Читать книгу Die Stille meiner Worte - Ava Reed - Страница 17

Kapitel 6 – Hannah Man will immer das,
was man nicht haben kann.

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Schlafen, essen, schweigen – stets mit Mo, der mir folgt wie ein Schatten. Wenn ich nichts davon tue, schreibe ich Izzy oder überlasse mich meinen Träumen. Die guten kommen am Tag, die schlechten in der Nacht.

Die Stille hat eine andere Form angenommen. Seit ich vor fünf Tagen, getragen von diesem einen letzten Funken in mir, zum Friseur ging und ohne meine langen Haare wiederkam. Seit mein Vater mich Izzy nannte und ich nicht sie sein wollte.

Niemand redet, es ist, als hätten sie meine Stille geklaut. Mein Vater schafft es nicht einmal mehr, mich anzusehen. Das letzte Mal, als er so war, hatten Izzy und ich den geschützten Hof verlassen, um auf der Straße mit Kreide zu malen, weil das auf dem Asphalt einfach viel schöner aussah, oder hatten an den Knöpfen am Herd gespielt und anschließend versucht, uns darin zu verstecken. Es war immer Izzy, die danach wieder sein Herz erweichen konnte, weil sie stur wie ein Esel war und das Herz eines Engels hatte. Vielleicht auch, weil sie auf Kommando weinen konnte und Dad mit ihren großen Augen traurig anblickte, Tränen rausdrückte und einen Schmollmund zog. Alles an ihr schrie: Es tut mir leid, sei nicht böse! Damals hat er Angst um uns gehabt. Heute ist er einfach nur wütend. Damals habe ich den Unterschied nicht verstanden, heute spüre ich ihn.

Meine Hände ballen sich zu Fäusten, verkrampfen und lösen sich, wieder und wieder, während ich vor der Tür zum Esszimmer stehe. Meine Beine sind steif, meine Füße wie festgenagelt. Das Besteck, das aneinanderklirrt und über den Teller schabt. Mein Magen knurrt leise und ich überlege, ob ich es wagen kann, mich zu Mum und Dad an den Tisch zu setzen. Ich stehe einfach nur da und schließlich wähle ich den leichten Weg, hebe Mo hoch und schlurfe zurück aufs Zimmer. Nachher werde ich mir ein Brot machen oder Müsli, das wird reichen.

Ein Lächeln zupft an meinem Mundwinkel, während ich Mo an mich drücke und die Treppe hinaufgehe.

»Was wird das, wenn es fertig ist?« Völlig erstaunt blicke ich zwischen Izzy und ihrer Schale hin und her, in die sie gerade mindestens ein Dutzend verschiedene Cornflakessorten und Milch zusammenkippt.

»Das kann nie und nimmer schmecken! Und ich fasse es nicht, dass du mein Lieblingsmüsli mit reingekippt hast!«

Sie rührt mit ihrem XXL-Löffel in dem Gemisch herum und ihr Gesicht wechselt von freudiger Erwartung zu Unsicherheit, ob ich nicht recht haben könnte. Zaghaft steckt sie sich einen Löffel voll in den Mund. Sie kaut, dann schluckt sie und grinst mich diabolisch an.

»Dieses Mal irrst du dich, Schwesterherz! Es schmeckt verrückt, es schmeckt großartig. Wie eine Explosion aus Honig, Zucker, Karamell und Schokolade.«

»Es ist kein Gourmet-Frühstück, es ist Chaos-Müsli!«, schnaube ich und verdrehe die Augen, was Izzy lauthals zum Lachen bringt.

»Das ist ein perfekter Name!«

Ja, ich denke, heute esse ich ein Chaos-Müsli.

Als mich weder die Briefe an Izzy noch Mo oder die Musik von meinem grummelnden Magen ablenken können, nehme ich all meinen Mut zusammen und verlasse erneut das Zimmer. Es belastet mich, dass Mum und Dad mir meinen kleinen Ausbruch übler nehmen als gedacht. Nein, eigentlich habe ich überhaupt nicht nachgedacht und das ist das Problem daran. Das war es schon immer und nur dadurch sind wir überhaupt erst in dieser Lage.

Ich gehe den beiden seit Tagen erfolgreich aus dem Weg und es scheint sie wenig zu stören, denn niemand kam zu mir, fragte mich irgendein belangloses Zeug oder sah einfach nach mir.

Ich erreiche die Treppe und halte inne. Papier raschelt und das Geräusch dringt aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ist es Mum oder Dad? Sind es beide? Wieso hört es sich an, als würden sie etwas lesen? Sie waren beide nie der Typ dafür.

Los, Hannah! Geh weiter! Sie wollen ihre Ruhe und du willst sie auch. Meine innere Stimme erhebt sich und zeitgleich drehe ich meinen Kopf. Meine Hand lässt das Geländer los, meine Beine setzen sich endlich in Bewegung – leider in die falsche.

Keine Ahnung, warum ich jetzt die angelehnte Tür öffne und hineingehe. Keine Ahnung, warum ich dabei so ruhig bleibe, beinahe selbstsicher. Meine Mutter sitzt im Schneidersitz auf dem riesigen Doppelbett, seitlich zu mir. Sie trägt ein altes, verblichenes Shirt und kurze Shorts. Ich bin mir sicher, dass sie längst bemerkt hat, dass ich hier bin, aber sie sieht nicht auf. Ich bleibe auf dem runden, flauschigen Teppich vor dem Bett stehen, vergrabe meine Zehen darin. Und ich warte. Darin habe ich Übung. Auch wenn ich nie sagen kann, worauf ich warte. Dann rede ich mir ein, dass es nicht so wichtig ist, das Ziel zu kennen.

Auf ihrem Schoß liegt ein dickes Buch, nein, ein Album voller Fotos. Vorsichtig blättert sie eine der großen, dicken Seiten um und kurz reflektieren die Fotos das Licht, bevor sie verschwinden. Beinahe liebevoll streicht meine Mum über jedes einzelne, sie wirkt, als wäre sie in Gedanken weit, weit weg, an einem anderen Ort.

Mit meiner rechten Hand fahre ich unsicher den linken Arm hoch und runter. Ich fühle mich wie ein Eindringling, wie ein Fremder. Kurz huscht mein Blick zurück zur Tür, ich schlucke schwer und bin versucht, einfach wieder zu gehen, ihr den Raum zu lassen, den sie gerade braucht. Wer weiß, warum ich überhaupt hierherging, was ich hier suche und warum ich nun hier stehe. Ich kann nichts sagen. Noch weniger etwas, das alles besser oder erträglicher machen würde. Ich habe ihr wehgetan – nicht nur vor fünf Tagen, als ich als eine andere heimkam, die doch immer noch dieselbe ist.

»Du wolltest etwas verändern, nicht wahr?«, dringt die leise Stimme meine Mutter zu mir. Ihr Blick findet meinen, hält ihn fest und ich beiße mir so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmecken kann. Abgehackt nicke ich, dabei will ich nur Ja schreien. Ja, ich wollte so vieles verändern, ich will es immer noch. Ich will, dass alles anders ist und ich will die Zeit zurückdrehen. Meine Hand fährt wie von selbst durch mein kurzes Haar.

Sie ringt sich ein Lächeln ab, bevor sie mich zu sich winkt. Es dauert ganze zehn Atemzüge, bis ich es schaffe, mich zu ihr zu bewegen. Meine Füße fühlen sich an, als hätte ich riesige Schwimmflossen daran – man kann mit ihnen laufen, aber es sind unbeholfene Schritte, die sich total verrückt und fremd anfühlen. Mit genug Abstand setze ich mich neben sie auf die Bettkante, aber sie löst ihre Beine aus dem Schneidersitz und rutscht näher an mich heran. Kurz streicht sie mir über den Rücken und ich sehe ihr an, wie viel Kraft sie das kostet. Ich schlucke mehrmals, spüre den Kloß in meinem Hals, versuche mich zu entspannen. Sie schiebt das Album, das noch schwerer ist, als es aussieht, und beinahe überquillt, zur Hälfte auf meinen Schoß und blättert erneut um.

Kreuz und quer kleben die Fotos darin, ohne irgendein Muster erkennen zu lassen. Schräg, halb übereinander, bunt und in Farbe, schwarz-weiß, klein und groß. Doch dann sehe ich es. Jedes Foto zeigt Izzy und mich. Meine zitternde Hand legt sich zu der von Mum und ich fahre über die Fotos, als würde meine Berührung alles, was sie zeigen, zurückbringen. Izzy, wie sie das erste Mal ohne Stützräder fährt, Izzy, wie sie hinfällt und über ihre Schramme am Bein lacht, und ich daneben, wie ich weine, weil sie sich verletzt hat. Meine Hand fährt weiter, es ist eine einzige Bewegung, die Erinnerung um Erinnerung hervorholt.

Izzy und ich nach einem Turnier, mit verschwitzten Trikots, kurzen Sporthosen, weißen Sneakers, dem Volleyball zwischen uns und einem breiten Grinsen im Gesicht. Wir, wie wir uns einen Teller Spaghetti teilen und auf einmal beide je ein Ende der Nudel erwischt haben. Wir auf dem Sofa, nebeneinander, völlig verknotet und mit offenen Mündern, nachdem wir eingeschlafen sind, mit Mo auf uns drauf. Wir mit Mum und Dad. Glücklich.

Früher hat Dad andauernd Fotos gemacht, er und seine Kamera waren unzertrennlich, doch seit Izzy fort ist, hat er die Kamera in irgendeine finstere Ecke verbannt.

Die Momente, in denen man mit jeder Faser seines Ichs versteht, was man verloren hat, haben nur erste Male. Sie kommen immer wieder, und immer wieder fühlen sie sich an, als wäre es das erste Mal. Als würde man immer wieder von Neuem eine Wunde aufreißen und danach vergessen, dass man es davor schon oft getan hat. Trauer ist eine andere Form des Vergessens und des Erinnerns – man erinnert sich und es tut weh und man erinnert sich von Neuem, weil man vergaß, wie weh es zuvor tat. Die Erinnerung ist zuerst wie eine Umarmung und wird danach zu einem harten Schlag ins Gesicht, bevor sie in das Nichts verschwindet und man sich der nächsten hingibt. Aber selbst wenn man es wüsste, würde man sich erinnern. Weil dieser eine kurze Moment des Glücks jeden Schmerz wert ist.

Mums Hand legt sich über meine und schließlich ist das, nicht der Anblick alter Fotos, der Grund, warum ich anfange zu schluchzen.

»Ja«, sagt sie flüsternd und ihre Stimme klingt brüchig. »Ich denke auch, es ist Zeit für eine Veränderung.«

Es ist nicht der Satz, der mich nervös macht, und auch nicht die sanfte Art und Weise, wie sie mich ansieht. Es ist etwas, das zwischen uns hängt wie ein unsichtbares Blatt, das noch nicht weiß, ob es fliegen oder zu Boden gleiten soll.

Aber ich schiebe es vehement zur Seite, reiße mich zusammen und sehe mir mit Mum die anderen Fotos an. Ich erlebe all die Erinnerungen, all die schönen und schweren Momente und all den Schmerz. Ich erlebe unzählige Daserste-Mal-Momente.

Und als wir das Album schließen, scheint nicht nur in meinem Magen ein großes Loch zu klaffen.

Mum atmet laut ein, bevor sie aufsteht, um das Album in einer riesigen Box unter dem Bett zu verstauen. Dass es dieses Album noch gibt, grenzt an ein Wunder. Außer den Dingen, die darin lagen, und den Dingen in dieser einen Kiste in meinem Zimmer, gibt es nicht viel Altes in diesem Haus. Nichts Vergangenes.

Mum verlässt das Zimmer ohne ein Wort, aber das ist okay, denn hier schwebt mehr Ungesagtes herum, als ich ertragen kann. Kurze Zeit später folge ich ihr, schließe die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern und gehe endlich dahin, wo ich zuvor hinwollte. Die Küche ist leer, ich höre, wie die Stimmen des Fernsehers gedämpft zu mir dringen. Auf dem Tisch steht ein kleines Brettchen mit frisch belegten Brötchen und etwas Salat in einer Schüssel. Das Chaos-Müsli fällt nun zwar aus, aber ich danke Mum innerlich dafür, dass sie das für mich getan hat. Für mich ist das so viel mehr. Für mich sind die zwei Brötchen und der kleine Salat so viel mehr.

Am nächsten Tag plagt mich mein schlechtes Gewissen. Die Fotos mit all ihren Erinnerungen, die Momente mit Mum haben mich müde gemacht und mich in Gedanken versinken lassen, sodass ich das erste Mal vergessen habe, Izzy zu schreiben. Eine andere Art Erstes-Mal-Moment. Und er tut fürchterlich weh.

Mit Mo auf meiner Schulter liegend gehe ich nach unten, ich möchte mit meinen Eltern frühstücken. Ich möchte mich nicht mehr verstecken, meine Fehler verstecken sich schließlich auch nicht.

Bin ich zu spät? Das kann nicht sein. Aber der Anblick ist nicht wie sonst. Mum rennt nicht wie verrückt durch die Küche und versucht das Rührei zu retten und Dad schmeißt nicht seinen Toast weg, weil er mal wieder zu dunkel wurde. Sie sitzen am Tisch und der ist leer. Vor ihnen liegt nichts weiter als eine Broschüre. Mo richtet sich auf meiner Schulter halb auf und versucht auf mir zu balancieren, dann miaut er und meine Eltern zucken zusammen, als hätten wir sie erschreckt. Als könne ich sie bei etwas erwischen. Ein ungutes Gefühl bahnt sich seinen Weg meine Wirbelsäule hinauf, eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen und ich würde mein kurzes blaues Top lieber gegen einen Pullover tauschen, um mitten im Sommer nicht zu frieren.

Sogar Dad sieht mich an. Etwas hat sich verändert und Mums Worte kommen mir in den Sinn. Ja, vielleicht ist es Zeit für Veränderungen.

»Guten Morgen«, sagen beide gleichzeitig.

Was ist hier los?, frage ich in Gedanken.

»Wir sind etwas zu spät mit dem Frühstück, es tut mir leid, ich werde sofort …« Die Stimme meiner Mutter überschlägt sich fast und als sie aufsteht, reißt sie beinahe die Tischdecke mit sich mit. Hektisch sieht sie sich um, aber bevor sie ganz losstürmen kann, hat Dads Hand sie erreicht und am Unterarm gepackt. Sie zuckt zusammen und hält inne, ihre Schultern sacken herab und beinahe flehend sieht sie ihn an. Er nickt ihr aufmunternd zu und sie sagen so viel, ohne zu reden, dass ich drohe Kopfschmerzen zu bekommen. Mum lässt sich erneut auf den Stuhl sinken, versucht sich zu fassen und hält Dads Hand ganz fest.

»Hannah«, sagt er leise.

Diese sechs Buchstaben, von hinten und von vorne gleich, gleiten durch mich hindurch. Er kennt noch meinen Namen, aber weiß er auch, wer ich bin?

Automatisch strecke ich mich, halte mich gerade, recke das Kinn und greife nach Mo, ich verstärke die Mauern in und um mich und obwohl ich sie Tag für Tag verfluche, sind sie da und schützen mich.

»Ich …«, beginnt er, bricht ab, zieht die Augenbrauen so fest zusammen, dass die Fältchen um seine Augen und auf der Stirn tief werden, dass er zu ernst aussieht, zu nachdenklich.

»Wir …«, hilft ihm meine Mutter aus. »Wir möchten, dass du dich zu uns setzt.«

Ich bewege mich nicht, mein Blick wandert zwischen den beiden hin und her und zwischen all den Dingen, die stumm und unsichtbar zwischen uns dreien liegen, zwischen all der Trauer, der Angst, dem Leid und den Erinnerungen. Zwischen allem, was war und was nie mehr ist.

»Bitte«, fügt sie hinzu und schließlich kann ich nicht anders und gehe auf sie zu. Ich setze mich zwischen sie, nehme Mo von den Schultern auf den Schoß und streiche über sein Fell, immer wieder, wie ein Mantra.

»In ungefähr vier Wochen beginnt die Schule, wie du weißt, und …«

»Wir haben dich abgemeldet«, platzt Dad Mum dazwischen und sie fährt sich mit der Hand über die Stirn. Erschrocken schnappe ich nach Luft. Wie bitte? Abgemeldet?

»Wir haben dich woanders angemeldet.« Der Blick meines Vaters bohrt sich in meinen. »Wir glauben, dass es so nicht weitergehen kann. Dass wir etwas ändern sollten. Dass wir es müssen«, fügt er hinzu und seine Worte sind wie Felsen in der Brandung, wie ein Berg im Sturm, unverwüstlich und unbeweglich. Sie stehen fest.

Ich atme zu schnell, Mo krallt sich in meine Beine, weil ich meine Finger zu fest in sein Fell presse.

Woanders angemeldet, wir müssen etwas ändern, schwirrt es durch meinen Kopf. Sofort springt mir die Broschüre auf dem Tisch ins Auge, die ich schon sah, bevor dieses Gespräch begann. Bevor ich wusste, was auf mich zukommt. Sankt Anna prangt in fetten Lettern darauf.

Mir wird schlecht.

Sie wollen mich wegschicken, sie wollen mich wegschicken, sie wollen mich wegschicken, wegschicken, wegschicken, wegschicken. Weg. Das ist, was bleibt. Weg.

»Die Schule soll sehr gut sein.« Mum hat schon immer versucht, alles besser zu reden, als es tatsächlich ist. Ich schnappe mir die Broschüre, schlage sie auf. Ein schönes altes Gebäude prangt auf den ersten Seiten, grauer Stein, viel Wald, es ist beinahe ein Schloss. Worte wie privat, Internat, intensive Betreuung springen mir entgegen und mit jedem weiteren Satz, mit jedem weiteren Blatt, das ich umdrehe, verstehe ich mehr und mehr, was Sankt Anna ist. Ein besonderer Ort für Jugendliche mit speziellen Problemen. Sofort habe ich Izzys Stimme im Kopf, die sagen würde: Sag es, Hannah! Es ist ein Irrenhaus, in dem man dir nebenbei noch Mathe und Englisch beibringt, nachdem man sichergestellt hat, dass du weder dir noch anderen schadest. Und du kommst da erst raus, wenn irgendein Fremder bescheinigen kann, dass bei dir alles wieder richtig funktioniert.

Bin ich kaputt?, frage ich mich unwillkürlich und schnaube laut auf. Wahrscheinlich schon.

»Wir dachten … vielleicht geht es dir dort besser. Vielleicht hast du in Sankt Anna genug Zeit und Raum für dich und vielleicht …« Mums Stimme bricht, sie atmet zitternd ein und startet einen neuen Versuch. »Vielleicht redest du mit jemandem.«

»Wenn du schon nicht mit uns redest.« Sobald Dad es gesagt hat, senkt er den Blick. Er meint es nicht so, ich weiß das, aber deshalb ist es nicht weniger schmerzhaft. Wenn ich könnte, würde ich reden. Oder nicht? Verzweifelt lasse ich Mo los und meinen Kopf in meine Hände sinken. Immer wieder schüttle ich den Kopf, bis mein Körper sich anschließt, vor und zurück schwingt und Mo von meinem Schoß vertreibt. Bis meine Mum ihre Hand über mein Haar streichen lässt.

»Wir halten es für das Beste, Hannah!«

Und mit »wir« meint sie nicht mich. Verletzt hebe ich den Kopf, springe vom Stuhl auf und fege die Broschüre vom Tisch, die zerknittert auf dem Boden zum Liegen kommt. Mo rennt fauchend aus der Küche. Ich bin so wütend! Auf Mum und Dad, auf das Leben, auf diesen Moment. Ich will dort nicht hin, ich bin nicht anders oder verrückt. Ich bin nur Hannah.

»In wenigen Tagen fahren alle neuen Schüler zusammen campen, das ist Pflicht. Die Schule fängt regulär wie alle anderen an.« Dads Stimme klingt kalt. »Du wirst mitfahren und du wirst auf diese Schule gehen.« Ende der Diskussion. Die Worte musste er nicht aussprechen, sie klingen auch so nach. Das Lustige daran ist, dass wir gar nicht diskutiert haben. Wie könnte ich auch ohne Worte? Und was würde eine Diskussion nützen bei Dingen, die anscheinend unumstößlich und längst entschieden sind.

Ich renne nach oben, knalle das erste Mal, seit ich denken kann, die Tür mit voller Wucht zu und stoße einen stummen Schrei aus, der lauter nicht sein könnte.

Die Stille meiner Worte

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