Читать книгу Island Sommer Liebe - Ava Lennart - Страница 15
FANNEY
ОглавлениеSmilla lässt sich auf die Seite fallen und schließt wohlig die Augen, als ich ihr den Bauch kraule. Sie scheint es nicht zu stören, dass meine Aufmerksamkeit nicht einhundertprozentig bei ihr ist. Ich hocke vor der Hundehütte und versuche möglichst unauffällig aus dem Augenwinkel zu beobachten, was vor Jons Treppenaufgang vor sich geht. Er spricht mit einer Frau, mit der er aus seiner Bude gekommen ist. Sie steht in ihrer geöffneten Autotür und macht keine Anstalten einzusteigen. Ihr Lachen weht perlend über den Hof und von Zeit zu Zeit versinken die zwei in einen intensiven Kuss. Ich beiße mir auf die Lippe und versuche, nicht hinzuschauen.
Es geht mich schließlich nichts an, wen Jon küsst. Er ist nur mein bester Freund, mehr nicht. Ich bin nur neugierig.
Elin von Andri zu erzählen, hat mich ins Grübeln gebracht. Erinnerungen an ein charmantes Augenzwinkern, das ich lange verdrängt habe. Andri, der Badboy der total in mich verschossen war. Zumindest dachte ich das. Bis er abhaute. Es passierte so schnell, dass ich nur sprachlos zusehen konnte. Ich sehe es noch wie gestern vor mir, als er nach einem Gig mit bereits gepackten Taschen zu einer Engländerin ins Auto stieg. Sie sei jetzt seine Managerin. Durch das heruntergelassene Fenster hörte ich noch ein melodisches ‚Bless’. Dann war ich allein. Einfach so. Jetzt jettet er auf der ganzen Welt herum. Ohne mich.
Ich habe mir immer eingeredet, er habe mein Herz gebrochen. Aber hat es mich wirklich verletzt? Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, habe ich mich auf Andri nur eingelassen, weil er Jon so ähnlich war. Ich habe es nie fertiggebracht, mich Jon zu nähern. Obwohl ich für ihn schwärme, seit ich denken kann. Aber er hat nie Interesse gezeigt. Wahrscheinlich ist es gut so. Jons Musikerleben mit Gigs, Partys und Frauen hat mich fasziniert, aber auch erschreckt. Ich weiß, Jon ist für eine dauerhafte Beziehung nicht der Richtige. Herzbruch garantiert. Wenn es mit Jon nicht funktioniert, hätte ich neben dem Herzen auch meinen besten Freund verloren. Das ändert leider nichts daran, dass sich meine Gedanken vierundzwanzig Stunden am Tag um ihn drehen.
Unvermittelt werde ich wütend auf mich. Wann werde ich das mit Jon endlich überwinden? Diese Fixiertheit muss ein Ende haben! Da wir uns täglich sehen und zusammen leben und arbeiten, ist das gar nicht so einfach.
Smilla winselt, um die in der Bewegung erstarrten Hände zum Weitermachen zu animieren. Meine Finger pflügen gleichmäßig durch ihr Fell. Ich genieße die Wärme des Hundekörpers, denn in den letzten Tagen ist die Temperatur nachts noch einmal gesunken. Der Sommer hat es schwer dieses Jahr.
Jetzt quiekt die Frau auf und rennt ein paar Schritte Richtung Koppel. Jon jagt hinter ihr her und holt sie nach wenigen Metern ein. Er umgreift sie von hinten und hebt sie hoch. Ausgelassen balgen sich die beiden. Oh Mann, wie alt sind die denn? Nach ein paar Minuten steigt sie endlich in ihr Auto und fährt davon. Vor Erleichterung schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, steht Christian vor mir und mustert mich aufmerksam. Ertappt erhebe ich mich und mir wird schwarz vor Augen, weil ich so lange gehockt habe. Besorgt greift Christian meinen Arm, als ich schwanke.
„Hey, vorsichtig. Geht´s wieder?“ Ich nicke. Dennoch lässt er mich nicht los. Dort, wo seine Hand liegt, prickelt es leicht. Er bemerkt meinen Blick, mit dem ich seine Berührung registriere. Nur widerstrebend zieht er die Hand zurück.
„Ja, takk. Ich bin nur zu schnell aufgestanden.“ Ich spüre verwirrt dem Gefühl des Prickelns nach und wünsche plötzlich, er hätte seine Hand dort gelassen.
Er lächelt.
„Ich dachte schon, du wolltest Smilla das Fell wegstreicheln.“ Sein Blick huscht zu Jon, der dem Auto hinterherschaut, das sich auf der Stichstraße entfernt.
Mist. War es so offensichtlich, dass ich wegen Jon und dieser Frau hier draußen gehockt habe? Wenn Christian das merkt, wie ist es dann erst bei Jon? Meine Wangen werden heiß. Ich räuspere mich und schaue ihn an. Er dreht den Kopf und schaut mir direkt in die Augen. Sein Blick ist so durchdringend, dass mir gleich noch einmal schwindlig wird.
Er hat sich verändert, seit er hier ist, wirkt nicht mehr so adrett. Dunkelblonde Bartstoppeln schattieren seine untere Gesichtshälfte. Die Outdoorklamotten sehen zum Glück nicht mehr wie frisch ausgepackt aus. Ich unterdrücke ein Grinsen bei der Erinnerung an den ersten Tag, an dem ich das Preisschild abgeschnitten habe. Auf seinem Nasenrücken sehe ich die Abdrücke der Brille, die er, wie ich jetzt weiß, nur trägt, wenn er liest oder schreibt.
Sein Blick ist so ... intensiv. Muss er mich so unverwandt anschauen? Warum tut er das? Habe ich vielleicht irgendwo einen Fleck im Gesicht? Das wird langsam peinlich.
Vor allem, weil ich seinen Blick erwidere und wir hier stehen und nicht miteinander sprechen. Ich gebe auf und wende den Kopf ab. Jon steht vor seiner Tür und sieht zu uns herüber. Die Stirn nachdenklich gerunzelt. Ich winke ihm zu. So, als wäre nichts dabei, wenn ich mit einem Hausgast im Hof stehe und ihm in die Augen starre. Wider Erwarten reagiert Jon auf mein Winken, indem er die Treppen wieder herunterkommt und auf uns zuhält. Mit einem knappen Gruß zu Christian stellt er sich neben mich. Dann spüre ich Jons Hand auf meiner rechten Schulter. Moment mal, umarmt er mich etwa gerade? Das tut er doch sonst nie. Jon ist nicht so der körperliche Typ. Zumindest nicht bei mir. Perplex wende ich mich ihm zu. Jon übergeht meine unausgesprochene Frage und fixiert Christian, dessen Blick zu Jons Arm huscht. Unvermittelt werde ich wütend über Jons überflüssiges Beschützergehabe. Ich winde mich aus seiner Umarmung.
„Okay, wenn nichts ist, gehe ich dann arbeiten. Es gibt viel zu tun“, sage ich. Christian nickt und vergräbt die Hände in den Taschen seiner Fleecejacke.
„Ja, ich sollte dann auch mal wieder“, erwidert er.
„Jetzt, wo ihr es sagt. Man sieht sich.“ Jon wendet sich grinsend ab und hechtet die Treppen zu seiner Bude hoch. Ich verdrehe die Augen und begegne Christians amüsiertem Blick.
„Bis später, Fanney.“
Als ich ins Haus gehe, summt mir die Art, wie Christian meinen Namen mit weichen Lippen modelliert hat, durch den Kopf.
Es ist später Nachmittag, als ich in der Küche stehe und das Abendessen vorbereite. Während ich den Braten mariniere, ertappe ich mich dabei, wie ich an Christian denke. Und an den Blick.
Seit Christian bei uns Gast ist, habe ich ein altes Kochbuch rausgekramt. Die Familie meiner Mutter stammte ursprünglich aus dem Elsass und Mama hat in ihrer schönen Schrift alle Lieblingsrezepte in einem altmodischen Büchlein festgehalten. Es versteht sich von selbst, dass darin Atlis und meine Leibspeisen sind. Nach ihrem Tod habe ich wenig daraus gekocht. Die Erinnerung an meine Mutter und der Schmerz, wenn ich ihre Schrift sah, waren zu viel für mich.
Seit mir beim ersten Frühstück mit Christian seine Skepsis gegenüber der isländischen Küche aufgefallen ist, habe ich mich seit Langem überwunden, es zu öffnen.
Bislang redete ich mir ein, die altvertrauten Gerichte mit dem elsässischen Touch für Atli und mich zu kochen. Oder für alle Gäste. Auch für das Paar aus England und eine alleinstehende spanische Frau, die jedoch nur kurz bleibt. Als ich das Suppengemüse für den Fond zerkleinere, gestehe ich mir erstmals ein, es hauptsächlich für Christian zu tun. Warum, weiß ich selbst nicht. Wieso beschäftigt er mich so?
„Hm, das duftet herrlich. Was zauberst du uns heute?“ Vor Schreck lasse ich das Messer in die Spüle fallen. Die Hand über meinem pochenden Herzen, stoße ich den Atem aus. Gut, dass er keine Gedanken lesen kann!
„Herrje, hast du mich erschreckt. Ich habe dich gar nicht gehört, Christian.“ Er grinst.
„Das habe ich gemerkt, du warst vollkommen versunken. Entschuldige, ich wollte dich nicht überfallen.“ Er hebt seine Tasse. „Ich brauche dringend Koffein-Nachschub.“
Mein Herzschlag hat sich beruhigt und ich nicke mit dem Kinn in Richtung Kaffeemaschine.
„Ich habe frischen aufgesetzt. Bedien’ dich.“ Ich beginne, eine Karotte zu schälen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Christian sich einschenkt und das Kochbüchlein auf dem Tisch betrachtet. Typisch: Der neugierige Schriftsteller interessiert sich für alles.
„Kochst du etwas aus diesem Buch? Da stehen Rezepte in französischer und deutscher Sprache. Sprichst du eine davon?“
„Ja, beide. Meine Mutter hat mit mir Deutsch und Französisch gesprochen. Auch mit meiner Großmutter, die ich als Kind jedes Jahr in Frankreich besuchte, habe ich diese beiden Sprachen gesprochen. Und ich lese sehr gerne und viel. Egal ob auf Deutsch, Isländisch, Englisch oder Französisch.“
Er lehnt sich gegen den Tresen und schaut mir zu, während er einen Schluck Kaffee nimmt. Die klaren Augen, die zum zweiten Mal an diesem Tag so aufmerksam auf mich gerichtet sind, bringen mich aus dem Takt. Ich räuspere mich und blicke über die Schulter zu ihm.
„Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ Er kneift nachdenklich die Augen zusammen und ich erwarte, dass er etwas sagt. Dann entspannt sich sein Gesicht und er schüttelt den Kopf.
„Nein, nichts. Ich schätze, ich prokrastiniere.“ Ich lache.
„Was? Ein lustiges Wort. Was bedeutet es?“ Er lächelt vergnügt.
„Na, ich zögere den Zeitpunkt heraus, wieder an den Schreibtisch zurückzukehren.“
„Ah.“ Ich lächle zurück und werfe die Gemüsewürfel in den großen Topf auf dem Herd. Als Christian Anstalten macht, sich von der Anrichte abzustoßen, verspüre ich mit einem Mal das Bedürfnis, mehr über ihn zu erfahren.
„Kommst du gut voran?“ Er hält inne und fährt sich nachdenklich übers Kinn. Das raspelnde Geräusch der Bartstoppel kommt mir unwirklich laut vor. Ich hefte den Blick auf seine gepflegten Finger. Er ist so anders, als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe. Obwohl er überhaupt nicht mein Typ ist, fasziniert er mich auf eine merkwürdige Weise.
„Ja, seit ein paar Tagen läuft es ganz gut.“
Da nichts mehr kommt, nicke ich ihm zu und fahre in meiner Arbeit fort. Als er die Küche verlassen hat, fällt mir die Stille im Raum auf. Ich drehe das Radio an und freue mich über den guten Song, der mich direkt zum Mitsummen animiert.
Trotzdem schade, dass Christian nicht mehr zum Plaudern hier ist.
„Ja, meine Schöne. Du bekommst ja gleich etwas. Ich vergess´ dich schon nicht.“ Ich schütte Futter in den Trog des Offenstalls und sehe Saga und den anderen Pferden zu, wie sie genüsslich den mit Mineralien angereicherten Hafer zermahlen. Dann mache ich mich ans Ausmisten. Nachdem ich die Schubkarre mit den Pferdeäpfeln auf den Misthaufen gekippt habe, ist mir ordentlich warm geworden. Obwohl mein Atemhauch als Nebel in der frühmorgendlichen Luft sichtbar ist, friere ich nicht. Elin kommt über den Hof gelaufen und ruft nach mir. Sie ist heute für den Putzdienst eingeteilt, während ich den Stall übernommen habe.
„Hey Elin!“
Sie lacht.
„Du müsstest dich mal sehen.“ Ihre Augen leuchten und ich bin froh, dass sie sich von der Sache mit ihrem Vater erholt zu haben scheint. Sie hat eines der Gästezimmer bezogen. Die ersten Tage war sie nervös und fahrig. Ich habe sie beobachtet, wie sie Richtung Kirche schaut, aus der Dagur, ihr Vater, im Zweifel kommen würde. Aber er ließ sich nicht blicken. Elins Vermutung, ihm wäre es egal, ob sie da wäre oder nicht, scheint sich zu bewahrheiten.
„Wieso?“, frage ich und schaue erstmals an mir herab. Dafür, dass ich die Arbeit mit den Pferden hatte, finde ich mich okay.
„Schau mal in den Spiegel“, grinst sie.
In dem fleckigen Spiegel über dem Waschbecken im Stall sehe ich, was Elin so amüsiert hat. Ich lächle mir entgegen, einen Balken Erde quer über der Wange. Zwei Stängel Stroh haben sich im Zopf verfangen. Als ich einen Schwall Wasser ins Gesicht kippe, fällt mir der Pferdegeruch in meinen Haaren auf. Am besten, ich steige gleich aus den schmutzigen Klamotten und dusche.
Im Stall befindet sich neben dem Waschbecken eine kleine Dusche. Bevor sich Jon die Etage über dem Stall zu seinem Reich ausgebaut und den Wasseranschluss nach oben gezogen hat, war dies sein Badezimmer. Ich kann nicht leugnen, dass ich jedes Mal, wenn ich hier dusche, ein erregtes Kribbeln bei der Vorstellung spüre, dass Jon an derselben Stelle nackt gestanden hat.
Ich dusche ziemlich oft hier – zumindest im Sommer. Na ja, wenigstens schleppe ich so den Dreck nicht ins Haus.
Das hört sich doch nach einer richtig vernünftigen Erklärung an.
Mit einem Blick über die Schulter vergewissere ich mich, dass ich allein bin. Dann schäle ich mich aus den Kleidern. Den Duschvorhang zur Seite ziehend, halte ich die freie Hand unter den Wasserstrahl, bis es eine angenehme Temperatur hat. Unter der Dusche schließe ich die Augen und genieße den heißen Strahl, den ich über meinen verspannten Nacken laufen lasse. Wohlig seufzend taste ich nach dem großen Schwamm. In kreisenden Bewegungen wasche ich mir den Schweiß vom Körper und seife mich gründlich ein. Ich streiche über das Lilien-Tattoo, auf der linken Seite des Rippenbogens, knapp unter meinem Busen. Das habe ich nah beim Herzen stechen lassen, um mich immer an meine Mutter zu erinnern. Sofort denke ich an Elin. Kann es nur Zufall sein, dass sie ausgerechnet diesen Namen für Sagas Fohlen gewählt hat? In Gedanken vertieft, sehe ich dem Strudel von Seife zu, der im Ausguss verschwindet.
Ohne ersichtlichen Grund kommen mir dunkelblonde Haarspitzen über grünen Augen in den Sinn. Augen, die meinen Blick bannen. Der weiche Schwamm scheint mit einem Mal die Haut in Flammen zu setzen und meine Bewegungen werden automatisch träger. Ich verweile an meinen Brüsten, schließe die Augen und genieße den sanften Druck des Gewebes auf den sich härtenden Brustwarzen. Flirrende Schauer schießen von dort in meinen Schoß und ich vergrabe meine Zähne in der Lippe, um nicht wohlig aufzustöhnen.
Warum hat mich Christian gestern so angesehen? Steht er auf mich? Vage registriere ich, dass meine Gedanken in dieser Dusche erstmals nicht um Jon kreisen. Irritiert öffne ich die Augen.
Ein Schatten vor der Dusche lässt mich zusammenzucken. Ich stecke den Kopf durch den Spalt des Duschvorhangs, der nach einer zu heißen Wäsche eingelaufen ist und sich nie ganz schließen lässt. Wassertropfen platschen von meinem Kinn auf den Boden vor der Dusche.
„Hallo? Elin?“ Im Stall bleibt es still. Niemand zu sehen. Grübelnd dusche ich weiter und beruhige mich. Schließlich konnte von außen keiner erkennen, dass mein Körper in Flammen stand. Oder doch?
Als ich nach einer Weile aus dem Stall trete, pralle ich fast mit einem Mann zusammen. Er baut sich bedrohlich vor mir auf. Ich brauche einen Moment, bis ich Dagur erkenne. Obwohl ich mich im Recht fühle, schlägt mir das Herz bis zum Hals.
„Dagur? Lange nicht gesehen. Was tust du hier?“
„Jetzt spiel nicht die Unschuldige, Fanney. Du weißt genau, was ich hier tue! Wo ist sie?“ Er lallt und steht so dicht vor mir, dass ich die vielen geplatzten Äderchen auf seinen Wangen sehe. Er hat Federn gelassen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, stelle ich mit Erschrecken fest. Mir wird mulmig zumute und es kostet mich Kraft, seinen Blick unerschrocken zu erwidern.
Dagur spürt meine Unsicherheit und verzieht die Lippen zu einem breiten Grinsen. Mir wird übel von der Alkoholfahne, die mir entgegenweht. Ich muss für Elin stark sein und reiße mich zusammen.
„Elin geht es gut. Sie wohnt jetzt hier bei uns auf dem Atlishof. Sie ist uns eine große Hilfe.“
„Das kann ich mir denken. Es kommt dir sicher gelegen, eine so billige Arbeitskraft zu haben. Aber sie gehört mir!“
Langsam wandelt sich meine Furcht in Wut.
„Also erstens bekommt Elin ein angemessenes Gehalt bei mir. Und zweitens wird sie in wenigen Tagen volljährig. Dann ist sie erwachsen und entscheidet selbst, wo sie wohnen möchte. Und drittens – einfach der Ordnung halber – niemand gehört einem anderen. Niemals!“
Dagur ist zu betrunken, um auf meine Argumente angemessen zu reagieren. Offensichtlich habe ich ihn totgequatscht und er hat bereits wieder vergessen, wie der Anfang war. Mit glasigem Blick starrt er mich an und brüllt unvermittelt Richtung Haus: „Eeeeeliiiiiin...“ Ich widerstehe dem Drang, mir die Ohren zuzuhalten. Nichts rührt sich und ich bete innerlich, dass Elin nicht auf die dumme Idee kommt, auf sein Rufen zu reagieren.
Entweder sie hört ihn nicht, oder sie hat mein stummes Flehen vernommen. Dagur wartet ein paar Minuten. Smilla steht mit gespitzten Ohren vor ihrer Hütte und behält uns im Auge. Auch wenn ihr Schwanz wedelt, weil sie sich freut, mich zu sehen, weiß ich, dass sie sich innerhalb von Sekunden zum Höllenhund wandeln kann. Es gibt mir ein gutes Gefühl, sollte Dagur die Geduld verlieren. Ich erwidere Smillas aufmerksamen Blick mit einem unmerklichen Nicken. Das Wedeln hört auf.
Dagur murmelt etwas Unverständliches vor sich hin. Er hat den Hund ebenfalls registriert. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, dreht er sich um und verlässt den Hof.
Ich sehe ihm hinterher und stoße die Luft aus, von der ich erst jetzt merke, sie angehalten zu haben. Dieser Mann ist mir unheimlich. Er ist ein brodelnder Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann. Zu was er wohl fähig ist? Mir fällt wieder der Schatten hinter dem Duschvorhang ein.
Ob Dagur im Stall war als ich geduscht habe?
Allein die Vorstellung, von ihm bespannt worden zu sein, verursacht mir Gänsehaut. Fröstelnd reibe ich mir über die Arme. Als ich sicher sein kann, dass Dagur fort ist, begebe ich mich auf die Suche nach Elin ins Haus.