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Ährengold Elsa Rieger
ОглавлениеMeine Eltern und ich verließen Syrien, als ich sechs war. Mein Vater bestand darauf, denn in seinen Augen konnte der ›Arabische Frühling‹ nur zur Katastrophe führen. Zehn Jahre ist das nun her. Er hatte recht, es kam zum Krieg, und Millionen meiner Landsleute flüchteten aus der Heimat.
Meine Eltern waren klug, denn zu der Zeit konnten wir locker Fuß fassen in Wien, erhielten ohne Probleme Asyl und 2014 die österreichische Staatsbürgerschaft. Gerade noch vor dem Flüchtlingsansturm.
»Wir haben großes Glück«, sagte Papa und dankte Allah dafür.
Papa fing an, wie in Syrien als Arzt zu arbeiten, nachdem er ein paar Jahre als Taxifahrer seine Deutschkenntnisse erweitert hatte, und die Kommission ihm nach Sichtung seiner Ausbildungszeiten, Studiendiplome und einer Arztprüfung die Erlaubnis erteilte, im Krankenhaus tätig zu werden.
Mama hütete wie in Syrien das Haus, also eher die Wohnung.
Wenn ich sie fragte, warum sie nicht etwas arbeiten wolle, winkte sie ab. »So war es Tradition in der Heimat, so soll es in der Fremde bleiben.«
»Ma, wir sind keine Fremden, wir sind Österreicher.«
»Im Herzen nicht, Junge, im Herzen nicht.«
Gut, sollte sie machen, was sie dachte. Papa sagte immer wieder, er hätte nichts dagegen, wenn sie sich eine Arbeit suchen würde, denn immer nur Küche und Putzen wäre doch langweilig.
Aber das wollte ich alles gar nicht erzählen. Es geht doch um Ährengold.
Ährengold. So nannte ich sie seit der vierten Klasse, aber nur ganz heimlich bei mir. Das kam so, als wir in Musik ein Volkslied lernten, ›Der Wagen rollt‹. Da kommt Ährengold vor, was mir in der damals recht fremden Sprache nichts sagte.
Ich fragte nach und der Lehrer deutete hinter mich. »Schau dir Marions Haare an, die sehen wie reife Kornähren im Sonnenlicht aus.«
Vier Tische hinter mir saß das Mädchen, es war mir noch nie richtig aufgefallen, klar, denn mit zehn Jahren treibt man sich eher mit den anderen Buben im Schulhof rum.
Ich schaute ihre dicken Zöpfe an, die wie eine goldene Krone um ihren Kopf gelegt waren, blickte in ihre himmelblauen Augen, sie lächelte und ›I was falling in love‹. Heimlich. Ganz heimlich.
Später im Gymnasium, wir kamen beide in dieselbe Schule in unserem Bezirk, ergab es sich, dass wir für ein Projekt in Chemie zusammenarbeiten mussten. Meine Zeit war gekommen, ich war vierzehn und mutig genug, ihr zuzuflüstern, dass sie die Frau sei, die ich heiraten würde.
»Ach Zarif«, sie lachte leise, »wir sind Kinder. Wer weiß, was alles passiert, bis wir groß sind. Aber ich notiere es mir ins Tagebuch.«
Damit war ich durchaus zufrieden.
Wir wurden sechzehn. Meine Ma arbeitete mittlerweile ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe, Papa behandelte die Menschen in den Auffanglagern, auch ohne Honorar.
Mit seinem Gehalt vom Krankenhaus konnten wir uns die Drei-Zimmer-Wohnung leisten und das Essen. Wer braucht schon mehr? Gut, ich hätte manchmal gern schickere Klamotten gehabt, aber mein Grunge-Outfit tat es auch. Wichtiger war mir, dass ich den Mitgliedsbeitrag für den Sport-Klub von Papa bezahlt bekam, dafür war ich ihm so dankbar.
Ich liebte Marion ›Ährengold‹ nach wie vor und es schmerzte. Ihr Tagebuch würde sie wohl kaum mehr ansehen, auf keinen Fall den Eintrag zu uns.
Immer noch trug sie stolz den Zopf als Krone, dazu, im Gegensatz zu früher, Kniestrümpfe und adrettes Schottenröckchen bis zum Knie, wie hatte sie sich verändert! Wo waren ihre ausgeleierten Sweatshirts und Jeans geblieben? So fremd war sie mir geworden. Trieb sich mit Jungs rum, die ihre Köpfe rasierten, und Mädels, die wie sie Zöpfe trugen, niemals Hosen, und verkniffene Gesichter machten, wenn sie Menschen wie mir begegneten. Wie war sie nur in diese Clique geraten?
Ab und zu sprach sie noch mit mir. Kühl, distanziert, eine Mitschülerin, nichts anderes, die von mir, dem Musterschüler, etwas erklärt bekommen wollte. Doch sie sagte nur: »Pass auf, sprich mich nicht an, wenn ich mit meinen Freunden unterwegs bin, das könnte schlecht ausgehen für dich.«
Ich konnte darauf gar nicht antworten, nickte nur.
Hatte den Verdacht, es müsse mit ihren Eltern zu tun haben. Die sind sehr bürgerlich, fast spießig, würde ich sagen.
Als ich einmal zu Besuch war, lange, ehe Marion sich so verändert hatte, wurde ich nicht mit offenen Armen empfangen, gerade, dass mir eine kühle Hand gereicht wurde von der Mutter, der Vater hatte nur genickt, mich gemustert und gefragt, wo ich her sei. Nach meiner Antwort sah ich genau, wie sie die Augen verdrehten, während meine Ährengold errötete. Sie schämte sich für meine Herkunft. Um das auszugleichen, lud ich sie zu uns nach Hause ein.
Ma war total aufgeregt, schrieb eine lange Einkaufsliste für ein Abendessen, das natürlich orientalisch sein musste, »damit dein Mädchen etwas von unserer Tradition sieht«, und marschierte los in den arabischen Laden, nicht ohne vorher zu sagen, »Sohn, du hättest nicht erst einen Tag vorher bekanntgeben sollen, dass wir Besuch bekommen. Ich verstehe dich nicht.« Vor der Tür hörte ich sie noch murmeln, »er hat ja keine Ahnung, der Junge, keine Ahnung …«
Sie kochte den ganzen nächsten Tag und abends war sie nervlich am Ende.
»Ma, also wirklich, Marion wäre auch mit einem Butterbrot zufrieden, es geht doch ums Kennenlernen, nicht ums Essen!« Dafür erntete ich einen Blick der Empörung. Ich dachte an Kaffee und den trockenen Biskuitkuchen, den Marions Mutter serviert hatte.
Schließlich war es so weit, es klingelte an der Tür und Marion strahlte mich an, sie überreichte Ma einen Strauß Gladiolen. Meine Eltern umarmten sie höflich und baten sie zu Tisch. Ährengold kriegte sich gar nicht ein, so sehr schmeckten ihr die Dips aus Hummus, Auberginenmus und das gegrillte Gemüse in Joghurtsauce mit Fladenbrot. Ich sah ihr die Überraschung an, dass dies nur die Vorspeise war.
»Oh, da hätte ich nicht so viel futtern sollen.«
Papa lachte. »Ja, mein Fräulein, eine Hauptmahlzeit bedeutet bei uns drei Gänge. Meine Frau besteht darauf. Heimatgefühle, Sie verstehen?« Er beugte sich vor und raunte Marion zu, »sehen Sie zu, dass Sie noch was reinkriegen, Madame wäre sonst erschüttert.« Dann zwinkerte er verschwörerisch.
Ich half Ma, die Schüssel mit Mashawi vom Huhn und die mit dem Okra-Gemüse aufzutragen, sie stellte den Bulgur auf den Tisch. Ich grinste in mich rein, denn Marion kämpfte sichtlich mit ihrer Portion, obwohl sie nach jedem Bissen betonte, wie toll alles schmeckte.
Beim Nachtisch, Baklava, streikte sie, was Ma aber nicht hinnahm, »ich packe Ihnen ein paar Stücke ein, auch für Ihre werten Eltern.«
Werte Eltern? Na, wenn Ma wüsste.
Nach dem Essen gab es Kaffee aus den Kupferkännchen, die meine Eltern aus Syrien mitgenommen hatten. Irgendwann an dem Abend fragte Marion, was mein Name eigentlich bedeute.
Als Papa antwortete: »Der Geistreine, der Elegante«, lächelte sie.
»Du bist einer von den Guten, Zarif.« Sie drückte meine Hand unterm Tisch.
Ich habe drei gute Freunde, Klassenkameraden, sie sind Österreicher. Bin ich auch, trotzdem werde ich immer wieder angehalten und muss meinen Ausweis herzeigen. Damals wie heute.
So auch an jenem Abend am Eingang des Klubs. Obwohl der Türsteher mich schon kennen musste. Wir durften aber rein. Kaum drinnen, sah ich sofort, dass Marion auch da war, mit einer kleinen Gruppe der Leute, die sie ja so schätzte.
Klar begegnete ich ihr ab und zu, wenn ich Samstagabend unterwegs war. Wir besuchten dieselben Musik-Klubs, lebten schließlich in einer Stadt. Ich bemühte mich dann, nicht in ihre Richtung zu schauen, ihre Warnung hatte mir Angst gemacht, und haute möglichst schnell ab.
»Ich glaube, ich geh wieder.«
Klaus, der ebenso wie die anderen beiden meinen Kummer kannte, stieß mir den Ellbogen in die Seite. »Sei kein feiger Hund, was sollen die schon machen da, bei so vielen Gästen.«
»Eigentlich sollten wir die ärgern und Marion zeigen, mit was für Idioten sie sich abgibt«, Martin rieb sich die Hände.
»Machen wir das, werden ja sehen, wer gewinnt.« Logisch, dass Kurt auch gern mitmachte, der war immer mittendrin, wenn sich was abspielte. Schon wollte er sich aufblasen und rüberschlendern an den Tisch.
Noch hatte die Truppe uns nicht gesehen. »Stopp, nein, da bin ich lieber ein feiger Hund, als mich mit denen einzulassen«, ich hielt ihn am Ärmel fest.
Er riss sich los, »nein, genug ist genug«, Klaus und Martin folgten ihm.
Ich wusste gar nicht, wo ich mich verkriechen könnte, verfluchte mich, dass ich den dreien mein Herz ausgeschüttet hatte, was sollte ich nur tun? Ja, ich war feig, war ja doch fremd für die meisten und wie meine Ma sagte, hier eben nicht erwünscht. Egal, was in meinem Ausweis steht.
Meine Freunde waren beim Tisch angekommen, ich sah an ihren Mienen, dass sie provozierten. Hätte ich nicht erlauben dürfen. Die Leute um Marion, es waren fünf, grinsten und spöttelten, ich hörte es nicht, erkannte es aber am Gehabe. Dann drehten sie sich weg, zeigten den Rücken. Da packte Kurt die Schulter von einem, der fuhr herum und holte mit der Faust aus, in dem Moment traf mich der Blick von Ährengold, sie riss die Augen auf, begriff, worum es ging, sie kannte ja meine besten Freunde aus der Klasse.
Sie zeigte auf mich, die Faust ihres Kumpels sank, die fünf standen auf wie ein Mann und marschierten auf mich zu. Ich konnte mich nicht mehr verziehen, zu spät.
Sollte ich jetzt wie einer der Helden aus dem Marvel-Universum drauflos dreschen? Marion Ährengold, dicht hinter den Burschen, starrte mich an. Ich hob langsam die Arme, Handflächen nach vorn.
Nein, ich war kein Schläger, wollte keiner sein. Ich gehörte zu den Guten, sagte sie früher, daran musste ich in dem Moment denken. »Na los, worauf wartet ihr?«
»Ausländerpack«, zischte einer. »Ich prügle dir deinen Allah aus dem Hirn.«
Ich hielt ihm meine Wange hin. »Mach schon.«
Er fuhr zurück, nein, Marion zog ihn weg.
Marion? Meine Ährengold?
Sie krallte die Finger in seine Jacke und schrie: »Schluss jetzt mit dem Schwachsinn, ihr seid ja unerträglich!«
Das rief die beiden Securitys auf den Plan, die uns alle hinausbeförderten.
Klaus, Martin und Kurt standen wie Ritter um mich rum. Die Gegner rieben sich die rasierten Köpfe, der Allah-Sager meldete sich zu Wort, »ihr Opfer, wollt ihr echt in den Asphalt beißen?«
»Lasst uns gehen«, Marion zerrte wieder an seiner Jacke.
Er schüttelte sie ab. »Sicher nicht, der Ausländer hat eine Abreibung verdient, dann wird er aufhören, dich jedes Mal anzustarren, sobald er dich sieht. Du gehörst zu uns, Baby.«
»Lass es gut sein, Marion, soll er doch zuhauen.« Ich wollte es hinter mich bringen und schob meine Freunde weg. »Mischt euch nicht ein, bitte.« Ich sah, wie ungern sie sich von mir lösten und sich ein, zwei Meter entfernt an die Hausmauer lehnten.
»Tu’s nicht, Zarif, hau lieber ab.« Ihr Blick war bittend, aber es war zu spät.
Wurde einfach Zeit, das auszutragen, durchzustehen, damit es ein Ende hatte. Ich überbrückte die paar Schritte zum Feind, tippte auf meine Wange. »Wie angeboten, schlag endlich zu und gut ist es.« Ich blieb dabei, ich würde mich nicht wehren, nicht zurückschlagen, auch wenn ich Boxunterricht hatte und ihn in den Boden gestampft hätte. So schloss ich die Augen und wartete.
Ich fand mich auf dem Gehsteig wieder, glaubte, mein Kiefer war gebrochen. Zumindest fühlte es sich so an. Blut rann mir aus der Nase, die war sicher gebrochen. Ich ließ die Augen geschlossen, spürte, wie die Lider anschwollen. Der Bursche hatte tatsächlich Hammerfäuste, aber offensichtlich kein Hirn im Schädel, denn ernsthaft, wie kann man losgehen auf jemanden, der sich nicht wehrt? Interessante Spezies, die Glatzköpfe.
Bis auf ein Schluchzen neben mir war alles still.
Vorsichtig bewegte ich das Kinn, den Unterkiefer. Konnte nicht kaputt sein, sonst ginge das nicht. Gut. Wischte über die Nase, da legte sich eine kleine Hand über meine.
»Nicht, Zarif, bleib ruhig liegen, der Rettungswagen kommt gleich, wir fahren ins Krankenhaus.«
Wir? Hatte sie ›wir‹ gesagt?
Es hatte sich also ausgezahlt, kein Schläger zu sein, ich lächelte und Ährengold gab mir einen zarten Kuss auf eine unversehrte Stelle im Gesicht.
Der Kiefer war nur angeknackst, die Nase wurde eingerichtet, die Platzwunde überm Auge genäht.
Heute, zwei Jahre später, ist nichts mehr davon zu sehen. Ährengold trägt ihr Haar nun offen, Schlabbershirts und Jeans sind wieder Alltag, wir haben das Abitur geschafft und die Jungfräulichkeit aneinander verloren. Wir lieben uns und schauen mal, wohin uns das führt. Jetzt sind Sommerferien, dann Studium. Marion will Medizinerin werden, ich tendiere zum Lehramt. Wir werden sehen, alles der Reihe nach, nicht wahr?