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Kapitel 5 – Hannah Ist das Leben ein Teil von uns
oder wir von ihm?
ОглавлениеSie ignorieren mich. Vielleicht, weil sie nicht anders können, vielleicht, weil es zu sehr schmerzt. Vielleicht. Dieses Wort ist so viel, wie es wenig ist. Es kann alles sein und nichts. Vielleicht ist ein Stück Hoffnung und ein Stück Verzweiflung.
Und während ich mit Mo auf dem Bauch auf dem Boden meines Zimmers liege, die weiße Decke anstarre, frage ich mich, ob es für sie schon die ganze Zeit so war. So, als würde ich sie ignorieren, weil ich stumm bleibe. Aber nein, das ist nicht dasselbe. Ich kann nicht anders. Meine Stimme ist gefangen und ich bin es auch. Nein, es ist nicht das Gleiche.
Die Musik, die durch die großen Kopfhörer an meine Ohren dringt, hilft mir, alles irgendwie zu überstehen. Mit Musik fühle ich mich leichter, als gäbe es keine Grenzen, die mich halten – weder um mich noch in mir. Musik erinnert mich an die Zeit mit Izzy, als wir ihr zusammen lauschten, zu ihr tanzten, als wir gemeinsam sangen und träumten. Von einem besseren Morgen, von etwas, das es nicht gab.
Musik sagt alles, was ich nicht sagen kann. Musik formt Noten zu einer Sprache, die jeder versteht, und Worte zu Emotionen, die jeder fühlt.
Ich liebe das. Ich liebe, was Musik aus mir macht. Was sie aus Izzy und mir machte. Früher war sie die Sängerin von uns beiden und ich habe selbst gespielt. In einem anderen Leben. Jetzt lausche ich anderen, wie sie es tun: Coldplay, Susie Suh, One Republic. Und manchmal höre ich mir Izzys Lieblingslied an, manchmal ertrage ich die Stimme von Fleurie. Dann, wenn sie nicht zu sehr nach Izzys klingt und mich nicht zu sehr an vergangene Tage erinnert.
Während ein Lied auf das nächste folgt, während Mo aufsteht, um etwas zu fressen, sich wieder zu mir legt, wieder aufsteht und sich anders hinlegt, zieht der Tag an mir vorbei, als wäre er auf der Überholspur.
Irgendwann gehe ich ins Bad, um zu duschen und meinen Schlafanzug anzuziehen, um mir die Zähne zu putzen und meine Haare zu flechten. Um alltägliche und normale Dinge zu tun, bis mir einfällt, dass nichts mehr normal ist und dass ich keine Haare mehr habe, die ich flechten könnte. Dass mein Spiegelbild mir eine Fremde zeigt, nicht mehr Izzy und nicht mehr Hannah.
Mo folgt mir zum Bett und ich schaffe es noch, ein paar Zeilen zu schreiben. Morgen werde ich den Brief zu ihr schicken, so wie immer. Heute fehlt mir die Kraft dazu.
Am nächsten Morgen weckt mich Mo, indem er mit der Zunge über mein Gesicht fährt. Ich höre sein lautes Schnurren und sein Maunzen, er hat bestimmt Hunger.
Schon gut, Mo, denke ich und streiche ihm müde über den Kopf, während ich gähne und meine Augen ganz zu öffnen versuche. Heute ist der Himmel bewölkt und düster, Gewitter ziehen auf und lassen diesen Sommertag noch schwüler werden als sonst.
Ich schwinge meine Beine über die Bettkante, da ist Mo schon längst zur Zimmertür gelaufen und sieht mich erwartungsvoll an. Vielleicht auch ein wenig ungeduldig.
Im Flur schütte ich ihm etwas von seinem Futter in den Napf und fülle sein Wasser auf. Er hat alles hier oben, vor meinem Zimmer, und ich bin froh, dass Mum und Dad nie angesprochen haben, dass mein bester Freund jetzt eine Katze zu sein scheint – mein einziger Freund!
Nach dem Badbesuch tapse ich zurück ins Zimmer und mein Blick fällt sofort auf den Brief, der auf dem kleinen Nachttisch liegt. Worte an Izzy. Augenblicklich wird meine Brust schwer, es ist, als ob etwas auf ihr drauf sitzt. Dennoch recke ich mein Kinn und setze einen Fuß vor den anderen. Es muss sein.
Ich nehme den Brief in die Hand und als ich zur Kommode gehe und mir die Streichhölzer schnappe, atme ich bewusst tief ein und aus. Meine Finger zittern und mit ihnen das Papier in meiner Hand. Meine Füße tragen mich zum Balkon, dessen Tür ich öffne, und mir schlägt sofort warme, aufgeladene Luft entgegen. Eine Welt, die nur darauf wartet, dass der Regen sich auf ihr niederlässt und sie abkühlt. Ich klemme den Brief zwischen meine Beine, will ein Streichholz aus der kleinen Packung holen, aber es gelingt mir nicht sofort. Seitlich ziehe ich es an der Packung vorbei, doch es klappt nicht. Beim zweiten Mal bricht der Kopf ab. Ein anderes Streichholz zersplittert, das nächste entfällt meinen zitternden und jetzt auch schweißnassen Fingern. Frustriert stöhne ich auf, beiße die Zähne zusammen und lege den Kopf für einen Moment in den Nacken, schließe die Augen und versuche ruhiger zu werden. Es sind nur noch zwei Streichhölzer da und ich will nicht losmüssen, um neue zu besorgen, bevor ich meine Nachricht an Izzy verschickt habe.
Es ist doch Routine, sage ich mir. Du kannst das, flüstert die Stimme in meinem Kopf. Und es ist so traurig, dass es stimmt, dass es das längst sein müsste. Aber in diesem Moment bin ich dankbar für meine Unbeholfenheit. Sie zeigt mir, dass das hier nie Routine sein wird. Weil es nicht richtig ist. Weil nichts hiervon okay ist.
Ratsch. Das Feuer lodert auf, brennt sich langsam an dem kleinen Holzstiel entlang, den ich zögerlich an das Papier halte, das ich wieder in die Hand genommen habe. Lautlos geht die Flamme ihren Weg. Lautlos und doch gefährlich, so genau und zielsicher. Sie vernichtet alles auf ihrem Weg, lässt nichts übrig, nur Staub und Asche, nur zerfallende Dinge.