«

Die Missus, Farhild kannte auch nach sechs Monaten ihren Namen nicht, unterbrach sich, griff nach der Teekanne, schenkte nach, schaute dann zu dem Teller mit weiteren Pasteten und warf Lyra einen aufmunternden Blick zu.

»Mein Vater war Kunstschmied und sie kamen zu ihm und baten um einen Anhänger. Er schmiedete ihnen ein verschlungenes Kreuz, samt Herz und Anker. Eben Faith, Love und Hope. Jeden Mittwochnachmittag trafen sie sich bei Miss Posset, lasen ihre Gedichte und Geschichten vor und diskutierten ernsthaft darüber. Aber wie das so ist in diesem Alter. Interessen erlahmen, machen für anderes Platz. Tracy Miller, die sich Love nannte, übrigens nicht von ungefähr, hörte als Erstes auf und befreundete sich mit einem Jungen aus einem Plattenladen. Wenn ich mich recht erinnere, mussten sie dann heiraten. Hope, meine jüngste Schwester Helen, wechselte die Schule und bereitete sich auf die Universität vor. Zurück blieb Faith. Faith war ein aufgewecktes Mädchen, musisch interessiert, mit einer großen Begabung für Sprache.«

»Also ist Faith auch nicht der richtige Name«, unterbrach sie Farhild und eine erste Ahnung machte sich in ihr breit.

»Natürlich nicht. Faith ist Susan. Die kleine Susan von nebenan, die nie eine wirkliche Chance hatte. Sie haben ja die vielen Flaschen gesehen und ausgegraben. Ihre Mutter hatte ihre Launen und ihre Stimmungen und wenn sie sie hatte, dann trank sie. Susans Vater hielt es nicht aus, verschwand und ließ Susan zurück. Da war sie sechzehn oder siebzehn. Sie fing an, unregelmäßig zur Schule zu gehen, nur im Unterricht bei Miss Posset fehlte sie kein einziges Mal. Susan machte keinen Abschluss, war die meiste Zeit zu Hause, kümmerte sich um ihre Mutter, die immer unberechenbarer wurde. Einmal warf sie Susans Kleidung, Hefte und Bücher aus dem Fenster, häufte alles an, goss Alkohol darüber und zündete es an. Bevor wir eingreifen konnten, war alles verbrannt. Das war die Zeit, als Susan damit begann, die Flaschen kopfüber in die Beete zu stecken. Ich dachte, sie sei durchgedreht, aber sie sagte nur, dass sie es in einem Gartenmagazin gesehen hätte und es jetzt modern sei.«

»Susan ist also wirklich Faith«, sagte Farhild. Sie griff in ihre große Collegetasche, in die sie Faith’ Texte sorgfältig verstaut hatte, und reichte sie an Jaspers Frau. »Das war in den Flaschen, die Susan, also Faith, vergraben hatte.«

Jaspers Frau blätterte durch die Seiten und gab sie dann stumm zurück. »Ich habe es nicht so mit der Literatur. Meine Schwester Helen hätte es gefreut, dass Susan das Schreiben nie gelassen hat. Aber Helen ist wie Susan tot.« Sie brach ab, zog ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich. »Was werden Sie jetzt mit den Texten tun?«

»Herausgeben«, antwortete Lyra bestimmt. »Lesen Sie das Gedicht, dass meine Freundin hier als Erstes entdeckte. Faith hat nie den Glauben, die Zuversicht verloren. Sie hatte damals keine Chance, aber ich werde sie ihr heute geben.«

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