Читать книгу Island Sommer Liebe - Ava Lennart - Страница 8
FANNEY
Оглавление„Magst du strohwischen?“
Ich blicke in Elins geweitete Augen. „Was, ich?“
Lächelnd halte ich ihr ein Bündel Stroh hin. Das Mädchen nimmt es mir ab. Ihre Hände zittern, als es damit zaghaft den feuchten Körper des Fohlens abtupft.
„Du kannst richtig reiben. Das bringt den Kreislauf in Schwung.“ Elins Bewegungen werden selbstbewusster und ich kümmere mich derweil um Saga, die erschöpft auf der Seite liegt und vor sich hin schnauft.
„Das hast du toll gemacht.“ Beruhigend klopfe ich Sagas Hals. Der Stall ist erfüllt von dem süßlich-herben Duft nach Fruchtwasser und der Körper der Stute ist schweißüberdeckt. Erleichterung durchströmt mich. Kurzzeitig hatte ich die Befürchtung, Dr. Hagansson rufen zu müssen. Aber dann hat diese starke Stute es ganz allein hinbekommen. Meine Saga! Ich war bei ihrer eigenen Geburt dabei. Einer dieser innigen Momente, die ich mit meiner Mutter geteilt habe, als sie noch lebte. Und nun ist Saga selbst Mutter.
Ich liebe dieses Pferd und streiche mit unendlicher Zärtlichkeit über die erregten Nüstern. Endlich hebt die Stute ihren Kopf und nimmt ihr Fohlen wahr. Ich gebe Elin ein Zeichen, dass die Mutter jetzt bereit ist. Elin zieht sich zurück, lässt den Stohwisch auf den Boden der Box fallen, auf dem Reste der Geburt liegen.
Ich beobachte Elin. Die Fohlengeburt hat sie emotional mitgenommen. Ihre Augen kleben an der Stute, die ihr Neugeborenes abschleckt. Auch ich bin ergriffen, aber das junge Mädchen ist vor Ehrfurcht wie erstarrt. Ich seufze und kann sie verstehen. In diesem Moment grüble ich selbst über Mutterliebe nach. Wie wird es erst für Elin sein, deren Mutter vergangenen Sommer von heute auf Morgen verschwunden ist? Es muss die Siebzehnjährige sehr getroffen haben und ich kann mir vorstellen, dass das Zusammenleben mit ihrem verbitterten Vater Dagur alles andere als einfach ist. Ansonsten würde sie nicht den Großteil ihrer Zeit auf unserem Hof verbringen. Instinktiv habe ich ihr Obhut gegeben. Zu meinem Vorteil, wie ich gestehen muss. Elin hat sich als unentbehrliche Hilfe erwiesen. Sie ist universell einsetzbar, sei es als Stallgehilfin oder als Zimmermädchen in unserem Bed & Breakfast.
Behutsam lege ich den Arm um die bebenden Schultern des zierlichen Mädchens und ziehe sie sacht an mich, während wir zuschauen, wie das Fohlen Kraft schöpft und sich unter Sagas Hilfe auf die wackligen Beine stemmt. Elin klatscht vor Freude in die Hände, als es gelingt, und ich selbst wische mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Smilla, unsere Islandhündin, schlägt draußen auf dem Hof an und ich weiß, dass die Pflicht ruft. Das wird Jon sein.
„Komm, Elin. Wir werden hier nicht mehr gebraucht.“ Als ich mich erhebe, spüre ich erst, wie verkrampft ich die letzte Stunde gesessen habe. Die Beine protestieren, als ich sie zu strecken versuche. Die Geburt hat meine Jeans in Mitleidenschaft gezogen. So genau mag ich gar nicht darüber nachdenken, woher die feuchten Flecken auf der Vorderseite der Hose stammen. Nicht gerade ein repräsentatives Outfit für den neuen Gast. Ich fluche verhalten. Dann zucke ich die Achseln. Was soll´s?
Elin und ich waschen uns gründlich die Hände am Waschbecken im Stall. Das muss reichen. Mit einem letzten Blick auf Saga und ihr Kleines treten wir nach draußen. Gierig sauge ich die klare Morgenluft ein. Es war mitten in der Nacht als mich Elin geweckt hat, weil Saga erste Anzeichen der bevorstehenden Geburt gezeigt hat.
Das stetige Gluckern des Bachs im Rücken unserer Farm und der Ausblick auf das Meer, dessen Wellen über den schwarzen Lavastrand lecken, löst einen tiefen Frieden in mir aus. Vor allem, wenn es sich um einen wolkenlosen Tag handelt wie heute. Gähnend fahre ich mir über das Kopftuch, mit dem ich mein Haar gebändigt habe, während wir den Hof überqueren. Gott, wenn ich nicht so schnell wie möglich einen Kaffee bekomme, sterbe ich.
Auf Smilla ist Verlass. Ich sehe den Jeep von Jon die lange Stichstraße zu unserem Hof näherkommen und bin auf unseren neuen Gast gespannt. Ich habe zwar über Email mit ihm korrespondiert, aber es ist jedes Mal schön, die Menschen persönlich kennenzulernen. Schnell dirigiere ich Elin in das Haupthaus und postiere mich hinter der kleinen Theke, die unserem Bed & Breakfast als Rezeption dient. Durch das Fenster behalten wir das Geschehen im Blick.
Smilla flippt vor Aufregung völlig aus, als der Wagen mit einem selbstbewussten Schwung auf den Vorplatz fährt. Ich grinse, weil ich vermute, dass Jon das jetzt brauchte. Beim Aussteigen zwinkert er mir zu. Das heißt, er wird annehmen, dass ich ihn beobachte, kann mich jedoch im Inneren durch die Scheibe von außen nicht ausmachen. Die vertraute Wärme, als mir bewusst wird, wie gut Jon und ich auch ohne Worte kommunizieren, durchflutet mich. Ich weiß genau, was er mir mitteilen will: der Gast hat ihn die fast drei Stunden vom Flughafen bei Reykjavik hierher mit irgendetwas genervt. Ich soll mich auf etwas gefasst machen.
Ich rechne Jon hoch an, dass er sich mir zuliebe zusammengerissen und ein Pokerface aufgesetzt hat, nehme mir aber vor, mein eigenes Urteil über den Gast zu bilden.
Elin stupst mich an, als auf der anderen Seite des Jeeps der hochgewachsene blonde Mann aus dem Wagen steigt.
„Weißt du, was der hier will, Fanney? Er hat ziemlich viel Gepäck dabei. Bleibt der länger?“ Elin hat recht. Jon ist mittlerweile damit beschäftigt, mehrere Koffer auf dem Hof abzustellen. Ich beobachte den Mann, der Jon bei jedem Handgriff im Blick hält. Er ist genauso groß wie Jon, was nicht klein ist. Im Gegensatz zu meinem besten Freund, der ausgewaschene Jeans und einen der typischen Strickpullis anhat, steckt der Gast in einer anthrazitfarbenen Flanellhose und einem Hemd. Darüber hat er eine dicke Steppjacke geworfen und trägt sogar einen Schal. Ich schmunzle. Fast alle Ausländer laufen im isländischen Sommer herum, als wäre es eine Eiszeit. Dieser scheint keine Ausnahme zu sein. Hey, es ist Juni! Dann besinne ich mich auf Elins Frage.
„Ja, soweit ich das verstanden habe, will er ein Buch schreiben und hat für vier Wochen gebucht, mit einer Option auf Verlängerung.“
„Wow, ein Schriftsteller. Ist er berühmt?“ Ich zucke mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Ich habe seinen Namen gegoogelt, aber keine Veröffentlichung von ihm gefunden. Allzu berühmt kann er nicht sein. Ich nehme an, er schreibt einen Reiseführer über Island. Den gefühlt Tausendsten. Aber wenn er unser Bed & Breakfast empfiehlt, kann das ja nicht schaden.“ Elin nickt automatisch.
„Er sieht gut aus. Wie Chris Hemsworth. Aber der ist ein berühmter amerikanischer Schauspieler. Kein Schriftsteller“, murmelt sie.
Ich hebe verwundert den Kopf und folge Elins Blick. Der Mann steht im Profil zu uns. Hm, zugegeben, er hat ein klassisches Profil mit einer hohen Stirn, geraden Nase und einem eckigen Kiefer. Er kämpft mit dem stetigen isländischen Wind, denn seine Hand streicht mehr als einmal durch das mittellange Haar, als er mit Jon spricht. Jon antwortet ihm und deutet auf die Wasserfälle, die sich weiter im Inland eindrucksvoll über die Klippen ergießen. Jon wedelt mit der Hand und erzählt wohl von dem Vulkan, an dessen Hängen unser Dorf liegt. Dann folgt der Blick des Gastes Jons Finger, der auf die steinernen Zinnen von Reynisdrangur vor der Küste zeigt. Eine Felsformation, die sich in der Morgensonne majestätisch aus der Gischt erhebt. Sein Gesicht erhellt sich und er streicht sich gedankenversunken über das Kinn, während er Jons Worten lauscht. Ohne Lippenlesen zu können, weiß ich, was Jon ihm erzählt. Die Legende der Trolle, die vor der Küste versteinert wurden, als sie einen Dreimaster an Land ziehen wollten und vom Sonnenaufgang überrascht wurden, kennt in Island jedes Kind.
„Vielleicht ist er doch Chris Hemsworth?“ Elin verrenkt sich fast den Hals, damit sie den Fremden besser sieht. Ich schmunzle, öffne das Computerprogramm für den Check-in und gebe mein Passwort ein. Rasch überfliege ich die Daten, die ich bereits aus seiner Email entnommen habe.
„Nun ja, zumindest heißt er so ähnlich. In der Anmeldung steht Christian Helm, 35 Jahre, aus Frankfurt am Main.“
„Ehrlich? Vielleicht ist das sein Deckname, damit er den Paparazzi entkommt. Das kann kein Zufall sein, Fanney. Chris und Helm-sworth. Das klingt superähnlich.“ Ich lache auf.
„Elin, wenn Chris Hemsworth sich nicht gerade als Deutscher verkleidet, um inkognito zu bleiben, glaub ich eher nicht, dass das dein amerikanischer Superstar ist.“ Elin schiebt trotzig die Lippe vor.
„Ist auch egal, der Typ ist heiß.“
Ich mustere den Fremden. Sieht er gut aus? Nur eine naive Siebzehnjährige kann sich durch die schicken Klamotten blenden lassen. Er ist definitiv nicht mein Typ. Zu glatt, zu schön. Zu sehr europäischer Städter. Allein die Wildlederschuhe! Ich weiß nicht, was er von unserer Unterkunft erwartet hat, aber es war klar, dass hier nicht unbedingt mit asphaltierten Wegen zu rechnen ist. Da sind mir die bodenständigen Rucksacktouristen, die sich zuweilen in unsere Unterkunft verirren, lieber. Oder Typen wie Jon, die lässig sind und in deren Gesicht nichts zueinander passen zu scheint, sodass man immerzu hinschauen möchte.
Ungeachtet meiner Gedanken, setze ich ein freundliches Lächeln auf, als Jon die Haustür aufreißt, den Gast auf den Fersen. Wie immer schlägt mein Herz schneller, wenn ich mit Jon in einem Raum bin. Ich schwärme für ihn, seit ich denken kann. Doch er gibt mir mit keiner Geste zu verstehen, dass er jemals mehr in mir sehen wird als eine gute Freundin oder schlimmer: kleine Schwester. Sein Beschützerinstinkt, was mich angeht, ist wirklich nervtötend.
Jon stellt das erste Gepäckstück ab. Bevor er wieder nach draußen verschwindet, stoppt er und blickt mich über seine Schulter an:
„Alles gut gelaufen?“ Ich nicke und strahle über das ganze Gesicht.
„Eine kleine Stute. Elin darf den Namen aussuchen.“ Der Gedanke ist mir soeben spontan gekommen und ich höre erfreut Elins Luftholen. Vor Freude hebt sie die Hand an den Mund. Ich sehe an ihren Augen, dass sie bereits nach passenden Namen für das Pferd, ihr Pferd, sucht. Der Gast hat sich interessiert im Raum umgeschaut und aufmerksam die große Islandkarte studiert, die fast eine Wand einnimmt. Jetzt wendet er sich mir zu.
„Willkommen auf dem Atlishof, Herr Helm. Ich bin Fanney Atlisdottir. Ich hoffe, ich darf Christian sagen. In Island duzt man sich. Hattest du eine gute Reise?“, sage ich den Begrüßungsspruch auf Englisch. Ich spreche zwar noch andere Sprachen, aber das hat sich in Island eingebürgert. Wenn mehrere Leute in einem Raum sind, darunter Nicht-Isländer, sprechen alle Englisch miteinander.
Vor unterdrücktem Grinsen beiße ich mir auf die Lippen, als sein Blick irritiert an meiner fleckigen Jeans klebenbleibt. Er runzelt nachdenklich die Stirn, während er gedankenverloren nickt. Mir fallen seine ungewöhnlichen Augen auf. Hellgrün, mit langen Wimpern. Die dunkelblonden, längeren Haare kontrastieren mit seinem gebräunten Teint und diese Kombination verleiht ihm einen kosmopolitischen Touch.
„Warst du schon einmal in Vík í Mýrdal?“ Er räuspert sich.
„Nein, das ist mein erster Aufenthalt in Island.“
Ich habe nichts Anderes erwartet. Während er den Anmeldebogen ausfüllt, habe ich Gelegenheit, ihn weiter zu betrachten. Er hat schöne Hände und mir gefällt seine Schrift, die einen selbstbewussten Schwung aufweist. Ganz der Schriftsteller! Zum Lesen hat er eine anthrazitfarbene Nerdbrille aufgesetzt, die zu ihm passt. Seine gesamte Erscheinung atmet urbanen Wohlstand. Vielleicht ist er doch nicht so erfolglos als Schreiberling. Oder, er schreibt nur als Hobby? So wie er Jons Erläuterungen gelauscht hat, war die Vermutung mit dem Reiseführer wahrscheinlich gar nicht so abwegig. Nennt man Verfasser von Reiseführern eigentlich Schriftsteller?
„Kommst du wirklich aus Deutschland? Du bist kein Amerikaner?“, fragt Elin.
Christian hebt leicht irritiert den Blick: „Ja, ich lebe in Frankfurt am Main. Und nein, ich bin kein Amerikaner.“
„Oh“, haucht Elin „dann musst du den Atlishof unbedingt in deinem Buch erwähnen!“ Überrascht schaue ich zu Elin. Nicht nur, dass sie meine Gedanken zu lesen scheint, sie bekommt Fremden gegenüber sonst nie den Mund auf. Dieser Deutsche gefällt ihr offensichtlich sehr. Sie hat ein Leuchten in den Augen, das ich so noch nie bei ihr gesehen habe. Ich verdrehe innerlich die Augen. Das kann ja heiter werden. Mahnend schaue ich sie an.
„Lass unseren Gast doch erst einmal ankommen, Elin.“ Christian legt den Kopf schief und lacht. Ein sattes, dunkles Lachen, das ansteckt und das ich ihm nicht zugetraut hätte. Automatisch entfährt mir ebenfalls ein Glucksen.
„Okay. Elin, richtig?“, er wendet sich Elin zu und er tut dies auf eine Weise, die dem Gegenüber das Gefühl ungeteilter Aufmerksamkeit gibt. Elin nickt, sichtlich entzückt, dass er sich ihren Namen gemerkt hat.
„Ich werde einen Weg finden, den Atlishof in mein Buch einzubauen. Das zumindest kann ich dir versprechen.“ Ich runzle die Stirn. Wie soll ich das denn verstehen? Einen Weg finden? Was ist kompliziert daran, unser Bed & Breakfast in einem Reiseführer zu erwähnen? Ich seufze. Der Kaffeemangel trübt offensichtlich meinen Verstand. Je eher ich die Anmeldung über die Bühne habe, desto schneller kann ich in die Küche und meinen Entzug stillen. Eine heiße Dusche und frische Klamotten wären auch nicht schlecht.
„Gut, Christian, ich nehme an, du möchtest erst einmal ankommen und dich einrichten.“ Ich klimpere mit dem Schlüssel für Zimmer vier. „Komm, wir gehen nach oben. Jon hat dein Gepäck schon ins Zimmer gebracht.“
Als ich an Christian vorbeigehe, nehme ich seinen Duft wahr. Sofort denke ich an die moosbewachsenen Steine, über die ich im Sommer als Kind balanciert bin, wenn unsere Familie am Ufer des Skóga gepicknickt hat. Ich sehe die gelben Flechten auf den Felsen vor Augen und meine, die Wärme des Steins unter meinen nackten Füßen zu spüren, während das perlende Lachen meiner Mutter zu mir herüberweht. Alles ist warm und hell.
Merkwürdig, diese Sommerpicknicks hatte ich vergessen. Warum lässt ausgerechnet der Duft dieses fremden Mannes die Erinnerung wieder aufleben?